Libyen-Soliflashmob vor der IHK Bochum

flash 23.02.2011 13:37 Themen: Globalisierung Weltweit
Vor der Industrie- und Handelskammer in Bochum bekundeten gestern Abend 30-40 autonome Aktivistinnen und Aktivsten ihre Solidarität mit den Aufständischen in Libyen.
Die IHK Bochum ist Schwerpunktkammer für Libyen und Ägypten und fördert Kontakte und Handelsbeziehungen mit den Regimes beider Länder. Es wurden Flugblätter an Passant_innen verteilt und rote Farbe im Eingang des Gebäudes hinterlassen, um gegen die Kumpanei der westlichen Konzerne mit den arabischen Despoten zu protestieren.
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Ergänzungen

Flugitext

als Text 23.02.2011 - 14:28
„Mich beschäftigt nicht so sehr, wer der nächste Präsident wird, weil so lange, wie das System dasselbe bleibt, wird der Präsident verdorben. Sogar ich würde korrumpiert, sollte ich zum Präsident in diesem System gewählt werden. Wir müssen also das System ändern.“

Nawal al-Saadawi, 2010 (ägyptische Feministin)

Die Rebellionen, die in Tunesien und in Ägypten zum Sturz der jeweiligen Staatsoberhäupter führte, weiten sich stetig aus. Auch in Marokko, Algerien, Bahrain, im Iran, im Jemen und in Libyen demonstrieren tausende Menschen für Freiheitsrechte, für bezahlbare Nahrung und teils für soziale Gerechtigkeit. Diese Entwicklungen werden – wie wahrscheinlich überall auf der Welt – mit Militär und Polizeigewalt beantwortet. In Libyen ließ Staatschef Muammar al Gaddafi unlängst Scharfschützen einsetzen, die bisher über 200 Demonstrant_innen erschossen.

In der EU ist man neuerdings „besorgt“ über Menschenrechtsverletzungen in Libyen, dem wichtigsten Öl- und Gaslieferanten Europas. So richtig mag man sich aber nicht durchringen, einen der dienstältesten Diktatoren der Welt zu kritisieren. Denn die Mittelmeerregion zwischen Libyen und Italien gehört zum Operationsgebiet der EU-Migrationspolizei Frontex und Libyen ist seit einigen Jahren ein wichtiger Verbündeter der EU in Sachen Flüchtlingsabwehr. Und wer so enge Kooperationen mit einem Staatschef pflegt, damit dieser Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa erschießt, deren Boote versenkt oder sie in Flüchtlingslager nach deutschem Vorbild in der Wüste einsperren lässt, kann nicht so richtig gut finden, wenn nun Demonstrant_innen diesen „Mann von tiefer Weisheit“, wie ihn mal Berlusconi nannte, stürzen wollen. Aber wie in Ägypten werden europäische Regierungen von der Zusammenarbeit und Unterstützung abschwenken, wenn es öffentlich nicht mehr opportun scheint, Diktatoren zu unterstützen, auch wenn die Waffen, mit denen geschossen wird, aus deutscher Produktion stammen. Einkünfte deutscher Rüstungsexporte nach Ägypten und in andere nordafrikanische Staaten lagen 2009 bei 175 Millionen Euro.

Al-Gaddafi liegt falsch, wenn er meint, er sei die Revolution. Die Revolution wird ihn stürzen, wie zuvor Mubarak und Ben Ali. Was nach ihnen kommt, ist ungewiss und hängt wohl auch davon ab, wie stark progressive Teile der Bewegungen unterstützt werden. Diese Ungewissheit macht aber die Revolten nicht weniger legitim. Die Erfahrung des kollektiven Widerstandes, das eigene Wissen um die Möglichkeit der Revolte wird den Menschen auf der Straße nicht so schnell genommen werden können.

FRONTEX stürzen!
Für ein Ende deutscher Rüstungsexporte!
Solidarität mit den Aufständischen in Maghreb und Maschrek.

Einige Autonome Gruppen in NRW

@juri

Entdinglichung 23.02.2011 - 15:57
troll dich mit deiner "aber die Autobahnen"-Argumentation ... ansonsten: die reaktionär-patriarchale Knallpfeife Gaddafi hat im Rahmen von Querfrontbestrebungen u.a. neben bekloppteren Teilen der Linken in den 1980ern deutsche Faschos und Reaktionäre wie Mechtersheimer, den Bublies & Höffkes-Verlag/"Wir Selbst" (die die deutschen Rechte ber Gaddafis "Grünes Buch" innehaben), die National Front in Britannien, die nordirische Ulster Defense Association unterstützt

Autonome Libyen-Soliaktion in Ruhr/BO

autonome linke ruhr 23.02.2011 - 16:12
Am Abend des 22. Februar trafen sich laut einem Posting auf de.indymedia.org einige autonome Gruppe aus NRW vor der Industrie- und Handelskammer in Bochum, um ihre Solidarität mit den lybischen Aufständischen und ihre Kritik an den fragwürdigen Handelsbeziehungen der EU zu arabischen Diktaturen sowie das tödliche EU-Grenzregime zu demonstrieren. Dabei litt auch der Eingangsbereich der IHK unter roter Farbe, die das Blut derer symbolisieren, die z.B. durch Waffen aus deutscher Fertigung in Libyen ermordet wurden.

Vor dem Eingang postierten sich die Autonomen und verteilten ihr mitgebrachtes Flugblatt. Der Text des Flublattes: Weiterlesen »

 http://autonomelinkeruhr.wordpress.com/2011/02/23/autonome-libyen-soliaktion-in-ruhrbo/

@Juri

Entdinglichung 24.02.2011 - 10:08
1. es haben sich nicht nur Rechte positiv auf Gaddafi bezogen, Mechtersheimer sowie Bublies & Co. haben zumindest sechstellige Geldsummen vom libyschen Staat erhalten, die National Front in Britannien 5000 Exemplare des "Grünen Buches"

2. zu der von dir genannten "Aufwertung der Frauen" durch Gaddafi ein Zitat aus dessem "Grünen Buch"

Physical structure, which is naturally different in men and women, leads to differences in the functions of the organs, which in turn leads to differences in the psyche, mood, emotions, as well as in physical appearance. A woman is tender; a woman is pretty; a woman weeps easily and is easily frightened. In general, women are gentle and men are aggressive by virtue of their inbred nature.

