Dannenberg: Diktatur im Gerichtssaal

kobra____antirepressionsplattform 21.12.2010 18:44 Themen: Atom Repression

In den vergangenen Monaten haben sich AktivistInnen immer häufiger vor Gericht gegenseitig als VerteidigerInnen unterstützt. Dafür haben sie Schulungen und Trainings durchgeführt, inzwischen sind auch mehrfach solche Verfahren mit Laien-VerteidigerInnen gelaufen - eine ganz neue Variante von Selbstbestimmung in politischer Bewegung. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg und die Gerichte in Dannenberg und Lüneburg wollen dem jetzt einen Riegel vorschieben. Dabei achten sie ihre eigenen Gesetze nicht. Es ist ein spannender Präzedenzfall, ob Selbstverteidigung vor Gericht eine Zukunft hat oder nicht. Es geht dabei auch um die Selbstbestimmung politischer Aktion!

Seit Sommer 2010 lief in Dannenberg ein Prozess gegen die Kletteraktivistin Cécile Lecomte. Es ging um Hausfriedensbruch und Widerstand am Atommüllzwischenlager in Gorleben. Doch das ist nun zum Nebenthema geworden. Staatsanwalt Vaupel und Richter Stärk haben den Verteidiger der Aktivistin aus dem Verfahren geworfen - dann die gesetzlich vorgesehene Pflichtverteidigung abgelehnt und auch einen neuen vorgeschlagenen Verteidiger nicht zugelassen. Die Begründungen sind überwiegend sehr einfach als Lüge zu entlarven, denn vor allem beim Rauswurf des schon drei Verhandlungstage anwesenden Verteidigers werden beide, Richter wie Staatsanwalt, dem Verteidiger Verhaltensweisen vor, die erstens kein Rauswurfgrund wären sind und zweitens gar nicht passiert sein können, weil er zum angegebenen Zeitpunkt noch gar kein Prozessbeteiligter war. Tatsächlich geht es auch um etwas Anderes: Erstmal gegen die RobenträgerInnen gegen Menschen vor, die sich vor Gericht selbst verteidigen und dabei auch gegenseitig helfen. Die Justiz hat nämlich selbst klar: Wenn politische AktivistInnen zukünftig nicht mehr unter der Fuchtel von rechtsstaatskonformen AnwältInnen und Rechtshilfegruppen stehen, wird es für sie ungemütlicher ...

 

Was wird verhandelt

Das Ereignis liegt über zwei Jahre zurück und wirkt eher wie eine Lapalie. Im Rahmen einer Demonstration vor dem Atommüllzwischenlager Gorleben spielten AktivistInnen Volleyball mit Kiefernzapfen (so sagt es die Gerichtesakte) über einen Zaun, der die Rasenflächen vor dem eigentlichen Zwischenlager schützen soll. Der Polizei war das eine Festnahme und mehrere Platzverweise wert - letzteres geht zwar nach Versammlungsrecht gar nicht, aber wer das Recht hat, hat die Faust dazu.

