Raunen vom Volkstod – Leben und Sterben in MV

Danny Ziehtbaldum 07.03.2011 13:52 Themen: Antifa Antirassismus Soziale Kämpfe
Am Samstag den 05. März 2011 fand in Teterow in Mecklenburg-Vorpommern eine Nazi-Demonstration mit 150 Teilnehmenden statt. Angemeldet hatte sie der NPD Multifunktionär David Petereit. Umgesetzt wurde der Aufmarsch unter dem Titel „Zukunft statt Hartz IV – Volkstod stoppen!“ hauptsächlich von den lokalen NPD-abhängigen Kameradschaften. Der folgende Text fokussiert noch einmal thesenhaft die theoretischen und materiellen Hintergründe der Volkstod-Propaganda mit der ostdeutsche Neonazis von MV bis Sachsen sich auf den demografischen Wandel beziehen.
Wer hätte nicht gern einmal Recht bekommen - Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so

Dass die Rede vom Volkstod bei den Fußtruppen der Nationalsozialisten verfängt, hat mit ihrem Realismus zu tun. Im Gegensatz zu den Führern der Nazibewegung hat der übergroße Teil der Gefolgschaft in Mecklenburg Vorpommern von der Zukunft tatsächlich nicht viel Positives zu erwarten. Sie sind durch ein dreigliedriges Schulsystem und in vielen Fällen darüber hinaus durch die Sonderschule gründlich ausgesiebt, stigmatisiert und nachhaltig an der Entwicklung ihrer Ressourcen gehindert worden. Sie, die nach der Schule aus der kapitalistischen Konkurrenz in den meisten Fällen als Verlierer hervorgehen werden, sind kein Gegenstand des Interesses für die große Politik. Dass diese Menschen sich angesprochen fühlen, wenn die sozialen Verwerfungen und der demografische Wandel thematisiert werden, leuchtet ein, denn niemand ist davon so unmittelbar betroffen wie sie selbst.

Der Tod kommt aus der Mitte, riecht nach Eltern, Schule, Arbeit und Benzin

Das Problem an der Sache ist natürlich, dass die Einzigen, die sich in ihrer Perspektive dieses Themas anzunehmen scheinen, die hinter diesen Problemen stehenden sozialen Fragen in rassistischer Weise als Frage von Wohl und Wehe eines Volkes re-artikulieren. In der Geschichte hat aber noch nie die bloße (zumal selbst- oder fremd zugeschriebene) Zugehörigkeit zu einem Volk oder einer Nation irgendeinen Menschen daran gehindert, seine Mitmenschen zu übertrumpfen oder auszubeuten, wo immer sich dazu die Chance ergab. Das Volk als Blut- und Schicksalsgemeinschaft ist eine Fiktion. Das ist natürlich für Linke keine Neuigkeit.

Nur Ideologiekritik ist nicht genug

Marx und Engels hatten im kommunistischen Manifest die Hoffnung geäußert, die zur Herrschaft gekommene Bourgoisie würde alle idyllischen Überhöhungen der feudalen Verhältnisse zerstören. Die Verklärungen der schlechten gesellschaftlichen Zustände, die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, ritterliche Begeisterung und spießbürgerlicher Wehmut sollten in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt werden. Doch eine so konsequent zu Ende geführte Ideologiekritik ist nicht zu ertragen, wenn man aus diesen Verhältnissen nicht ausbrechen kann. Aus der gesellschaftlichen Lage des Proletariats, aus ihrem Sein - das zeigte die bisherige Geschichte - folgte nicht unmittelbar das richtige Bewusstsein.

Ebenso kann es im heutigen Kampf gegen die neuen Nationalsozialisten weder darum gehen sie lediglich als Nazis zu markieren und auszugrenzen, noch sie ausschließlich im Sinne eines idealen Diskurses auf theoretischem Feld durch Ideologiekritik zu schlagen. Denn dann wäre der Schwur von Buchenwald recht schnell eingelöst.

