Libyen - Überblick Mittwochmorgen

geraeusch 23.02.2011 09:49 Themen: Medien Netactivism Repression Soziale Kämpfe Weltweit

In diesem Moment wird in Libyen ein Massaker angerichtet, das Land steht vor einem blutigen Bürgerkrieg. Dieser Text soll über den aktuellen Stand der Dinge in Libyen sowie die Reaktionen außerhalb Libyens informieren und Links zur Vertiefung des Themas auflisten.Entgegen der Behauptungen deutscher Medien, Informationen würden nur spärlich fließen, kommen diese massenhaft durch. Es gibt genug Material für eine fortlaufende Berichterstattung. Wieso dies nicht erfolgt und stattdessen über unwichtige Themen wie Guttenbergs raubkopierte Doktorarbeit diskutiert wird ist vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse absolut unverständlich.


Weitere Indymediaartikel: Flächenbrand weitet sich aus | Am Abgrund | Protestkundgebung vor Botschaft in Berlin | Soli-Flash-Mob in Bochum


Weitere Informationsquellen:nahostinfos.wordpress.com | Al Jazeera Englisch (Al Jazeera Ticker) | libyafeb17.com | jeejia | ShababLibya | feb17libya

Wer kämpft gegen wen?

Offensichtlich haben sich große Teile der Armee sowie der Polizei den Demonstranten angeschlossen, die jedoch auf Videos nicht zu erkennen sein werden, da sie grundsätzlich ihre Uniformen abgelegt haben. Teile der Armee desertieren und flüchten z.B. nach Malta. Dort sind schon mehrere Kampfflieger, Hubschrauber sowie Kriegsschiffe angekommen. Die Demonstranten bestanden im Kern, wie bereits in den vorherigen Revolutionen der Nachbarländer, wohl aus Jugendlichen. Wer sich das bisherige Videomaterial ansieht, erkennt jedoch, dass die Demonstranten bereits einen bunten Querschnitt der Bevölkerung darstellen. Es ist davon auszugehen, dass die Fronten nicht (nur?) entlang sozialer Schichten verlaufen, sondern auch zwischen den verschiedenen Stämmen Libyens. In den heutigen Tagen zeigt sich, dass das alte Stämmesystem noch immer einen starken Einfluss auf die libysche Gesellschaft hat, denn verschiedene Stämme haben verschiedene Kompetenzen.
So gehört Muammar al-Gaddafi zum Stamm der Al-Gaddadfa, welche unter anderem die Luftwaffe dominieren. Das würde auch erklären, wieso mit Flugzeugen auf Demonstranten geschossen wird. Die Piloten haben offensichtlich viel zu verlieren, sie gehören möglicherweise zum Stamm der Al-Gaddadfa und denken, sie müssten um ihr Leben fürchten, wenn die Demonstranten die Oberhand gewinnen. Die Al-Gaddadfa kontrollier(t)en trotz ihrer geringen Größe zentrale Ölgebiete, wodurch sie die Macht des Landes innehielten. Es wird vermutet, dass Gaddafis Herrschaft unter anderem deshalb so lange andauert(e), weil er es schaffte, die anderen Stämme gegeneinander aufzuhetzen. Weitere Truppen auf Seiten Gaddafis bestehen aus Söldnern aus dem Sudan, Chad, Nigeria und Simbabwe, also den Ärmsten der Ärmsten. Die Söldner haben nichts zu verlieren, kämpfen wohl für wenige Dollar am Tag. Der extrem schnelle Einsatz von Söldnern spricht für eine lange Vorbereitung seitens des Regimes.
Der größte Stamm des Landes, die Al-Zuwayya, dem ca. ein Sechstel der Bewohner des Landes angehören, hat sich den Demonstranten angeschlossen. Sie beherrschen ebenfalls große Ölfelder und drohten am Sonntag, die Ölproduktion im Falle weiterer Gewalt zu stoppen. Ein weiterer, sehr großer Stamm, die Warfalla, stehen mittlerweile ebenfalls auf der Seite der Protestierenden. Es ist anzunehmen, dass beide Stämme und desertierte Militärs die Revolution mit Waffen versorgen. Es kursieren Berichte über geöffnete Waffenlager, an denen sich die Aufständischen bedienen. Am Dienstag ging auf Twitter die Aussage eines führenden Stammesmitgliedes der Al-Zuwayya um, laut welcher Stammesmitglieder unterwegs nach Tripolis sind, um der Bevölkerung zu helfen. Die Warfalla tun es den Al-Zuwayya wohl gleich.Zu den Schauplätzen der Kämpfe lässt sich sagen, dass Tripolis und umliegende Dörfer im kompletten Chaos versinken, während der Osten des Landes, dessen zentrale Rolle die Stadt Benghazi einnimmt, bereits befreit ist. Im Falle Benghazis haben sich die Regimetreuen angeblich in die umliegenden Dörfer zurückgezogen, jedoch gibt es keine neueren Berichte über Zusammenstöße. Es gibt ebenfalls keine genauen Aussagen darüber, welche weiteren Städte befreit sind, oder wie es um küstenferne Städte im Landesinneren steht. Von ägyptischen Aktivisten wird bestätigt, dass die Grenzposten zu Ägypten auf libyscher Seite verlassen wurden und nun mit Aufständischen besetzt sind. Tripolis und weitere Städte entlang der Küste im Umkreis von etwa 200 Kilometer sind jedoch hart umkämpft. Für mehr Informationen siehe die Google Map am Ende des Beitrags.

Was passiert in den umkämpften Städten?

Kein anderer Begriff als der des totalen Chaos ist hier angebracht. Jede Menschenansammlung wird sofort von Söldnern, die an vielen Straßenecken aufgestellt sind und von auf Dächern positionierten Scharfschützen beschossen. Größere Ansammlungen werden von Hubschraubern und Jets angegriffen. Es kursieren Berichte, wonach auch auf Menschen geschossen wird, die nur vor die Tür gehen. Killerkommandos dringen in Häuser ein und töten ziellos. Ärzte dürfen nicht helfen, werden ebenfalls erschossen, wenn sie sich Verletzten nähern. Die Krankenhäuser sind überfüllt, die Blutkonserven bereits leer. Ärzte können oft nur zusehen, wie die Menschen sterben, weil sich die Medikamente dem Ende neigen. Ebenfalls gibt es Berichte über gezielte Tötungen von Ärzten in den Krankenhäusern selbst. Die Zahl der Toten dürfte innerhalb der letzten Tage unvorstellbar schnell gestiegen sein. Aufgrund der medizinischen Lage werden sie auch in den nächsten Tagen rapide steigen. In den Medien kursieren verschiedene Zahlen, die höheren sind wohl die realistischeren.Ihr werdet am Ende dieses Beitrags eine Linkliste finden. Schaut euch die Videos und Twitteraccounts an, denn nichts von dem was hier steht, kann die Lage so gut beschreiben wie genannte Quellen. Vorsicht bei den Videos, ist teilweise sehr extremes Material. Nur so viel: auf einige Demonstranten wurde mit Luftabwehrraketen geschossen. Es existieren grausame Bilder der Toten, die wirklich nichts für schwache Nerven sind. Das ist eine ernst gemeinte Warnung!

Was tut der Rest der Welt?

Regierungen:
Zuschauen. Die UN beraten über mögliche Konsequenzen (Embargo, Luftraumsperre), haben sich bisher aber nur zu einer Verwarnung hinreißen lassen. Möglicherweise werden durch das Vetorecht der ständigen Mitglieder mal wieder konsequente Handlungen geblockt, man kann aufgrund der Tatsache, dass der Sicherheitsrat in versteckten Hinterzimmern diskutiert, nur mutmaßen. Mächtigen Staaten, unter anderem Deutschland und den USA, fällt scheinbar ebenfalls nicht ein, was zu tun ist. Stattdessen hört man auch von diesen nur Verwarnungen und die Androhung von Sanktionen. Die Arabische Liga belässt es zunächst auch nur bei einem Tadel und der Androhung von Konsequenzen. Niemand scheint zu bemerken, dass Gaddafi offensichtlich durchgedreht, verrückt und unberechenbar ist und nicht auf Drohungen hören wird. Peru hat bisher als einziges Land alle diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen gekappt. Das ist vorbildlich und andere Regierungen müssen schnellstmöglich folgen.
Problematisch könnten die Haltungen der Länder werden, die große Teile ihres Ölimports aus Libyen beziehen, darunter Italien, dessen Regierung ohnehin gute Beziehungen zu Gaddafi unterhält. Libyen ist einer der größten Ölproduzenten und der drittgrößte Lieferant der EU.

Menschen:
Es finden Demonstrationen in den Metropolen der Welt statt, z.B. Washington, Berlin und London. Den Demonstrationen, die meist vor den Botschaften stattfinden, schließen sich oft MitarbeiterInnen der Botschaften an. Sehr viele Diplomaten, darunter Libyens Repräsentanten in den UN und der Arabischen Liga, haben ihre Tätigkeiten aus Protest niedergelegt. Es gibt Berichte über symbolische Sitzblockaden in palästinensischen Städten. Am engagiertesten tritt die ägyptische Bewegung auf. Seit Tagen werden Konvois mit medizinischem Material losgeschickt, die zwischenzeitlich an der Grenze von ägyptischen Soldaten aufgehalten wurden. Mittlerweile werden die Konvois jedoch von beiden Seiten durchgewunken. Die Grenze spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bezüglich des Informationsflusses. Der mit Abstand größte Teil der Videos aus Libyen wird über die libysche Grenze gebracht und aus Ägypten hochgeladen.

Internetgemeinde:
Anonymous tritt ebenfalls engagiert und entschlossen auf. Die Operation Libya attackiert libysche Websites, unter anderem den militärischen Emailserver. Somit dürfte zumindest die elektronische Kommunikation der auf Gaddafis Seite verbleibenden Militärs teilweise oder sogar ganz gestört sein. Des Weiteren finden Infokampagnen sowie ausführliche Diskussionen über weiteres Vorgehen statt (z.B. ein Angriff der UNO- website, falls die Vehandlungen ergebnislos bleiben). Interessant ist auch, dass das größte der Anonymous Netzwerke zwischenzeitlich aufgrund von DDoS Attacken aus Iran zusammenbricht. Offensichtlich fürchtet sich das iranische Regime vor der Internetgemeinde und egal, was man von Anonymous halten mag: Das ist ein gutes Zeichen!
Eine weitere Gruppe, Telecomix, stellt, wie schon in Ägypten und Tunesien, sichere Internetverbindungen per Telefonleitung zur Verfügung. Google und Twitter versuchen, ihren für die arabischen Revolutionen neu geschaffenen Dienst Text-to-Tweet zu verbreiten, mit welchem per Anruf eine Nachricht bei Twitter veröffentlicht werden soll. Inwiefern die Technik verbreitet ist und genutzt wird, lässt sich jedoch nicht genau sagen.

