Der Fall "Simon Brenner"

Wolf Haas 15.12.2010 19:43 Themen: Antifa Bildung Repression Ökologie
Am Sonntag, den 12.12.2010 konnte in Heidelberg ein verdeckter Ermittler des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg enttarnt werden. Sein Ziel war, über offene, linke Strukturen Kontakte zur organisierten Antifa-Szene zu knüpfen und gezielt Informationen über Einzelpersonen und Gruppenzusammenhänge zu sammeln und direkt an das LKA und den ortsansässigen Staatsschutz weiterzuleiten.
Nach drei Tagen der Rekonstruktion und Recherche kann folgendes vorläufiges Fazit gezogen werden:


Legende

Der LKA-Spitzel besaß einen Personalausweis auf den Namen „Simon Brenner“ (Nr.: 6920333978D-8604138-1511088), mit dem Geburtsdatum 13.04.1986 und dem Wohnort Leimen.

Angeblich hatte er vorher in Bad Säckingen im Landkreis Waldshut (BaWü) gelebt, was zu dem Kennzeichen seines silbernen Nissan Kombi (WT) passt.

Er verwendete ein Handy mit der Nummer 0151/20727114 und die email-Adressen  simonbrenner@ymail.com und  californication@riseup.net, letztere ist jedoch schon gesperrt. Unter „californication“ verfasste er auch Artikel auf Indymedia.

Zum Sommersemester 2010 immatrikulierte er sich mit offenbar ebenso falschen Unterlagen für die Fächer Germanistik und Ethnologie und wechselte zum Wintersemester 2010/11 zu Ethnologie und Soziologie (Matrikelnummer: 2858472).

Studentenausweis Sommersemester 2010

Studentenausweis Wintersemester 2010/11



Chronologie

November 2009: Erstes Auftreten auf Studi-Infotag, erster Kontakt zum SDS Heidelberg

April 2010: Immatrikulation in HD, engagiert sich im SDS

24.04.2010: Teilnahme an der Aktion „Umzingelung des AKW Biblis“

01.05.2010: Teilnahme an den Blockaden gegen den Naziaufmarsch in Berlin

15.05. - 23.05.2010: Teilnahme am Campus Camp in HD, Kontaktaufnahme zur Kritischen Initiative (KI)

09.06.2010: Teilnahme an der Bildungsstreikdemo in HD

26.07.2010: Teilnahme an einer Anti-Atomkraft Kundgebung

15.08. - 21.08.2010: Teilnahme an einem Aktionsklettertraining auf der Schwäbischen Alb

18.09.2010: Teilnahme an den antifaschistischen Protesten und Blockaden gegen den Naziaufmarsch in Sinsheim-Hoffenheim

27.09. - 03.10.2010: Teilnahme am NoBorder-Camp in Brüssel, Teilnahme an Demonstrationen und Aktionen

23.10.2010: Teilnahme an den antifaschistischen Demos in Rastatt und Rheinmünster-Söllingen gegen das Nazizentrum „Rössle“

06.11.2010: Teilnahme und Mitorganisation der Proteste gegen den Castor-Transport und der „Südblockade“

14.11.2010: Teilnahme an den antifaschistischen Protesten gegen das Heldengedenken der Stadt Heidelberg auf dem „Ehrenfriedhof“

27.11.2010: Teilnahme an den antifaschistischen Protesten gegen den Naziaufmarsch in Sinsheim-Hoffenheim

11.12.2010: Organisation sowie Teilnahme an der Critical Mass Action in Heidelberg

Bildungsstreikdemo am 09.06. Anti-Atomkraft Kundgebung am 26.07. Proteste gegen "Heldengedenken" am 14.11.



Einsatzende

Enttarnt wurde der verdeckte Ermittler von einer Urlaubsbekanntschaft, die er vor Einsatzbeginn in Frankreich kennenlernte und der gegenüber er angab, „Simon“ zu heißen und Polizist in Überlingen zu sein. Besagte Bekannte traf ihn zufällig am Samstag, den 11.12. in Heidelberg wieder, als sie eine Freundin aus dem Szeneumfeld besuchte. Obwohl der Spitzel sie unter Druck setzte, Stillschweigen zu bewahren, outete sie ihn gegenüber ihrer Freundin als Polizisten.

Am nächsten Tag, dem 12.12., mit diesem Vorwurf konfrontiert, gestand er, als verdeckter Ermittler des LKA nach Heidelberg geschickt worden zu sein.

Er gab an, zuerst in Überlingen als Polizeibeamter Dienst getan zu haben und dann durch den Wunsch nach Karriere vor der Entscheidung zwischen BFE und LKA gestanden und das LKA gewählt zu haben. Dort sei er in der Abteilung I540 („Verdeckte Ermittlungen Staatsschutz“) eingesetzt worden, habe eine spezielle Ausbildung für verdeckte Ermittlungen und eine Einführung in die polizeilichen Einschätzungen der Heidelberger linken Szene erhalten.

