Ermittlungen als Schuldbeweis

Übersetzer 21.12.2010 20:04 Themen: Repression Weltweit
Eine Übersetzung des Briefs von Kostas Mparlis, der zusammen mit Christos Polits festgenommen wurde.
Christos Politis wird der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt.
Die Übertragung erfolgte aus dem Englischen von:  http://athens.indymedia.org/front.php3?lang=el&article_id=1240561
Ermittlungen als Schuldbeweis – Über die Verhaftung des Anarchisten Christos Politis

Am Samstag den 4. Dezember bekamen wir, als wir mit unserem Genossen und Freund Christos Politis in einem Cafe in Exarchia saßen, einen Hollywood-reifen Polizeieinsatz mit. Auf die harte Tour sollten wir bald herausfinden, dass wir darin Hauptrollen spielen würden.
Während wir mit einigem Unbehagen etwa 20 bis 30 Polizist_innen beobachteten, die in unserer Nähe standen und in die andere Richtung sahen, entschieden wir uns, dass es besser wäre zu gehen. Doch zu meiner Überraschung bewegten sie sich auf Christos zu und als ich mich auf die Situation zu bewegte um mitzubekommen, was da passiert, kamen sie auch auf mich zu. Wir mussten uns an die Wand stellen; auf unsere Fragen, was das alles soll, bekamen wir keine Antworten. Unter Protesten von einigen Leuten, die in der Gegend arbeiteten oder sie besuchten, führten sie uns – unsere Hände hinter unserem Rücken mit Handschellen befestigt – zurück auf die Akademia-Straße. Wir wurden in ein Polizeiauto gesetzt und unter der Begleitung eines lauten Motorradkonvois zum Hauptquartier der Athener Polizei (GADA) gebracht. Auf dem Weg hielt ein Polizist mit seinem Motorrad neben unserem Autofenster an, rief uns bei unseren Familiennamen und teilte uns mit, dass wir für eine ganze Menge bezahlen würden...
Als wir dort (GADA) angekommen waren, führten sie uns, auf Befehl eines „Chef“, in den 12. Stock in getrennte Räume. Ich wurde, mit den Händen auf dem Rücken gefesselt, das Gesicht in Richtung der Wand, in einen leeren Raum gestellt, während drei Vermummte auf mich aufpassten. Auf meine wiederholten Fragen, warum ich hier sei und ob mir etwas vorgeworfen würde, sagten sie nur „Das wirst du schon sehen“ und „Wenn dir etwas vorgeworfen wird, bist du der Erste, der es erfährt“. Sie durchsuchten mich zum x-ten Mal von Kopf bis Fuß, schrieben penibel auf, was ich dabei hatte, steckten es in Nylon-Tüten und brachten es weg.
Während so die Zeit verging und ich immer noch keine Antworten bekam, hörte ich irgendwann in der Nacht, wie in einer Nachrichtensendung, die irgendwo in der Nähe lief, über Festnahmen von Männern und Frauen, Schusswaffen, Sprengstoff, Terroristenverstecke und so weiter berichtet wurde. Das Szenario, das schon Stunden vor unserer Festnahme konstruiert wurde, bekam langsam Formen.
Als ich später, immer noch gefesselt, die Wand anstarren musste, beraubt von jeglicher Kommunikation und ohne irgendjemandem ins Gesicht sehen zu können, verlangte ich Stuhl um mich hinsetzen zu könne, den ich auch bekam. Einige Stunden später hörte ich von außerhalb meines Raums einige Leute sagen, jetzt wollten sie mich sehen. Die Tür öffnete sich und meine vermummten Bewacher drehten mich in Richtung der Tür um und gingen weg. Ihr Platz wurde von anderen eingenommen, die mich zu verhören versuchten. Auf ihre typischen Phrasen, ihren Vorschlag, eine Unterhaltung zu führen „die mir in meiner momentanen Situation helfen könnte“ oder in der ich „Erklärungen, die meine Lage verbessern könnten“ abgeben könne, antwortete ich nur, dass ich wissen wolle, ob ich einer Straftat bezichtigt werde und dass ich mit meinem Anwalt sprechen wolle oder ansonsten freigelassen werden möchte. Nachdem ich eine Weile auf diesen Forderungen beharrte, sagten sie „Er kooperiert nicht“ zueinander und verließen den Raum. Stattdessen betraten ein maskierter und ein „freundlicherer“ Typ das Zimmer, der mir vorschlug mein Gesicht nicht in Richtung der Wand zu drehen und sich stattdessen ein bisschen zu unterhalten. Ich gab ihm die selbe Antwort und drehte mich selbst in Richtung Wand. Einige Stunden später hörte ich Stimmen, die „Er kann jetzt gehen“ sagten. Sie kamen rein, nahmen meine Handschellen ab und sagten: „nimm deine Sachen, du kannst gehen“. Als ich meine Sachen zusammensuchte, fragte ich wiederholt nach Christos, worauf sie mir mitteilten, dass er weiter festgehalten werde.