Was wird jetzt passieren?

Diese Frage ist so offen wie keine andere. Das alte Regime ist am Ende, so viel ist sicher, denn nach den Vorgängen der letzten Tage wird die Bevölkerung Libyens keine Regierung wie diese mehr akzeptieren. Problematisch könnten jedoch die Interessen der einzelnen Gruppen werden. Ob Stämme wie die Al-Zuwayya ebenfalls Demokratie und Menschenrechte anstreben, kann zumindest bezweifelt werden. Auch wenn sich die Einflussname dieses Stamms bisher positiv auswirkt, muss diese auf lange Sicht kritisch gesehen werden, denn ein Stammessystem an sich hat mit europäischen Demokratievorstellungen relativ wenig zu tun. Sobald Gaddafi besiegt ist heißt es also erstmal abwarten.

Belege:
http://af.reuters.com/article/energyOilNews/idAFLDE71L2K720110222 - über die Stämme
faz.net - Lybisches Öl in Italien
seattletimes.nwsource.com - über die Konvois


Weitere Links:
http://nahostinfos.wordpress.com/ - Wichtiger deutschsprachiger Blog zum Thema. Regelmäßige Updates.
http://english.aljazeera.net/watch_now - Al Jazeera Englisch. Dauerhafte Berichterstattung, sehr empfehlenswert.
blogs.aljazeera.net - Al Jazeera Ticker, sehr häufige Updates.
google-maps - Karte Libyens mit wichtigen Markierungen zu den aktuellen Ereignissen.
libyafeb17.com - Sehr guter Blog mit vielen Quellen, z.B. Videos.
feb17.info - ebenfalls guter Blog.
avaaz.org - Avaaz Petition, extrem großer Andrang.

Interessante Twitter Accounts:
jeejia
ShababLibya
feb17libya
und natürlich die Hashtags #Libya #Feb17 #Tripoli und andere, die in den Nachrichten bei Twitter gepostet werden.

Gaddafi will als Märtyrer in Libyen sterben? Hoffen wir, dass ihm sein Wunsch schnellstmöglich erfüllt wird.

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Ergänzungen

fotostream vom wochenende

smash all cleptocrats down! 23.02.2011 - 09:58

blubb

geraeusch 23.02.2011 - 10:15
Habe mich vertan: die von anonymous attackierte website ist keine militärische, sondern der webserver lokaler milizen rund um tripolis

weiterer link

geraeusch 23.02.2011 - 10:36
ein weiterer interessanter link: flüge und flougrouten, live map:  http://www.flightradar24.com/

darauf könnt ihr z.B. sehen, welche flugzeuge in libyen landen, ob es militärmaschinen oder zivile flugeuge sind etc.

Video und Foto Blog

John Nada 23.02.2011 - 12:27
Vorsicht zum Teil sehr grausame Bilder

 http://arabrevolution.posterous.com/

Gaddafi war schon immer scheisse!

Gaddafi war schon immer scheisse! 23.02.2011 - 14:01

Libyen sitzt auf Öl!

... 23.02.2011 - 14:05
... weshalb eine NATO-Intervention gar nicht so unwahrscheinlich ist:

 http://imi-online.de/2011.php?id=2253

Eindruck der Lage

ant 23.02.2011 - 15:30
Sammlung von Youtube Videos aus Libyen 22.02.2011

"23. Februar 2011, 13:12, NZZ Online
Steinewerfer, Knüppelträger, Söldner, Soldaten
Die verwackelten Bilder von der libysche Revolte auf Youtube"

 http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/youtube_libyen_revolte_1.9652139.html

Nein.

tagmata 23.02.2011 - 17:42
TL;DR: Revolution wins. Gaddafi noch nicht kaputt, aber Regime ist im Arsch.

Karte: Die momentane Situation heute morgen, nach Berichten von den Straßen Libyens.

Einziger Fehler den ich spontan erkenne: Surt ist seit längerem auch befreit.

Ob Sabha noch in Regimehand ist, ist nicht ganz klar; etwaige Söldner die dort noch landen können sich im Prinzip zwischen Kapitulation oder Überlaufen oder Tod durch Sahara oder Tod durch Saharabewohner (mit 2, 8 oder 0 Beinen) entscheiden. Schaut es euch auf Google Earth an, da unten ist, öhmn, *nicht so viel was strategisch irgendeine Relevanz hätte*.

In eingen Gegenden marodieren noch versprengte Armeeeinheiten ein bißchen herum, deren Kontakt mit Tripoli seit spätestens gestern nachmittag kaputt sein dürfte. Oder wenn sie noch ne Leitung zum Führerbunker haben, kommt vom anderen Ende eher so Gebrabbel.

Bleiben außerdem noch der drecksche Flughafen Mitiga, und der unbekannte Aufenthaltsort von 2/3 der Marine. Einige Marineleute haben versucht hinter der "Frontlinie" (es ist mehr eine enge und sich schön vorsichtig zuschnürende Belagerung von Tripoli) Söldner zu landen und wurden von der lokalen Miliz aufgemischt.

Regelrechte Massaker hat's wohl nur eins gegeben, Sonntag in Tripoli. Aber es wurde allerorts brutalst in die Menge geschossen. Seit Montag ist die Zahl der bestätigten zivilen Toten jedoch massiv zurückgegangen.

Ich hoffe die "Gemeinsame Erklärung" wird gut.


HILFEN:

Wendet euch an eure örtlichen arabischen oder vergleichbaren Connex eures Vertrauens wegen Spenden für medizinische Güter und Lebensmittel (auch Baumaterial wird bald benötigt). Die Regierungen stehen mit offenem Mund rum, die kriegen so schnell nix auf die Reihe. Die Hilfskonvois - weitgehend voll selbstorganisiert - rollen so wie's sein soll. Sie müssen diese Truppenreste vermeiden, aber das ist auch machbar. Die ägyptische Armee hat mittlerweile an der Grenze ein Feldlazarett aufgebaut um Schwerstverwundete zu behandeln.

Tor Nodes immer gern gesehen.  https://www.torproject.org/docs/tor-doc-relay.html.en



Und alle mitlesenden Staatsschützer_innen: daß die westlichen Länder sich bisher nolens volens rausgehalten haben wurde in ganz Nordafrika mit großer Freude und Erleichterung wahrgenommen. Diese Revolutionär_innen haben keine Bock auf Krieg oder Handelskrieg, sie haben Bock auf Zukunft. Frieden, Freiheit, Prosperität. Simple as that. Und die wollen das durchziehen, ohne daß irgendwer dick rumspuckt und Vorschriften macht.

Sonst kann das nämlich sein - ich habe da nur "Gerüchte" gehört... ich sage "" weil es keine "Gerüchte" sind aber psst... - daß ansonsten das Fäßlein Naphta mal ganz fix GANZ GANZ TEUER wird. Es gibt da ja mindestens 4 Chokepoints in den und und um die betreffenden Länder. Nur soviel: es ist nicht nur einer der 4, wo *gewisse Leute* seit nun schon mehr als ner Woche (und ihr habt's nicht gemerkt, hihi) den Daumen auf dem Knopf haben. Ihr könnt euch jetzt einen absuchen oder ihr könnt auf sich beruhen lassen und euch klarmachen daß Leute die Gaddafis Söldnerhorden besiegt haben nicht so die Sorte Leute sind die groß palavern oder rumschachern oder sich einschüchtern lassen, sondern eher so die Leute die Action machen, scheiß auf die Konsequenzen, man kann's ja mal versuchen, sieht grad gut aus, entweder sterben wir heute als freie Menschen oder nicht, oder wir sterben morgen sicher und als Sklaven.

Die haben in den letzten Tagen die Scheiße vom Himmel fallen sehen. Die haben dem Tod ins Maul geschaut und gespuckt und ihm die fiesen Zähne ausgetreten. Die haben in Abgründe geschaut, das kann sich hierzulande keiner vorstellen. Der Westen hat nix, mit dem er die noch ernsthaft bedrohen oder gefügig machen kann, außer totaler Vernichtung - und dann lächeln die nur küphl und sagen: ja dann macht uns halt platt, aber eure Fördertürme sind dann auch platt, aber *hallo*.

Nochmal zum Mitschreiben für die Frau Bundeskanzlerin und dem Herrn von und zu seinen Nachfolger: die Menschen dort wollen keine geostrategische Machtpokerscheiße, die wollen in allerüberwiegender Mehrheit einfach mal ein halbes Jahr lang oder so ihre Ruhe und für sich selbst sortieren wie's jetzt weitergeht. Und wer versucht diesen Prozeß von oben herab zu beschleunigen, verlangsamen, manipulieren, steuern oder sonstwie versuchen die Revolution zu ficken, macht eine schweren und möglicherweise nie wieder korrigierbaren Fehlern.

TUNISIAN JASMINE-EGYPTIAN TAHRIR-LIBYAN DYNAMITE. HANDLE WITH CARE.

(Jede Regierung die hingegen Bonuspunkte kassieren will die so schnell nicht gelöscht werden schickt PRONTO ein paar Frachterladungen Katastrophenhilfe runter. Schiffe. Flugzeugfracht könnt ihr knicken, der Luftraum ist Wildwest und viele Flughäfen sind bis auf weiteres gesperrt. Auf die harte Tour. Und auf den 2-3 restlichen würde ich nicht landen, da biste nämlich nicht unbedingt das einzige was da landet...

Also macht mal'n bißchen Goodwill. Könnt das ja mit der Entwicklungshilfe verrechnen oder whatever. Produktionsüberschüsse dumpen, volkswirtschaftlich wertvoll...

Nur halt JETZT. Also HEUTE ANFANGEN. In einer Woche lachen die euch aus wenn ihr denen dann noch kommt und auf dicke Spendierhose macht. Übermorgen ist Freitag, da türmen sich dann in den Moscheen zwischen Casablanca und Jakarta die Scheine auf den Spendentellern. Fangt an heute die Schiffe und Fracht zu organisieren, und ihr seid schneller. Fangt an es morgen zu tun und ihr habt 50:50 Chance. Macht es übermorgen und die Crew des Ummah Express wird euch am Kai begrüßen und auslachen "ihr seid fett und wir sind schnell". Wartet noch 2 Tage länger, und es ist nicht nur der Ummah Express der euch begrüßt, sondern auch noch irgendwelche Schwarzafrikaner aus Botswana oder Ruanda oder whatever die zwar selber kaum was haben aber fix mal rüberschicken was sie entbehren können, und die euch angrinsen und zum freundschaftlichen Penislängenvergleich auffordern.

