[B] Nächtliche antikoloniale Aktion

zu deutsch zum kritisch sein... 14.12.2010 18:34 Themen: Antirassismus Soziale Kämpfe
In der letzten Nacht (vom 13. auf den 14. Dezember) erfolgte eine groß angelegte Straßenumbenennung im Norden von Berlin. Die Bewohner_Innen des sogenannten „afrikanischen Viertels“ wohnen seither in einer Gegend, in der an jeder Ecke an Akteur_innen und die Praxis des antikolonialen und antirassistischen Widerstandes erinnert wird.
Das „afrikanische Viertel“ war bislang dominiert durch Straßennamen, die die deutsche koloniale Vergangenheit an jeder Ecke wieder aufleben ließen. Persönlichkeiten wie Gustav Nachtigal, Alfred Lüderitz und Carl Peters wurden für ihre blutigen Verdienste in nicht unbeachtlicher Höhe ausgewiesen. Auch eine Gartenanlage mit dem treffenden Namen „Kolonie Togo“ befand sich in dieser illustren Gesellschaft, die durch zahlreiche schwarz-rot-goldene Stofffetzen zusätzlich aufgewertet wurde.
Bislang gab es kaum öffentlich Diskussionen über die mehr als gewichtige historische Symbolik dieser Straßen. Zwar war die Petersallee offiziell nicht mehr Carl Peters gewidmet, eine Umbenennung wurde allerdings nicht durchgeführt, da diese kurzerhand dem CDU Politiker Hans Peters (sic!) überholfen wurde.

Dieser koloniale und rassistische Konsens wurde in der letzten Nacht mehr als nur symbolisch durchbrochen. Aktivist_Innen überklebten alle vorhandenen Straßenschilder der weiter unten aufgeführten Straßen. Dazu wurden diese mit Namen von Persönlichkeiten des antikolonialen, antirassistischen und antikapitalistischen Kampfes versehen. Die Namen stehen dabei symbolisch für alle Menschen, die unter der täglichen Unterdrückung und Ausbeutung leiden, litten und weiter leiden werden. Sie sollen aber auch zeigen, dass Revolutionen und fortschrittliche Bewegungen in den sogenannten „Kolonien“ und den nationalen Konstrukten der (post)kolonialen Zeit existierten, auch wenn unsere so aufgeklärte westlich geprägte Wahrnehmung diese allzu oft negierte oder schlicht nicht beachtete.
Neben den Umbenennungen wurden großflächig Plakate angebracht, die an die Anwohner_Innen gerichtet sind und die Hintergründe der Aktion beleuchten. Der Text dieser Plakate ist nachfolgend dokumentiert:




Liebe Anwohnerinnen und Anwohner,

wir möchten ihnen mitteilen, dass in diesem Gebiet kürzlich Straßenumbenennungen stattgefunden haben. Zur besseren Orientierung möchten wir sie kurz über die Hintergründe und die Bedeutung der neuen Namen in Kenntnis setzen.
Viele der Straßen im Wedding erhielten ihren Namen während der brutalen Kolonisierung afrikanischer Regionen durch die Deutschen zwischen 1884 und 1918. Daher sind diese Straßen nach Ländern und „Persönlichkeiten“ benannt, die diese Ungerechtigkeiten zu verantworten hatten. Deutschland hat seine kolonialen Verbrechen bis heute weder richtig aufgearbeitet, noch die Verantwortung für deren Folgen übernommen. Stattdessen profitiert die deutsche Bevölkerung fortwährend von den politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die von den europäischen Ländern in der Kolonialzeit geschaffen wurden. Es ist Menschen verachtend, wenn Straßennamen, die der grausamen Eroberungspolitik der Deutschen gewidmet sind, bis heute unhinterfragt existieren können. Aus diesem Grund werden folgende Straßen umbenannt:

