Berlin: Wir haben es satt Demo

vega 22.01.2011 17:21 Themen: Biopolitik Soziale Kämpfe Ökologie
Subjektive Beobachtungen und ein paar Überlegungen zur Landwirtschaftsdemo in Berlin.
Der „Wutbürger“, immerhin Wort des Jahres 2010, scheint tatsächlich ein neues soziologisches Phänomen zu bezeichnen: Wieder einmal eine sehr große, erfolgreiche Mobilisierung im bürgerlichen Lager, dieses Mal zu den Themen Gentechnik, Massentierhaltung und industrielle Landwirtschaft. Der Dioxin-Skandal mag seinen Teil beigetragen haben: Unmöglich die Menschenmassen zu schätzen, die heute am Hauptbahnhof zusammen kamen, vielleicht weniger als bei der Reichstagsumzingelung anlässlich der Laufzeitverlängerung, in jedem Fall aber Zehntausende. Das Bild ist bunt, die Außenwirkung sicherlich gut, schade nur das es teilweise durch menschenleere Straßen geht.

Viele Organisationen versuchen den Trend für sich zu nutzen: Von so kruden, reaktionären Häufchen wie der Büso (verschwörungstheoretisch), PBC (fundamental christlich) und MLPD (stalinistisch) bis hin zu den etablierten, reformistischen Parteien und Verbänden wie den Grünen, der Linkspartei, dem BUND und campact. Letztere landen werbetechnisch mal wieder einen großen Coup: Sie verteilen leere Schilder, auf die die Leute ihre eigenen Forderungen schreiben und durch die Demo tragen können (an sich ja eine gute Sache) – aber mit einem dicken Logo von Campact drunter, welches so letztendlich die Präsenz und Spendengelder einheimst. Wirklich eine treffende Metapher für moderne Herrschaftsausübung. Erwähnenswert auch der campact-Lautsprecherwagen: Ungefähr mit dem Gestus eines Animateurs in einem Pauschal-Hotel wird die Menge mit Laoala-Wellen und Sprechchören angeheizt, darf mal so richtig Dampf ablassen, ohne dass sich jemensch dran stört. Währendessen geht es unbemerkt unter anderem an der kaum geschützten FDP-Parteizentrale vorbei…

Eines ist jedoch erfreulich und soll hier deutlich hervorgehoben werden: Optisch prägen diese Organisationen das Bild nicht. Ein großer Teil der Menge hat sich optisch keinem Verband und keiner Partei zugeordnet, sie führen kein Demo-Material mit, oder haben es selbst gebastelt, oder aber sie gehören einer der lokalen Initiativen an, die auf der Demo vertreten sind.

In einem Punkt sind die vertretenen Forderungen sehr widersprüchlich: Während die einen (gar nicht mal so wenige) klar gegen das Gefangenhalten und Töten von Tieren Stellung beziehen, wollen es andere „humaner“ gestalten. Ein Konfrontation zwischen diesen beiden Positionen habe ich nirgendwo beobachtet.

Ein paar hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt versucht sich eine Gruppe Nazis zwischen einige AntiSpes zu mischen. Sie werden medienwirksam abgedrängt, es fliegen ein paar (für mich nicht näher identifizierbare) Gegenstände, schließlich tauchen Hunderschafts-Bullen auf, um die Nazis von der Menschenmenge abzuschirmen. Eine sehr erfreuliche Aktion, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.
Andere zumindest faschistoide Positionen scheinen akzeptiert worden zu sein: Ein Bekannter sah ein einzelnes Plakat mit der Aufschrift „Stoppt den Holocaust an Tieren“, dass anscheinend kein Problem darstellte. Bedauerlicherweise ist es immer noch so, dass bei der Thematisierung von Missständen einige immer noch den Hollocaust und Schoah zwanghaft verharmlosen müssen. Auf der Demo schien das aber doch eher ein Einzelfall zu sein.
Bei der Abschlusskundgebung waren dann noch einige nationalistische Accessoires zu bestaunen (schwarz-rot-goldene Kühe und eine Fahne in den selben Farben). Diese wurden anscheinend geduldet, gingen optisch aber auch in der Menge verloren und waren kein prägender Teil der Demo.