Muß nicht viel Fracht sein. Momentan zählt primär der Symbolgehalt.)

Wer steht für was?

Me-Ti 23.02.2011 - 19:23
Sicherlich werden viele sich rein gefühlsmäßig mit den "Demonstranten" solidarisieren wollen. Insbesondere da die herrrschenden deutschen Medien von einem Volksaufstand berichten und Gaddafi als Irren darstellen (seine Äußerungen, zumindest die gesendeten, muten ja auch Irre an).

Daß in den Medien ansonsten kaum mehr als einige verwackelte Bloggerbilder und Gerüchte wiedergegeben werden, ist auch darauf zurückzuführen, daß es vor Ort keine ausländischen Journalisten gibt.

Aber auch Hintergründe über Libyen werden eher spärlich verbreitet und dann auch eher tendenziös. Wo soziale Errungenschaften erwähnt werden, wie kostenlose Gesundheitsversorgung oder billiger Wohnraum, wird dies als "Zuckerbrot und Peitsche"-Politik dargestellt.

Auch Wikipedia ist keine Hilfe, sich über die Zustände in Libyen ein Bild zu machen, da einerseits die Autoren selbst tendenziös sind (sie nennen es "neutraler Stzandpunkt") und nur sogenannte reputable Quellen berücksichtigen (also das, was der bürgerliche Mainstream hergibt).

Ansonsten gibt es auch die Aussagen der Exil-Libyer, die hier im "Westen" inzwischen unzählige Demonstrationen zur Solidarität mit den Aufständischen zelebrieren. Es darf erinnert werden, daß auch während des Kroation-Krieges die kroatischen Nationalisten Mahnwachen veranstaltet haben und dies als "Friedensdemonstrationen" verkauften. Insofern ist den Exil-Libyern hierzulande nicht zu trauen, sie sind nicht schon im Vorfeld innerhalb linker Kreise bekannt gewesen, anders als eine Vielzahl von Exil-Iranern, die noch zu Zeiten das Schah-Regimes flüchteten.

Angesichts dieser Unwissenheit über Libyen und die Motive der Aufständischen sollte man sich in der Linken eher zurückhalten mit der Solidarität.

livestream

von benghazi 23.02.2011 - 19:34

Noch besser

ZDF-Nachrichten 24.02.2011 - 10:37
Gestern im ZDF: Deutschland beschließt JETZT die Waffenlieferungen nach Lybien einzustellen. Bravo, das fällt denen ja auch früh ein. Ansonsten aber eine (relativ) gute Berichterstattung, die auch einige Sachen des Artikels aufgreift.
 http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/startseite#/beitrag/video/1268926/ZDF-heute-journal---vom-23-Februar-2011

Forderungen der Aufständischen aus Bengasi

gadaffis ende 24.02.2011 - 16:18
 http://athens.indymedia.org/front.php3?lang=el&article_id=1266124 (Forderungen)

Augenzeugenberichte zur Situation in Tripolis gibt es doch mittlerweile genug, dort herrscht das blanke Grauen, für alljene hier, die das jetzt noch bestreiten, fahrt doch nach Tripolis, macht mal Urlaub und genießt Gadaffis "soziale Errungenschaften" in Tripolis! Ihr unterstützt einen wahnsinnigen Mann, umgeben von Verbrechern, einfach ekelerregend...

Für die Menschen (egal ob Libyer oder nicht) in Libyen gibt es derzeit nur drei Optionen diesen Horror zu überleben: kämpfen, sich verstecken oder die Flucht ergreifen. Der Aufstand gegen Gadaffi ist notwendig, denn ein Leben unter seiner Herrschaft ist unmöglich. Was nach Gadaffi kommt, welche Ziele die Aufständischen verfolgen, liegt im Dunkeln. Dadurch das Gadaffi das Land seit 42 Jahren von der Außenwelt abgeschottet hat, ist kaum etwas bekannt über Libyen, wie ist z. B. die Lage der Frauen in Libyen? Bisher habe ich nur Bilder von Frauen mit Kopftüchern gesehen, Frauen, die separat von Männern demonstrieren, keine einzige Frau, die sich an den Kämpfen beteiligt hat... Die Männer wirken auch sehr unkoodiniert, mit Stöckern und Steinen bewaffnet auf die Straßen zu stürmen, während Gadaffis schießwütige Horden mordend durch die Straßen Tripolis ziehen, erscheint mir wie ein Selbstmordkommando, wählen sie bewusst den "Märtyrertod"? Die Leute, die bisher im Bengasi-Livestream aufgetaucht sind, betonen allerdings ständig, dass sie Demokratie und Freiheit in Libyen wollen, die Zeit nach Gadaffi wird´s zeigen...

weitere Links:
 http://protest11.org/?i=libya (Bilder, Audio, Wikileaks Dokumente, Augenzeugenberichte etc.)
 http://audioboo.fm/feb17voices (Audio)

Der Westen arrangiert sich

teo 26.02.2011 - 11:01
26. Februar 2011, 09:17, NZZ Online
«Zwei geringfügige Probleme»
Ghadhafi-Sohn spricht vor geladenen Journalisten in Tripolis

 http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/ghadhafi-sohn_hat_zwei_geringfuegige_probleme_1.9689591.html

Denk da selber drüber nach!!!

Chavez hält zu Gaddafi

blubber 28.02.2011 - 09:50
Zitat Chavez:
"Es lebe Libyen und seine Unabhängigkeit! Gaddafi sieht sich einem Bürgerkrieg gegenüber!"
Des Weiteren schwadroniert er die Verschwörungstheorie,in Libyen solle ein souveränes Land besetzt werden, um ihm die Erdölvorräte wegzunehmen.
 http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~E83CD93FFC00F42AA87519E5986AF9DC0~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Lybien soll eine 'Demokratie' werden, so wüns

Heinrich Kinkel 01.03.2011 - 22:37
Es ist schon erstaunlich, wie stark die Indymedia Deutschland eurozentrisch erscheint, wenn man Schnittstellen aus anderen Kontinenten gewohnt ist.

Im obigen Artikel frag ich mich sofort, wieso - vo allem nach dem Erdölkrieg im Irak - die kolinialen Interessen im ausbrechenden Bürgerkrieg in Libyen keine Erwähnung verdienen? Schon vergessen, was wir im 'Westen' unter 'Demokratie' verstehen? Wissen wir tatsächlich, was die Menschen auf der Wüste Libyens sich wünschen und was sie unter 'Freiheit' und 'Demokratie' zu versehen haben? Müss sich denn immer der 'Westen' einmischen! Die USA hat schon die Kriegsmaschinerie bewegt, um Libyen zu 'befreien'. Jetzt ist die 'Welt' wieder gerettet!

Diese Bemerkung gilt verstärkt für den Kommentar bon 'blubber', der bezüglich Chavez gesagt hat:

"Des Weiteren schwadroniert er die Verschwörungstheorie,in Libyen solle ein souveränes Land besetzt werden, um ihm die Erdölvorräte wegzunehmen."

Wohl bemerkt, dass kein Land in Amerika so oft Wahle abgehalten hat wie Chavez, und immer mit Beobachter aus vielen Ländern, nicht zuletzt aus Europa, ohne dass Wahlverfälschungen gefunden werden konnten. Dabei kennt er aus eigener Erfahrung sehr gut die US-Strategie, wenn es um Erdöl geht. Aber anscheinend dürfen ausschließlich die USA und die EU entscheiden, welche 'Demokratie' die andere Völker haben dürfen. Sie dürfen auch Jahrzehntelang 'Demokratien' wie die von Mobarak (ein Beispiel unter vielen) unterstützen, nachdem sie ihn sogar verholfen haben an die Macht zu kommen. Da vergehen 30 jahre und kein Wort über die Menschenrechte vorort, denn 'undemokratisch' ist der Iran, Libyen, Venezuela, Bolivien, dessen Diktatoren - im Unterschied zu dessen lieben Vorgängern - die Lebensbedingungen der Armen Menschen etwas verbessert haben. Wie man auch immer Gaddafi nennt, er hat im Bereich des Sozialen die Rechte der Bürger - im Vergleicht zu allen anderen afrikanischen Ländern z.B. - eindeutig einen Vorsprung verschaffen.

Und wenn dann jemand kommt und schreibt so was:

"Größere Ansammlungen werden von Hubschraubern und Jets angegriffen. Es kursieren Berichte, wonach auch auf Menschen geschossen wird, die nur vor die Tür gehen."

dann braucht man gar nicht mehr viel dazu sagen, denn do dumm ist nicht mal der grausam ist nicht mal der schlimmste Tiran. Aus welche Strategie würde Gaddafi die einegen Leute, die er zum überleben braucht, in der eigenen Wohnung terrorisieren? Warum würde er den Aufständigen und dem 'Westen' einen solchen Gefallen tun? In Venezuela, als die USA im Jahre 2002 einen solchen Aufstand versucht hat zu stiften, Wurden Söldner eingesetzt, Demonstranten von beiden Seiten erschossen haben. Auch dort haben die Medien sofort Chavez schuldig zu machen, und hatten fast erfolg. Man muss immer auch berücksichtigen, wem die Toten interessieren, um nicht Objekt von Manipulationen zu werden.

Es wurde gesagt, dass die Regierung auf Demonstranten geschossen, sogar mit Kampffluchgzeugen usw. Da ja, wie auch gesagt wurde, Videos über Ägypten hochgeladen werden können, würde ich gerne ein solches Video zu sehen bekommen. Denn was die 'westliche' Medien so rum schreiben, dass kann man - zumindest im ersten Moment - höchstens als Fiktion wahrnehmen. Kann jemand mir einen eindeutigen Link posten?

Zum Schluss: Schön, was der deutscher Außenminister in den letzten Tagen sagt über seine große Bereitschaft, demokratische Strukturen im Nahen Osten und Nordafrika helfen aufzubauen! Wenn seine Partei im letzten Jahr nicht öffentlich und standhaft den Putsch gegen den gewählten Präsident in Honduras unterstützt hätte (es sei ein 'Demokratisierungsprozess' gewesen), würde ich ihn es vielleicht sogar jetzt glauben! Aber nun ...