To ignore natural differences between men and women and to mix their roles is an absolutely uncivilized attitude, hostile to the laws of nature, destructive to human life, and a genuine cause for the wretchedness of human social life.


Juri, geh' bei Altermedia trollen!

Forderungen der Aufständischen aus Bengasi

gadaffis ende 24.02.2011 - 15:45
 http://athens.indymedia.org/front.php3?lang=el&article_id=1266124

weitere Links:
 http://protest11.org/?i=libya (Bilder, Audio, Wikileaks Dokumente, Augenzeugenberichte etc.)
 http://audioboo.fm/feb17voices (Audio)

Inhaltliche Ergänzung

name 02.03.2011 - 13:54
Kampf der Titanen
01.03.2011
BERLIN/DOHA

(Eigener Bericht) - Mit einem breit angelegten PR-Manöver wirbt Berlin um Sympathie unter den Demokratiebewegungen in der arabischen Welt. "Die Zeit der Diktaturen ist abgelaufen", erklärte Bundespräsident Christian Wulff am gestrigen Montag im Emirat Qatar, das er besuchte, um von dem dort diktatorisch herrschenden Clan neue Aufträge für die deutsche Wirtschaft zu erhalten. Während Berlin die arabischen Demokratiebewegungen mit massiver verbaler Unterstützung für sich zu gewinnen sucht, debattieren deutsche Außenpolitiker über die Folgen der arabischen Umwälzungen für den Westen. Die Hegemonie von USA und EU über die Ressourcengebiete des Mittleren Ostens sei bedroht, heißt es in der Fachzeitschrift Internationale Politik, dem führenden außenpolitischen Organ des Berliner Establishments: Eine in freier Wahl bestätigte Regierung etwa Ägyptens werde kaum in der Lage sein, eine prowestliche Politik à la Mubarak gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen. Der Hegemonialkonflikt zwischen dem Westen und Iran drohe bei einem weiteren Zusammenbruch der arabischen Regime verloren zu gehen. US-Experten raten mittlerweile zu einer Annäherung an Teheran, um den westlichen Einfluss im Mittleren Osten nicht aufs Spiel zu setzen.

Ein Hegemonialkonflikt

Befürchtungen, wie sie - verborgen hinter der öffentlich zur Schau gestellten Verbalunterstützung für die arabischen Demokratiebewegungen - seit Beginn der Proteste auch deutsche Außenpolitiker umtreiben, stellt nun die Fachzeitschrift Internationale Politik zur Diskussion. Wie es in der soeben erschienenen jüngsten Ausgabe des Blattes heißt, müsse die Lage vor dem Hintergrund eines schon seit Jahren andauernden Hegemonialkonfliktes am Persischen Golf betrachtet werden. Seitdem der Westen unter der Führung der USA den Irak zerschlagen hat, ist Iran potenziell die stärkste Macht in der Region. Teheran hat im Jahr 2005 - noch zur Amtszeit des stärker prowestlichen Präsidenten Mohammad Khatami - eine "20-Jahre-Vision für die Islamische Republik" verabschiedet, die laut der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP, Berlin) als "Ausdruck eines Elitenkonsenses" in dem Land gelten kann.[1] Der Kernsatz darin lautet: "In zwanzig Jahren ist Iran ein entwickeltes Land, das wirtschaftlich, wissenschaftlich und technologisch den ersten Platz in der Region einnimmt, das mit seiner islamischen und revolutionären Identität die islamische Welt inspiriert und international konstruktive und effektive Beziehungen pflegt." Irans Anspruch auf regionale Hegemonie kollidiert mit den Herrschaftsansprüchen des Westens, der die Kontrolle über die mittelöstlichen Ressourcen um keinen Preis aufgeben will.

Stellvertreterkämpfe

Mittlerweile sei im Mittleren Osten ein "Kampf der Titanen" entbrannt, bei dem "die USA und ihre Verbündeten auf der einen" gegen "Iran und seine Anhänger auf der anderen" Seite stünden, heißt es jetzt in der Internationalen Politik. Dies spiegele sich "in jedem lokalen Konflikt" [2] - im Irak ebenso wie im Libanon, in Palästina [3] und im Jemen [4]. Im Libanon beispielsweise kämpfe "das prowestliche Lager" des Hariri-Clans gegen schiitische Kräfte, die "von der Hisbollah-Miliz geführt" würden und Iran nahestünden. Die aktuellen Proteste auf der Arabischen Halbinsel drohen das Kräfteverhältnis nun tatsächlich weiter zu Ungunsten des Westens zu verschieben. In Bahrain etwa erhebt sich die schiitische Bevölkerungsmehrheit gegen den prowestlichen Al Khalifa-Clan; dies nährt im Westen Befürchtungen, Teheran könne seine einst höchst lebendigen Beziehungen zu den Schiiten Bahrains wieder aufleben lassen.[5] Dasselbe gilt für die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien, die vom herrschenden Al Saud-Clan ausgegrenzt wird und sich jetzt der Protestwelle anschließen will; für diesen Donnerstag sind Demonstrationen in den Wohngebieten der schiitischen Minorität im Osten Saudi-Arabiens angekündigt. Sie rufen im Westen besondere Sorge hervor: Die saudi-arabische Ostprovinz ist die erdölreichste Region der Welt.

