Prozess um Uni-Hausverbot Gießen ohne Urteil
Darf eine Universtität einem kritischen Journalisten per Hausrecht das Betreten aller Unigelände und -gebäude verbieten, um unangenehme Enthüllungen über Betrug mit Fördermitteln, Schlampereien und einseitige Lehre zu verhindern? Darum ging es gestern bei einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht Gießen. Das Urteil soll in den kommenden Tagen fallen und dann schriftlich zugestellt werden.
Der Hintergrund
Geklagt hatte der Gentechnikkritiker und Buchautor Jörg Bergstedt, der bereits mehrfach in Büchern, Zeitschriftentexten und im Internet über die Hintergründe der aus Steuer- und Firmengeldern finanzierten Gentechnikforschung an Universitäten berichtet hatte. Ein Schwerpunkt waren die Gentechnikaktivitäten und -machenschaften am Interdisziplinären Forschungszentrum (IFZ) der Uni Gießen und das Gengerstenfeld, dessen Beschädigung im Jahr 2006 für ihn zu einer Gefängnisstrafe führte, die er zur Zeit in der Gießener Justizvollzugsanstalt im offenen Vollzug absitzen muss.
Seine Recherchen brachten Unstimmigkeiten zwischen Versuchsverlauf, Ergebnissen und den Beantragungen von Fördermitteln und Genehmigungen zutage. Bergstedt selbst folgert daraus, dass der Versuch illegal und eine Zweckentfremdung von Fördermitteln, also Betrug, gewesen seien. Solche Vorwürfe wies die Universitätsleitung stets zurück, wollte aber den kritischen Beobachter nicht gerne weiter hinter die Kulissen schauen zu lassen. Denn im Zuge seiner Recherchen hatte Jörg Bergstedt in der Agro-Gentechnikhochburg der Uni, dem eigentlich mal zu Umweltzwecken gebauten IFZ (Interdisziplinäres Forschungszentrum für Umweltsicherung) immer mal wieder die Auslagen und Aushänge fotografiert. Dort dokumentiert sich eine sehr einseitige Sichtweise: Konzerne und Lobbyverbände legen ihre Propaganda pro Gentechnik und gegen die GentechnikkritikerInnen aus. Sonst niemand.
Irgendwann während seiner Streifzüge durch die Uni wurde er dabei gesehen. Prof. Imani, am Gengersteversuch beteiligt und mit seiner Stelle von den dafür vergebenen Geldern abhängig, versuchte ihn mit körperlicher Gewalt wegscheuchen, was eine verbale Auseinandersetzung provozierte. Der – eigentlich eher harmlose – Vorgang führte am 8. April 2009 zu einem Hausverbot in allen Uni-Gebäuden und auf allen Uni-Grundstücken. Die bilden in Gießen, der Stadt mit dem höchsten prozentualen Anteil an StudentInnen in Deutschland, einen beträchtlichen Teil der Stadt. Der heutige Universitätspräsident (damals noch Vize) wies zudem alle Unibereiche an, beim Auftauchen der unerwünschten Person stets sofort die Polizei einzuschalten.
Hausverbot und Klage
Nun wurde das Ganze vor dem Verwaltungsgericht Gießen ausgetragen. Ungefähr 15 BesucherInnen schauten sich eine einseitige Verhandlung an. Vorgetragen wurde wenig, weil schon vorher in umgangreichen Schriftsätzen das Wichtigste ausgetauscht wurde. Der Ablauf im Vorfeld:
- Dem Hausverbot folgte der Widerspruch und die erste Klage. Dann zog die Uni plötzlich das Hausverbot zurück und machte ein Neues - offenbar fanden sie ihr erstes Verbot selbst nicht mehr so gut formuliert. Dadurch ging alles von vorne los:
- Am 1.12.2009 veränderte die Uni das Hausverbot. Die Begründung und der beschriebene Ablauf sind verändert - offenbar nun daran angepasst, was vielleicht rechtlich besser hält ... Wirklichkeit verändert sich, wenn ein Gerichtsverfahren droht ... ++ Widerspruch am 24.12.2009 ++ Widerspruch wird abgewiesen am 1.6.2010 ++ Verwaltungsgerichtsklage am 12.6.2010
- Doch - wie so oft - die Gerichte stellten sich schnell auf die Seite der Stadt-Eliten und lehnten selbst die Prozesskostenhilfe wegen Aussichtslosigkeit ab. Inzwischen hatten die Uni-Apparate umfangreiche Märchen zusammengestellt, was alles passiert sein soll - und das Gericht argumentiert: Wenn die das sagen, wird es auch stimmen (merke: Eine Hand wäscht die andere ... so lautet der wichtigste Spruch informeller Eliten). Jedenfalls: Ablehnung Prozesskostenhilfe am 17.9.2010 ++ Beschwerde dagegen am 26.9.2010 ++ Bestätigung durch das Oberlandesgericht am 30.9.2010
- So ging also der Ablauf vor Gericht ohne Prozesskostenhilfe weiter: Die Uni erwiderte auf die Klage, dazu nahm der Kläger wiederum Stellung - zudem verfasste er nochmal eine Zusammenfassung seiner Sichtweise kurz vor dem Verhandlungstermin vor Gericht, der dann am 17. Januar 2011 (12.45 Uhr) folgte.