Inhaltliche Ergänzung

name 02.03.2011 - 14:53
Kampf der Titanen
01.03.2011
BERLIN/DOHA

(Eigener Bericht) - Mit einem breit angelegten PR-Manöver wirbt Berlin um Sympathie unter den Demokratiebewegungen in der arabischen Welt. "Die Zeit der Diktaturen ist abgelaufen", erklärte Bundespräsident Christian Wulff am gestrigen Montag im Emirat Qatar, das er besuchte, um von dem dort diktatorisch herrschenden Clan neue Aufträge für die deutsche Wirtschaft zu erhalten. Während Berlin die arabischen Demokratiebewegungen mit massiver verbaler Unterstützung für sich zu gewinnen sucht, debattieren deutsche Außenpolitiker über die Folgen der arabischen Umwälzungen für den Westen. Die Hegemonie von USA und EU über die Ressourcengebiete des Mittleren Ostens sei bedroht, heißt es in der Fachzeitschrift Internationale Politik, dem führenden außenpolitischen Organ des Berliner Establishments: Eine in freier Wahl bestätigte Regierung etwa Ägyptens werde kaum in der Lage sein, eine prowestliche Politik à la Mubarak gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen. Der Hegemonialkonflikt zwischen dem Westen und Iran drohe bei einem weiteren Zusammenbruch der arabischen Regime verloren zu gehen. US-Experten raten mittlerweile zu einer Annäherung an Teheran, um den westlichen Einfluss im Mittleren Osten nicht aufs Spiel zu setzen.

Ein Hegemonialkonflikt

Befürchtungen, wie sie - verborgen hinter der öffentlich zur Schau gestellten Verbalunterstützung für die arabischen Demokratiebewegungen - seit Beginn der Proteste auch deutsche Außenpolitiker umtreiben, stellt nun die Fachzeitschrift Internationale Politik zur Diskussion. Wie es in der soeben erschienenen jüngsten Ausgabe des Blattes heißt, müsse die Lage vor dem Hintergrund eines schon seit Jahren andauernden Hegemonialkonfliktes am Persischen Golf betrachtet werden. Seitdem der Westen unter der Führung der USA den Irak zerschlagen hat, ist Iran potenziell die stärkste Macht in der Region. Teheran hat im Jahr 2005 - noch zur Amtszeit des stärker prowestlichen Präsidenten Mohammad Khatami - eine "20-Jahre-Vision für die Islamische Republik" verabschiedet, die laut der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP, Berlin) als "Ausdruck eines Elitenkonsenses" in dem Land gelten kann.[1] Der Kernsatz darin lautet: "In zwanzig Jahren ist Iran ein entwickeltes Land, das wirtschaftlich, wissenschaftlich und technologisch den ersten Platz in der Region einnimmt, das mit seiner islamischen und revolutionären Identität die islamische Welt inspiriert und international konstruktive und effektive Beziehungen pflegt." Irans Anspruch auf regionale Hegemonie kollidiert mit den Herrschaftsansprüchen des Westens, der die Kontrolle über die mittelöstlichen Ressourcen um keinen Preis aufgeben will.

Stellvertreterkämpfe

Mittlerweile sei im Mittleren Osten ein "Kampf der Titanen" entbrannt, bei dem "die USA und ihre Verbündeten auf der einen" gegen "Iran und seine Anhänger auf der anderen" Seite stünden, heißt es jetzt in der Internationalen Politik. Dies spiegele sich "in jedem lokalen Konflikt" [2] - im Irak ebenso wie im Libanon, in Palästina [3] und im Jemen [4]. Im Libanon beispielsweise kämpfe "das prowestliche Lager" des Hariri-Clans gegen schiitische Kräfte, die "von der Hisbollah-Miliz geführt" würden und Iran nahestünden. Die aktuellen Proteste auf der Arabischen Halbinsel drohen das Kräfteverhältnis nun tatsächlich weiter zu Ungunsten des Westens zu verschieben. In Bahrain etwa erhebt sich die schiitische Bevölkerungsmehrheit gegen den prowestlichen Al Khalifa-Clan; dies nährt im Westen Befürchtungen, Teheran könne seine einst höchst lebendigen Beziehungen zu den Schiiten Bahrains wieder aufleben lassen.[5] Dasselbe gilt für die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien, die vom herrschenden Al Saud-Clan ausgegrenzt wird und sich jetzt der Protestwelle anschließen will; für diesen Donnerstag sind Demonstrationen in den Wohngebieten der schiitischen Minorität im Osten Saudi-Arabiens angekündigt. Sie rufen im Westen besondere Sorge hervor: Die saudi-arabische Ostprovinz ist die erdölreichste Region der Welt.

Tragende Säule

Wie die Internationale Politik weiter schreibt, droht auch der Sturz des ägyptischen Mubarak-Regimes die westliche Hegemonie über die mittelöstlichen Ressourcengebiete auf lange Sicht zu schwächen. "Eine demokratisch gewählte Regierung in Ägypten" müsse auf die eine oder andere Weise "den Anliegen (...) der Bevölkerung Rechnung tragen", heißt es in der Zeitschrift.[6] Laut einer Meinungsumfrage vom Dezember 2010 sympathisierten jedoch gut 30 Prozent der Ägypter mit der Hisbollah, 49 Prozent mit der Hamas. "Ägypten muss sich nicht mit dem Iran verbrüdern, um das Machtgleichgewicht in Nahost zu verändern"; es genüge schon, wenn Kairo aufhöre, sich für westliche Interessen aktiv einzusetzen. "Einen Vorgeschmack" habe es bereits "zu Beginn der Unruhen" gegeben, "als inhaftierte Aktivisten der Hamas und der Hisbollah aus ägyptischen Gefängnissen nach Gaza und in den Libanon flüchteten". Verändere Ägypten seine Außenpolitik, dann bröckele dem Westen "eine tragende Säule weg".

Ausgleich mit Iran?

Die Optionen des Westens, einen Einflussverlust zu verhindern, sind Gegenstand umfassender aktueller Debatten. Beobachter weisen darauf hin, dass ein Wechsel zu freien Wahlen in Ägypten noch nicht ausgemacht ist: Das Militär, bislang Garant einer strikt prowestlichen Außenpolitik, ist in Kairo weiterhin an der Macht und hat letztes Wochenende erstmals seit Mubaraks Sturz Gewalt gegen die Demokratiebewegung angewandt. Um die Ölfelder in Libyen unter Kontrolle zu halten, sind Interventionen westlicher Streitkräfte im Gespräch. Kaum Zweifel herrscht, dass das saudi-arabische Königshaus die eigene Herrschaft sowie diejenige des bahrainischen Monarchen wenn nötig mit brutaler Repression sichern wird. Dennoch raten prominente Außenpolitiker in den USA mittlerweile, einen umfassenden Kurswechsel zumindest in Betracht zu ziehen - von der aktuellen Konfrontationspolitik gegenüber Iran zu einer Politik der Einbindung Teherans. Der Westen solle "jetzt schnell begreifen": "Seine alten Verbündeten existieren nicht mehr", erklärt der US-Nahost-Fachmann Robert Baer.[7] "Die Umstürze haben die geopolitische Landkarte der Region und die Machtverhältnisse dramatisch verändert." Man müsse "umgehend einen Ausgleich mit dem Iran" finden - "ansonsten verliert der Westen seinen Einfluss in der Region".

Die Zeit der Diktaturen

Einstweilen sucht Berlin die Demokratiebewegungen der arabischen Länder mit vor allem verbaler Unterstützung für sich zu gewinnen, um zumindest eine partielle Kontrolle über die Umwälzungen zu erlangen. "Die Zeit der Diktaturen ist abgelaufen", erklärte Bundespräsident Wulff am gestrigen Montag in der Diktatur Qatar, bei deren herrschendem Clan er sich um gewinnbringende Aufträge für die deutsche Wirtschaft bemühte.[8] Wulff musste seine ursprünglich auf sechs Tage angelegte Reise auf weniger als die Hälfte verkürzen, um die Nähe Deutschlands zu den Diktatoren auf der Arabischen Halbinsel [9] nicht allzu augenfällig werden zu lassen; sonst wären die Chancen gesunken, Einfluss auf die Entwicklung nehmen zu können. So sagte der Bundespräsident seine ursprünglich geplante Teilnahme an einer Militärparade in Kuwait ebenso ab wie den Besuch in Bahrain, wo die Gefahr bestand, in von Massendemonstrationen belagerten Regierungsgebäuden mit dem örtlichen Autokraten verhandeln zu müssen. Eine Abkehr von den feudalen Häusern in Kuwait und Bahrain war damit selbstverständlich nicht verbunden: Auch in Kuwait stehen dem herrschenden Clan - nicht anders als in Bahrain und Qatar - Maschinenpistolen und Munition aus deutscher Produktion zur Verfügung, um eventuelle Proteste gegebenenfalls niederschlagen zu können. Eine Einstellung deutscher Rüstungsexporte in die arabischen Golfdiktaturen steht in Berlin nicht zur Debatte.

[1] Johannes Reissner: Irans Selbstverständnis als Regionalmacht. Machtstreben im Namen antikolonialer Modernität; SWP-Studie S 29, Oktober 2008. S. dazu Hegemonialkampf am Golf
[2] Gil Yaron: Der schiitische Halbmond wird rund. Und dver Westen verliert seine ehemaligen Verbündeten; Internationale Politik März/April 2011
[3] s. dazu Eindämmungskurs
[4] s. dazu Vor der Küste des Jemen und Die Ordnung am Golf
[5] s. dazu Maschinenpistolen und Munition
[6] Gil Yaron: Der schiitische Halbmond wird rund. Und der Westen verliert seine ehemaligen Verbündeten; Internationale Politik März/April 2011
[7] Machtverhältnisse ändern sich dramatisch; www.vorwaerts.de 24.02.2011
[8] "Wer sich nicht ändert, wird verändert"; www.welt.de 28.02.2011
[9] s. dazu Expansionsrivalen, Arabische Chancen und Wasser als Waffe und Vom fragilen Nutzen der Golfdiktaturen

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Der Zerfall eines Partnerregimes
23.02.2011
TRIPOLIS/BERLIN

(Eigener Bericht) - Auf die Massaker an Demonstranten in Libyen reagieren Berlin und die EU mit neuen Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr. Während stets neue Berichte von blutigen Gewalttaten der libyschen Repressionsapparate gegen Protestierende bekannt werden, hat Brüssel der europäischen Flüchtlingsabwehrbehörde Frontex den Auftrag erteilt, die angeblich zu erwartende Flucht von bis zu 750.000 Personen aus Libyen zu stoppen. Bisher gehörte die Abwehr von Flüchtlingen zu den zentralen Feldern der Kooperation zwischen der EU und dem al Gaddafi-Regime, das nun offenbar in mörderischen Machtkämpfen zerfällt. Mit ihm verliert Berlin einen Partner, der nicht nur jahrzehntelang zu den größten und zuverlässigsten Öllieferanten der Bundesrepublik zählte, sondern sich auch in den vergangenen Jahren als effizienter Gehilfe bei der Abschottung Europas gegen unerwünschte Migranten erwiesen hat. Die Repressionsorgane Libyens, die gegenüber Flüchtlingen ihrer Brutalität immer wieder freien Lauf ließen - bis hin zum Mord -, wurden mit deutscher Hilfe trainiert und ausgerüstet. Die erlernten Kampftechniken stehen nun ebenso zur Niederschlagung der Proteste zur Verfügung wie die gelieferten Rüstungsprodukte.