Die Frage, die sich anlässlich solcher Ereignisse wie in Teterow stellt ist, was sagt die radikale Linke den Menschen in diesem Lande, die keine Aussicht auf eine erfolgreiche bürgerliche Karriere haben und um diesen Tatbestand auch wissen? Was für ein Angebot haben auf der anderen Seite die sog. demokratischen Parteien an jene Menschen zu machen, die nicht das seltsame Privileg besitzen einfach wegzuziehen, wenn es vor Ort keine aussichtsreichen Zukunftschancen gibt (, das Privileg also, relativ unproblematisch Bürger eines wirtschaftlich besser-gestellten Gemeinwesens zu werden)? Im Kampf gegen die, in dieser Frage populistisch agierende NPD muss bspw. eine Linkspartei ihre sog. „Politikfähigkeit“ nicht nur gegenüber Unternehmen und Mittelstand beweisen, sondern auch gegenüber denen, die in jedem Falle in der kapitalistischen Wirtschaftsweise immer den Kürzeren ziehen.

Das Brüllen der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, der Geist geistloser Zustände

Wird diesem Punkt keine Aufmerksamkeit geschenkt, wird man wohl oder übel die schmerzende Tragik erleiden müssen, dass sich junge, ungebildete Menschen im Fackelschein nachts in Wäldern in verfallenen Burgruinen zusammenrotten, um dort das Hohelied auf vergangene aristokratische Zeiten zu singen. Ein Lob auf Zeiten, in denen für sie nur die Rolle der Stallknechte und Mägde vorgesehen war. (vgl.: hxxp://www.mupinfo.de/?p=9008 ) Schmerzlich ist der Anblick dieser einmal als Propaganda-Videos geplanten Offenbarungen des Elends, weil die gesellschaftliche Zustände in einigen Regionen des Bundeslandes, besonders auf dem Dorfe, heute durchaus Züge einer Refeudalisierung tragen. Diejenigen, die sich da nachts im Walde nach nationalem Sozialismus sehnen, könnten sehr bald wieder die alten Tugenden von „Zuckerbrot und Peitsche“ und „Steuernzahlen und Schnauzehalten“ am eigen Leibe schmerzhaft zu spüren bekommen.

Wer weder ökonomisch, noch sexuell auf seine Kosten kommt, hasst ohne Ende

Das Angebot, welches die Nationalsozialisten zur Kompensation dieser narzisstischen Kränkungen bereithalten, ist dasselbe wie immer: Umleiten der blinden Wut auf alles Fremde, welches intuitiv daran erinnert, dass es auch ganz anders sein könnte. Wer die Idiotie des Landlebens zum Bewusstsein bringen könnte muss verschwinden. Wer die Blutsenge der Familienbande, den Terror des Patriarchen denunziert, muss zum Schweigen gebracht werden.

Siehe auch:

Vorab Bericht der Antifa A3

Indy-Artikel der antifa_unlimited zu Teterow

Regional- bzw. Lokalmedien:

NDR Fernsehen

Der Norkurier

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Ergänzungen

demografie=rassismus

hrrks! 07.03.2011 - 21:12
seit jahren das gefasel um den "demografischen wandel": zu wenig deutsche kinder werden geboren, dann auch noch zu wenig akademikerInnen kinder! und gleichzeitig: grenzen dicht, bloß keine leute in die eu lassen, familien abschieben... "demografie" bedeutet ganz einfach: neue deutsche braucht das land. ist super vereinfacht und platt, was ich hier schreibe, aber dennoch ist es einfach so. wieviele kinderreiche familien würden gern hier leben, aber nein, kinder von irgendwo anders her sind eben nicht dass was die leute wollen

Sozialpychologie

Danny Ziehtbaldum 08.03.2011 - 11:58
Bezgl. empirischer Basis

Macht es für den skizzierten psychologischen Mechanismus einen Unterschied, wenn anteilig mehr Nazis aus der sog. Mittelschicht kommen würden?