Trotz meiner 16-stündigen Unannehmlichkeiten, begannen die eigentlichen Unannehmlichkeiten erst als ich das Präsidium verließ. Während der Anwalt nicht herausfinden konnte, ob Christos für irgendetwas angezeigt worden war, fand ich heraus, welche Angriffe die Medien während meiner Festnahme auf mich gestartet hatten. Ich erfuhr ich sei „gewalttätig“, „blutdürstig“, „ruchlos“ und vieles mehr, zumindest laut der Medien. Als ich nach Hause kam wurde mir klar, dass nicht nur mein Haus ohne Zeug_innen, außer der anwesenden Polizist_innen, durchsucht wurde, sondern dass auch noch mein Schloss ausgetauscht worden war. Und während ich das alles noch zu verarbeiten und herauszufinden versuchte, was aus meiner Wohnung fehlt, bekomme ich (wieder über die Medien) mit, dass mein Genosse Christos Politis (offensichtlich ohne Beweise) angeklagt ist, einer bewaffneten Gruppe, ohne Namen und näher spezifizierte Tätigkeiten, sei. Als am folgenden Tag die Verhafteten vom Samstag dem Gericht vorgeführt wurden, fand eine Solidaritätskundgebung statt. Einige Anwälte informierten mich über die „atemberaubenden“ Funde aus meiner Wohnung: alte Fotos, Bücher, ein Messer in einem schwarzen Holster mit der Aufschrift „Kreta“, meine Computer und eine Haarsträhne, die wahrscheinlich mitgenommen wurde, um zu beweisen, dass ich mir die Haare geschnitten habe und nicht, weil der Staat gerne meine DNA haben möchte. Nachdem ich das Gericht verlassen hatte, warteten Polizist_innen bei meinem Motorrad. Die hielten mich an, durchsuchten mich und auf meine Frage „Und jetzt?“, teilten sie mir mit, sie müssten noch einmal mit mir reden. Nach einigen Minuten hatten sich einige Genoss_innen um mich versammelt und sie ließen mich gehen. In den folgenden zwei Tagen blieb Christos inhaftiert: ein plastischer Beweis, dass es keine Beweise - außer der durch die Anti-Terror-Einheit an die Presse gestreute Hetze - braucht, um jemanden in Gewahrsam zu halten.
Je weniger existent die Beweise wurden, desto schamloser wurden die Lügen der Presse. Ich sei definitiv Mitglied terroristischer Gruppen und „zur Zeit auf freiem Fuß“, mein Haus ein Terrornest und die Anti-Terror-Einheit beginge einen Fehler, mich frei herumlaufen zu lassen. Fotos meiner Genoss_innen wurden abgedruckt und diese, völlig aus der Luft gegriffen, als Mitglieder irgendwelcher anderer Gruppen bezeichnet und Haftbefehle über Nachrichtensendungen verbreitet. Was eh jeder weiß, wurde offensichtlich: dass die blutdurstigen, ruchlosen Kannibalen und Schergen des Systems die Journalist_innen sind, die solchen Mist immer wieder reproduzieren.
In einer Phase politischer, sozialer und finanzieller Krise, in der die Sicherheiten des System kollabiert sind und alles möglich scheint, wird die Bewegung durch die Unterdrückung des Staates gegen den Feind im Inneren, auf alle sozialen Schichten ausgedehnt. Kriminalisierte der Staat in der jüngeren Vergangenheit mangels Beweisen noch persönliche Beziehungen und Freundschaften, hat er jetzt damit begonnen, diese erst zu schaffen, um sie kriminalisieren zu können.
Und während der Staat sich entschieden hat, seine politischen Feinde mit der Konstruktion von Schuldigen und Verdächtigen zu bekämpfen, haben die Journalist_innen sich für die Drecksarbeit von Verleumdung und sozialer Isolation der Betroffenen entschieden.
So weit es mich betrifft, erkläre ich, dass ich Anarchist bin und dass die einzige „Gruppe“, an der ich seit Jahren aktiv mitarbeite, die der sozialen Kämpfe ist, die für Freundschaft, Solidarität mit den Unterdrückten und Kämpfenden, Selbstorganisation, horizontale Strukturen, Zusammenstöße für die Aufhebung von Staat und Kapital und die Freiheit von uns allen steht.

BACK OFF RUFFIANS – GO FORTH COMRADES
FREEDOM TO CHRISTOS POLITIS
FREEDOM TO ALL PRISONERS UNTIL THE LAST JAIL COLLAPSES

Kostas Mparlis
16/12/2010

Übersetzung: 21/12/2010
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