Mit Frontex gegen Flüchtlinge

Während die blutigen Kämpfe in Libyen anhalten, mit denen das al Gaddafi-Regime sich an der Macht zu halten sucht, bereitet die EU sich auf die Abwehr von Flüchtlingen aus Libyen vor. Wie es in Berichten heißt, hat Brüssel die Frontex-Behörde beauftragt, entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Frontex ist bereits damit beschäftigt, Flüchtlinge aus Tunesien von einer Einreise in die EU abzuhalten. Aus Kommissionskreisen verlautet, man rechne damit, dass bis zu 750.000 Menschen aus Libyen nach Europa zu gelangen versuchen könnten - Migranten aus Ländern südlich der Sahara, aber auch Libyer, die der Gewalt entkommen wollten. Den Berichten zufolge bereitet Frontex einen Plan vor, der sämtliche 27 EU-Mitgliedstaaten zur Mitwirkung verpflichtet [1] - auch Deutschland.

Brutale Repression

Die Gewalttätigkeit des al Gaddafi-Regimes, die sich in den aktuellen Massakern zeigt, ist schon lange bekannt, nicht zuletzt aus dem Umgang der libyschen Repressionsapparate mit Armutsflüchtlingen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Menschenrechtsorganisationen und Journalisten berichten seit Jahren regelmäßig von den brutalen Praktiken, denen Migranten in Libyen ausgesetzt sind. Dass die Flüchtlinge festgehalten, zu Hunderten in Container gepfercht und in Lager in der Wüste transportiert werden, wo man sie ohne genügend Nahrung in völlig überfüllte Zellen sperrt - Fläche pro Flüchtling: oft ein halber Quadratmeter -, gehört zum Alltag.[2] Glaubwürdige Berichte belegen darüber hinaus, dass es in den Flüchtlingslagern immer wieder zu körperlicher Folter und zur Ermordung der Internierten kommt.[3] Dass unerwünschte Migranten zuweilen in menschenleeren Wüstengebieten an der Grenze des Landes ausgesetzt werden - ohne überlebensnotwendige Ausrüstung und Nahrung -, kommt Mord ebenso gleich wie der gelegentliche Beschuss von Flüchtlingsbooten durch die libysche Küstenwache. Letztere Praxis wurde im vergangenen Herbst einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als versehentlich ein italienisches Fischerboot getroffen wurde.[4] Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen, laut denen in Libyen willkürliche Inhaftierung, Folter und das Verschwindenlassen von Oppositionellen zu beklagen sind, runden seit Jahren das weltweit verfügbare Wissen über die Repressionsapparate des Landes ab.

Unterstützung für's Militär

Dessen ungeachtet hat die Bundesrepublik Polizei und Militär Libyens immer wieder unterstützt. Zusammenarbeit auf offizieller wie auf inoffizieller Ebene gab es bereits in den 1960er Jahren. Zwischen 1965 und 1983 wurden libysche Soldaten von der Bundeswehr ausgebildet, libysche Polizisten nahmen in den 1970er Jahren an Kursen des Bundeskriminalamts (BKA) teil. Über diese höchst offiziellen Formen der Zusammenarbeit hinaus wurden auf angeblich privater Ebene libysche Offiziere, Unteroffiziere und ganze Mannschaften von außer Dienst gestellten Angehörigen deutscher Repressionsapparate ausgebildet; die Vermittlung zwischen den angeblich privat tätigen deutschen Experten und Libyen übernahm jeweils der BND.[5]

Spezialeinheiten

Zwar wurde die deutsch-libysche Repressionskooperation in den 1980er Jahren offiziell unterbrochen, als Washington und Bonn Tripolis wegen seiner Opposition gegenüber dem Westen bekämpften. Der Ende der 1990er Jahre eingeleitete Kurswechsel hin zu erneuter Kooperation, die schließlich mit der formellen Aufhebung der UN-Sanktionen im September 2003 einen deutlichen Aufschwung nahm [6], ermöglichte jedoch eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit bei der Repression. Mehrfach fragten Angehörige des al Gaddafi-Clans bei der Bundesregierung um Unterstützung für den Ausbau der Polizei Libyens nach. Offiziell wurde die Bitte zurückgewiesen; inoffiziell fanden sich jedoch Wege, ihr zu entsprechen: Eine private deutsche Security-Firma entsandte rund 30 aus dem Dienst ausgeschiedene deutsche Polizisten nach Tripolis, darunter ehemalige Angehörige eines Sondereinsatzkommandos und der Spezialeinheit GSG9. Diese trainierten libysche Kollegen unter anderem in "taktischem Vorgehen beim Zugriff auf Gebäuden", im Entern von Schiffen und im Absetzen aus Hubschraubern. Sowohl der BND wie auch das Auswärtige Amt waren über alle Aktivitäten informiert.[7]

Rüstungsexporte

Die deutsch-libysche Trainingskooperation dauerte Berichten zufolge von 2005 bis mindestens 2008. 2006 entsandte das Bundesinnenministerium sogar eine Delegation nach Tripolis, der auch Vertreter des BKA angehörten, um die Tradition der offiziellen Repressionspartnerschaft wiederzubeleben. Diese kam allerdings nicht zustande, da auf libyscher Seite kein Interesse mehr bestand. Allerdings werden höchst offiziell Rüstungsgüter geliefert. Allein in den vergangenen drei Jahren erhielt Libyen genehmigungspflichtige deutsche Ausfuhren im Wert von mehr als 80 Millionen Euro - vorwiegend Kommunikationsausrüstung und Hubschrauber, wie sie jetzt vom Militär bei Angriffen auf Demonstranten verwendet wurden.

Öllieferant

Die enge deutsche Kooperation mit dem al Gaddafi-Regime hat einen doppelten Hintergrund. Zum einen ist Libyen einer der größten Erdöllieferanten Deutschlands; auch dank der Repressionsapparate des Landes gelang es bis vor kurzem, die Erdölexporte und die deutschen Investitionen in der Branche, die jetzt erschüttert werden, gegen mögliche soziale Widerstände abzusichern. Die BASF-Tochter Wintershall ist bereits seit 1958 in Libyen aktiv und nach eigenen Angaben mit einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden US-Dollar der größte ausländische Erdölproduzent in Libyen.[8] Die RWE-Tochter Dea verfügt über Konzessionen für Öl- und Gasförderung auf einem Gebiet von 40.000 Quadratkilometern. Die auf der Ölrente beruhenden Leistungsbilanzüberschüsse Libyens - sie beliefen sich zuletzt auf 16,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - ermöglichen beträchtliche Investitionen in große Infrastrukturprojekte und wecken Begehrlichkeiten bei deutschen Konzernen. Siemens etwa beteiligt sich maßgeblich an dem gigantischen Wasserversorgungsprojekt "Great Man-made River", dem größten Trinkwasserprojekt der Welt.[9] Deutsche Unternehmen konnten auch ihre Exporte nach Libyen deutlich steigern - im Jahr 2009 um rund 23 Prozent - und damit die Konkurrenz zurückdrängen. Als höchst vorteilhaft für deutsche Firmen erweist sich zudem, dass das al Gaddafi-Regime in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen erheblich vergünstigt hat. Entsprechend hat Berlin das Regime bis vor wenigen Tagen ausdrücklich unterstützt.

Flüchtlingsabwehrpartner

Zum anderen besitzt Libyen eine wichtige Stellung in den deutschen Plänen zur Migrationsabwehr. Die diesbezügliche Zusammenarbeit leitete Berlin öffentlich im Jahr 2004 ein; damals forderte der SPD-Bundesinnenminister Otto Schily publikumswirksam den Bau von Flüchtlingslagern in der libyschen Wüste.[10] Jüngster Schritt in dieser Kooperation, die in der Praxis häufig über Italien abgewickelt wird, ist ein Flüchtlingsabwehrpakt, auf den sich die EU und Libyen im vergangenen Herbst geeinigt haben. Brüssel hat zugesagt, Tripolis im Verlauf von drei Jahren gut 50 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen; damit sollen die Landesgrenzen abgeschottet und Flüchtlingslager ausgebaut werden.[11] Der Schritt, den die EU-Kommission einen "Meilenstein im Kampf gegen illegale Einwanderung" nannte, erfolgte in voller Kenntnis der verbrecherischen Praktiken der libyschen Repressionsbehörden, deren Brutalität in den aktuellen Massakern an Protestdemonstranten überdeutlich erkennbar wird.