Die Abschlusskundgebung wurde von einem campact-Funktionär moderiert, der ganz genau wusste welche Politiker was machen sollen – Emanzipation sieht anders aus. Die Redner (und eine Rednerin) die ich mir angehört hatte, verteidigten alle die bäuerliche gegen die ländliche Landwirtschaft, also die eine Kapitalfraktion gegen die Andere. Niemensch stellte die Frage, welches Gesellschaftssystem die industrielle Landwirtschaft denn hervorgebracht hat, ob die bäuerliche Landwirtschaft im Kapitalismus nicht auch negative Seiten hätte, niemand thematisierte den Zwang zu Verwertung und Expansion sowie die grundsätzliche Ignoranz gegenüber menschlichen Bedürfnissen, die alle Formen des Kapitalismus gemeinsam haben. Daraus resultierend wurde dann auch der Lobbyismus als eines des vermeintlichen Grundprobleme dargestellt, nicht die Tatsache, dass es Sinn und Zweck des bürgerlichen Staates ist, die Rahmenbedingungen für das Kapital herzustellen. Und so polemisierte der BUND-Vorsitzende, der sich im Gegensatz zu Anderen sicherlich einen Besuch im Bioladen leisten kann, gegen das System Lidl und Aldi, und forderte mal ganz allgemein die Systemfrage zu stellen, und mal doch nur, das System an die Leine zu legen, ohne das sich Protest regte.
Obwohl es einen Aufruf für einen anti-kapitalistischen Block gab, habe ich Positionen, die den Zusammenhang der kritisierten Missstände mit der kapitalistischen Produktionsweise thematisieren, die Verbindung zu anderen sozialen Kämpfen herstellen und die Produktions- und Eigentumsfrage stellen, schmerzlich vermisst.
Gut gefallen hat mir hingegen, dass zwei Redner von lokalen Bürgerinitiativen gegen die Schlachtfabrik in Wietze und einen Masthof bei Wittenberg zu Wort kamen. Vor einem großen Publikum, von dem sich viele wohl vor allem über den Kauf von Bio-Produkten definieren, wurden hier konkrete Probleme und Kämpfe geschildert, die fatalen Folgen dieser Projekte für Mensch, Tier und Umwelt und die Ignoranz von Staat und Kapital gegenüber den Bedürfnissen der Betroffenen. Vielen Teilnehmer_innen schien das neu zu sein, und sie waren sichtlich betroffen.
Als schließlich ein Redner angekündigt wurde, der mit auf das Verbot von Gen-Mais hingewirkt hat, ohne eine Wort über die heute noch in Deutschland existierenden Genfelder zu verlieren, die von vielen Umweltverbänden ignoriert oder befürwortet werden, weil sie als Forschungsfelder etikettiert werden, bin ich gegangen. Schließlich war es auch kalt…

Unterm Strich eine beeindruckende Mobilisierung, und eine verpasste Chance sie inhaltlich zu radikalisieren und zuzuspitzen.

Auf der anderen Seite des Brandenburger Tores war eine kleine Solikundgebung für Dissidenten im Iran. Halbmilitärische Aufstellung, ein Mensch mit Megaphon gibt die Parolen vor, die anderen brüllen sie nach. Und dann kommt ein Mensch im Hühnerkostüm von der Landwirtschaftsdemo und läuft einmal quer durchs Bild. Absoluter Kulturschock, und für mich der Höhepunkt des Tages.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Titel der Ergänzung

veganerin 22.01.2011 - 18:07
So ganz stimmt das nicht.
Die Nazis haben nicht versucht sich in den Tierbefreiungsblock zu mischen sondern der Block hat sich denen gezielt in den Weg gestellt, nachdem sie mehrere Hundert Meter in der Demo mitgelaufen sind und die Demoleitung trotz mehrfacher Aufforderung einzuschreiten nichts getan hat.

Und ja....leider liefen auch viele Menschen mit solchen Holocaustrelativierenden Schildern und Transpis mit...aber zumindest nicht im Tierbefreiungsblock...da leg ich wenigstens drauf, damit das nicht wieder vermischt wird.

