Dresden: Rückwärts immer, vorwärts nimmer

addn.me 11.02.2011 13:52 Themen: Antifa Blogwire Repression
In Dresden haben die Versammlungsbehörden einmal mehr gezeigt, was sie vom legitimen Protest an Naziaufmärschen und der kritichen Auseinandersetzung mit der eigenen Täterrolle halten. Das Verwaltungsgericht ist gestern den Argumentationen der Verantwortlichen in der Stadt gefolgt und hat damit einen geplanten Spaziergang zu den Orten nationalsozialistischer Verbrechen und zwei Kundgebungen in der Altstadt verboten. Wenige Stunden zuvor war der für die Entscheidungen maßgeblich verantwortliche Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel auf einer Podiumsdiskussion scharf kritisiert worden.
Das Verwaltungsgericht hat am Donnerstag den von den Ordnungsbehörden der Stadt Dresden erlassenen Verlegungen zweier Kundgebungen auf der Altstädter Elbseite zugestimmt. Auch der geplante Spaziergang auf den Spuren nationalsozialistischer Verbrechen wurde mit der Entscheidung defacto verboten. Das Gericht folgte damit den Anträgen der Dresdner Versammlungsbehörde, die sich dem polizeilichen Konzept der konsequenten räumlichen Trennung verpflichtet gefühlt hat. Damit zeigen die Verantwortlichen in der Stadt einmal mehr, was sie von legitimen Protest in sichtweite von Naziaufmärschen aber auch anderen Vorstellungen von Formen des Gedenkens hält. Dies ist jedoch nicht nur ein Beleg für den Machtanspruch einer jahrelang CDU alleinregierten Landeshauptstadt, die ihren historischen Alleinvertretungsanspruch auf den 13. Februar im Dezember 2009 mit einer umstrittenen Gesetzesänderung auf Landesebene rechtlich umsetzen konnte. Darin enthalten ist außerdem immer wieder die in diesem Zusammenhang praktizierte Gleichsetzung der Opfer im Nationalsozialismus mit denen der DDR Diktatur.

Doch es gibt mehr Kritik an der auf einer abstrakten juristischen Ebene geführten politischen Auseinandersetzung über den 13. Februar in Dresden. Während auf europäischer Ebene nach zahlreichen Wahlerfolgen von einer neuen stark vernetzten Rechten gesprochen werden kann und im eigenen Land der gesellschaftlich gemachte und politisch gewollte Druck auf sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen stark zugenommen hat, findet auch nach mehr als zehn Jahren Naziaufmärsche keine ergebnisoffene politische Diskussion über die Ursachen dieses Problems statt. Stattdessen wird die eigene Vorstellung der richtigen Protest- und Erinnerungskultur als einzige Lösung präsentiert. Das jedoch widerspricht dem pluralistischen Charakter, den der Widerstand gegen Nazis im Alltag immer haben sollte. Nicht die Utopie einer vom Faschismus befreiten Gesellschaft mit gleichen Rechten für alle Menschen sollte als Problem verstanden werden, sondern die von der Realität überholte Vorstellung einer kollektiven Identität mit Leitkulturcharakter.

Während auf der einen Seite von staatlichen Stellen immer wieder bemängelt wird, dass das politische Engagement und der Wille zur Beteiligung in der Bevölkerung seit Jahren zurückgehen, zeigen die beiden in Dresden regierenden Parteien, was sie von einer aktiven und breit aufgestellten Bürgerschaft halten. Hier diktieren auch 66 Jahre nach den alliierten Bombardierungen die Nazis den politischen Entscheidungsträgern, wer wo zu demonstrieren hat. Obwohl sich die Verantwortlichen der Stadt mit einem immer größer werdenden Naziaufmarsch konfrontiert sehen, hat sich am Umgang mit ihnen seit Beginn nichts geändert. Auch in diesem Jahr beschreiben gegenseitige Respektbekundungen den Grad der Auseinandersetzung zwischen Nazis und den Versammlungsbehörden unter CDU-Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel. Es wird nicht einmal versucht, die rechten Ausschreitungen im vergangenen Jahr in Pirna, bei der u.a. ein SPD Büro von mehreren hundert randalierenden Nazis angegriffen wurde, zum Anlass zu nehmen, um über den juristischen Handlungsspielraum im Umgang mit sich nach Außen immer friedlich und kooperativ gebenden Nazis nachzudenken. Stattdessen wird das verfassungsmäßige Recht aller Bürgerinnen und Bürger, ihren Protest gegen Nazis offen zu demonstrieren, mit Auflagen, Verboten und Verlegungen ad absurdum geführt. Dabei zeigen Beispiele wie der verhinderte Anti-Islam Kongress in Köln vor mehr als zwei Jahren, dass antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen Nazis durchaus zum Erfolg führen kann. Damals hatten mehrere zehntausend Menschen alle Zufahrtswege zum Tagungsort am Kölner Heumarkt blockiert.