[1] EU bracing for exodus of asylum seekers; www.timesofmalta.com 22.02.2011
[2] s. dazu Weniger Flüchtlinge, mehr Gas und Wie Hunde
[3] Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Hinrichtungen in Libyen vom 16. Juni 2010
[4] s. dazu Erfüllungsgehilfen
[5] Peter F. Müller, Michael Mueller, Erich Schmidt-Eenboom: Gegen Freund und Feind. Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte, Reinbek 2002
[6] s. dazu Streit um Öl und Tragende Säule
[7] s. dazu Wiederbeginn
[8] Wintershall in Libyen; www.wintershall.com
[9] Libyen; www.siemens.com
[10] s. dazu Festung und Schilys Schleuser
[11] s. dazu Erfüllungsgehilfen

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Der Zerfall eines Partnerregimes (II)
25.02.2011
TRIPOLIS/BERLIN

(Eigener Bericht) - Deutsche Kriegsschiffe nehmen Kurs auf die libysche Küste. Wie das Bundesverteidigungsministerium bestätigt, hat es einen Einsatzgruppenversorger und zwei Fregatten vor das im Bürgerkrieg versinkende Land entsandt. Offizieller Auftrag ist die Evakuierung deutscher Staatsbürger. Tatsächlich ist die Anwesenheit deutscher Kriegsschiffe vor Libyen Teil einer anschwellenden westlichen Marinepräsenz, die für unterschiedliche militärische Maßnahmen genutzt werden kann. Im Gespräch ist die Einrichtung einer Flugverbotszone, um die libysche Luftwaffe, soweit sie noch vom al Gaddafi-Clan kontrolliert wird, auszuschalten und den Gegnern des Regimes damit unter die Arme zu greifen. Auch weitergehende Operationen werden nicht ausgeschlossen. Die deutschen Kriegsschiffe bilden eine militärisch recht flexible Basis für die unterschiedlichsten Einsatzszenarien; Washington zieht zusätzlich eine Entsendung von US-Flugzeugträgern in Betracht. Aus deutscher Sicht steht in Libyen viel auf dem Spiel: Das Land ist seit Jahrzehnten einer der bedeutendsten Erdöllieferanten der Bundesrepublik; deutsche Konzerne haben Milliardensummen dort investiert. Zudem fällt mit dem al Gaddafi-Regime ein zentraler Partner Berlins bei der Abschottung der EU gegen Armutsflüchtlinge.

Truppen vor Ort

Wie das Bundesverteidigungsministerium bestätigt, hat es bereits am Mittwoch mehrere Kriegsschiffe nach Libyen entsandt. Der Einsatzgruppenversorger "Berlin" sowie die Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz", die am 15. Februar Wilhelmshaven zu einer regulären Ausbildungsfahrt Richtung Mittelmeer verließen, befinden sich inzwischen auf dem Weg vor die libysche Küste. An Bord sind rund 600 Soldaten. Offizieller Auftrag ist die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Libyen. Bislang steht dafür ein Hubschrauber - Typ: Sea King - bereit, ein zweiter soll in Kürze eintreffen. Bereits zuvor hatte die deutsche Luftwaffe zwei Transall-Maschinen in das im Bürgerkrieg versinkende Land geschickt, die einige hundert Deutsche ausflogen. Laut Berichten wurde die Evakuierung von bewaffneten Sondereinheiten der Bundeswehr, möglicherweise dem Kommando Spezialkräfte (KSK), begleitet.[1] Die Luftwaffe steht weiterhin auf Malta bereit. Wie Beobachter mitteilen, operieren im Mittelmeer im NATO-Rahmen gegenwärtig auch die Fregatte "Lübeck", das Minenjagdboot "Datteln" und das Aufklärungsschiff "Oker". Alle drei Schiffe können bei Bedarf zur Verstärkung herangezogen werden.

Militäreinsatz: "Möglich"

Unter dem Vorwand, jeweils die eigenen Staatsbürger evakuieren zu wollen, ziehen tatsächlich mehrere europäische Staaten Kriegsschiffe vor der libyschen Küste zusammen. Italien hat einen Zerstörer und zwei Landungsschiffe geschickt, Großbritannien und Griechenland je eine Fregatte. Großbritannien zieht außerdem die Entsendung von Flugzeugen der Royal Air Force in Betracht. Die Türkei führt ihre Evakuierung mit zivilen Fähren durch, lässt diese jedoch von drei Fregatten begleiten. Möglicherweise stoßen auch US-Flugzeugträger hinzu. Sogar Indien will sich mit zwei Kriegsschiffen am Marineeinsatz vor Libyen beteiligen. Während der NATO-Generalsekretär gestern erklärt hat, das westliche Kriegsbündnis plane gegenwärtig keine Intervention, werden in der EU militärische Aktivitäten nicht ausgeschlossen. Ein Militäreinsatz sei tatsächlich "eine der Möglichkeiten", die in Frage kämen, heißt es beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD).[2]

Kriegsoptionen

Für eine mögliche Militärintervention liegen inzwischen mehrere Optionen vor. Eine besteht darin, eine Flugverbotszone über Libyen zu verhängen. Damit ließe sich die Luftwaffe des Landes, soweit sie überhaupt noch vom al Gaddafi-Clan kontrolliert wird, ausschalten; dadurch wiederum wären die Gegner des zerfallenden Regimes von einem militärisch gravierenden Nachteil befreit. Günstig für den Westen wäre dabei, dass die eigenen militärischen Kapazitäten nicht allzusehr beansprucht würden - schließlich sind sie in Afghanistan und an den anderen aktuellen Kriegsschauplätzen recht stark gebunden. In deutschen Leitmedien wird inzwischen ein umfassender Kampfeinsatz in Libyen gefordert; als Beispiel gilt etwa die Intervention in Somalia 1992, die von den Vereinten Nationen beschlossen wurde - und scheiterte.[3] Erwogen wird nicht zuletzt, das ägyptische - und womöglich auch das tunesische - Militär in Libyen einmarschieren zu lassen, um westliche Bodentruppen nicht zu verheizen. In der Tat finden sich zumindest in der ägyptischen Demokratiebewegung eine Reihe von Befürwortern dieses Konzepts, das darüber hinaus geeignet wäre, die Position des ägyptischen Militärs zu stärken [4] - und damit zugleich das Entgleiten der westlichen Kontrolle über Ägypten zu verhindern.

Flexible Basis See

Mit den drei Schiffen der Kriegsmarine, die Berlin jetzt vor die libysche Küste entsendet, verfügt die Bundesregierung über eine flexible militärische Ausgangsposition. Zu den Kriegsstrategien, die in den Zukunftsplänen der Bundeswehr einen deutlichen Schwerpunkt bilden, gehören seegestützte Operationen gegen Ziele an Land. Kern der dafür vorgesehenen Einsatzverbände sind die sogenannten Einsatzgruppenversorger, schwimmende Versorgungsplattformen, die den Nachschub für die kämpfenden Einheiten stellen.[5] Um sie herum gruppieren sich etwa Fregatten, die für den Beschuss der Landziele zuständig sind; zudem können von den maritimen Einsatzgruppen jederzeit Spezialkräfte zu Kommandoaktionen starten. Die "Basis See" hat dabei den Vorteil, nicht so leicht angreifbar zu sein wie Militärstützpunkte auf dem Land. Letztlich ziele das Konzept darauf ab, "die See als Basis zu nutzen, um in einem Einsatzland eine gewünschte Wirkung zu erzielen", erläuterte der damalige Marineinspekteur Wolfgang Nolting bereits 2006.[6] Die möglichen Maßnahmen reichten von "demonstrativer Präsenz und Aufklärung" über die "Unterstützung verbündeter Kräfte an Land" bis zur "direkte(n) Waffenwirkung".

Deutsche Interessen

Die militärische Flexibilität ist vor allem mit Blick auf die deutschen Interessen hilfreich, die es aus Sicht Berlins in Libyen zu schützen gilt. Libyen war lange Zeit der wichtigste außereuropäische Erdöllieferant der Bundesrepublik und fiel erst im vergangenen Jahr hinter Kasachstan auf Platz zwei. Die BASF-Tochter Wintershall ist mit einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden US-Dollar der größte ausländische Erdölproduzent in Libyen. RWE verfügt über riesige Konzessionen für die Öl- und Gasförderung. All das versucht die Bundesrepublik zu sichern - während Muammar al-Gaddafi angekündigt haben soll, womöglich Erdölanlagen und Pipelines zu sprengen.[7] Zudem sind die vor der libyschen Küste eintreffenden Kriegsschiffe in ihrer Gesamtheit durchaus geeignet, Flüchtlinge von der Überfahrt über das Mittelmeer abzuschrecken und damit die westeuropäischen Wohlstandszentren auch weiterhin gegen unerwünschte Migranten abzuschotten. Die Präsenz der deutschen Kriegsschiffe gilt Berlin als geeignet, eine Grundlage für die Durchsetzung deutscher Interessen zu schaffen. Weitere Schritte werden folgen.
Bitte lesen Sie zu den blutigen Auseinandersetzungen in Libyen auch Der Zerfall eines Partnerregimes.

[1] Evakuierung läuft - Länder fliegen Bürger aus; www.tagesschau.de 23.02.2011
[2] EU schließt Militäreinsatz nicht aus; www.faz.net 24.02.2011
[3] Wir sind den Libyern einen Militäreinsatz schuldig; www.welt.de 23.02.2011
[4] s. auch Garant der Stabilität (I), Garant der Stabilität (II) und Das türkische Modell
[5], [6] s. dazu Einsatzgruppen und Seekrieger (II)
[7] Gaddafi's Next Move: Sabotage Oil and Sow Chaos?; www.time.com 22.02.2011

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Die Fahne der Abhängigkeit
02.03.2011
TRIPOLIS/BERLIN/WASHINGTON

(Eigener Bericht) - Westliche Kriegsmarinen setzen unter deutscher Beteiligung ihren Aufmarsch vor der Küste Libyens fort. Während dort mittlerweile drei deutsche Kriegsschiffe eingetroffen sind, nähern sich nun auch Schiffe der U.S. Navy, darunter ein Zerstörer und ein Flugzeugträger samt Strike Group. Alle Optionen müssten offengehalten werden, heißt es zur Erklärung. Unübersichtlich gestaltet sich für die Bundesrepublik die Suche nach neuen Kooperationspartnern in Libyen, die das Gaddafi-Regime ersetzen könnten. Die in anderen Staaten üblicherweise angewandten Schritte zum Aufbau von Kontaktnetzwerken in die Eliten jenseits der unmittelbaren Regierungskreise - durch Kulturinstitute und Stiftungen - hat Tripolis stets wirksam verhindert; die Kontaktaufnahme zu Anführern der Aufstandsbewegung gestaltet sich daher recht schwierig. Als mögliche Partner bieten sich Anführer der libyschen Stammesverbände an, die bis heute große Bedeutung besitzen, zumal einige von ihnen wichtige Ölfelder kontrollieren. Vorbild für zahlreiche Anhänger der vor allem in Ostlibyen erfolgreichen Rebellion ist die Monarchie der Jahre 1951 bis 1969, in der die ostlibyschen Stämme eine stärkere Stellung innehatten. Libyen orientierte sich damals außenpolitisch nach Westen und stand in halbkolonialer Abhängigkeit.