Tragende Säule

Wie die Internationale Politik weiter schreibt, droht auch der Sturz des ägyptischen Mubarak-Regimes die westliche Hegemonie über die mittelöstlichen Ressourcengebiete auf lange Sicht zu schwächen. "Eine demokratisch gewählte Regierung in Ägypten" müsse auf die eine oder andere Weise "den Anliegen (...) der Bevölkerung Rechnung tragen", heißt es in der Zeitschrift.[6] Laut einer Meinungsumfrage vom Dezember 2010 sympathisierten jedoch gut 30 Prozent der Ägypter mit der Hisbollah, 49 Prozent mit der Hamas. "Ägypten muss sich nicht mit dem Iran verbrüdern, um das Machtgleichgewicht in Nahost zu verändern"; es genüge schon, wenn Kairo aufhöre, sich für westliche Interessen aktiv einzusetzen. "Einen Vorgeschmack" habe es bereits "zu Beginn der Unruhen" gegeben, "als inhaftierte Aktivisten der Hamas und der Hisbollah aus ägyptischen Gefängnissen nach Gaza und in den Libanon flüchteten". Verändere Ägypten seine Außenpolitik, dann bröckele dem Westen "eine tragende Säule weg".

Ausgleich mit Iran?

Die Optionen des Westens, einen Einflussverlust zu verhindern, sind Gegenstand umfassender aktueller Debatten. Beobachter weisen darauf hin, dass ein Wechsel zu freien Wahlen in Ägypten noch nicht ausgemacht ist: Das Militär, bislang Garant einer strikt prowestlichen Außenpolitik, ist in Kairo weiterhin an der Macht und hat letztes Wochenende erstmals seit Mubaraks Sturz Gewalt gegen die Demokratiebewegung angewandt. Um die Ölfelder in Libyen unter Kontrolle zu halten, sind Interventionen westlicher Streitkräfte im Gespräch. Kaum Zweifel herrscht, dass das saudi-arabische Königshaus die eigene Herrschaft sowie diejenige des bahrainischen Monarchen wenn nötig mit brutaler Repression sichern wird. Dennoch raten prominente Außenpolitiker in den USA mittlerweile, einen umfassenden Kurswechsel zumindest in Betracht zu ziehen - von der aktuellen Konfrontationspolitik gegenüber Iran zu einer Politik der Einbindung Teherans. Der Westen solle "jetzt schnell begreifen": "Seine alten Verbündeten existieren nicht mehr", erklärt der US-Nahost-Fachmann Robert Baer.[7] "Die Umstürze haben die geopolitische Landkarte der Region und die Machtverhältnisse dramatisch verändert." Man müsse "umgehend einen Ausgleich mit dem Iran" finden - "ansonsten verliert der Westen seinen Einfluss in der Region".

Die Zeit der Diktaturen

Einstweilen sucht Berlin die Demokratiebewegungen der arabischen Länder mit vor allem verbaler Unterstützung für sich zu gewinnen, um zumindest eine partielle Kontrolle über die Umwälzungen zu erlangen. "Die Zeit der Diktaturen ist abgelaufen", erklärte Bundespräsident Wulff am gestrigen Montag in der Diktatur Qatar, bei deren herrschendem Clan er sich um gewinnbringende Aufträge für die deutsche Wirtschaft bemühte.[8] Wulff musste seine ursprünglich auf sechs Tage angelegte Reise auf weniger als die Hälfte verkürzen, um die Nähe Deutschlands zu den Diktatoren auf der Arabischen Halbinsel [9] nicht allzu augenfällig werden zu lassen; sonst wären die Chancen gesunken, Einfluss auf die Entwicklung nehmen zu können. So sagte der Bundespräsident seine ursprünglich geplante Teilnahme an einer Militärparade in Kuwait ebenso ab wie den Besuch in Bahrain, wo die Gefahr bestand, in von Massendemonstrationen belagerten Regierungsgebäuden mit dem örtlichen Autokraten verhandeln zu müssen. Eine Abkehr von den feudalen Häusern in Kuwait und Bahrain war damit selbstverständlich nicht verbunden: Auch in Kuwait stehen dem herrschenden Clan - nicht anders als in Bahrain und Qatar - Maschinenpistolen und Munition aus deutscher Produktion zur Verfügung, um eventuelle Proteste gegebenenfalls niederschlagen zu können. Eine Einstellung deutscher Rüstungsexporte in die arabischen Golfdiktaturen steht in Berlin nicht zur Debatte.

[1] Johannes Reissner: Irans Selbstverständnis als Regionalmacht. Machtstreben im Namen antikolonialer Modernität; SWP-Studie S 29, Oktober 2008. S. dazu Hegemonialkampf am Golf
[2] Gil Yaron: Der schiitische Halbmond wird rund. Und dver Westen verliert seine ehemaligen Verbündeten; Internationale Politik März/April 2011
[3] s. dazu Eindämmungskurs
[4] s. dazu Vor der Küste des Jemen und Die Ordnung am Golf
[5] s. dazu Maschinenpistolen und Munition
[6] Gil Yaron: Der schiitische Halbmond wird rund. Und der Westen verliert seine ehemaligen Verbündeten; Internationale Politik März/April 2011
[7] Machtverhältnisse ändern sich dramatisch; www.vorwaerts.de 24.02.2011
[8] "Wer sich nicht ändert, wird verändert"; www.welt.de 28.02.2011
[9] s. dazu Expansionsrivalen, Arabische Chancen und Wasser als Waffe und Vom fragilen Nutzen der Golfdiktaturen

 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58017



Der Zerfall eines Partnerregimes
23.02.2011
TRIPOLIS/BERLIN

(Eigener Bericht) - Auf die Massaker an Demonstranten in Libyen reagieren Berlin und die EU mit neuen Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr. Während stets neue Berichte von blutigen Gewalttaten der libyschen Repressionsapparate gegen Protestierende bekannt werden, hat Brüssel der europäischen Flüchtlingsabwehrbehörde Frontex den Auftrag erteilt, die angeblich zu erwartende Flucht von bis zu 750.000 Personen aus Libyen zu stoppen. Bisher gehörte die Abwehr von Flüchtlingen zu den zentralen Feldern der Kooperation zwischen der EU und dem al Gaddafi-Regime, das nun offenbar in mörderischen Machtkämpfen zerfällt. Mit ihm verliert Berlin einen Partner, der nicht nur jahrzehntelang zu den größten und zuverlässigsten Öllieferanten der Bundesrepublik zählte, sondern sich auch in den vergangenen Jahren als effizienter Gehilfe bei der Abschottung Europas gegen unerwünschte Migranten erwiesen hat. Die Repressionsorgane Libyens, die gegenüber Flüchtlingen ihrer Brutalität immer wieder freien Lauf ließen - bis hin zum Mord -, wurden mit deutscher Hilfe trainiert und ausgerüstet. Die erlernten Kampftechniken stehen nun ebenso zur Niederschlagung der Proteste zur Verfügung wie die gelieferten Rüstungsprodukte.