Hoffnung macht in Dresden einzig die Entwicklung der Berichterstattung lokaler Medien über das Thema. Im Unterschied zu den vergangenen Jahren, als der Naziaufmarsch Tage später im Lokalteil höchstens mal in den Verkehrsmeldungen auftauchte, hat sich das vor allem nach den erfolgreichen antifaschistischen Mobilisierungen 2009 und 2010 deutlich verbessert. Viel davon hat sicherlich damit zu tun, dass die Ereignisse um den 13. Februar in Dresden auch zunehmend von überregionalen Medien thematisiert wurden. Doch sehr zum Leidwesen einiger Stadtpolitiker richtete sich außerhalb der Stadt der mediale Fokus mehr auf die Dimension des Naziaufmarsch, als auf die vermeintlich identitätsstiftenden Ereignisse vor 66 Jahren. Doch nicht nur medial hat sich einiges getan, auch die Proteste werden internationaler. In diesem Jahr werden wieder Antifaschistinnen und Antifaschisten aus den skandinavischen Ländern, den Niederlanden und zahlreichen weiteren europäischen Ländern an den geplanten Massenblockaden gegen den Nazigroßaufmarsch am 19. Februar teilnehmen. Bleibt zu hoffen, dass dieser spürbare Widerstand gegen Nazis, der inzwischen auch von Teilen der Kirche getragen wird, ein wenig zu einem pluralistischeren Verständnis von Protest und vielleicht dem Anfang von so etwas wie politischem Bewußtsein für viele Menschen werden kann. In diesem Sinne, see you on the barricades!

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Ergänzungen

Podiumsdiskussion

Antifa 11.02.2011 - 14:14
Bericht über die Podiumsdiskussion: DRESDENEINS TV - Widerstand gegen Nazis

Zeitungsartikel

Antifa 11.02.2011 - 14:26
Vor allem die DNN zeichnet sich in diesem Jahr durch eine für Dresdner Verhältnisse relativ ausgewogene Berichterstattung aus: Feature 13. Februar 2011

Urteil zum Nazi-Aufmarsch letztes Jahr

taz-Leserin 11.02.2011 - 16:57
Gericht: Die Polizei ist "Garant" rechter Demos
JUSTIZ Verwaltungsgericht Dresden begründet, warum Polizei Rechten den Weg frei machen muss

BERLIN taz | Die Polizei muss linke und rechte Demonstranten schon im Ansatz trennen, um einen polizeilichen Notstand zu verhindern. Das fordert das Verwaltungsgericht Dresden in der jetzt vorgelegten Begründung zu einem Beschluss vom Januar. Damals hatte das Gericht der Polizei vorgeworfen, dass sie im Februar 2010 einen rechten Trauermarsch nicht gegen linke Blockaden durchsetzte. Dabei sei das Demonstrationsrecht rechter Gruppen verletzt worden.

Die der taz vorliegende Begründung des Beschlusses ist von großer praktischer Bedeutung. Schließlich sind in Dresden am 13. und 19. Februar neue rechte Aktionen mit Bezug auf die alliierte Bombardierung der Stadt im Jahr 1945 geplant. Auch die Linke hat wieder Blockaden der rechten Demos angekündigt. Die Polizei dürfte sich an den Vorgaben des Gerichts orientieren.

Im Jahr 2010 hatte die Polizei den Rechten nicht gestattet loszumarschieren, weil die Route von bis zu 12.000 linken Gegendemonstranten blockiert war. Das galt als Erfolg der Antifa. Dagegen klagte die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland als Veranstalterin - erfolgreich.

In der Begründung wird der hohe Rang des Demonstrationsrechts betont, das auch gegen Störungen von Gegnern durchgesetzt werden müsse. Die Polizei sei "Garant der Versammlungsfreiheit". Maßnahmen müssten sich zunächst gegen die (linken) Störer richten. Nur im "polizeilichen Notstand" wäre ein Eingriff in die geplante (rechte) Demo zulässig gewesen. Von polizeilichem Notstand spricht man, wenn Maßnahmen gegen Störer nicht möglich oder erfolgversprechend sind.

Ob ein solcher Notstand vorlag, bezweifeln die Richter jedoch. Die Polizei habe sich nicht darauf berufen. Mit 42 Hundertschaften sei sie gut ausgestattet gewesen. Dagegen seien teilweise nur 900 Gegendemonstranten auf der "Abzugsstrecke" der Rechten gestanden.

Jedenfalls aber habe die Polizei den Notstand "sehenden Auges" entstehen lassen, ohne gegenzusteuern. Das polizeiliche Konzept sah zwar vor, rechte Demonstranten und linke Gegner auf unterschiedliche Elbufer zu verteilen. Die Polizei habe aber nichts dafür getan, dieses Konzept umzusetzen. So habe sie zum Beispiel zugelassen, dass tausende blockadewillige Linke mit Bussen in die Nähe der rechten Auftaktkundgebung fahren konnten.

An keiner Stelle erwähnt das Dresdner Urteil, dass sich auch linke Blockierer auf die Demonstrationsfreiheit berufen können. (Az. 6 K 366/10) CHRISTIAN RATH

 http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2011%2F02%2F11%2Fa0137&cHash=901ca1ac05

Letzte Veranstaltungen in NRW

Dresden Nazifrei / NRW 12.02.2011 - 13:41
Aus Nordrhein-Westfalen gibt es eine umfangreiche Mobilisierung nach Dresden. Die Plätze für die rund 20 Busse sind nahezu ausverkauft. Infos zu Tickets hier:  http://nrwdresden.blogsport.de/anreise-busse/


Es finden noch einige letzte Infoveranstaltungen statt:
# 14.02.2011 – Essen: 19 Uhr, Antifa-Abend, Hoffnungsstraße 18
# 15.02.2011 – Aachen: 19 Uhr, Linkes Zentrum, Augustastr. 69
# 16.02.2010 – Düsseldorf: 19 Uhr, Linkes Zentrum, Corneliusstr. 108