"SiKo-Demo": Eine Reflexion

scitor 07.02.2011 12:56 Themen: Antifa Blogwire Militarismus SiKo München Soziale Kämpfe
Wieder einmal jährt sich die Münchner Sicherheitskonferenz und den Autor dieser Zeilen zieht es auf die Straße. Mit dem Ansporn gegen die Widersinnigkeiten und Brutalitäten des Kapitalismus tätig zu werden, war er auch schon Teilnehmer vergangener „SiKo-Demos“. Dabei gibt es allerdings vermehrt Bedenken an der Tragbarkeit der von der Demo verkörperten Inhalte. Dass „antikapitalistisch“ nicht unbedingt fortschrittlich heißen muss und eine progressive Kapitalismuskritik eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gegenstand verlangt, ist ein Umstand der nicht ohne weiteres klar ist.
Jeder/Jedem bekanntes Beispiel für eine intuitive Kritik an den Zumutungen des Kapitalismus ist eine Kritik an der „Finanzbranche“. Der Eindruck ist, dass hier aus Gier und Lust am zocken die Wirtschaft als ganze gefährdet würde und daher eine staatliche Zügelung die zügellosen „Spekulanten“ notwendig wäre. Dies ist die verbreitete bürgerliche Meinung. In linksradikalen Zusammenhängen findet sich häufig eine ähnliche Sicht, bei der die Symptome des Kapitalismus personalisiert werden:
„Diese Personalisierung findet ihre Grundlagen in durchaus realen Unterschieden: Die Konkurrenzsituation und der Handlungsspielraum eines Kleinunternehmens sieht in der Regel ganz anders aus als bei einem Großunternehmen; zwischen Banken und Industrieunternehmen gibt es in vielen Fragen erhebliche Interessensunterschiede. Auch lassen sich genügend Beispiele finden, wie die Chefs von Großunternehmen und Banken den Versuch machen, ihre Machtpositionen auszunutzen. Doch können sich Großunternehmen genauso wenig wie Großbanken dauerhaft den Zwangsgesetzen des über den Wert vermittelten ökonomischen Zusammenhangs entziehen. Oft wird Großkonzernen, Banken und Spekulanten zum Vorwurf gemacht, dass sie einzig und allein ihren Profit im Sinn hätten. Nur: Genau darum geht es im Kapitalismus und zwar, unter dem Zwang der Konkurrenz, bei jedem Kapitalisten, ob groß oder klein.“ („ Zitat nach „Kritik der politischen Ökonomie – Eine Einführung, Heinrich“)

Eine Kritik dieser Personalisierung scheint für viele der „linksradikalen“ Demogänger_innen aber völlig indiskutabel. (Hier geht es eher um den „autonomen Teil“. Von den durchideologisierten ML-Parteien soll hier gar nicht als Teil einer linksradikalen Szene gesprochen werden)