Der Verhandlungsverlauf aber war unspektakulär. Die Universität wurde von einem Herrn Lehmann vertreten, der aber zu allen Punkten nichts sagen wollte und immer nur auf die schriftlichen Unterlagen, vor allem die Vorabbeschlüsse verwies. Jörg Bergstedt trug noch ein paar Punkte vor, die zu Protokoll genommen wurden. Der Richter war freundlich und verkündete dann, dass er das Urteil zuschicken würde. Einige waren ganz optimistisch nach dem Verlauf, andere, darunter der Kläger, verwiesen auf die Macht der Universität in der Stadt Gießen und das Prinzip "Eine-Hand-wäscht-die-andere" in den Funktionseliten. Dass der Richter so freundlich war, könne auch an der Menge der ZuschauerInnen und fehlenden Wachleuten gelegen haben. Dazu würde auch passen, dass er das Urteil lieber schriftlichen verfassen wollte.
Wiederholungstäter Uni
Der Umgang mit Meinungs- und Pressefreiheit ist an der Gießener Uni nicht das erste Mal recht bedenklich. Als am 31.3.2008 das Gengerstenfeld besetzt wurde, sperrte der die Universität alle gentechnikkritischen Seiten an Uni-Rechnern (siehe Bild). 2006 hatte sie gegen einen Journalisten, der die Feldbefreiung aus sicherer Entfernung fotografierte, sogar Strafanzeige erstattete.
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Ergänzungen
Nachfrage
urteil folgt schriftlich
Freundliche Gerichte
Anders als beim Amtsgericht hat man bei der Verhandlung vor einer Kammer des Verwaltungsgerichts aber auch - wenn man darauf nicht verzichtet - ehrenamtliche Richter am Start und vielleicht steht nicht nur in dem Leitfaden für ehrenamtliche Richter in Hamburg (kann man auf der Internetseite verwaltungsgericht.hamburg.de herunterladen), dass das Gericht wegen der Disparität zwischen Bürger und Behörde sich viel Mühe geben soll. Dort steht sogar, dass der Zweck der ehrenamtlichen Richter gerade darin bestehe, die Belange auch aus Sicht des Bürgers zu berücksichtigen.
urteil: Natürlich verloren!
Erwartungsgemäß wurde mein Hausverbot an der Universität Gießen gerichtlich bestätigt. Der Richter hatte von Beginn an im Verfahren auf der Seite der Uni gestanden und das auch deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil schwach begründet. Die Uni dürfe halt machen, was sie wolle. Pressefreiheit gelte nicht immer – warum da nicht, begründet das Gericht allerdings nicht.
Der für einige ZuhörerInnen positive Verlauf der Verhandlung dürfte mehr mit der für ihn überraschend hohen ZuschauerInnenzahl und fehlendem Wachpersonal zu tun haben. Dass er das Urteil schriftlich zuschickte, hatte sicherlich auch darin seinen Grund. Denn formuliert hatte er es sicherlich schon vorher. Vom Gerichtsprozess ist nichts erkennbar in den Wortlaut eingeflossen. Stattdessen sind weitgehend wörtlich die Vorentscheidungen einfach übernommen worden. Link zum Urteil: www.projektwerkstatt.de/gen/giessen/vg110117urteil.pdf.
Presseinfo des Verwaltungsgerichts selbst (deren Hilfe für die Obrigkeit scheint denen richtig wichtig zu sein ...): http://www.vg-giessen.justiz.hessen.de/irj/VG_Giessen_Internet?rid=HMdJ_15/VG_Giessen_Internet/sub/f15/f1550e82-2195-ed21-f012-f31e2389e481,,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm
Auf Legal Tribune online: http://www.lto.de/index.php/de/html/nachrichten/2466/vg-giessen-keine-verletzung-der-pressefreiheit-durch-hausverbot/
Urteil vom 17. Januar 2011, Az.: 4 K 1800/10.GI