Filmkritik "Exit Through The Gift Shop"

(maximal 45 Zeichen) 20.12.2010 04:56 Themen: Freiräume Kultur Medien
„Exit Through The Gift Shop“ ist ein Film über Streetart, der vor einiger Zeit im Kino lief und mittlerweile auf einschlägigen Internetseiten zu sehen ist. Er wird als „Banksy-Film“ gehandelt, obwohl Banksy selbst nur eine – wenngleich auch die wichtigste – Nebenrolle einnimmt. Was hier folgt ist im Grunde keine Filmkritik, sondern irgendeine Art von unsachlicher Betrachtung seines Gegenstandes.
Der Film hat weder ein Drehbuch, noch Regie, ist aber auch keine richtige Dokumentation. Zumindest der erste Teil besteht aus willkürlich und zufällig entstandenen Aufnahmen, die nachträglich in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht wurden. Bei der eigentlichen Hauptperson Thierry handelt es sich nämlich um einen beispiellosen Freak, der jahrzehntelang seine Kamera nicht ausschaltete und dessen – das sei auch erwähnt - Bart allein schon ein Kunstwerk ist. Aber dazu später mehr. Um an den nächtlichen Abenteuern der bekanntesten Streetartisten teilnehmen zu können, gibt er eine Zeit lang nur vor, einen Dokumentarfilm über Streetart zu drehen, hat das aber in Wirklichkeit gar nicht vor. Das lässt schon das Besondere des Filmes durchschimmern, der dann ja offensichtlich doch entstandenen ist, weil Thierry seine Kamera beiseite legt und vom Beobachter zum Akteur wird: Er wird „Mr.Brainwash“ und baut in erstaunlich kurzer Zeit eine gewaltige Streetart Ausstellung mit eigenen Werken auf.

Abgesehen von der geilen Story wirft der Film aber Fragen auf, die nicht ganz unbedeutend sind, wenn man sich für Streetart oder linksradikale Politik interessiert: Was ist überhaupt an Kunst zu beobachten?, Was hat Mr.Brainwash geleistet? und Wie kann sinnvoll Streetart gemacht werden?

Zunächst scheinen die Vorwürfe gegen Thierry erdrückend zu sein. Tatsächlich macht er nämlich keine Streetart, sondern stellt nur in Produktionsweise und Aussehen Vergleichbares her. Zwar sind einige seiner Bilder auf der Straße zu sehen, bis auf ein einziges Motiv aus seiner frühen Schaffensphase handelt es sich aber nur um Werbung für seine Ausstellung. Er belegt sein Haus mit einer Hypothek, richtet sich eine Manufaktur ein, schafft sich Produktionsmittel und – Oha! - Angestellte an. Es handelt sich um massenhafte Produktion von Bildern am Fließband: fordistische Kunst. Ein Beispiel für besonders innovatives Unternehmertum? Er verkauft und versteigert die Bilder schließlich zu schwindelerregenden Preisen! Aber dieses Urteil wäre ungerecht, denn auch Thierry konnte das nicht ahnen. Er macht die Kunst nicht des Geldes wegen, sondern aus reiner Freude, sich zu beweisen. Das Geld wird ihm in rauen Mengen von neureichen Schnöseln nachgeworfen, die vermutlich hoffen dadurch irgendwie unique zu werden, letztendlich aber nur beweisen, dass es schon lange keine Kunstwerke mehr gibt, sondern nur noch Waren.

Aber: Obwohl Mr. Brainwash stolz darauf ist, endlich „die Bestätigung zu haben, ein Künstler zu sein“, ist er in Wirklichkeit ein Anti-Künstler. Er arbeitet unbewusst aber recht effektiv an der Aufhebung der Kunst. Weil alles schon da war, kann er nicht anders, als zitieren und variieren. Selbst neue Techniken finden sich in seiner Ausstellung nicht. Er arbeitet hauptsächlich mit Schablonen und Fotoshop. Was bei Andy Warhole, Banksy oder wem auch immer, noch als Eintritt in eine neue Epoche der Kunst hätte gelten können, wird enttarnt als besonders simple Methode Bilder herzustellen. Thierry hat das Rezept durchschaut, mit dem jeder Kunst machen kann. Man nehme: Ein bekanntes Gesicht. Man nehme: Ein abwegiges Element der Popkultur. Man nehme: 2-3 unangebrachte Farben. Man nehme: Dr.Oetker. Ist das gut oder schlecht? Das Projekt der Entwertung der Symbole unserer Zivilisation wird auf die Spitze getrieben; nicht einmal ihre Entwendung kann mehr als Kunst gelten. Es handelt sich um ein leicht zu lösendes Paradoxon. Es ist zweifellos eine Kunst, in wenigen Minuten 200 identische Siebdrucke in 200 wertvolle Einzelstücke zu verwandeln; von den fertigen Produkten kann man das nicht behaupten. Die eigentliche künstlerische Leistung ist die Handlung, nicht ihr Resultat. Die Aufhebung der Kunst ist ihre Verwirklichung im Alltag des Künstlers, bis das Leben selbst zum Kunstwerk wird.