Da Cecile, seit Jahren im Fokus übereifriger Polizei, an der Handlung beteiligt war, bekam sie auch gleich ein Verfahren. Tatvorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Hausfriedensbruch. Schon ein Blick in die Akte zeigt, dass selbst das Ermittlungsergebnis der Polizei auf „kein Widerstand“ lautet. Doch Staatsanwalt Vogel, zuständig für die Verfolgung unerwünschter politischer Betätigung zwischen Lüneburg und Wendland, machte die Vorgänge am Rande einer Demonstration vor dem Atommülllager Gorleben trotzdem zu einer Anklage. Richter Stärk, auch während aller Verhandlungstage nur ein williger Vollstrecker der Vorschläge des Staatsanwaltes, ließ die Anklage zu. Nach Demütigungen durch den Staatsanwalt, der sichtbar voller Hass der Angeklagten gegenübertrat, und der Verweigerung einer vollständigen Akteneinsicht, beantragte Cecile Lecomte einen Verteidiger. Ausgewählt hatte sie den ebenfalls wegen vieler politischer Aktionen immer wieder verfolgten, daher aber inzwischen rechtskundigen Jörg Bergstedt. Staatsanwalt Vogel fand damals keinen Weg, das zu verhindern – und so saß fortan an Duo auf der Anklagebank (siehe Gerichtsprotokoll vom 13.9.2010). Jörg Bergstedt als Laienverteidiger war offizieller Prozessbeteiliger und "Organ der Rechtspflege" - eine sehr notwendige Tätigkeit, denn mit dem Recht haben es die RechtssprecherInnen dieses Landes ja oft nicht so. Das war in Dannenberg nicht anders ...
Nun war der Verteidiger wegen einer Feldbefreiung an einem Gengerstenfeld in Gießen aber vor Längerem selbst verurteilt und musste, nachdem ihn am 16. die entsprechende Ladung erreichte, am 23.9.2010 in Gießen seine sechsmonatige Haft antreten. Da er im offenen Vollzug untergebracht war, schien die Verteidigung von Cecile aber weiter möglich. Die Angeklagte teilte dem Gericht am 24.9. (also einen Tag später) mit, dass Ihr Verteidiger in Haft sitze und für einen Urlaub zwecks Teilnahme am Prozess eine Ladung in den Knast brauchte. Die Staatsanwaltschaft stimmte dem am 30.9.2010 sogar ausdrücklich, wusste also nachweislich von der Inhaftierung und hatte "keine Bedenken", die Teilnahme des Verteidigers am Prozess trotzdem zu ermöglichen. Am 6.10.2010 schickte das Gericht die Ladung mit Adresse des Knastes an den Verteidiger - im Briefkopf sogar fälschlich als "Rechtsanwalt" benannt.

Ab 22. November 2010 musste das Verfahren wegen anderer Gründe neu aufgerollt werden und Staatsanwalt Vogel merkte schnell, dass er mit seinen hanebüchenen Anklagen nicht mehr durchkommen würde. Am 3. Dezember zog er schließlich die Notbremse und forderte den Rauswurf des Verteidigers aus dem Prozess. Die dafür nötigen Gründe nach der Strafprozessordnung konnte er nicht finden, daher beantragte er die nachträgliche Zurücknahme der Zulassung. Fast drei Monate nach Beginn der Verteidigertätigkeit sollte diese „irrtumsbedingt“ erteilt zurückgenommen werden (Indymediabericht). Das Gericht kam dem Willen der Staatsanwaltschaft wie selbstverständlich nach. Der Beschluss wimmelt von freien Erfindungen über irgendwelche Anträge, die es nie gab, verlorener Vertrauenswürdigkeit usw. Er verdeckt damit, worum es geht: Die Verteidigungsfähigkeit der bei der Staatsanwaltschaft verhassten Angeklagten soll so herabgesetzt werden, dass eine Verurteilung trotz absurder Anklage möglich wird.
Die ganzen Absurditäten dieses Rauswurfs mitsamt den hanebüchenen Begründungen füllen mehrere. Der betroffene Ex-Verteidiger fasste all das in seiner 9-seitigen Beschwerde zusammen und schickte sie an das Gericht. Zudem zeigte er den Richter wegen Rechtsbeugung, übler Nachrede und falscher Verdächtigung an, denn der hatte dem Verteidiger unterstellt, sich das Verteidigermandat "erschlichen" zu haben.

 

Worum geht es?