Ziel seines Einsatzes war nach seiner Aussage „Informationssammlung und Gefahrenprävention“, jedoch ohne konkreten Anlass oder Tatverdacht. Zielbereich der offensichtlich von langer Hang geplanten Ermittlung sei die „Antifa-Szene“ gewesen. Mittelfristig, so behauptete er, wollte er versuchen, Kontakt zur Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) zu knüpfen und sie schließlich zu infiltrieren.

Er gab weiterhin an, 14-tägig Bericht an seine Vorgesetzten in Stuttgart erstattet und darüber hinaus mit dem Heidelberger Staatsschutz regelmäßig und telefonisch Nachbereitungsbesprechungen und Auswertungen von politischen Aktionen durchgeführt zu haben.

Außerdem bezichtigte er sich selbst, für eine Hausdurchsuchung bei einem Genossen und den massiven Polizeieinsatz auf dem Heidelberger „Ehrenfriedhof“ bei den Protesten gegen das Heldengedenken verantwortlich zu sein.

Während der gesamten Einsatzdauer von fast neun Monaten sammelte er nach eigenen Angaben alle Informationen über politische Aktivist_innen und deren privates Umfeld, legte „Personalakten“ an und gab diese auch an seine Vorgesetzten weiter.


Fazit

Das Ziel dieses Einsatzes war offensichtlich von Anfang an die Unterwanderung und umfassende Durchleuchtung der Heidelberger Linken und insbesondere der organisierten Antifa-Szene. Durch die Auswahl der Gruppen und Aktionen bei denen er sich engagierte, versuchte er eine für sein politisches Umfeld nachvollziehbare, theoretische wie auch praktische Radikalisierung vorzutäuschen. Hierzu nutzte der Spitzel niedrigschwellige, offene Strukturen und Gruppen, um sich eine glaubhafte Reputation innerhalb der „Szene“ zu verschaffen und somit langfristig an heikle und sensible Informationen zu gelangen.

Auch wenn dieser Fall auf erschreckende Weise zeigt, wie sehr Teile der Exekutive das im Grundgesetz verankerte Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst schlicht ignorieren und mit welcher Rücksichtslosigkeit, auch und insbesondere gegenüber der psychischen Verfasstheit der unmittelbar Betroffenen, der staatliche Repressionsapparat arbeitet, plädieren wir auf keinen Fall für einen Generalverdacht gegenüber offenen Strukturen und „Szeneneulingen“! Offene Strukturen und Gruppen sind wichtige und notwendig niedrigschwellige Bezugspunkte für politisch interessierte Menschen. Trotzdem ist es jetzt notwendiger denn je, innerhalb der organisierten Linken eine Diskussion über die möglichen Risiken offener Strukturen und so ein Sicherheitskonzept jenseits der blinden Paranoia zu erarbeiten bzw. bereits vorhandene Sicherheitsstandards zurück ins Gedächtnis und in die politische Praxis zu rufen!



Keinerlei Zusammenarbeit mit staatlichen Repressionsorganen!

Allein machen sie dich ein - für Solidarität und Zusammenhalt!

Get organized! Support your local antifa!







ACHTUNG: Diese Rekonstruktion erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit! Falls ihr noch andere Informationen zu der Person "Simon Brenner" habt, Fotos, Aktionen wo er dabei war, Details über sein Leben (auch vor dem Spitzeleinsatz), wendet euch an die Rote Hilfe oder die Antifaschistische Initiative Heidelberg oder eine andere Organisation, deren Stellungnahmen und Presseerklärungen wir hier auch noch dokumentieren:

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Ergänzungen

@ ich 16.12.2010 - 05:35

Roland Ionas Bialke 16.12.2010 - 09:42
Was Du für einen Unsinn schreibst. Neben Narcs (deren Zielpersonen auch nicht Indymedia lesen) und PMS (für Berlin) gibt es noch sehr viele andere Verwendungsmöglichkeiten für einen enttarnten VE beim LKA.

Und operativ kann er auch noch arbeiten. Das Gesicht von KOK Fabian ist z.B. schon seit Jahren in Berlin bekannt und trotzdem läuft er noch ab und zu in einer linken Demonstration mit oder schaut bei Aktionen zu. Oder KHK Junghähnel vom LKA 533 in Berlin - Nach Deiner Theorie könnte er ja nicht beim LKA eingesetzt werden. Aber er arbeitet beim LKA 533 (Staatsschutzabteilung für Brand- und Sprengstoffdelikte) eher am Schreibtisch und schreibt in Foren als Aktivist operativ mit.

Deinen Äusserungen zufolge hast Du kaum Ahnung. 2004 trat Tarek Mousli (Revolutionäre Zellen) z.B. als Kronzeuge gegen andere RZ-Mitglieder auf und lebt auch noch heute in Berlin. Das liegt daran, dass emanzipatorische Menschen andere Menschen nicht einfach so schlagen oder sie umbringen, auch wenn diese ihnen Leid zugefügt haben.