Nun geht es bei der „SiKo-Demo“ ja nicht ganz allgemein um Kapitalismus, sondern speziell um die ominöse Konferenz. Hierbei ist in etwa folgende Sicht vorherrschend: Auf der „Sicherheits-Konferenz“ treffen sich mächtige Vertreter der „herrschenden Klasse“ und ziehen die Fäden für die Kriege in der Welt, welche sie in ihrem eigenen Interesse führen.
Dass also beispielsweise der deutsche Staat am Afghanistankrieg beteiligt ist, wird auf die angeblichen Interessen einer „herrschenden Klasse“ zurückgeführt. Der Staat wird als Instrument dieser „herrschenden Klasse“ betrachtet. Im „Manifest der kommunistischen Partei“ teilten Marx und Engels diese Sicht der Dinge noch. Im wesentlich wissenschaftlicheren und später erschienen „Kapital“ kann von dieser Sicht nicht mehr die Rede sein. Ein von Marx angedachtes Werk zum Staat hat es zwar nie gegeben, doch legen Erfahrung und theoretische Beschäftigung mit dem Thema durchaus andere Schlüsse nahe, als den Staat auf ein Instrument der „herrschenden Klasse“ zu reduzieren. Dazu wieder ein Auszug aus „Zur Kritik d. pol. Ökon. – Eine Einführung, Heinrich“:
„ [Der Staat] gewährleistet auch die allgemeinen materiellen Bedingungen der Kapitalakkumulation, sofern diese Bedingungen von den Einzelkapitalen nicht in kapitalistischer Weise hergestellt werden können, da sie keine ausreichenden Profite abwerfen. Zu diesen Bedingungen, die historisch wechseln bzw. in verschiedenen Perioden eine unterschiedliche Bedeutung haben, gehört unter anderem die Bereitstellung einer entsprechenden Infrastruktur (vor allem von Verkehrs- und Kommunikationsnetzen), von Forschungs- und Ausbildungskapazitäten sowie eines wertstabilen Geldes durch die Zentralbank. Der Staat agiert dabei, wie Engels es nannte, als „ideeller Gesamtkapitalist“, der mit seiner Politik das kapitalistische Gesamtinteresse an einer möglichst profitablen Akkumulation verfolgt. Dieses Gesamtinteresse ist nicht immer identisch mit den besonderen Interessen einzelner Kapitalfraktionen oder gar einzelner Kapitalisten, weshalb staatliche Handlungen durchaus diesen besonderen Interessen entgegenstehen können – gerade deshalb bedarf es einer eigenen, von den besonderen Kapitalien unabhängigen Instanz. Zwar gibt es immer wieder Beispiele dafür, dass Regierungen einzelne Kapitale direkt begünstigen, doch zeigt sich darin kein für den bürgerlichen Staat wesentliches, mit ihm notwendigerweise verbundenes Element. […]“

Auch hier trifft man beim „linksradikalen“ SiKo-Demo-Klientel nicht auf Verständnis. Schuld sind eben „die Herrschenden“ und ein strukturellerer Erklärungsversuch wird schnell als „antideutsch“ angegriffen.

Zusammenfassend behaupte ich also bis hierher, dass die Verheerungen des Kapitalismus von einem Großteil der „linksradikalen“ SiKo-Demo-Klientel weitgehend personalisiert werden und eine im Hintergrund stehende „herrschende Klasse“ verantwortlich gemacht wird*. Das muss kritisiert und reflektiert werden. In diesem Zusammenhang wird gerade von „antideutscher“ Seite hervorgehoben, dass dieses Erklärungsmuster „strukturell antisemitisch“ sei, dass sich also der Antisemitismus ganz ähnlicher Bilder und Vorstellungen bediene. (Im Hintergrund stehende, gierige und übermächtige Elite, die sich vor allem durch Kontrolle der „Finanzbranche“ die Welt unterjocht und nach der Weltherrschaft strebt, Einteilung in „schaffendes“ und „raffendes“ Kapital.)
„Antideutsch“ bedeutet aber für die meisten Linken noch viel mehr. So wird mit dem Namen durchaus auch eine kriegsbefürwortende, geradezu kriegseuphorische Haltung assoziiert, wenn es um von den USA (und Europa) geführte Kriege im Orient geht. Da der islamistische Terrorismus die aktuell größte ernstzunehmende, faschistoide und reaktionäre Bewegung der Welt sei und von potentiell eliminatorischem Antisemitismus durchdrungen, müsse jedwede Intervention des Westens als „praktischer Antifaschismus“ unterstützt werden.
Die berechtigte Sorge um die durchaus ernstzunehmende Gefahr durch den islamistischen Terrorismus erfährt in diesem Zusammenhang eine krude Perversion. Anstatt die Grundlagen für einen emanzipatorischen Fortschritt schaffen zu wollen - weniger Armut, mehr Bildung, kein Krieg, was im Klartext heißt: Kein Kapitalismus! - wird teilweise tatsächlich der Krieg als solcher abgefeiert. Eine Tendenz zur Subsummierung der Menschen in der islamischen Welt unter gewisse Vorurteile und Stereotype gehört ebenfalls zu dem, was mit „antideutsch“ assoziiert wird.
Wenn nun „Antideutsche“ die israelische Fahne schwenken und dies von der Linken heftig kritisiert wird, dann sehen sie darin eine Bestätigung für den Übergang vom „strukturellen“ zum „echten“ Antisemitismus, den sie häufig der gesamten linksradikalen Szene unterstellen. Was dabei außer Acht bleibt ist die verhängnisvolle Eigendynamik dieses Konfliktes. Denn wenn am Rande einer linksradikalen Demo die israelische Fahne gezeigt wird, dann verfallen die meisten Linken in einen Tunnelblick, der die entsprechenden Fahnenträger dann nur noch als kriegseuphorische Zersetzter der Linken erscheinen lässt. Die für antideutsche Texte typisch scharfe Polemik gegen linksradikale Zusammenhänge tut das Übrige. Die radikale Linke in ihrer Mehrheit ernsthaft als antisemitisch zu bezeichnen ist daher ein Schluss der auf äußerst wackligen Beinen steht.

