Prozess gegen Buchladen Oh 21 Berlin heute

Prozessbeobachterin 18.02.2011 20:33 Themen: Medien Repression
Heute fand der erste Prozesstag im Verfahren gegen den Berliner Buchladen Oh 21 statt. Viele UnterstützerInnen sind gekommen und machten vor dem Gericht ihrem Unmut lautstark Luft.
Nächster Termin ist der 8. März 2011, 11.00 Uhr.
Kurzbericht vom ersten Prozesstag am 18.2.2010

Der erste Prozesstag gegen den Geschäftsführer des Buchladens oh21 ist vorüber. Die Verhandlung dauerte nur etwa zwei Stunden und wird am 8. März 2011 fortgesetzt.

Da im Verhandlungssaal nur 24 Besucher zugelassen waren, mussten die meisten der zahlreich erschienen UnterstützerInnen draußen bleiben. Ein Antrag auf Verlegung in einen größeren Saal wurde vom Richter ohne weitere Begründung abgelehnt. Das wilhelminische Mauerwerk des Moabiter Amtsgerichts hielt die Ausgesperrten jedoch nicht davon ab, sich an der Verhandlung zu beteiligen. Auf der Straße trugen sie im Chor Passagen aus inkriminierten Werken der Weltliteratur vor. Dass ihre Rezitationen drinnen gut zu vernehmen waren, ist ein schönes Sinnbild für die durchdringende Kraft guter Literatur.

Die Verteidigung kritisierte die Anklage der Staatsanwaltschaft als politisch motiviert und „mit heißer Nadel gestrickt.“ Letztlich werde die Gesinnung seines Mandanten kriminalisiert.

Der Angeklagte nahm sein Recht wahr, keine Einlassungen zu den Vorwürfen machen zu müssen. Stattdessen gab er eine Erklärung ab, in der er den politischen Kontext der Anklagen gegen die Berliner Buchhändler skizzierte. Außerdem bedankte er sich für die Solidarität und erklärte, dass er sich dem Druck, als Buchhändler eine Art Vorzensur nach den Kriterien der Ermittlungsbehörden zu üben, nicht beugen werde.

Danach wurden zwei ZeugInnen der Anklage aufgerufen. Den Ausführungen der ersten Zeugin - einer Polizeibeamtin, die an einer der Ladendurchsuchungen beteiligt war, sich aber an kaum mehr etwas erinnern konnte - war u.a. zu entnehmen, dass in der Buchhandlung oh 21 „diverse Regale“ mit Büchern zu „historischen Hintergründen“ stehen. Der zweite Zeuge ist seit 1997 beim Staatsschutz für die Auswertung linker Publikationen zuständig und war vermutlich geladen worden, um eine Einschätzung zu der Gefährlichkeit und Bedeutung der inkriminierten Zeitschriften abzugeben. Seine Erkenntnisse zur Interim gingen jedoch nicht über das hinaus, was man diesbezüglich auch im Internet (z.B. auf Wikipedia) erfahren kann. Mit den Fragen der Verteidigung, wer oder was überhaupt „die linke Szene“ sei und was unter „linken Themen“ zu verstehen sei, schien er etwas überfordert.

Der Prozess wurde auf den 8. März (11.00 Uhr) vertagt, da sich der Richter nach eigenen Angaben im „Selbstleseverfahren“ selbst ein Bild von den Inhalten der beschlagnahmten Publikationen machen will. Auch dann ist die kritische Öffentlichkeit wieder willkommen.
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Ergänzungen

Pressekonferenz & Radiobeitrag

audio 18.02.2011 - 21:42
Unter folgendem Link findet sich ein Audiomitschnitt der Pressekonferenz im Vorfeld des Prozesses:
 http://www.unzensiert-lesen.de/download/160211pk_unzensiert_lesen.mp3

Einen Radiobeitrag zum Prozesstag gibts hier:
 http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=39141

Neues Deutschland / Dietmar Dath zum Prozess

Medienreferent RLS 18.02.2011 - 21:55
Hier ein sehrsehr guter Text von Dietmar Dath:
 http://www.neues-deutschland.de/artikel/191262.wozu-das-fuehren-soll.html

Eigentlich voll geil, dass diese Zeitung "Neues Deutschland" diesen Text abdruckt.

