Cottbus: Nachbetrachtung Blockaden

Antifa Cottbus 18.02.2011 13:51 Themen: Antifa Repression Soziale Kämpfe
Ausführliche Nachbetrachtung der Ereignisse um die erfolgreichen Blockaden anlässlich des Naziaufmarschs am 15. Februar 2011.
Cottbus: Blockadekonzept erfolgreich

Direktor des Amtsgerichts kriminalisiert friedlichen Protest im Vorfeld
und gibt TeilnehmerInnen zum Abschuss frei

Anlässlich der Bombardierung des Stadt Cottbus veranstaltete die NPD-Lausitz zusammen mit „Freien Kräften“ am 15. Februar 2011 einen als „Trauermasch“ getarnte Demonstration. Diese konnte durch sieben Blockaden des Bündnis „Cottbus Nazifrei!“ erfolgreich behindert werden. Erstmals seit Jahren gelang es einen Naziaufmarsch empfindlich zu stören und zu verzögern. Beamten aus drei Bundesländern machten den Nazis den Weg frei. Fernab der Presse wurde ein friedlicher Teilnehmer beim Versuch die Kette zu umfließen von den Bullen mit einem Schlag zum Kopf niedergestreckt. Der junge Mensch erlitt ein Schädel-Hirn Trauma uns muss mehrere Tage im Krankenhaus bleiben. Der brutale Übergriff wurde vorab vom Direktor des Cottbuser Amtsgerichts Wolfgang Rupieper, legitimiert. Dieser kriminalisiert den legitimen Protest schon Tage vorher, stellte die Teilnehmer auf eine Stufe mit den Nazis und gab Menschen mit Zivilcourage so zum Abschuss frei. Nach Angaben des Bündnis beteiligten sich rund dreihundert Teilnehmer an den Aktionen von „Cottbus Nazifrei!“. Laut Polizeiangaben wurden 103 Platzverweise vergeben. Die Aktionen verliefen friedlich, es wurde kein Polizist verletzt.

Anlässlich der Bombardierung veranstaltete das bürgerliche Bündnis „Cottbuser Aufbruch“ unter dem Motto „Kein Ort für Nazis“ eine Gedenkveranstaltung vor der Lutherkirche. Auf dieser sprach unter anderem auch die brandenburgische Wissenschaftsministerin Martina Münch, die zugleich SprecherIn des „Cottbuser Aufbruchs“ ist. Zuvor sagte Münch auf „radioeins“, dass sie sich dem Naziaufmarsch nicht entgegen stellen werde, weil dies nicht der richtige Anlass für eine Sitzblockade sei! Den „richtigen Anlass“ nannte sie nicht.

Die Gedenkkultur in Cottbus ist im Allgemeinen differenzierter geworden. Geht es um die militärische Zerschlagung Nazideutschlands, so verlieren viele Menschen den Ursache-Wirkung-Zusammenhang und die Frage der Kriegsschuld aus den Augen. Den BürgerInnen ist schwer zu vermitteln, dass ihr Gedenken den Opfermythos der Nazis befeuert und gesellschaftsfähig macht. Nach den peinlichen Aktion „Cottbus schaut weg!“ als die Stadt 2007 die Idee hatten einfach die Rolläden herunter zu lassen und den Nazis die Stadt zu überlassen, ist es in diesem Jahr erstmalig gelungen an einem Strang zu ziehen und einen Naziaufmarsch nennenswert zu behindern.


