Wagenplatz Zomia: Räumungsankündigung 30.4.11

Marie Holzapfel 03.03.2011 20:44 Themen: Freiräume
Der neue Wagenplatz Zomia in Hamburg-Wilhelmsburg ist geduldet bis zum 30.4.2011, hat nun die Ankündigung einer Räumungsverfügung erhalten. Versprechen zur Suche einer langfristigen Lösung wurden bisher nicht eingelöst, die Zukunft ist noch unklar.
Der Wagenplatz Zomia in Hamburg-Wilhelmsburg hat Post bekommen: An allen Wagen klebte die Ankündigung einer Allgemeinverfügung: Zur Vermeidung von Störungen der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach §3 Wohnwagengesetz (HmbGVBI 1999, 93) in Verbindung mit dem Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (HmbGVBI 1966, 77 - SOG-)ist nach §2 auf unsere Auflösung hinzuwirken. Zum 30.4.2010 wurden die Nutzer_innen und Bewohner_innen zur nachdrücklich zur Unterlassung aufgefordert.

Seit Ende November 2010 gibt es den neuen Wagenplatz. Nachdem mehrere
Fläche bezogen, besetzt und innerhalb weniger Stunden mit
Räumungsandrohungen versehen waren, hat die Wagengruppe Zomia seit
Dezember ihr viertes Zuhause auf einer Fläche zwischen Bäumen am Kanal bezogen: Schön! Sehr schön. Die als Industriegebiet ausgewiesene Fläche gehört der Finanzbehörde und ist eine
sogenannte "Vorhaltefläche" für die nördliche Variante der seit 1938
geplanten Autobahn "Hafenquerspange". Der Regionalausschuss des
zuständigen Bezirks hat am 7.12.2010 beschlossen, dass die zuständigen
Behörden einen Verbleib als "Winterlösung" bis zum 30. April ermöglichen soll, um Zeit für Gespräche über eine langfristige Lösung zu gewinnen.
Zuständig für die bürokratische Seite des Lebens im Wagen ist in Hamburg das Verbraucherschutzamt, mit welchem sich Gespräche als schwierig und letztendlich für Zomia als nicht zumutbar erwiesen – die Bewohner_innen sollten nicht nur vor ihren Wohngehäusen Aufstellung nehmen, kopierte Personalausweise abgeben und sich fotografieren lassen, sondern auch Fragen zum persönlichen Duschverhalten beantworten und weiteren ähnlichen
Unfug anstellen. So nicht! Letztendlich wurden die Gespräche vom Amt
abgebrochen und eine einseitiger Verwaltungsakt ausgesprochen: Anfang
Februar wurde der Anhörungsbescheid einer Räumungsverfügung zugestellt - der Bezirk Mitte stellt klar, dass er den "rechtswidrigen Zustand" der Anwesenheit der Zomia-Bewohner_innen nach dem 30. April 2011 mit Zwangsmaßnahmen aufzulösen gedenkt.

Die Wagengruppe Zomia will gemeinsam auf ihrem Platz bleiben – auch nach dem 30.April. Dafür wollen die Bewohner_innen einerseits versuchen durch Gespräche, Verhandlungen und Öffentlichkeit Lösungen,
Duldungsverlängerungen zu erreichen. Mit politischem Willen könnten auch nach aktueller Rechtslage neue Wagenplätze geduldet werden. Seit der Wahl in Hamburg am 20.2.2011 hat die SPD sowohl im Bezirk als auch auf Landesebene die absolute Mehrheit. Der entsprechend parteizugehörige bisherige „kleine“ Bürgermeister“ von Hamburg, der Bezirksamtsleiter Mitte Markus Schreiber, brüstet sich heute noch mit der Verantwortung für die Räumung von Bambule, auch damals saß er schon auf diesem Stuhl. Über die Wagengruppe Zomia lässt er nach einer Räumungsverfügung in den Medien über ein potentielles Räumungsszenario verlauten: ‚die’ würden ja eh wegfahren,
denn sie hätten Angst um ihre Wägen. Die Wagengruppe ist geblieben, es
wurde nicht geräumt. Für ein weiteres Szenario droht Schreiber nicht nur mit der Räumung sondern jetzt mit der Konfiszierung der Wägen. Schreiber hat mehrfach verlauten lassen nach der Wahl Senator werden zu wollen, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Chef des Ressorts, welches an einer Entscheidung für einen neuen Bauwagenplatz neben dem Bezirk maßgeblich beteiligt ist.
Die Wagengruppe steht von Anfang an im Gespräch, es wird von vielen
politischen Entscheidungsträger_innen "Wohlwollen" signalisiert, aktiver Entscheidungswillen ist darin jedoch bis dato nicht zu erkennen.
Andererseits bereitet sich Zomia also intensiv auf das Szenario nach dem 30.April vor, wenn es bis dahin keine Lösung gibt.