Kriegsschiffe vor der Küste

Berlin weitet seine Maßnahmen gegen das libysche Regime aus. Nach den Vereinten Nationen hat auch die EU Sanktionen verhängt; sie beinhalten Reiseverbote für Regierungsmitglieder sowie die Sperrung diverser Bankkonten. Der deutsche Außenminister plädiert dafür, zwar weiterhin Öl aus Libyen zu beziehen, es aber 60 Tage lang nicht zu bezahlen. Zudem stehen drei Kriegsschiffe der Bundesmarine mit Hubschraubern vor der libyschen Küste bereit. An der Evakuierung zahlreicher Mitarbeiter der BASF-Tochter Wintershall aus einem Ölfeld in der libyschen Wüste waren einem Pressebericht zufolge bewaffnete Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) beteiligt.[1] Die Bundesmarine hält Stellung, während die U.S. Navy Kräfte zusammenzieht. So hat ein Zerstörer der US-Marine soeben den Suezkanal passiert und Kurs auf Libyen genommen. Im Roten Meer, nicht weit entfernt, kreuzt ein US-Flugzeugträger mit seiner Strike Group, weitere Kriegsschiffe können jederzeit mobilisiert werden.[2] Militärs weisen darauf hin, dass Libyen für europäische Streitkräfte ohnehin rasch und problemlos erreichbar ist. So startete die deutsche Luftwaffe ihre Flüge zur Evakuierung von Wintershall-Angestellten auf Malta. Das EU-Mitglied Malta arbeitet seit 2008 mit der NATO im Rahmen des Programms "Partnership for Peace" zusammen.[3]

Kaum tragfähige Netzwerke

Unübersichtlich gestaltet sich nach wie vor die Suche nach neuen Kooperationspartnern, die - aus deutscher Sicht - an die Stelle des Gaddafi-Regimes treten könnten. Die Mechanismen, auf die die Bundesrepublik in vergleichbaren Fällen zurückgreifen kann, funktionieren im libyschen Falle nicht: Einrichtungen wie das Goethe-Institut oder Büros der parteinahen Stiftungen, die in anderen Ländern Kontakte zu den Eliten auch jenseits der jeweiligen Regierungen herstellen, konnte Berlin in Tripolis nicht etablieren. Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung etwa, die beispielsweise in Ägypten seit Jahren Beziehungen zur jetzt hoffnungsfrohen Opposition unterhält [4], hat sich um Libyen bislang nicht gekümmert. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung versuchte mehrfach, sich von Tunesien aus in Libyen zu etablieren, scheiterte jedoch: Ihre Anträge seien von der Regierung in Tripolis "im Endeffekt" nie entschieden worden, berichtet ein Nahost-Experte der Organisation.[5] Einigen Zusammenschlüssen der libyschen Opposition im Exil wird nachgesagt, von den USA unterstützt zu werden. Über tragfähige eigene Netzwerke, die auf dem Weg an die Macht gefördert werden könnten, verfügt Berlin kaum.

Stammesverbände

Mit Interesse ist daher in den vergangenen Tagen der Versuch des erst kürzlich zurückgetretenen libyschen Justizministers Mustafa Muhammad Abd Al Jalil beobachtet worden, in Benghasi eine Übergangsregierung zu bilden. Al Jalil, der dies in Kooperation mit dem bisherigen Botschafter Libyens in den USA angestrebt haben soll, stieß jedoch rasch auf Widerstand: Einer Einmischung aus dem Ausland stehe man nicht offen gegenüber, hieß es beim National Libyan Council, einem zur Zeit einflussreichen Bündnis verschiedenster Oppositionsverbände.[6] Einige Hoffnung wird auf die ostlibyschen Stämme gesetzt. In Libyen besitzen Stammesverbände bis heute eine große soziale Bedeutung. Nach dem Kollaps des Stammesbündnissystems, mit dem Gaddafis Clan sich seine Vormacht gesichert hatte, wird nun mit neuen Herrschaftsabsprachen gerechnet. Es komme dabei für den Westen darauf an, sich die Loyalität derjenigen Stämme zu sichern, welche die Ölfelder kontrollierten, ist zu hören. Entsprechende Bemühungen sind bereits im Gange. Drohten die ostlibyschen Stämme zunächst, den Ölexport als Druckmittel zu nutzen, um den Westen zur militärischen Intervention gegen das Gaddafi-Regime zu drängen, haben sie jetzt die Belieferung der EU wieder aufgenommen. Unklar ist, welche Absprachen vorausgingen.[7]

Halbkolonial

Programmatische Aussagen, wie eine künftige libysche Regierung zu gestalten sei, sind aus dem National Libyan Council oder anderen relevanten Zusammenschlüssen bislang nicht bekannt. Als einigendes Symbol gilt die Fahne der Monarchie (1951 bis 1969), in der die ostlibyschen Stämme einen größeren Einfluss als später unter Gaddafis Regime besaßen. Damals band sich Tripolis außenpolitisch eng an den Westen, ohne seine Erdölerlöse zugunsten politischer Eigenständigkeit zu nutzen. Die halbkoloniale Abhängigkeit, in der Libyen stand, symbolisierte in den 1950er und 1960er Jahren der US-Militärstützpunkt Wheelus Air Base bei Tripolis, auf dem mehrere tausend US-Soldaten stationiert waren. Nachdem sich 1969 eine Gruppe nach wirklicher Unabhängigkeit strebender Offiziere - darunter Muammar al Gaddafi - an die Macht geputscht hatte, mussten sich die US-Truppen zurückziehen. Das Bemühen, ein eigenständiges Libyen aufzubauen, mündete in die allgemein bekannte Entwicklung hin zu einem höchst repressiven Staat, der dem Westen seit Ende der 1990er Jahre noch eine Weile als Partner diente und nun in blutigen Zerfallskämpfen sein Ende findet. Ob es danach zu einem außenpolitisch abhängigen Arrangement wie vor 1969 kommt oder Libyen sogar in kleine, vom Westen umso leichter beherrschbare Reststaaten zerfällt, ist noch nicht abzusehen.

Pogrome

Die sozialen Qualitäten der Aufstandsbewegung gegen das brutale Gaddafi-Regime lässt ein Blick auf die jüngsten Attacken der Oppositionskräfte gegen schwarzafrikanische Migranten erahnen. In Städten wie Benghasi und Al Baida machen Aufständische, nachdem sie die Repressionsapparate des Regimes in die Flucht geschlagen haben, Jagd auf Schwarze. Zur Begründung heißt es, das Regime habe Söldner aus Ländern südlich der Sahara gegen Protestierende eingesetzt. Tatsächlich werden, während hellhäutige Überläufer auf Jubel stoßen, Dunkelhäutige wahllos verfolgt und zu Dutzenden gelyncht - Migranten auf dem Weg nach Europa, die nie die Absicht hatten, zu Waffen zu greifen, inklusive. In Al Baida etwa wurden 15 Schwarze am 18. und 19. Februar von einem Mob gehängt; sie waren in der Wüstenstadt Sabha, die man auf dem Weg aus dem Süden zu den Küsten des Mittelmeers kreuzt, mit dem Versprechen in ein Flugzeug gelockt worden, in Al Baida an einer friedlichen Demonstration für Gaddafi teilnehmen zu sollen und dafür kostenlos mit dem Flugzeug an die Mittelmeerküste zu gelangen.[8] Ähnlich wie in den Jahren 2000 und 2001, als in Libyen hunderte Schwarze bei rassistischen Pogromen umgebracht wurden, müssen sich in diesen Tagen zahllose Afrikaner mit dunkler Haut in den "befreiten" Städten wie Al Baida und Benghasi versteckt halten, um dem Lynchmord zu entgehen. Unter den "Befreiern" wird auch Berlin seine künftigen Partner suchen, um den Zugriff auf libysches Öl wie auch die Unterstützung bei der Abwehr von Migranten, die Gaddafi bislang gewährte, nicht zu verlieren.
Weitere Informationen zu den deutschen Reaktionen auf die Ereignisse in Libyen finden Sie hier: Der Zerfall eines Partnerregimes und Der Zerfall eines Partnerregimes (II).

[1] KSK-Einsatz in Libyen; www.fr-online.de 28.02.2011
[2] U.S. Readies Military Options on Libya; www.nytimes.com 28.02.2011
[3] Malta hatte die "Partnership for Peace"-Kooperation erstmals 1995 aufgenommen, sie aber schon 1996 wieder auf Eis gelegt.
[4] s. dazu Einflusskampf am Nil und Die deutsche Doppelstrategie
[5] Eine demokratische Wüste; www.main-netz.de 01.03.2011
[6] Libya opposition launches council; english.aljazeera.net 27.02.2011
[7] Libya rebels resume oil exports; www.telegraph.co.uk 01.03.2011
[8] Among Libya's Prisoners: Interviews with Mercenaries; www.time.com 23.02.2011

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u.a. videos von der front

e 04.03.2011 - 13:03

Genocide prevention

Nichtidentisches 04.03.2011 - 19:59
Massacres have taken place and there are many indices for a pre-genocidal situation:
 http://nichtidentisches.wordpress.com/2011/02/24/genocide-prevention-in-libya/

"Libyens fallender Tyrann" (Hintergrundtext)

H. Eckel 05.03.2011 - 18:57
Warum ist der Funke der Bewegungen für soziale und demokratische Rechte - nach Tunesien und Ägypten - ausgerechnet auf Libyen übergesprungen? Der folgende Artikel gibt Antworten darauf.

(Zuvor jedoch noch eine Anmerkung: während die USA mittlerweile ihre Geldströme nach Libyen gestoppt haben, fließt europäisches und asiatisches Geld bis zur Stunde ungehindert an die libysche Staatsbank - im Austausch für immer noch exportiertes Öl bzw. weiterhin vergossenes libysches Blut. Wen kümmert es schon, dass Gaddafi damit z.B. Söldner aus Mali einkaufen kann, um "sein" Volk abzuschlachten?)

Hier jetzt aber der Text (im Anhang auch noch einmal in Druckfassung):

Libyens fallender Tyrann

von Dr. Larbi Sadiki*

Gaddafi erntet, was er während seiner vier Jahrzehnte langen Herrschaft gesät hat: Terror, Vetternwirtschaft, Stammespolitik und Machtmissbrauch.

Libyen kann der Ansteckung durch den demokratisch-revolutionären Wind nicht entkommen, der durch den Nahen Osten und Nordafrika weht. Wenn der Langzeit-Führer Muammar Gaddafi fällt, wird das ein süßer Sieg für das Erbe Omar al-Mokhtars sein, des legendären antifaschistischen und antikolonialen Helden. Aber eine Menge Blut wird fließen, bevor der libysche Colonel das Schiff verlässt.