Lesehinweise zum Thema

Entdinglichung 16.12.2010 - 11:51
* Victor Serge: What everyone should know about repression (1926, immer noch aktuell, deutsche Fassung in Eschen/Plogstedt/Sami: Wie man gegen Polizei und Justiz die Nerven behält)

* Markus Mohr/Klaus Viehmann: Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte (2004)

Polizeistrategie

ja, mein Name 17.12.2010 - 02:26
Sowohl bei dem kürzlich geouteten verdeckten Ermittler in England (der immerhin 9 Jahre unentdeckt schnüffelte) als auch bei diesem Fall frage ich mich, welches Interesse die Repressionsorgane daran haben, beim Auffliegen ihrer Spitzel, den Betroffenen Informationen über den gesamten Einsatz Preis zu geben: (Ziel (Antifa Heidelberg), welche Informationen weiter gegeben wurde (Akten angelegt etc.), Studentenausweis abfotografieren lassen, welche Einsätze die Informationsweitergabe ausgelöst haben (Hausdurchsuchungen, Verstärkte Polizeipräsents bei Demo etc.). Denn die Gruppe die den Beamten mit der Aufdeckung konfrontiert hat, wird ihn wohl kaum dazu gezwungen haben zu quatschen. Mit Sicherheit hätte er jederzeit die Möglichkeit gehabt, auf zu stehen und zu gehen. Ansonsten wäre es ja Nötigung und Freiheitsberaubung gewesen.
Und solche Spitzel, sind ja durch ihre Schulungen mit Sicherheit auch auf Outings vorbereitet. Warum wird Ihnen also gelehrt und geboten, zu quatschen. Gibt er falsche Informationen weiter? Oder soll die Repression durch diese Informationsweitergabe noch einmal doppelt wirken, weil sich durch die Interessanten Themen (was wollte er, hat er erreicht etc.), mehr Leute dafür interessieren und sich die Sache somit weiter rum spricht? Sollen bewusst die Psychischen Folgen der Betroffenen verstärkt werden, indem noch mal aufgezeigt wird: Guck mal was wir jetzt Alles über dich wissen? Soll Angst, Misstrauen und Konspiratives verhalten erzeugt werden, und die Szene somit an Offenheit verlieren und bewusst von der Gesellschaft isoliert werden?
Oder war das quatschen wirklich nicht gelehrt und "Simon" ist zu guter letzt doch noch schwach vor seinen "Freund_innen" geworden? Nach so langem eiskalten und professionellem Vorgehen?
Oder werden Spitzel gar nicht auf Outings vorbereitet? Kann ich mir beides irgendwie nicht vor Stellen.
Ich finde dies durchaus sehr Interessante Fragen, denn die Interessen die hinter einem solchen Verhalten (quatschen) stehen, sind meiner Meinung nach elementar bei der Frage, wie wird mit solch einem Outing und den erhaltenen Informationen umgegangen und was lernen wir daraus.
Zwar bin ich mir nicht Sicher ob dies der Richtige Ort es um dies Anzudiskutieren, aber mich würden trotzdem einmal andere Meinungen zu diesem Thema interessieren.

@Polizeistrategie

mein name 17.12.2010 - 10:03
Vielleicht heißt die fehlende Polizeistrategie einfachnur, dass die Aktion auch innerhalb des LKAs nicht offiziell war. Was heißt ein paar Kommissare waren ein bischen übereifrig und haben dazu Simon Brenner benutzt.
Nach PM der Roten Hilfe ist der Einsatz auch vom Polizeigesetzt BW nicht gedeckt, was es sehr wahrscheinlich macht, dass dies nicht so ganz offiziell war.

Audio: Rote Hilfe Interview

Radio F.R.E.I. 19.12.2010 - 21:30
LKA-Spitzel Enttarnung in Heidelberg

Interview mit Mareike von der Roten hilfe ortsgruppe in Heidelberg zu den Umständen der Enttarnung des LKA-Spitzels in der linke Szene in Heidelberg...

Link:  http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=37999

nerven behalten

lara 20.12.2010 - 15:28
Immer mal empfehlenswert und ist schnell überschaubar:
(zu beziehen über www.zvab.de)
Eschen, K. u. a.
Wie man gegen Polizei und Justiz die Nerven behält.
Berlin Rotbuch 1976
94 S.TB, rotbuch Nr. 107

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Anmerkung — Roland Ionas Bialke

Simon die "Ratte" u. Roland der Klugscheißer — Richter und sein Henker

zu Bialke — Ich schon wieder

Solidarische Kritik... — @Hugan & Richter

. — .

Frage zur Sache — xxxxxxxxxxxxx

kommentarlos — (muss ausgefüllt werden)

Infos?!? — ProFarbenfroh

seeehr interessant ... — PsychoanalytikerIn

@ diak — RedZack

Spalte und Herrsche — Yolatengo

Na komm, — Honk Hugan

Weihnachtsgrüße an Simon! — Christoph Rehm

Gut davon gekommen — AG Richtiger Umgang mit Spitzel