Mit Frontex gegen Flüchtlinge

Während die blutigen Kämpfe in Libyen anhalten, mit denen das al Gaddafi-Regime sich an der Macht zu halten sucht, bereitet die EU sich auf die Abwehr von Flüchtlingen aus Libyen vor. Wie es in Berichten heißt, hat Brüssel die Frontex-Behörde beauftragt, entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Frontex ist bereits damit beschäftigt, Flüchtlinge aus Tunesien von einer Einreise in die EU abzuhalten. Aus Kommissionskreisen verlautet, man rechne damit, dass bis zu 750.000 Menschen aus Libyen nach Europa zu gelangen versuchen könnten - Migranten aus Ländern südlich der Sahara, aber auch Libyer, die der Gewalt entkommen wollten. Den Berichten zufolge bereitet Frontex einen Plan vor, der sämtliche 27 EU-Mitgliedstaaten zur Mitwirkung verpflichtet [1] - auch Deutschland.

Brutale Repression

Die Gewalttätigkeit des al Gaddafi-Regimes, die sich in den aktuellen Massakern zeigt, ist schon lange bekannt, nicht zuletzt aus dem Umgang der libyschen Repressionsapparate mit Armutsflüchtlingen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Menschenrechtsorganisationen und Journalisten berichten seit Jahren regelmäßig von den brutalen Praktiken, denen Migranten in Libyen ausgesetzt sind. Dass die Flüchtlinge festgehalten, zu Hunderten in Container gepfercht und in Lager in der Wüste transportiert werden, wo man sie ohne genügend Nahrung in völlig überfüllte Zellen sperrt - Fläche pro Flüchtling: oft ein halber Quadratmeter -, gehört zum Alltag.[2] Glaubwürdige Berichte belegen darüber hinaus, dass es in den Flüchtlingslagern immer wieder zu körperlicher Folter und zur Ermordung der Internierten kommt.[3] Dass unerwünschte Migranten zuweilen in menschenleeren Wüstengebieten an der Grenze des Landes ausgesetzt werden - ohne überlebensnotwendige Ausrüstung und Nahrung -, kommt Mord ebenso gleich wie der gelegentliche Beschuss von Flüchtlingsbooten durch die libysche Küstenwache. Letztere Praxis wurde im vergangenen Herbst einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als versehentlich ein italienisches Fischerboot getroffen wurde.[4] Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen, laut denen in Libyen willkürliche Inhaftierung, Folter und das Verschwindenlassen von Oppositionellen zu beklagen sind, runden seit Jahren das weltweit verfügbare Wissen über die Repressionsapparate des Landes ab.

Unterstützung für's Militär

Dessen ungeachtet hat die Bundesrepublik Polizei und Militär Libyens immer wieder unterstützt. Zusammenarbeit auf offizieller wie auf inoffizieller Ebene gab es bereits in den 1960er Jahren. Zwischen 1965 und 1983 wurden libysche Soldaten von der Bundeswehr ausgebildet, libysche Polizisten nahmen in den 1970er Jahren an Kursen des Bundeskriminalamts (BKA) teil. Über diese höchst offiziellen Formen der Zusammenarbeit hinaus wurden auf angeblich privater Ebene libysche Offiziere, Unteroffiziere und ganze Mannschaften von außer Dienst gestellten Angehörigen deutscher Repressionsapparate ausgebildet; die Vermittlung zwischen den angeblich privat tätigen deutschen Experten und Libyen übernahm jeweils der BND.[5]

Spezialeinheiten

Zwar wurde die deutsch-libysche Repressionskooperation in den 1980er Jahren offiziell unterbrochen, als Washington und Bonn Tripolis wegen seiner Opposition gegenüber dem Westen bekämpften. Der Ende der 1990er Jahre eingeleitete Kurswechsel hin zu erneuter Kooperation, die schließlich mit der formellen Aufhebung der UN-Sanktionen im September 2003 einen deutlichen Aufschwung nahm [6], ermöglichte jedoch eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit bei der Repression. Mehrfach fragten Angehörige des al Gaddafi-Clans bei der Bundesregierung um Unterstützung für den Ausbau der Polizei Libyens nach. Offiziell wurde die Bitte zurückgewiesen; inoffiziell fanden sich jedoch Wege, ihr zu entsprechen: Eine private deutsche Security-Firma entsandte rund 30 aus dem Dienst ausgeschiedene deutsche Polizisten nach Tripolis, darunter ehemalige Angehörige eines Sondereinsatzkommandos und der Spezialeinheit GSG9. Diese trainierten libysche Kollegen unter anderem in "taktischem Vorgehen beim Zugriff auf Gebäuden", im Entern von Schiffen und im Absetzen aus Hubschraubern. Sowohl der BND wie auch das Auswärtige Amt waren über alle Aktivitäten informiert.[7]

Rüstungsexporte

Die deutsch-libysche Trainingskooperation dauerte Berichten zufolge von 2005 bis mindestens 2008. 2006 entsandte das Bundesinnenministerium sogar eine Delegation nach Tripolis, der auch Vertreter des BKA angehörten, um die Tradition der offiziellen Repressionspartnerschaft wiederzubeleben. Diese kam allerdings nicht zustande, da auf libyscher Seite kein Interesse mehr bestand. Allerdings werden höchst offiziell Rüstungsgüter geliefert. Allein in den vergangenen drei Jahren erhielt Libyen genehmigungspflichtige deutsche Ausfuhren im Wert von mehr als 80 Millionen Euro - vorwiegend Kommunikationsausrüstung und Hubschrauber, wie sie jetzt vom Militär bei Angriffen auf Demonstranten verwendet wurden.