Fehlerteufel

vega 22.01.2011 - 18:50
Es soll natürlich heißen: "Die Redner (und eine Rednerin) die ich mir angehört hatte, verteidigten alle die bäuerliche gegen die INDUSTRIELLE Landwirtschaft,..."

fotos von der demonstration

anton 22.01.2011 - 18:55
hier einenn fotografischen überblick der demo:

 http://www.flickr.com/photos/rassloff/sets/72157625754570557/

niemensch?

jemensch 22.01.2011 - 20:58
Niemensch? Jemensch?
Mensch oh Mensch, Mensch kann es auch übertreiben.
Ich jedenfalls esse noch etwas menschelkuchen und spiele auf meiner Menscholine bevor ich meinen Menschtel anziehe und nach Menschheim fahre.
*Kopfschüttel*

bilder wie immer zu spät

boeseraltermann 22.01.2011 - 22:58

Film: "Wir haben es satt!" von graswurzel.tv

Redaktion 23.01.2011 - 15:34
22.000 Menschen demonstrierten am Samstag, den 22. Januar in Berlin für eine ökologische und natürlichere Landwirtschaft. Unter dem Motto: "Wir haben es satt! - Nein zu Gentechnik, Tierfabriken, Dumpingexporten" setzten sie ein deutliches Zeichen. Landwirte und Aktivist_innen reisten aus dem gesamten Bundesgebiet zu der Demonstration an. Anlass war zwar der Beginn der "Grünen Woche 2011", der weltgrößten Ernähringsmesse in Berlin, beflügelt wurde sie höchstwahrscheinlich jedoch auch durch den aktuellen Skandal um Dioxin verseuchte Futtermittel. Die Teilnehmer_innen forderten eine Kehrtwende in der Landwirtschaft und eine (Rück)Besinnung auf natürlichere Anbaumethoden und artgerechte Tierhaltung.

hier der film:
 http://www.graswurzel.tv/

unterstützt die arbeit von graswurzel.tv durch einen kauf in unserem solishop:
 http://www.graswurzel.tv/solishop/dvds.php

graswurzel.tv findet ihr auch auf:

 http://bewegung.taz.de/organisationen/gwtv/ueber-uns
 http://www.facebook.com/graswurzel.tv
 http://www.twitter.com/graswurzel_tv

danke veganerin

freisein 23.01.2011 - 18:12
danke für die ergänzung.
war die berichtende person anwesend wärend der demo?

also zum einen zu behaupten das rechte pack hätte versucht sich unter den antispeziesistischen block zu mischen, ist wie schon bemerkt eine sehr falsche darstellung. dieses neonazipack hat ja wohl ganz sichtbar einen eigenen block in der demo eingenommen und der demoleitung, wie auch anderen teilnehmerinnen war es anscheinend erst mal egal. unterstellung meinerseits, aber wenn die demo trotz bekanntgabe, dass sich solche kleingeister unter den demoteilnehmerinnen befinden, startet und sie wohl auch mit diesen nasen zuende gegangen wäre, wenn sich nicht emanzipierte und antispeziesistische gruppen dagegengestellt hätten, ist traurig.
die fotos bei flickr sind dann mit black block? kammeraden? untertitelt. verdammt nenns wie es ist, neonazis und faschistinnen.

dann zu den umstrittenen plakaten, holocaustvergleiche und ähnliches, wie auch stalinistinnen sind bei solch einer demo fehl. aber wenn ich danach gehe, auch die ganze restliche demoschar, die dafür plediert, humanere lebensbedingungen für nutztiere zu schaffen. (humanere bedingungen für nichtmenschliche tiere? was soll das sein?) gehts noch? mensch komm von deinem kapitalistischen denkmuster runter, nichtmenschliche tiere als menschliches kapital- und nutzgut zu sehen. es sind fühlende lebewesen, die nicht dem menschen gehöhren, sondern nur sich selbst.
wir menschen können ohne tiere für unsere nutzen auszubeuten PRIMA leben. wieso fordern wir dann nicht ALLE dieses prima leben ein? weg mit allen formen der tierausbeutung und nicht durch irgendein gesetz, nein weil wir schlau sind und es verstanden haben.