Neues Deutschland über den Prozesstag heute

print 18.02.2011 - 22:19
Im Visier der »Zensurbehörde«
Buchhändler wegen Beihilfe zur Anleitung zu Straftaten und Verstoß gegen das Waffengesetz angeklagt

Von Peter Kirschey

Die Szene hatte schon etwas Gespenstisches. Der Saal 101 im Kriminalgericht Moabit war gestern hermetisch abgeriegelt, die wenigen Zuhörer mussten sich einer verschärften Kontrolle unterziehen lassen, ihre Personalien wurden registriert. Noch vor Verhandlungsbeginn wurden Vertreter der Tagespresse mit dem Argument abgewiesen, die Pressebank sei bis auf den letzten Platz besetzt. Erst auf Intervention der Verteidigung fanden sich, welch ein Wunder, doch Plätze für Zuhörer und Presseleute. Was geschah da im Gerichtssaal? Ist ein gefährlicher Terrorist oder Serienmörder angeklagt, der verschärfte Sicherheitsmaßnahmen notwenig macht?

Nichts von dem. Das Ganze gehörte zu einer Inszenierung des Amtsgerichts Tiergarten. Das Gespenst einer »linken Gefahr«, eines drohenden Anschlags auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung soll da heraufbeschworen werden. Und der Richter spielt mit. Angeklagt ist – tatsächlich – ein Buchhändler. Wegen »Beihilfe zur Anleitung zu Straftaten und zu einem Verstoß gegen das Waffengesetz«. Frank Christiansen, als Verantwortlicher des Buchladens »oh 21« in der Oranienstraße, soll Exemplare der Zeitschriften »Interim« und »Prisma« ausgelegt haben, in denen auch Anleitungen zum Bau von Molotow-Cocktails enthalten sind. Da ist auch zu lesen, wie man mit Farbe kleckst, Oberleitungen kurzschließt, Fahrscheinautomaten blockiert oder Schlüssellöcher zuklebt. So sagt es die Staatsanwaltschaft.

Während im Saal eine Justizwachtmeisterin friedlich den Schlaf der Gerechten schlief, draußen weitere Prozessbeobachter lautstark Einlass begehrten, der Richter ausgesprochen allergisch auf frische Luft reagierte und die Fenster zuhalten ließ, kritisierte die Verteidigung die schwammige Anklage, die keinen konkreten Anklagepunkt enthält. Ein Buchhändler ist ein Buchhändler und kein Inquisitor im Auftrag des Staatsschutzes. Nicht er entscheidet über Inhalte und nicht er muss alles lesen und kennen, was in einer Buchhandlung angeboten wird. Auch war er zu dem Zeitpunkt, da die Polizei mit dem Durchsuchungsbeschluss anrückte, gar nicht anwesend. In diesem Sinne äußerte sich auch Christiansen: »Wir sind nicht der verlängerte Arm der Zensurbehörde.«

Seit 1988 ist »Interim« im Visier der Staatsschützer, jedes Blatt wird Wort für Wort durchleuchtet, jedes Exemplar zerschnippelt und ausgewertet, Spitzel in die linke Szene eingeschleust, groß angelegte Polizeiaktionen gestartet, um an Macher und Vertreiber heranzukommen. Und da das bis heute nicht gelungen ist, werden nun die Hebel bei linken Buchhändlern angesetzt. Die Befragung der Zeugen sprach Bände. Die Polizistin, die die Durchsuchung im Buchladen durchgeführt hatte, konnte sich an so gut wie nichts mehr erinnern. Der Zeuge vom Staatsschutz, der die linke Szene so im Allgemeinen beobachtet, wusste nur zu sagen: »Es ist eine sehr, sehr vielfältige Geschichte.« Ende des ersten Verhandlungstages.
Tag für Tag wird im öffentlich-rechtlichen und im privaten Fernsehen erschlagen, erschossen, erdrosselt oder vergiftet. Bis ins kleinste Detail. Wurde jemals ein Intendant angeklagt, das Internet abgeschafft? Absurd der Gedanke.

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Der o.g. Radiobericht enthält einige Fehler bzw. Ungenauigkeiten.

Die bürgerlichen Medien berichteten auch

Interim-Lesekreis Bitterfeld 18.02.2011 - 22:41

Noch mehr presse

Hasselmann-Hasser 18.02.2011 - 22:55
 http://www.rbb-online.de/nachrichten/vermischtes/2011_02/buchhaendler_wegen.html

Auch die schweinepresse informiert, darunter der tagesspitzel, der wiederholt durch seine artikel die durchsuchungen in den buchläden angeregt hat. Vielleicht sollte die ein oder andere bauanleitung mal an der fassade des tagesspitzels am askanischen platz getestet werden...

 http://www.tagesspiegel.de/berlin/bombenplaene-auf-dem-buechertisch/3860990.html
 http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/berlinbrandenburg_nt/article12585181/Buchhaendler-wegen-Bombenbau-Anleitung-vor-Gericht.html

Video: Interview mit Oh21 Buchhändler

Nichtarbeit 21.02.2011 - 16:39
Interview mit Oh21 Buchhändler am Prozesstag 18.2.2011
Amtsgericht Tiergarten Berlin
 http://www.youtube.com/watch?v=qbyV3ptqrkE