Nichtsdestotrotz tut eine Kritik an Teilen der radikalen Linken Not, und „Antideutsche“ zeigen hier durchaus wichtige Punkte auf. Dabei sind sie manchmal erschreckend viel, manchmal kaum etwas von dem, was mit dem Namen häufig assoziiert wird. Am Rande einer Demo wie der „SiKo-Demo“ Israelfahnen schwingend die Demoteilnehmer anzupöbeln ist dabei allerdings eine bemerkenswert sinnlose politische Praxis und Garant dafür, in die am negativsten besetzte antideutsche Schublade gesteckt zu werden. Man erreicht weder eine Reflexion über die innerlinken Abgründe noch unterstützt man damit Israel oder unterbindet antisemitische Parolen. Man erreicht dafür, dass man sich mal wieder davon „überzeugen“ konnte wie wahnsinnig antisemitisch die Linke sei, weil man durch das eigene Auftreten einen Eklat auslöst. Die Eigendynamik wird nicht gesehen oder ignoriert.

Zum Schluss noch ein kurzer Bericht:
Ich war mit einem Freund am Rande der Demo unterwegs. Sowohl in der Demo als auch bei den Israelfahnen schwingenden Leute kannte ich einige Leute und bin mit ihnen befreundet. So hab ich letzteren am Ende der Demo einen Besuch abgestattet (ohne ihre Aktion toll zu finden). Gemeinsam haben wir uns in Richtung Bahnhof bewegt, bis wir von einer „linksradikalen“ „Sportgruppe“ angegriffen wurden. Falsche Zeit, falscher Ort, auf die Fresse bekommen und als rassistisch beschimpft worden... scheisse bitter. An dieser Stelle möge mir verziehen sein, dass ich in dieser Situation wohl nicht besonders hilfreich war.

P.S.: In einem Kommentar war davon die Rede, dass Parolen wie „A-A-Abschiebung“ und ähnliches gerufen wurden. Ich weis nicht ob am Rand mal irgendwo Nazis aufgetaucht sind und das wirklich zu hören war. Wenn diese Parolen aber den anwesenden „Antideutschen“ unterstellt werden ist es eine glatte und groteske Lüge.
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Ergänzungen

Wow, du hast Heinrich gelesen...

jaja 07.02.2011 - 14:25
Einfach nur langweilig! Du unterstellst den (autonomen) Demoteilnehmer_innen eine falsche und oberflächliche Kapitalismuskritik, argumentierst dabei aber ohne Gegenstand. Du glaubst zu wissen was die Leute inhaltlich vertreten, führst aber nicht aus wer das wo vertreten hat, um sie dann der standartisierten Kritik aus der Heinrich-Bibel (im übrigen eine Einführung) zu unterziehen.

Noch was: Wer von "herrschender Klasse" spricht ist nicht bei einer Personalisierung des Kapitalismus gelandet, sondern bei Klassen handelt es sich um ein Verhältnis, welches dem Kapitalismus zugrunde liegt. Eine Klassenanalyse ist eine wesentliche Basis für jede weitergehnde Kritik und bedeutet keineswegs irgendwelche einzelne Bösewichte zu brandmarken - sondern die Klassenstruktur ansich. Diese Sicht ist der subkulturellen Linken heutzutage leider abhanden gekommen, als würde sich der Wert von selbst verwerten.