Weitere Bilder unter

.. 23.01.2011 - 18:54

subjektive Einschätzungen und Fragen

nicht_wichtig 23.01.2011 - 22:34
...zunächst mal danke vega an dich für den etwas anderen und auch etwas kritischeren "subjektiven" Demobericht.
Mir wurden die Worte sozusagen aus dem Mund genommen und deckte sich weitestgehend auch mit meinen Beobachtungen.
Lachen musste ich bezüglich der Beschreibung des "Kulturschocks" auf der anderen Seite des Brandenburger Tors (nachdem genervt und unterkühlt abgehauen - Konzert hat mich dann eh nicht weiter interessiert), ging es mir doch ähnlich, war ich in dem Moment doch nicht in der Lage das in so passende Worte fassen.

Irritiert hat mich einiges:

Nicht nur das auf der Redner_innen-Tribüne euphemistisch von "neuer Bewegung", ausgesprochen von campact-Funktionär Christoph Bautz, die Rede war (klar, im Eigeninteresse und ohne den obligatorischen Spenden-Aufruf zu vergessen). Nein, wirklich irritiert hat mich der Redebeitrag von dem mir eher als reaktionär erscheinenden Vertreter und Bündnispartner der "neuen Ökologie-, Wutbürger- oder was auch sonst Bewegung" aus Bayern ("Zivil Courage"- Freie Bauern und Bürger AG -gegen Gentechnik").
Dieser referierte dann ungehindert etwas von "Konservatismus, der ja gut ist und den Erhalt des Bestehenden im Sinn hat" (sinngemäß) und ganz allgemein dann doch eher "nur" den Schöpfungsgedanken und den Erhalt dieser, eben jenen Schöpfung, zum Ziel hat. Weiter schienen mir seine Überlegungen nicht zu reichen.

Nun, Kampagnenpolitik ist ja eh so ´ne Sache und wohl meist auch nicht ohne Kompromisse machbar. Mir hat sich dabei aber unweigerlich die Frage gestellt, warum ausgerechnet dieser Typ auf die Rednerbühne musste. An Bündnisparter_innen hat es ja wohl nicht gefehlt (siehe eigener BUND-HP). Während hingegen durchaus politischere Redebeiträge(aus Ba-Wü?) notorisch und mit hektischem Blick auf die Uhr, nur durch energisches Auftreten zu Ende gebracht werden konnten.
Während dessen kaute im Übrigen der neue "Wutbürger" neben mir an seinem Wurstbrötchen.
Überhaupt war mir auch nicht wirklich klar, was der Bratwürstchen-Stand, von der Orga-Leitung wohl auch so gewollt, dort sollte (ich hab ja noch Witze zuvor gemacht, was uns erwarten wird).
Ich vertrete sicherlich nicht die Haltung, alle zum Vegetarismus oder gar Veganismus "bekehren" zu müssen/wollen, aber das war schon skuril in diesem Kontext.

>"Obwohl es einen Aufruf für einen anti-kapitalistischen Block gab, habe ich Positionen, die den Zusammenhang der kritisierten Missstände mit der kapitalistischen Produktionsweise thematisieren, die Verbindung zu anderen sozialen Kämpfen herstellen und die Produktions- und Eigentumsfrage stellen, schmerzlich vermisst"

den hab ich auch vergeblich gesucht, obwohl ja auch von Erwerbslosengruppen mobilisiert wurde. Ist das für die meisten kein Thema? Wäre schade zumindest.

Resümeé:
Für den Tag hatte ich jedenfalls genug und hab mich dann abends schön vor die Glotze gesetzt um mir einen Beitrag zum Thema Massentierhaltung auf 3sat anzusehen:

 http://www.3sat.de/mediathek/mediathek.php?obj=22650

Das gab mir jedenfalls wieder etwas Hoffnung, dass es nicht nur Leute gibt die "hauptberuflich" auf´m Podium stehen und von der Politik immer neue Gesetze einfordern, sondern auch diejenigen, die an der Basis und im Schlamm der herrschenden Misstände tätig sind.

















Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

Niemensch? — jemensch

@ niemensch — ich