Neben all den Bemühungen um ein Fortbestehen will Zomia aber weiter auch an praktischen und inhaltlichen Ideen für ein langfristiges Projekt arbeiten, welches sich ganz explizit als Lebensort und politisches Projekt und nicht als „schöner Wohnen für die/den einzelne_n versteht. In Hamburg ist es das Anliegen von Zomia, nicht nur einen Platz für die rund 15 Bewohner_innen zu erkämpfen, sondern das Thema Wagenplätze in Hamburg wieder auf die Tagesordnung zu ziehen, für die Akzeptanz dieser Lebensform insgesamt, für Freiräume, Selbstorganisation, besetzte Projekte und für das so genannte „Recht auf Stadt“ einzutreten. Außerdem bietet der Wagenplatz die Möglichkeit politische Prioritäten der Nutzer_innen gemeinsam zu unterstützen und einen unkommerziellen Ort für Veranstaltungen, Austausch und Multiplikation zu schaffen.
Im Moment ist die Wagengruppe außerdem mit den ganz praktischen Dingen des Alltages beschäftigt, die autarke Stromversorgung steht ebenso auf der Tagesordnung wie die Luxusvariante des Kompostklos (sofort vom Bürgerpolizisten fotografiert), Mülltonnen sind bereits zugestellt, der Briefkasten hängt (fast) – das Leben scheint eingerichtet auf Hamburgs neuen Wagenplatz und eigentlich könnten die Bewohner_innen sich nun auf all die Projekte stürzen, die in den Köpfen schwirren. Doch leider ist die Ruhe trügerisch;
die Uhr tickt und wie eine dunkle Wolke hängt als mögliches Räumungsdatum der 30.4. über dem Platz.

Ähnlich wie die Rote Flora als schon lange etabliertes Projekt ist auch das eher neue Projekt von Räumung bedroht. Ein langer anstrengender Prozess steht bevor, ein Fortbestehen zu sichern. Die Wagengruppe ist dabei auf Unterstützung angewiesen - nachdem Wagenleben in Hamburg jahrelang von der Vernichtung von Wagenplätzen geprägt war ist es nun an der Zeit, exemplarisch für eine offenere Stadt einzutreten, in der verschiedene Wohnformen respektiert, Freiräume ermöglicht und kleine subversive Nischen in der grauen Stadt lebendig werden können.

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Ergänzungen

inhaltliche Korrektur

Demo-Arsch 04.03.2011 - 11:16
Die Mehrheitsverhältnisse im Bezirk sind etwas anders als in der Bürgerschaft, nämlich SPD 25 CDU 9 Grüne 8 Linke 5 Piraten 2 FDP 2. Also keine absolute Mehrheit für Schreiber. Das ist bei dem Thema, wo typischerweise CDU und FDP als erste die Schilltour fahren natürlich weniger relevant, aber bei genug Öffentlichkeit könnten von den 25 Sozis auch ein paar ihre Bedenken gegen sowas kriegen. Also nicht einschüchtern lassen!

FUCK IBA/igs!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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was — soll das