Öllieferant

Die enge deutsche Kooperation mit dem al Gaddafi-Regime hat einen doppelten Hintergrund. Zum einen ist Libyen einer der größten Erdöllieferanten Deutschlands; auch dank der Repressionsapparate des Landes gelang es bis vor kurzem, die Erdölexporte und die deutschen Investitionen in der Branche, die jetzt erschüttert werden, gegen mögliche soziale Widerstände abzusichern. Die BASF-Tochter Wintershall ist bereits seit 1958 in Libyen aktiv und nach eigenen Angaben mit einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden US-Dollar der größte ausländische Erdölproduzent in Libyen.[8] Die RWE-Tochter Dea verfügt über Konzessionen für Öl- und Gasförderung auf einem Gebiet von 40.000 Quadratkilometern. Die auf der Ölrente beruhenden Leistungsbilanzüberschüsse Libyens - sie beliefen sich zuletzt auf 16,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - ermöglichen beträchtliche Investitionen in große Infrastrukturprojekte und wecken Begehrlichkeiten bei deutschen Konzernen. Siemens etwa beteiligt sich maßgeblich an dem gigantischen Wasserversorgungsprojekt "Great Man-made River", dem größten Trinkwasserprojekt der Welt.[9] Deutsche Unternehmen konnten auch ihre Exporte nach Libyen deutlich steigern - im Jahr 2009 um rund 23 Prozent - und damit die Konkurrenz zurückdrängen. Als höchst vorteilhaft für deutsche Firmen erweist sich zudem, dass das al Gaddafi-Regime in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen erheblich vergünstigt hat. Entsprechend hat Berlin das Regime bis vor wenigen Tagen ausdrücklich unterstützt.

Flüchtlingsabwehrpartner

Zum anderen besitzt Libyen eine wichtige Stellung in den deutschen Plänen zur Migrationsabwehr. Die diesbezügliche Zusammenarbeit leitete Berlin öffentlich im Jahr 2004 ein; damals forderte der SPD-Bundesinnenminister Otto Schily publikumswirksam den Bau von Flüchtlingslagern in der libyschen Wüste.[10] Jüngster Schritt in dieser Kooperation, die in der Praxis häufig über Italien abgewickelt wird, ist ein Flüchtlingsabwehrpakt, auf den sich die EU und Libyen im vergangenen Herbst geeinigt haben. Brüssel hat zugesagt, Tripolis im Verlauf von drei Jahren gut 50 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen; damit sollen die Landesgrenzen abgeschottet und Flüchtlingslager ausgebaut werden.[11] Der Schritt, den die EU-Kommission einen "Meilenstein im Kampf gegen illegale Einwanderung" nannte, erfolgte in voller Kenntnis der verbrecherischen Praktiken der libyschen Repressionsbehörden, deren Brutalität in den aktuellen Massakern an Protestdemonstranten überdeutlich erkennbar wird.

[1] EU bracing for exodus of asylum seekers; www.timesofmalta.com 22.02.2011
[2] s. dazu Weniger Flüchtlinge, mehr Gas und Wie Hunde
[3] Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Hinrichtungen in Libyen vom 16. Juni 2010
[4] s. dazu Erfüllungsgehilfen
[5] Peter F. Müller, Michael Mueller, Erich Schmidt-Eenboom: Gegen Freund und Feind. Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte, Reinbek 2002
[6] s. dazu Streit um Öl und Tragende Säule
[7] s. dazu Wiederbeginn
[8] Wintershall in Libyen; www.wintershall.com
[9] Libyen; www.siemens.com
[10] s. dazu Festung und Schilys Schleuser
[11] s. dazu Erfüllungsgehilfen

 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58013



Der Zerfall eines Partnerregimes (II)
25.02.2011
TRIPOLIS/BERLIN

(Eigener Bericht) - Deutsche Kriegsschiffe nehmen Kurs auf die libysche Küste. Wie das Bundesverteidigungsministerium bestätigt, hat es einen Einsatzgruppenversorger und zwei Fregatten vor das im Bürgerkrieg versinkende Land entsandt. Offizieller Auftrag ist die Evakuierung deutscher Staatsbürger. Tatsächlich ist die Anwesenheit deutscher Kriegsschiffe vor Libyen Teil einer anschwellenden westlichen Marinepräsenz, die für unterschiedliche militärische Maßnahmen genutzt werden kann. Im Gespräch ist die Einrichtung einer Flugverbotszone, um die libysche Luftwaffe, soweit sie noch vom al Gaddafi-Clan kontrolliert wird, auszuschalten und den Gegnern des Regimes damit unter die Arme zu greifen. Auch weitergehende Operationen werden nicht ausgeschlossen. Die deutschen Kriegsschiffe bilden eine militärisch recht flexible Basis für die unterschiedlichsten Einsatzszenarien; Washington zieht zusätzlich eine Entsendung von US-Flugzeugträgern in Betracht. Aus deutscher Sicht steht in Libyen viel auf dem Spiel: Das Land ist seit Jahrzehnten einer der bedeutendsten Erdöllieferanten der Bundesrepublik; deutsche Konzerne haben Milliardensummen dort investiert. Zudem fällt mit dem al Gaddafi-Regime ein zentraler Partner Berlins bei der Abschottung der EU gegen Armutsflüchtlinge.