Staatsanwalt Vogel geht es nicht nur um die Angeklagte Cecile Lecomte und den Sieg im laufenden Prozess, sondern auch um das Prinzip, wer im Gerichtssaal das Sagen habe. Denn immer häufiger haben sich in den letzten Monaten angeklagte AktivistInnen vor Gericht selbst verteidigt und gegenseitig geholfen. Sie haben sich in Trainings und Schulungen selbst das Fachwissen um Straf- und Prozessrecht angeeignet und stellen nun vielerorts Gerichte und Staatsanwaltschaften, die gewohnt sind, mit Schnellverfahren und der Verweigerung prozessualer Rechter einfache Verurteilungen zu erreichen, vor große Probleme. Der offensive, aber formal immer korrekte Gebrauch von Rechten der Angeklagten, ist aber offenbar denen ein Dorn im Auge, die Opposition einschüchtern oder auch nur Prozesse durchziehen wollen, wie andere am Fließband arbeiten. Der Rauswurf des Verteidigers in Dannenberg und – wenige Tage später – in Lüneburg sind der Versuch, die Diktatur der RobenträgerInnen im Gerichtssaal wieder durchzusetzen. Vorher kam es schon zu mehreren anderen Rechtsbrüchen bei der Verweigerung der gesetzlich vorgeschriebenen Akteneinsicht und mehreren demütigenden Beleidigungen des Staatsanwaltes gegenüber der Angeklagten, die auch vom Lüneburger Polizeichef schon öffentlich als „krank“, „nervig“ und „Störfaktor“ bezeichnet wurde.
RichterInnen und StaatsanwältInnen brauchen sich, so der Vorwurf des Ex-Verteidigers Bergstedt, nicht an Recht und Gesetz halten, weil sie selbst die Instanz seien, die deren Anwendung definiert. Er wird gegen seinen Ausschluss Rechtsmittel einlegen – im Zweifel bis zum Verfassungsgericht, welches dann prüfen muss, ob Gerichte auch offiziell als Räume der Willkür zu werten sind, also „Faustrecht in Paragraphenform“, wie die Betroffenen die Rauswürfe werten.

 

KeinE neueN VerteidigerIn zugelassen

Die Angeklagte beantragte nach dem Rauswurf eine neue Person als Verteidiger. Der Beschluss dazu wurde am 20.12. verkündet. Angesichts des bisher gezeigten Willens von Gericht und Staatsanwaltschaft, die Verteidigungsfähigkeit der Angeklagten mit allen, auch unerlaubten Mitteln herabzusetzen, war mit einer Ablehnung zu rechnen. Die kam auch. Jetzt wurde der Anspruch an Fachkunde so hochgeschraubt, dass nichts mehr ging (siehe Abbildung). Auch hiergegen wird Beschwerde eingelegt werden. Das Ganze hat einen wichtigen, grundsätzlichen Charakter.

 

Aufruf zur Gründung eines LaienverteidigerInnen-Netzwerkes!

Zur Zeit diskutieren einige derer, die schon vor Gericht als VerteidigerInnen aktiv waren, die Gründung eines Netzwerkes von Laien-VerteidigerInnen: „Es wird Zeit, dass sich Menschen in ihre eigenen Angelegenheiten mehr einmischen“, begründet der jetzt in Dannenberg ausgebootete Jörg Bergstedt das Vorhaben. Leider würden auch in politischen Bewegungen allzu oft vorgegebene Rollenverteilungen reproduziert. Engagierte AnwältInnen sehen die AktivistInnen mit Jurawissen nicht als Konkurrenz: „Wir wünschen uns eine gute Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe beim gemeinsamen Ziel, die Herrschenden zu hindern, Opposition in Gerichtssälen kleinzumachen!“. Startpunkt könnten Austauschtreffen sowie Schulungen zur Selbstverteidigung und zur Verteidigung anderer im Frühjahr sein. Wer Interesse hat, kann sich bei Jörg im Gießener Knast melden: Brief an Jörg Bergstedt, c/o JVA, Gutfleischstr. 6 in 35390 Gießen oder, was aber nur alle paar Tage nachgesehen wird, eine Mail an kobra@projektwerkstatt.de.

 

Der Prozess gegen Cecile Lecomte wird am Montag, den 10.1., um 9.30 Uhr am Amtsgericht Dannenberg fortgesetzt.

  • Internetseite mit Tipps zur Selbstverteidigung vor Gericht: www.prozesstipps.de.vu
  • Az. des Verfahrens beim Amtsgericht Dannenberg: NZS 11 Cs 5103 Js 30702/08 (235/08)
  • Infoseite der Angeklagten
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Ergänzungen

Zur Frage

jb 25.12.2010 - 19:22
Der Begriff polemisiert die Abweichung vom Rechtsstaat durch Personen, die sich über dem Recht sehen. Das ist das Kennzeichen der Diktatur. Diktaturen haben ja auch Gerichte, Polizei ... aber es gibt personen, die darüber stehen. In Dannenberg haben sich Staatsanwaltschaft und Richter kein Stück mehr an die Strafprozessordnung gehalten, weil RichterInnen das ja auch nciht müssen, weil sie ja diejenigen sind, die definieren, was da drin steht. Vorlesen hilft da nix.

Jörg

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