Zu den Aktionen

Die ersten Blockadeaktionen begannen in der Thiemstraße im Bereich um die Lutherkirche. Hier begaben sich TeilnehmerInnen auf die Strecke um dort mit einer Mahnwache den seit 1990 von Neonazis ermordeten Menschen zu gedenken. Auf ein rotes Transparent hatten sie die rund 200 Namen der Opfer gemalt. Zu dieser Zeit gab es mehrere Versuche auf die Straße zu kommen. Dies gelang auf Höhe der bürgerlichen Gedenkveranstaltung. Während einige Beamten die TeilnehmerInnen räumten, gelang es einer weiteren Gruppe weiter südlich, auf Höhe des Landesversicherungsanstalt, die Strecke zu besetzen. Die Gruppe war bunt gemischt und bewegte sich von Westen kommend über eine Grünfläche auf die Polizeikette zu. Als sie die Beamten friedlich umfließen wollten zogen diese sofort ihre Schlagstöcke und versuchten die TeilnehmerInnen am durchkommen zu hindern. Da sie sich außerhalb der Sichtweite der bürgerlichen Gedenkveranstaltung und somit der Presse befanden, nutzte die Polizisten die für sie günstige Situation aus um ihre Macht zu demonstrieren. Dabei wurde ein friedlicher Demonstrant mit einem Faustschlag auf den Kopf nieder gestreckt. Der verstärkte Einsatzhandschuh des Polizisten traf ihn im Bereich des Ohrs. Der Teilnehmer ging mit einem Schädel-Hirn Trauma zu Boden und musste ins nahe gelegene Krankenhaus gebracht werden. Es ist zu betonen, dass die Aktionen von „Cottbus Nazifrei!“ zu keinem Zeitpunkt die Rettungswege für Krankenwägen blockierten. Das sind gezielte Fehlinformationen! Die Sitzblockade wurde nach einigen Minuten geräumt. Es folgten weitere erfolgreiche Aktionen im ersten Streckenabschnitt. Die Polizei machte den oberen Teil der Thiemstraße mit einer Armada an Fahrzeugen dicht. So gelang es den Beamten die rund 200 Nazis unter lautem Protest durch die Menschen zu schleusen. Die Demonstration der Faschisten hatte kam Außenwirkung, da sie die meiste Zeit von einem massiven Polizeispalier begleitet wurde.
Während sich einige Aktionsgruppen auf den anderen Teil der Naziroute begaben, wurde am Bahnhofsvorplatz ein Transparent mit der Aufschrift „Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg!“ aufgehängt. Auch gegenüber der Lutherkirche gelang es ein antifaschistisches Transparent zwischen zwei Fahnenmasten zu platzieren. Derweil eskalierte die Situation fernab der öffentlichen Wahrnehmung weiter. In der Eilenburger Straße wurden rund siebzig Menschen willkürlich von der Polizei zusammengedrängt und eingekesselt. Wäre diese Personengruppe auf freiem Fuß gewesen, so hätte der Aufmarsch der Nazis möglicherweise noch entscheidend blockiert werden können. So setzte sich die Eskalations- und Kriminalisierungsstrategie fort. Die eingekesselten Menschen standen noch gut eine Stunde nach Beendigung des Naziaufmarschs in der Kälte. Alle erhielten Platzverweise.

Zuvor hatten sich auf der Straße der Jugend jedoch zwei weitere Blockaden gebildet, denen es für ca. eine Stunde gelang beide Fahrspuren stillzulegen. Auch zahlreiche Passanten schlossen sich unter lautem Jubel der TeilnehmerInnen den beiden Blockaden an. Eine andere Gruppe brachte den TeilnehmerInnen zur Stärkung einen heißen Tee. Als sich die Nazis den Blockaden näherten wurden die Einsatzkräfte massiv verstärkt und eine Straßenseite geräumt. Die Pigs gingen dabei äußerst rücksichtslos vor. Sie griffen die TeilnehmerInnen und warfen sie einfach auf die andere Straßenseite. Manche von ihnen landeten in der Blockade nebenan, andere wurde rücksichtslos auf denn Randstein zwischen Straßenbahn und Fahrbahn geworfen. Eine TeilnehmerIn berichtete im Anschluss, dass die Beamten bei der Räumung einer Blockade sagten „Achtung Kamera!“ und darauf hin sanfter räumten. In einem dichten Polizeispalier wurden die eingeschüchterten Nazis unter wütendem Protest durch die friedliche Menge geführt. Auch dabei blieb es friedlich!