Truppen vor Ort

Wie das Bundesverteidigungsministerium bestätigt, hat es bereits am Mittwoch mehrere Kriegsschiffe nach Libyen entsandt. Der Einsatzgruppenversorger "Berlin" sowie die Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz", die am 15. Februar Wilhelmshaven zu einer regulären Ausbildungsfahrt Richtung Mittelmeer verließen, befinden sich inzwischen auf dem Weg vor die libysche Küste. An Bord sind rund 600 Soldaten. Offizieller Auftrag ist die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Libyen. Bislang steht dafür ein Hubschrauber - Typ: Sea King - bereit, ein zweiter soll in Kürze eintreffen. Bereits zuvor hatte die deutsche Luftwaffe zwei Transall-Maschinen in das im Bürgerkrieg versinkende Land geschickt, die einige hundert Deutsche ausflogen. Laut Berichten wurde die Evakuierung von bewaffneten Sondereinheiten der Bundeswehr, möglicherweise dem Kommando Spezialkräfte (KSK), begleitet.[1] Die Luftwaffe steht weiterhin auf Malta bereit. Wie Beobachter mitteilen, operieren im Mittelmeer im NATO-Rahmen gegenwärtig auch die Fregatte "Lübeck", das Minenjagdboot "Datteln" und das Aufklärungsschiff "Oker". Alle drei Schiffe können bei Bedarf zur Verstärkung herangezogen werden.

Militäreinsatz: "Möglich"

Unter dem Vorwand, jeweils die eigenen Staatsbürger evakuieren zu wollen, ziehen tatsächlich mehrere europäische Staaten Kriegsschiffe vor der libyschen Küste zusammen. Italien hat einen Zerstörer und zwei Landungsschiffe geschickt, Großbritannien und Griechenland je eine Fregatte. Großbritannien zieht außerdem die Entsendung von Flugzeugen der Royal Air Force in Betracht. Die Türkei führt ihre Evakuierung mit zivilen Fähren durch, lässt diese jedoch von drei Fregatten begleiten. Möglicherweise stoßen auch US-Flugzeugträger hinzu. Sogar Indien will sich mit zwei Kriegsschiffen am Marineeinsatz vor Libyen beteiligen. Während der NATO-Generalsekretär gestern erklärt hat, das westliche Kriegsbündnis plane gegenwärtig keine Intervention, werden in der EU militärische Aktivitäten nicht ausgeschlossen. Ein Militäreinsatz sei tatsächlich "eine der Möglichkeiten", die in Frage kämen, heißt es beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD).[2]

Kriegsoptionen

Für eine mögliche Militärintervention liegen inzwischen mehrere Optionen vor. Eine besteht darin, eine Flugverbotszone über Libyen zu verhängen. Damit ließe sich die Luftwaffe des Landes, soweit sie überhaupt noch vom al Gaddafi-Clan kontrolliert wird, ausschalten; dadurch wiederum wären die Gegner des zerfallenden Regimes von einem militärisch gravierenden Nachteil befreit. Günstig für den Westen wäre dabei, dass die eigenen militärischen Kapazitäten nicht allzusehr beansprucht würden - schließlich sind sie in Afghanistan und an den anderen aktuellen Kriegsschauplätzen recht stark gebunden. In deutschen Leitmedien wird inzwischen ein umfassender Kampfeinsatz in Libyen gefordert; als Beispiel gilt etwa die Intervention in Somalia 1992, die von den Vereinten Nationen beschlossen wurde - und scheiterte.[3] Erwogen wird nicht zuletzt, das ägyptische - und womöglich auch das tunesische - Militär in Libyen einmarschieren zu lassen, um westliche Bodentruppen nicht zu verheizen. In der Tat finden sich zumindest in der ägyptischen Demokratiebewegung eine Reihe von Befürwortern dieses Konzepts, das darüber hinaus geeignet wäre, die Position des ägyptischen Militärs zu stärken [4] - und damit zugleich das Entgleiten der westlichen Kontrolle über Ägypten zu verhindern.

Flexible Basis See

Mit den drei Schiffen der Kriegsmarine, die Berlin jetzt vor die libysche Küste entsendet, verfügt die Bundesregierung über eine flexible militärische Ausgangsposition. Zu den Kriegsstrategien, die in den Zukunftsplänen der Bundeswehr einen deutlichen Schwerpunkt bilden, gehören seegestützte Operationen gegen Ziele an Land. Kern der dafür vorgesehenen Einsatzverbände sind die sogenannten Einsatzgruppenversorger, schwimmende Versorgungsplattformen, die den Nachschub für die kämpfenden Einheiten stellen.[5] Um sie herum gruppieren sich etwa Fregatten, die für den Beschuss der Landziele zuständig sind; zudem können von den maritimen Einsatzgruppen jederzeit Spezialkräfte zu Kommandoaktionen starten. Die "Basis See" hat dabei den Vorteil, nicht so leicht angreifbar zu sein wie Militärstützpunkte auf dem Land. Letztlich ziele das Konzept darauf ab, "die See als Basis zu nutzen, um in einem Einsatzland eine gewünschte Wirkung zu erzielen", erläuterte der damalige Marineinspekteur Wolfgang Nolting bereits 2006.[6] Die möglichen Maßnahmen reichten von "demonstrativer Präsenz und Aufklärung" über die "Unterstützung verbündeter Kräfte an Land" bis zur "direkte(n) Waffenwirkung".

Deutsche Interessen

Die militärische Flexibilität ist vor allem mit Blick auf die deutschen Interessen hilfreich, die es aus Sicht Berlins in Libyen zu schützen gilt. Libyen war lange Zeit der wichtigste außereuropäische Erdöllieferant der Bundesrepublik und fiel erst im vergangenen Jahr hinter Kasachstan auf Platz zwei. Die BASF-Tochter Wintershall ist mit einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden US-Dollar der größte ausländische Erdölproduzent in Libyen. RWE verfügt über riesige Konzessionen für die Öl- und Gasförderung. All das versucht die Bundesrepublik zu sichern - während Muammar al-Gaddafi angekündigt haben soll, womöglich Erdölanlagen und Pipelines zu sprengen.[7] Zudem sind die vor der libyschen Küste eintreffenden Kriegsschiffe in ihrer Gesamtheit durchaus geeignet, Flüchtlinge von der Überfahrt über das Mittelmeer abzuschrecken und damit die westeuropäischen Wohlstandszentren auch weiterhin gegen unerwünschte Migranten abzuschotten. Die Präsenz der deutschen Kriegsschiffe gilt Berlin als geeignet, eine Grundlage für die Durchsetzung deutscher Interessen zu schaffen. Weitere Schritte werden folgen.
Bitte lesen Sie zu den blutigen Auseinandersetzungen in Libyen auch Der Zerfall eines Partnerregimes.