Um noch auf einen anderen, vermutlich nicht sehr ernst gemeinten Beitrag einzugehen: Hier wurde nicht behauptet, Faschismus resultiere unmittelbar aus dem Kapital oder sei womöglich mit diesem identisch.

Die Aussage war, wenn die Linke nicht mehr selbstverständlich den Kapitalismus in Frage stellt, sondern sich konstruktiv am Verwalten der Schädigungen durch diesen beteiligt(Sozialdemokratie des dritten Weges), haben Nazis und andere rechte Populisten leichtes Spiel auf dem ureigensten Feld der Linken zu wildern. Der Antikapitalismus der Nazis beschränkt sich ja nicht auf ein Kopieren subkultureller Codes, das beweist ja gerade das Gerücht vom Volkstod.

Klassenanalyse

Antifa 08.03.2011 - 18:17
Natürlich macht es einen großen Unterschied, wenn die Akteure der rechten Szene und ihr Umfeld aus der Mittelschicht kommen - vor allem für die Analyse des Textes, die nämlich auf die Unterschicht bzw. ein deklassiertes Proletariat abzielt. Nazis gehören schlichtweg nicht dazu, deshalb werden sie und ihr Umfeld sich auch nicht für antikapitalistische Inhalte begeistern lassen. Sie entsprechen einfach nicht ihrem Interesse. Die eigentlichen Betroffenen der sozialen Misere bilden nicht die Klientel der Nazis, ob sie ihre Wähler_innenschaft sind, wissen wir nicht.

Und dass der Antikapitalismus der Nazis keiner ist, sondern einfach eine reaktionäre Gesellschaft auf kapitalistischer Grundlage bauen will, hat u.a. Moishe Postone in "Antisemitismus und Nationalsozialismus" herausgestellt...
 http://www.ca-ira.net/verlag/leseproben/pdf/postone-deutschland_lp.pdf

Belege bitte!

Danny Ziehtbaldum 08.03.2011 - 19:53
1. Es wurde nicht behauptet, dass der Antikapitalismus der Nazis progressiv ist oder im Marxschen Sinne an die Wurzeln des Problems geht.

Es wurde behauptet, dass es sich als Fatal erwiesen hat, dass die Linke, in einem breiteren Sinne verstanden, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kaum noch erkennen ließ, dass sie den Kapitalismus als ganzen abschaffen möchte (aktuelles Beispiel: Reaktionen auf Gesine Lötzsch). Fatal, weil sich nun die Rechten die weiterhin offene soziale Frage in ihrem Sinne, nämlich rassistisch re-artikuliert aneignet.

2. Moishe Postone kritisiert die Ansicht, dass man den Nationalsozialismus lediglich als reaktionär auffassen solle. Er arbeitet ja gerade den Umstand heraus, dass es einerseits rückwärts gewandte antimoderne Elemente in der NS Ideologie gibt, dass sie andererseits bestimmte Aspekte der Moderne emphatisch begrüßt (etwa die Industrialisierung, die neuen Kriegstechniken etc.). - Also wenn schon mit Autoritäten rumschmeißen, dann auch genau lesen.

3. Wo ist denn die empirische Basis dafür, dass die auf der Straße agierenden Nazis zum überwiegenden Teil dem Bürgertum entstammen würden? Ich bezweifle dass es für den einen Tatbestand einen eindeutigen empirischen Beleg gibt, während es für den anderen keinerlei Anhaltspunkt geben soll. Der Punkt ist wirklich spannend.

keine empirische Datenbasis?!?

google ist dein Freund 08.03.2011 - 22:38
Einfach mal SOEP ( http://de.wikipedia.org/wiki/Sozio-oekonomisches_Panel) + Wahlen googeln. Deswegen ist dem Artikel zuzustimmen, wenn er die Unterschicht anvisiert.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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ungenügend — Susi Sorglos

Katastrophe? — oder HTML?

Nicht alle Deutschen waren Nazis! — und nicht aus Assyrien

nice article — ich

@Nicht alle Deutschen waren Nazis! — sein name ist hass

Selber! — Profanti

geh... — selber...

Empirische Basis — Antifa