Die Gehirnwäsche, von der Thierry spricht und nach der er sich fatalerweise benennt, ist die Konditionierung, die in allen Bereichen der Gesellschaft an uns herantritt und uns unseren Platz auf der hierarchischen Leiter zuweist. Die herrschende Kunst spielt darin eine Schlüsselrolle. Diese Konditionierung Rückgängig zu machen bedeutet, die Kunstwerke zu entwenden, d.h. Gesichter, Zeichen und Bauwerke anders zu nutzen, als bisher. Es bedeutet, die verlorene Kommunikation mit unserer Umwelt wieder aufzunehmen und unserem subjektivem Drang zu folgen, uns zu Verwirklichen. Das hat Thierry getan, aber er hat mit seiner Ausstellung ein neues Spektakel geschaffen, um sich erneut – aber woanders – in der sozialen Hierarchie einzuordnen. Er gibt das offen zu und lebt es mit aller Konsequenz aus, weil er glaubt, etwas besonders gutes hergestellt zu haben. Trotzdem: Seine eigentliche Leistung, sein tatsächlicher Gewinn - er wird das selbst früher oder später merken - ist die Art wie er gelebt hat und zwar eher bevor, als nachdem er mit der Ausstellung begann. Intensiv, gefährlich und wild entschlossen: Dieses Leben ist sein größtes Kunstwerk und niemand wird es ihm je abkaufen!

Daraus ergibt sich eine andere Schlussfolgerung: Der größte Künstler, der in diesem Film zu sehen ist, ist wahrscheinlich der schwarze Teenager, der in einer kurzen Szene am Bildrand von einem Polizisten aus der Ausstellung gezerrt wird. Wir kennen ihn nicht. Als die Galerie überfüllt war, hat er mit einigen anderen die Absperrung durchbrochen um trotzdem hereinzukommen. Er wollte die Bilder sehen, er wollte Rache für die tote Zeit in der Warteschlange und vielleicht wollte er etwas besonders spaßiges erleben. Ihm ist es im Alleingang gelungen Thierrys angeblich so subversives Brainwash-Konzept zu entlarven als ganz normales Spektakel, an dem niemand teilhaben darf, der nicht anständig bezahlt und den Haupteingang benutzt. Ich hoffe, er weiß das.

Was also kann Streetart noch leisten, wenn es nicht die Herstellung von Kunst ist? „Exit Through The Gift Shop“ zeigt sehr deutlich, dass es nicht mehr darum gehen kann Kunst zu machen. Es mögen zwar kreative Neuschöpfungen vorkommen und zum Teil gar nicht unbedeutende, aber die kulturelle Bewegung „Streetart“ ist klar gegen die Kunst gerichtet. Ihr Stoßangriff hat 3 Hauptziele:

1.Der öffentliche Raum muss erobert werden. Bürgersteige, Wände, Plätze usw sind dann keine nicht-Orte mehr an denen Menschen nur vorbei gehen können, ohne im geringsten mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten. Sie werden zu Orten der Kreativität, der Schönheit und der Subversion: Stützpunkte der holden Muse in ihrem Feldzug gegen das Grau und seine Komplizen.

2.Die Symbole und Ikonen müssen der untergehenden Kultur entrissen werden. Wir müssen ihre Bedeutung auflösen oder umwandeln, die Zeichen müssen neu besetzt werden, damit sie unsere Verbündeten werden. Nichts kann diesem Angriff widerstehen, wenn er konsequent genug ausgeführt wird.

3.Das Leben muss verändert werden. Allen voran das der Künstler, ihrer Komplizen und Nachahmer. Nachts in den Straßen auf der Flucht vor der Polizei, erlebt das Abenteuer eine Renaissance, wo wir es fast schon verloren glaubten. Durch profane oder subtile Propaganda zerren wir es ans Tageslicht. Darum jagt uns der Staat, daum liegt ihm so viel am Grau der Wände. „Streetart is a crime.“ Zum Glück! Es wäre ja sonst nur halb so lustig.