Nach Iraks Saddam Hussein und Tunesiens Ben Ali ist Gaddafi der schlimmste der überlebenden illegitimen arabischen Führer. Er erntet jetzt, was er gesät hat: Terror, Vetternwirtschaft, Stammes-Politik und Machtmissbrauch.

In Gaddafis Libyen mussten der sogenannte Volkskongress, Universitäten und andere regimeverbundene Organisationen der offiziellen Linie folgen: Verehrung des "Bruders und Führers", sein grünes Buch lesen und das Konzept des Panafrikanismus vertreten, an das niemand außer Gaddafi und seine Anhänger glaubte.

Als ich das Land mit einer Gruppe von Studenten der Universität von Exeter besuchte, füllten die hohlen Slogans von Gaddafis "Großer Revolution" sämtlichen öffentlichen Raum aus. "Partner, nicht (bezahlte) Angestellte" hieß einer. Ein anderer deklarierte: "Volksmacht" (sultat al-sha’ab). Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Gaddafi regierte das Land mit der Wahnvorstellung von der Erhabenheit eines Mannes, der im Putsch von 1969 mit ziemlich annehmbaren politischen Idealen an die Macht kam, die jedoch korrumpiert und aufgegeben wurden. Gaddafis vielgerühmter Sozialismus wurde zu einem Verteilungsprozess unter den Mitgliedern seines Clans.


Innerer Kreis

Ein innerer Kreis von Gaddafis Vertrauten und engen Verwandten beschloss und exekutierte die Hinrichtungen in den 1970er Jahren, wobei sie sich auf die gefürchteten und mörderischen "Revolutionskomitees" stützten.

Keine Beteiligung des Volkes gab es, als Beschlüsse über Kriege wie im Tschad oder anderswo in Afrika gefasst und ausgeführt wurden. Die Menschen konnten sich nicht öffentlich über das in Verfolgung von Gaddafis Auslandsabenteuern verschwenderisch gezahlte Geld - einschließlich der Unterstützung terroristischer Organisationen - beschweren.

Gaddafis Regime stand in Verbindung mit der Schwarzer-September-Ermordung israelischer Athleten in Deutschland 1972, dem Verschwinden des schiitischen Imams Musa al-Sadr 1978, der Ermordung der britischen Polizeioffizierin Yvonne Fletcher 1984, der Bombardierung der Berliner Diskothek La Belle 1986, dem Waffen-Transportschiff, welches 1987 für die Irisch-republikanische Armee bestimmt war, mit dem Kidnapping des PanAm-Flugs 73 im Jahre 1986 und dem Bombenanschlag auf den PanAm-Flug 103 im Jahr 1988. Diese Auflistung ist jedoch noch nicht einmal vollständig.

Die Bombardierung von Tripolis und Benghazi durch die USA 1986 oder die großen Geldsummen, die Gaddafi als Kompensation aller Arten von Klagen gegen Libyen zahlte, waren ein Teil des Preises, den die Libyer für die Fehlkalkulationen ihres Führers zahlen mussten.

Die Sanktionen und der Paria-Status wurden lediglich in den letzten 10 Jahren etwas abgemildert. Den grünen libyschen Pass zu besitzen machte die Bewohner Libyens zu unerwünschten Personen ("persona non grata") in vielen Teilen der Welt.

Gaddafis Narzissmus war derart, dass sehr wenige seiner Waffenbrüder aus der ursprünglichen Gruppe der Freien Offiziere, die den Putsch von 1969 gegen König Idris durchführten, seine Brutalität überlebten.

Einige staben unter mysteriösen Umständen (Omar Limheshi; Imhammad al-Muqrif). Andere zogen sich freiwillig aus der Öffentlichkeit zurück (Abd al-Salam Jelloud).


Ein Akt öffentlicher Nichtanerkennung

Wie in Ägypten stellte der Aufstand in Libyen einen Akt öffentlicher Nichtanerkennung eines bestehenden Regimes dar. Dabei handelt es sich um Länder, die militärische Revolutionen hatten und heute zivile Revolutionen durchleben.

Wie Tunesien, aber in schlimmerer Weise, hat Libyen sehr wenig in den Aufbau von Sozialfonds oder zivilgesellschaftlichen Kapazitäten investiert. Alle Organisationen sind Gaddafis Großer Revolution verpflichtet und angegliedert. In Wirklichkeit handelt es sich aber um Zellen, die die Menschen ausspionieren, oder um zur Verteidigung des Regimes gekaufte Milizen. Wenn Kundgebungsteilnehmer Fahnen schwenken und Pro-Gaddafi- oder antiwestliche Parolen rufen, dann machen sie das auf Befehle des Regimes hin.

Dessen ungeachtet waren die Libyer nicht passiv. Beispielsweise haben die Libysche Liga für Menschenrechte, die Nationalkonferenz der Libyschen Opposition (NCLO) und die verbannten Islamisten allesamt das Internet genutzt, um ihrem Verdruss Ausdruck zu verleihen. In einigen Fällen nutzten libysche Dissidenten das Internet als politisches Instrument noch vor den Aktivisten in anderen Teilen des Nahen Ostens. Die NCLO traf sich 2006 in London und könnte eine Rolle bei der Neugestaltung des Nach-Gaddafi-Libyen spielen.

Versuche, Gaddafi von der Macht zu entfernen, begannen in der Mitte der achtziger Jahre. Der bedeutendste war der Umsturzversuch in der Bab Al-Aziziya-Kaserne im Mai 1984, bei dem die Nationale Front zur Rettung Libyens, die von militärischen und zivilen Dissidenten gebildet wurde, eine führende Rolle spielte.

Die ernsthafteste Kampfansage an die Herrschaft Gaddafis kam von Libyens bevölkerungsreichstem und mächtigstem Stamm, den Warfallah, im Oktober 1993. Der Aufstand führte 1995 zu Schauprozessen. Viele Stammesangehörige wurden 1997 hingerichtet.

Die östliche Region, Benghazi, war immer ein Ausgangspunkt von Widerstand gegen das Regime. Dutzende starben bei Protesten im Jahr 2006. Der Hintergrund des gegenwärtigen Aufstands ist sowohl stammesbezogen als auch regional. Zwei Stämme haben Gaddafis Regime die Gefolgschaft entzogen, womit sie auch alte Rechnungen beglichen haben. Gaddafi zahlt jetzt den Preis für die Demütigung des Stammes der Wirfallah, den er seit Mitte der 1990er Jahre aus seinen Begünstigungen ausgeschlossen hat. In ähnlicher Weise erlitt der Stamm der Tabu im Südosten fürchterliche Diskriminierung.

Die Elendsgürtel Libyens führen jetzt die Rebellion an. Städte wie Al Baida, Dema, Ijdadia sind alle an den Rand gedrängt und Gaddafi nicht verbunden, weil sie von seiner Herrschaft nicht gewonnen haben. Die ärmsten Vorstädte von Tripolis, Zintan und Zawiya, die unter heftigen Beschuss gekommen sind, führen den Aufstand in der Hauptstadt an.

Warum erweist sich die Revolution, die Tunesiens Ben Ali vertrieben hat, als ansteckend? Die Gründe können in folgenden Faktoren zusammengefasst werden: der Anwesenheit eines Herrschers vom Typ Ben Alis; dynastischer und vetternwirtschaftlicher Verrottung; monarchischem Republikanismus; zügelloser Korruption; der Marginalisierung junger Menschen; Menschenrechtsverletzungen; Informationskontrolle in Verbindung mit einem Polizeistaat.

Alle diese Bedingungen sind in Libyen vorhanden. Das einzige Gute in Gaddafis Libyen ist die Abwesenheit von Wahlen, was Gaddafis Revolutionskomitees das Vergehen erspart, sie zu manipulieren.

Zusätzlich zu diesen Faktoren wurde die östliche Region, vor allem Benghazi, der Petroleum-Dividenden beraubt. In einem Land mit einem der längsten Küstenstreifen und einer hohen Ölproduktion sollten Einkommen und Chancen allen Einwohnern zur Verfügung stehen. Aber das war nicht der Fall. Jetzt erntet Gaddafi, was er gesät hat.


Quelle: Al Jazeera (english)  http://english.aljazeera.net/indepth/opinion/2011/02/201122120055942895.html

* Dr. Larbi Sadiki ist Professor für Politik des Nahen Ostens an der Universität von Exeter und Autor von: Arab Democratisation: Elections without Democracy (Oxford University Press, 2009) und The Search for Arab Democracy: Discourses and Counter-Discourses (Columbia University Press, 2004), forthcoming Hamas and the Political Process (2011).

Übersetzung: H. Eckel (mit herzlichem Dank an den Autor für die freundliche Genehmigung der Weiterveröffentlichung).


Weitere Informationen:

- ständige Liveberichterstattung auf Al Jazeera:  http://english.aljazeera.net/watch_now

- Söldnerankauf in Mali (Einkaufspreis 10 000 $, Tagesgage 1000 $):  http://www.bbc.co.uk/news/world-12647115



Sämtliche Fotos: Bernd Kudanek  http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/2/27531903#27531903

Angriffe von Deutschland aus koordiniert

Bommel 20.03.2011 - 16:01

naja

trottel 26.03.2011 - 04:30

Italien: Generalstreik gegen Libyenkrieg 15.4

Anarchosyndikat Köln/Bonn 02.04.2011 - 01:12
Die italienische USI-IAA ruft am 15. April zum Generalstreik gegen den Libyen-Krieg und für Solidarität mit den Flüchtlingen auf

 http://anarchosyndikalismus.blogsport.de/2011/04/01/italien-generalstreikaufruf-gegen-libyen-krieg/

Auch die russische KRAS-IAA erklärt ihre Opposition gegen den NATO-Einsatz und für internationale Arbeiter-Solidarität:

"Schluss mit dem neuen Krieg in Nordafrika"
 http://anarchosyndikalismus.org/international/russland/libyenkrieg/


Armseliges Europa

antonius 08.04.2011 - 21:36
Italien und Frankreich begraben das Kriegsbeil
Die beiden Länder wollen gemeinsam ---gegen--- tunesische Flüchtlinge vorgehen !!!

 http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/tunesien_fluechtlinge_italien_frankreich_1.10178527.html

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Danke! — Horchend

nicht nur Zuschauen — Zuschauer

Libyah — Danke

hmmm — Skeptiker

Quellen — Han

Medienquellen — egal

"Gaddafi Superstar"2 — IronMike2

EU potenz — Tom

Keine faz — Zeo

Keine faz — Zeo

? — !