Eins noch: Wer mit solchen Antideutschen wie am Wochenende, die vermutlich zu dem ekelhaftesten gehören was der antideutsche Sumpf zu bieten hat (wie du ja selber nahelegst), rumläuft, braucht sich nicht zu wundern von einer "ML-Sportgruppe" umgehauen zu werden. Find ich überhaupt nicht schlimm, wer zum provozieren einer Antikriegsdemo mir Israel-Fahnen und irgendwelchen Nonsen-Parolen am Rand steht hats halt so gewollt. Nur mit Antisemitismus hat eine solche Reaktion, das siehst du ja zum glück recht ähnlich, nix zu tun, weils eben um die bellizistische Antideutsche geht.

BaHamas?

藪木 菅太郎 07.02.2011 - 15:15
waren die Bahamiten nicht beim EDL-Aufmarsch in Luton?

Reflexion?

. 07.02.2011 - 16:07
Eine besondere Reflexion die über die Inhalte der Demo hinausgeht kann ich dem Artikel beim besten Willen nicht entnehmen. Eher würde ich ihn als Stereotyp- und Vorurteilsbeladen gegenüber einer internationalistischen Linken bezeichnen, vor allem wenn der Autor annimmt das Antideutsche "durchaus einige wichtige Punkte aufzeigen". Diese aufgezeigten "wichtigen Punkte" kann Mensch doch sehr schön dem Transparent auf dem Foto entnehmen, ansonsten ist das Gemeckere über personifizierte und wie auch immer verkürzte Kapitalismuskritik sehr viel älter als das Erscheinen antideutscher K-Gruppen auf der linksalternativen Bildfläche.

von mir mal

nachgefragt 07.02.2011 - 18:46
@ Autor, Du schreibst: In einem Kommentar war davon die Rede, dass Parolen wie „A-A-Abschiebung“ und ähnliches gerufen wurden. Ich weis nicht ob am Rand mal irgendwo Nazis aufgetaucht sind und das wirklich zu hören war. Wenn diese Parolen aber den anwesenden „Antideutschen“ unterstellt werden ist es eine glatte und groteske Lüge.

Frage, wenn Du es nicht gehört hast, aber sein kann, wie kannst Du sagen, daß es nicht von Antideutschen gerufen wurde? Du kannst also nur für Dich bestätigen das nicht gehört zu haben, also halte Dich mit weiterreichenden Kommentaren dazu zurück

hört sich

falsch an 07.02.2011 - 19:24
"Auf die Fresse bekommen" klingt so als ob alle kassiert hätten. Letzendlich warens aber 2 von den stalinistischen Stuttgartern (RAS) die ordentlich geboxt wurden.

ey

so ein kack 07.02.2011 - 19:28
Ich mag die Antideutschen auch nicht und mich kotzt ihr unbegründetes Antisemitismus Gelaber auch an. Trotzdem sollten wir bei der Wahrheit bleiben: diese komischen Parolen wurden nicht gerufen! Wieso wird denen so ein Kack unterstellt? Die sind eh scheiße, da brauchts doch keine Lügen.

@Autor: Wieso nimmst du dir es herraus so umfassend über die Teilnehmer zu urteilen?

@sorry

dresden 45 statt s21 07.02.2011 - 19:31
4 leute, willst du ne personenbeschreibung?!

die szenerie ereignete sich in der nähe des stachus als die stuttgarter die abziehenden "antid's" angriffen. dabei wurde der halbe aussenbereich des cafe verwüstet, eine person die aus stuttgart stammt(ich hab die leute am bahnsteig wieder gesehen) wurde offenbar ordentlich mit knüppelfahnen und fußtritten zugerichtet

@ nachgefragt

scitor 08.02.2011 - 08:37
Ich kann sagen dass es nicht von den Antid’s gerufen wurde um die es hier die ganze Zeit geht, weil ich sie kenn und mir schlicht sicher bin… Bin mit denen auch schon auf Demos gewesen die speziell gegen Abschiebung waren, und hab später mit denen ein Abschiebelager besucht z.B.

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ist doch gut — heinzi

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