Kriminalisierung von Zivilcourage durch Direktor des Cottbuser Amtsgerichts

Das Bündnis „Cottbus Nazifrei!“ wurde von Anfang an mit Repression überzogen. Hier tat sich Wolfgang Rupieper, der Direktor des Cottbuser Amtsgerichts, auf unrühmliche Weise als Reaktionär hervor. Ruhpieper hatte versucht die Mobilisierung zu schwächen und mögliche TeilnehmerInnen im Vorfeld einzuschüchtern. So verkündete er in einer Pressemitteilung, dass auf friedliche Sitzblockaden bis zu drei Jahren Gefängnisstrafe stünden. Die Diskussion um zivilen Ungehorsam und die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1995 klammerte er dabei aus. In derselben Pressemitteilung kriminalisierte er zivilgesellschaftliches Engagement und stellte die friedlichen Teilnehmer_Innen auf eine Stufe mit den geschichtsverklärenden Neonazis. Das ging selbst einem Einsatzleiter der Polizei zu weit, der gegenüber einem Pressevertreter Rupiepers Aussagen widersprach.

Diesen juristischen Freischein nutzten der Beamte der den jungen Mann fernab der Presse niederschlug prompt aus. Doch damit nicht genug. Mit seinen Äußerungen lieferte Rupieper den Neonazis eine Steilvorlage um „Cottbus Nazifrei!“ und dessen UnterstützerInnen strafrechtlich zu belangen. So beruft sich die NPD auf ihrer Homepage direkt auf den Gerichtsdirektor und stellte nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen das Bündnis und dessen UnterstützerInnen. So zeigte Rupiepers Kriminalisierung schon im Vorfeld Wirkung. Doch das war nicht alles! Selbst Menschen die sich mit dem Bündnis solidarisierten wurden mit Repression und Polizeischikanen überzogen. In der Nacht vom Sonntag (13.2.) wurden drei Personen die sich auf machten um Plakate für „Cottbus Nazifrei!“ zu verkleben von der Polizei gestellt und mitgenommen. Sie wurden aufgrund einer Sonderverfügung der Staatsanwaltschaft von 24 bis 5 Uhr morgens auf der Wache festgehalten. Unter Gewaltandrohung versuchten die Beamten eine erkennungsdienstliche Behandlung zu erzwingen und Speichelproben der Drei zu nehmen. Dies konnte konnte durch die entschlossene Intervention des Bündnisses verhindert werden. Bemerkenswert ist, dass es die Polizisten nur auf die „Cottbus Nazifrei!“-Plakate abgesehen hatten. Die Menschen führten auch Plakate für die Aktionen in Dresden mit, diese interessierten die Beamten aber nicht.

Bei „Cottbus Nazifrei!“ ist Rupiepers unrühmliche Pressemitteilung nicht eingegangen. Von seiner Äußerungen erfuhr das Bündnis zufällig auf einer Pressekonferenz und aus der Zeitung. Wäre es dem Direktor um die Diskussion von Mitteln aus dem Bereich des zivilen Ungehorsams gegangen, so hätte das Bündnis seine Position sicher dargelegt. So betreibt der Direktor eine üble Diffamierungskampagne und liefert gewaltbereiten Polizisten und Neonazis einen willkommenen Anlass um zivilgesellschaftliches Engagement sprichwörtlich anzugreifen. Es ist völlig unverständlich, warum sich ein Vertreter der Judikative hier in seiner Rolle als Amtsperson einmischt und „offiziell“ eine juristisch falsche Einschätzung abgibt. Bis zum heutigen Zeitpunkt fallen Ereignissen im Rahmen von „Cottbus Nazifrei!“ nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gerichte. Alles was vor und während dem 15. Februar passiert ist, liegt, wenn überhaupt, im Zuständigkeitsbereich von Polizei und Staatsanwaltschaft.


Antifa Cottbus



Interview mit der brandenburgischen Wissenschaftsministerin Martina Münch (SPD) zu den Blockaden auf „radioeins“:

www.rbb-online.de/nachrichten/politik/2011_02_/gedenken_an_fliegerangriff.html


Video:
www.lr-online.de/mediacenter/videos/?bcpid=21253079001&bclid=33710596001&bctid=791178204001&refer=rightboxa
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