Schwere Schlappe für den Verfassungsschutz

Antirepressionsgruppe Geheimdienste auflösen 21.12.2010 22:47 Themen: G8 Heiligendamm Repression
Dreieinhalb Jahre nach Heiligendamm erleidet der Verfassungsschutz eine schwere Schlappe. Ein freier Journalist erreichte vor Gericht die Einstellung seiner geheimdienstlichen Beobachtung und Löschung seiner VS-Akte.
Eine weitere herbe Niederlage musste das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfVS) auch bei der zweiten Klage des freien Journalisten Friedrich Burschel gegen seine Beobachtung durch das Amt einstecken. Hatte das Verwaltungsgericht Köln schon im Frühjahr 2009 festgestellt, dass das BfVS rechtswidrig gehandelt habe, als es bei der Akkreditierung zum G8-Gipfel in Heiligendamm gegenüber dem Bundespresseamt ein Negativvotum über Burschel abgab (Az 20 K 1505/08), muss es nun auf „Vorschlag“ wiederum des VG Köln alle Daten, die es über ihn gesammelt hat, löschen und die Beobachtung einstellen (20 K 6678/09).

Dreieinhalb Jahre nach dem auslösenden Ereignis in Heiligendamm im Juni 2007 musste das Bundesamt nun komplett die Segel streichen: die Stigmatisierung des Klägers zum gefährlichen „Linksextremisten“ fiel vor Gericht wie ein Kartenhaus zusammen. Bei beiden Klagen hatte Burschel von der Gewerkschaft ver.di Rechtsschutz und Rückendeckung erhalten, immerhin ging es bei den Verfahren auch um die Rechte auf freie Berufsausübung aller journalistisch arbeitenden Kolleg_innen.

Ausgehend von einem strittigen Artikel aus dem Jahr 2000 – es ging um den letzten (Kronzeugen-)Prozess gegen Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ Anfang des zurückliegenden Jahrzehnts – hatte das Bundesamt mit der Beobachtung des Journalisten Friedrich Burschel begonnen und emsig Material gesammelt. Dieses Material, das auch zum ablehnenden Votum gegen den freien Journalisten im Heiligendammer Akkreditierungsverfahren führte, stand nun am 9.12.10 vor dem VG Köln zur Debatte. Die wenig souverän agierenden Vertreter des BfVS hatten etliche Publikationen des Klägers in linken Zeitschriften aufgelistet, in denen es in zum Teil zugespitzter Diktion um Antirassismus, staatlichen Rassismus, Antifaschismus und Antirepression ging. Außerdem hatte das Amt aus zahlreichen Demonstrations-Anmeldungen des Klägers einige herausgepickt, die ihm schlagend dessen Gefährlichkeit zu dokumentieren geeignet schienen, u.a. einen Ostermarsch in Weimar, antirassistische Camps der Kampagne „kein mensch ist illegal“ und eine Antifa-Demonstration in Gera. Dazu lieferten sie eine dünne, holzschnittartige Einschätzung von „Linksextremismus“, der eine höchst umstrittene, wissenschaftlich fragwürdige Extremismus-Doktrin zugrunde liegt, die momentan von Amts wegen und auf Regierungsebene bundesweit gegen linke Aktivitäten in Anschlag gebracht wird.

Eine nüchtern argumentierende Kammer hinterfragte den Sammeleifer des Amtes von Beginn der Verhandlung an sehr deutlich und stellte die womöglich zugespitzten und provokativen Texte des Klägers und seine Handlungen im Rahmen des Demonstrationsrechts dezidiert unter den grundgesetzlichen Schutz der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Einzig der strittige Artikel aus dem Jahr 2000, den auch das Gericht als bedenklich einstufte und dessen Löschung der Kläger auch nicht beantragt hatte, mochte das Gericht als Auslöser von geheimdienstlicher Tätigkeit akzeptieren, wies jedoch darauf hin, dass dessen Veröffentlichung nun auch 10 Jahre zurückliege und kaum weiter Anlass geben könne, den Kläger zu beobachten oder in seiner Tätigkeit einzuschränken. Um eine Verurteilung des BfVS im Sinne der Klage zu vermeiden, riet ihm das Gericht freiwillig ausnahmslos alle über Burschel in Papierform und in elektronischen Dateien gesammelten Informationen zu löschen und seine Beobachtung einzustellen. Diesem Vorschlag „mochte“ sich das Amt „denn auch nicht verschließen“.

Rechtsanwalt Alexander Hoffmann aus Kiel zeigte sich überaus zufrieden mit der „Einigung“ und wertet Burschels Durchmarsch als Anreiz für andere Personen – nicht nur Journalist_innen –, die von einem amtlichen „Linksextremismus“-Vorwurf betroffen und in ihrer Freiheit eingeschränkt sind, gegen diese Stigmatisierung vorzugehen. Zahllose Beispiele belegten (z.B. die Antifaschistische Zeitschrift für NRW LOTTA u.a.), dass das BfVS und auch viele Landesämter schlampig und inkompetent arbeiteten und auf sehr dünnem Eis, jedenfalls nicht gerichtsfest gegen Linke argumentierten, ergänzt Burschel diese Einschätzung.

Informationen zu beiden Verfahren unter  http://anwalthoffmann.de/index.php?img=33&pro=28
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Etwas dick aufgetragen

TAZ-Leser 22.12.2010 - 10:53
Laut des TAZ-Berichtes hat das Gericht lediglich eine Empfehlung ausgesprochen, dem das BfVS auf freiwilliger Basis gefolgt ist.

Zitat: "[...] Dieselbe Kammer empfahl jetzt dem Amt, sämtliche über Burschel gesammelten Daten zu löschen und seine Beobachtung einzustellen. Dieses nahm den Vorschlag an [...]."

Das als riesige Schlappe des VS zu bezeichnen, ist etwas weit hergeholt, meint Ihr nicht ?

*hust*

@TAZ-Leser

kenner 28.12.2010 - 18:43
D.h. der VS hat nur die Wahl zwischen juritischer Niederlage und den angenommen Vergleich. Was aber vermutlich trotzdem heißt, dass der VS für die Kosten des Verfahren aufkommen muss.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 3 Kommentare an

Um was geht es? — Roland Ionas Bialke

ziemlich — antonius

VS — anonymous