Das getagge zeigt: Es ist uns zuträglich, wenn die Sachen, die wir machen schön sind; notwendig ist es nicht. Es geht nicht mehr darum einen Gegenstand, ein Lied oder ein Bild herzustellen. Der Künstler kann nicht mehr befriedigt auf sein Werk blicken. Es ist unvollkommen. Er kann nur am Ende seines Lebens zurückblicken auf einen Haufen einzigartiger Momente totalen Lebens und sagen: „Ich habe gelebt, so wild ich konnte. Es war ja mein einziger Versuch.“

Die Kunst ist tot. Und wenn sie noch irgendwo lebt, müssen wir sie ausfindig machen und vierteilen. Das wird ein Fest! Es wird nahtlos übergehen, in die Umwerfung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes, ein verächtliches Wesen ist:

„Das Leiden ist das Übel der Zwänge. Ein wenig Freude, wie klein sie auch sein mag, hält es in Schach. Den Teil echter Freude und echten Feierns zu verstärken, gleicht den Vorbereitungen eines allgemein Aufstandes zum Verwechseln.“
(Raoul Vaneigem)
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Ergänzungen

giftshop

xyz 20.12.2010 - 16:12
"Die Kunst ist das einzig Wahre, the rest is a nightmare" (Arno Schmidt)

Kunst ist Chef

Broslowski 20.12.2010 - 16:43
Genialer Text, bitte mehr davon auf Indymedia!

"Wir wollen keine Welt, in der die Garantie, nicht zu verhungern, mit der Gefahr erkauft wird, vor Langeweile zu sterben."

Mr. Brainwash = Banksy ?

Kibaltchich 20.12.2010 - 18:00
Ist nicht dieser "Mr. Brainwash" eine symbolische Darstellung von Banksy selbst? Nach dem Titel hat dieser (Dokumetar-)Film eine eindeutige Kritik an die Vermarktung von Kunst.

Ist die ganze Entwicklung von Mr. Brainwash auch nicht diejenige von Banksy ? aus jemand der sich eigentlich nur durch Streetart ausdrücken wollte, wurde ein Hype den der Künstler nicht mehr kontrolliert und vollkommen dem entgleist, was er für eine Vorstellung von Kunst hat.
Der antikapitalistische und gesellschaftkritische Aspekt in Banksys Werke ist nicht zu bestreiten, er ist aber nun mal der teuerste (und renomierteste) Streetart-Künstler geworden. Und das obwohl seine Ansprüche Kunst anonym und jedem zugänglich zu machen.

Ich stelle nur eine Hypothese dar, würde mich gerne auf weitere Beiträge freuen !

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Großartiger Text

(A) 20.12.2010 - 11:32
Danke, dass du das hier auf Indy schreibst. Schön, neben dem alltäglichen Kram und dem Schrott auch mal was richtig Gutes zu lesen. :)

artbashing

click 20.12.2010 - 13:31
ist die eigentliche kunst der heutigen zeit also nichtkunst zu machen und trotzdem dabei noch kreativ zu sein?
großartig, das macht jeden künstlerisch unbegabten menschen, der ja nach diesem text jeder in der heutigen zeit ist zum eigentliche künstler.
punks not dead lang lebe der punk!
kunst ist tot lang lebe die Kunst?

danke super artikel. ich wollte den text eh noch gucken und jetzt will ichs noch mehr. jetzt trau ich mich auch wieder kreativ unkreativ zu sein. positive destruction könnte man es auch nennen.

vater dada

mutter punk 20.12.2010 - 18:28
guter text.da hat jemand verstanden worum es geht.

??

scrut 21.12.2010 - 00:11
ehm. hast du den film nicht richtig verstanden? vielleicht solltest du den nochmal sehen.

(muss ausgefüllt werden)

gugu 21.12.2010 - 04:20
ma en schniecken Text uff Indy druffjekloppt.
Mr. Brainwash is ne coole Sau, Banksy auch ....und Du auch!

Super Text

Arne 23.12.2010 - 19:11
Mehr davon.

Oh wie

schoen 27.12.2010 - 21:22
Eine sehr gute Rezession des Filmes!
Texte dieser Qualität dürfen gern mehr auf indymedia erscheinen.