[1] Evakuierung läuft - Länder fliegen Bürger aus; www.tagesschau.de 23.02.2011
[2] EU schließt Militäreinsatz nicht aus; www.faz.net 24.02.2011
[3] Wir sind den Libyern einen Militäreinsatz schuldig; www.welt.de 23.02.2011
[4] s. auch Garant der Stabilität (I), Garant der Stabilität (II) und Das türkische Modell
[5], [6] s. dazu Einsatzgruppen und Seekrieger (II)
[7] Gaddafi's Next Move: Sabotage Oil and Sow Chaos?; www.time.com 22.02.2011

 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58015



Die Fahne der Abhängigkeit
02.03.2011
TRIPOLIS/BERLIN/WASHINGTON

(Eigener Bericht) - Westliche Kriegsmarinen setzen unter deutscher Beteiligung ihren Aufmarsch vor der Küste Libyens fort. Während dort mittlerweile drei deutsche Kriegsschiffe eingetroffen sind, nähern sich nun auch Schiffe der U.S. Navy, darunter ein Zerstörer und ein Flugzeugträger samt Strike Group. Alle Optionen müssten offengehalten werden, heißt es zur Erklärung. Unübersichtlich gestaltet sich für die Bundesrepublik die Suche nach neuen Kooperationspartnern in Libyen, die das Gaddafi-Regime ersetzen könnten. Die in anderen Staaten üblicherweise angewandten Schritte zum Aufbau von Kontaktnetzwerken in die Eliten jenseits der unmittelbaren Regierungskreise - durch Kulturinstitute und Stiftungen - hat Tripolis stets wirksam verhindert; die Kontaktaufnahme zu Anführern der Aufstandsbewegung gestaltet sich daher recht schwierig. Als mögliche Partner bieten sich Anführer der libyschen Stammesverbände an, die bis heute große Bedeutung besitzen, zumal einige von ihnen wichtige Ölfelder kontrollieren. Vorbild für zahlreiche Anhänger der vor allem in Ostlibyen erfolgreichen Rebellion ist die Monarchie der Jahre 1951 bis 1969, in der die ostlibyschen Stämme eine stärkere Stellung innehatten. Libyen orientierte sich damals außenpolitisch nach Westen und stand in halbkolonialer Abhängigkeit.

Kriegsschiffe vor der Küste

Berlin weitet seine Maßnahmen gegen das libysche Regime aus. Nach den Vereinten Nationen hat auch die EU Sanktionen verhängt; sie beinhalten Reiseverbote für Regierungsmitglieder sowie die Sperrung diverser Bankkonten. Der deutsche Außenminister plädiert dafür, zwar weiterhin Öl aus Libyen zu beziehen, es aber 60 Tage lang nicht zu bezahlen. Zudem stehen drei Kriegsschiffe der Bundesmarine mit Hubschraubern vor der libyschen Küste bereit. An der Evakuierung zahlreicher Mitarbeiter der BASF-Tochter Wintershall aus einem Ölfeld in der libyschen Wüste waren einem Pressebericht zufolge bewaffnete Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) beteiligt.[1] Die Bundesmarine hält Stellung, während die U.S. Navy Kräfte zusammenzieht. So hat ein Zerstörer der US-Marine soeben den Suezkanal passiert und Kurs auf Libyen genommen. Im Roten Meer, nicht weit entfernt, kreuzt ein US-Flugzeugträger mit seiner Strike Group, weitere Kriegsschiffe können jederzeit mobilisiert werden.[2] Militärs weisen darauf hin, dass Libyen für europäische Streitkräfte ohnehin rasch und problemlos erreichbar ist. So startete die deutsche Luftwaffe ihre Flüge zur Evakuierung von Wintershall-Angestellten auf Malta. Das EU-Mitglied Malta arbeitet seit 2008 mit der NATO im Rahmen des Programms "Partnership for Peace" zusammen.[3]

Kaum tragfähige Netzwerke

Unübersichtlich gestaltet sich nach wie vor die Suche nach neuen Kooperationspartnern, die - aus deutscher Sicht - an die Stelle des Gaddafi-Regimes treten könnten. Die Mechanismen, auf die die Bundesrepublik in vergleichbaren Fällen zurückgreifen kann, funktionieren im libyschen Falle nicht: Einrichtungen wie das Goethe-Institut oder Büros der parteinahen Stiftungen, die in anderen Ländern Kontakte zu den Eliten auch jenseits der jeweiligen Regierungen herstellen, konnte Berlin in Tripolis nicht etablieren. Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung etwa, die beispielsweise in Ägypten seit Jahren Beziehungen zur jetzt hoffnungsfrohen Opposition unterhält [4], hat sich um Libyen bislang nicht gekümmert. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung versuchte mehrfach, sich von Tunesien aus in Libyen zu etablieren, scheiterte jedoch: Ihre Anträge seien von der Regierung in Tripolis "im Endeffekt" nie entschieden worden, berichtet ein Nahost-Experte der Organisation.[5] Einigen Zusammenschlüssen der libyschen Opposition im Exil wird nachgesagt, von den USA unterstützt zu werden. Über tragfähige eigene Netzwerke, die auf dem Weg an die Macht gefördert werden könnten, verfügt Berlin kaum.

Stammesverbände

Mit Interesse ist daher in den vergangenen Tagen der Versuch des erst kürzlich zurückgetretenen libyschen Justizministers Mustafa Muhammad Abd Al Jalil beobachtet worden, in Benghasi eine Übergangsregierung zu bilden. Al Jalil, der dies in Kooperation mit dem bisherigen Botschafter Libyens in den USA angestrebt haben soll, stieß jedoch rasch auf Widerstand: Einer Einmischung aus dem Ausland stehe man nicht offen gegenüber, hieß es beim National Libyan Council, einem zur Zeit einflussreichen Bündnis verschiedenster Oppositionsverbände.[6] Einige Hoffnung wird auf die ostlibyschen Stämme gesetzt. In Libyen besitzen Stammesverbände bis heute eine große soziale Bedeutung. Nach dem Kollaps des Stammesbündnissystems, mit dem Gaddafis Clan sich seine Vormacht gesichert hatte, wird nun mit neuen Herrschaftsabsprachen gerechnet. Es komme dabei für den Westen darauf an, sich die Loyalität derjenigen Stämme zu sichern, welche die Ölfelder kontrollierten, ist zu hören. Entsprechende Bemühungen sind bereits im Gange. Drohten die ostlibyschen Stämme zunächst, den Ölexport als Druckmittel zu nutzen, um den Westen zur militärischen Intervention gegen das Gaddafi-Regime zu drängen, haben sie jetzt die Belieferung der EU wieder aufgenommen. Unklar ist, welche Absprachen vorausgingen.[7]

Halbkolonial

Programmatische Aussagen, wie eine künftige libysche Regierung zu gestalten sei, sind aus dem National Libyan Council oder anderen relevanten Zusammenschlüssen bislang nicht bekannt. Als einigendes Symbol gilt die Fahne der Monarchie (1951 bis 1969), in der die ostlibyschen Stämme einen größeren Einfluss als später unter Gaddafis Regime besaßen. Damals band sich Tripolis außenpolitisch eng an den Westen, ohne seine Erdölerlöse zugunsten politischer Eigenständigkeit zu nutzen. Die halbkoloniale Abhängigkeit, in der Libyen stand, symbolisierte in den 1950er und 1960er Jahren der US-Militärstützpunkt Wheelus Air Base bei Tripolis, auf dem mehrere tausend US-Soldaten stationiert waren. Nachdem sich 1969 eine Gruppe nach wirklicher Unabhängigkeit strebender Offiziere - darunter Muammar al Gaddafi - an die Macht geputscht hatte, mussten sich die US-Truppen zurückziehen. Das Bemühen, ein eigenständiges Libyen aufzubauen, mündete in die allgemein bekannte Entwicklung hin zu einem höchst repressiven Staat, der dem Westen seit Ende der 1990er Jahre noch eine Weile als Partner diente und nun in blutigen Zerfallskämpfen sein Ende findet. Ob es danach zu einem außenpolitisch abhängigen Arrangement wie vor 1969 kommt oder Libyen sogar in kleine, vom Westen umso leichter beherrschbare Reststaaten zerfällt, ist noch nicht abzusehen.

Pogrome

Die sozialen Qualitäten der Aufstandsbewegung gegen das brutale Gaddafi-Regime lässt ein Blick auf die jüngsten Attacken der Oppositionskräfte gegen schwarzafrikanische Migranten erahnen. In Städten wie Benghasi und Al Baida machen Aufständische, nachdem sie die Repressionsapparate des Regimes in die Flucht geschlagen haben, Jagd auf Schwarze. Zur Begründung heißt es, das Regime habe Söldner aus Ländern südlich der Sahara gegen Protestierende eingesetzt. Tatsächlich werden, während hellhäutige Überläufer auf Jubel stoßen, Dunkelhäutige wahllos verfolgt und zu Dutzenden gelyncht - Migranten auf dem Weg nach Europa, die nie die Absicht hatten, zu Waffen zu greifen, inklusive. In Al Baida etwa wurden 15 Schwarze am 18. und 19. Februar von einem Mob gehängt; sie waren in der Wüstenstadt Sabha, die man auf dem Weg aus dem Süden zu den Küsten des Mittelmeers kreuzt, mit dem Versprechen in ein Flugzeug gelockt worden, in Al Baida an einer friedlichen Demonstration für Gaddafi teilnehmen zu sollen und dafür kostenlos mit dem Flugzeug an die Mittelmeerküste zu gelangen.[8] Ähnlich wie in den Jahren 2000 und 2001, als in Libyen hunderte Schwarze bei rassistischen Pogromen umgebracht wurden, müssen sich in diesen Tagen zahllose Afrikaner mit dunkler Haut in den "befreiten" Städten wie Al Baida und Benghasi versteckt halten, um dem Lynchmord zu entgehen. Unter den "Befreiern" wird auch Berlin seine künftigen Partner suchen, um den Zugriff auf libysches Öl wie auch die Unterstützung bei der Abwehr von Migranten, die Gaddafi bislang gewährte, nicht zu verlieren.
Weitere Informationen zu den deutschen Reaktionen auf die Ereignisse in Libyen finden Sie hier: Der Zerfall eines Partnerregimes und Der Zerfall eines Partnerregimes (II).

[1] KSK-Einsatz in Libyen; www.fr-online.de 28.02.2011
[2] U.S. Readies Military Options on Libya; www.nytimes.com 28.02.2011
[3] Malta hatte die "Partnership for Peace"-Kooperation erstmals 1995 aufgenommen, sie aber schon 1996 wieder auf Eis gelegt.
[4] s. dazu Einflusskampf am Nil und Die deutsche Doppelstrategie
[5] Eine demokratische Wüste; www.main-netz.de 01.03.2011
[6] Libya opposition launches council; english.aljazeera.net 27.02.2011
[7] Libya rebels resume oil exports; www.telegraph.co.uk 01.03.2011
[8] Among Libya's Prisoners: Interviews with Mercenaries; www.time.com 23.02.2011

 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58018

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 6 Kommentare an

@xxx — zzz

@juri — givedafascistmanagunshot

Fake — LOL

"Gaddafi Superstar"1 — IronMike1

au weija — ihr seid nicht frei, ihr glaubt nur dran