LUMUMBAPLATZ gewidmet Patrice Lumumba, dem ersten Ministerpräsidenten des Kongo, ermordet vom belgischen Geheimdienst und der CIA (ehemals Nachtigalplatz, 1910 benannt nach Gustav Nachtigal, mitverantwortlich für die Kolonisierung Südwestafrikas, dem heutigen Namibia)

BANTU-BIKO-STR. gewidmet dem südafrikanischen Freiheitskämpfer Steve biko, der 1977 von den in Südafrika lebenden europäischen Rassisten zu Tode gefoltert wurde (ehemals Swakopmunder Str., 1910 benannt nach einer Stadt in der deutschen Kolonie Südwestafrika)

RODNEYALLEE gewidmet dem Afrikahistoriker Walter Rodney, der für die geistige Freiheit Afrikas kämpfte und vom CIA ermordet wurde (ehemals Petersallee, benannt nach Carl Peters, verantwortlich für die Kolonisierung Deutsch-Ostafrika; später an den CDU-Politiker Peters umgewidmet)

KEN-SARO-WIWA-STR. gewidmet dem hingerichteten Umweltschützer Ken Saro-Wiwa, der in Nigeria gegen die Zerstörung seiner Heimat durch den Ölkonzern Shell gekämpft hatte (ehemals Kolonie Togo, benannt nach der deutschen Kolonie Togo)

HENDRIK-WITBOOI-STR. gewidmet dem Widerstandskämpfer Hendrik Witbooi, führte die Nama im Kampf gegen die deutsche „Schutztruppe“ (ehemals Lüderitzstr., benannt nach dem Kolonialbefürworter Alfred Lüderitz)

LILIAN-NGOYI-STR: gewidmet der südafrikanischen Freiheitskämpferin Lilian Ngoyi (ehemals Otawistr., 1911 benannt nach einer Ortschaft in der deutschen Kolonie Südwestafrika)

MUMIA-ABU-JAMAL-STR. gewidmet dem politischen Gefangenen Mumia-Abu-Jamal, der seit 1981 aus rassistischen Gründen unschuldig im Gefängnis sitzt (ehemals Windhuker Str., 1910 benannt nach der Hauptstadt der deutschen Kolonie Südwestafrika)
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Ergänzungen

Richtige Ansatz

Hannelore Elster 14.12.2010 - 20:33
Sehr schöne Aktion. Bin heute dort zufällig vorbeigekommen und in den meisten Straßen sind die Überklebungen noch vorhanden. Nur am Nachtigalplatz und der Petersallee wurden schon die ersten Überklebungen entfernt. Schön wenn man zuerst den "Hängepeters" wieder an seinen rechten Platz rückt... Dazu passend der Hinweis auf die Antira-Tage in Berlin, die am Donnerstag beginnen. In diesem kontext findet am Samstag eine große antirassistische Demonstration durch den von Konsum und Aufwertung völlig zerstörten Prenzlauer Berg statt... ++ Antirassismus Tage ab Donnerstag den 16.Dezember ++ +++ Antirassistische Demonstration, Samstag am 18 Dezember um 15 Uhr Kollwitzplatz +++ für Programm und Aufruf siehe --->>> Antiratage Berlin <<<---

Nur das Zählen müssen sie noch lernen

Ich kann lesen und zählen 14.12.2010 - 20:38
Aufmerksame Bürger scheint es dort auch zu geben:

+ + + Polizeiticker + + +

Straßennamenschilder beklebt
Mitte
# 3970
Unbekannte haben heute Morgen mehrere Straßennamenschilder sowie Hauseingänge und Mülleimer im Wedding beklebt. Anwohner alarmierten gegen 7 Uhr die Polizei in die Togostraße, nachdem sie dort zwischen den Einmündungen Nachtigalplatz und Swakopmunder Straße diverse Plakate festgestellt hatten, die Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit thematisierten. Mit weißem Papier und schwarzer Farbe überklebten die Unbekannten außerdem die Straßennamenschilder in der Umgebung und gaben den Straßenzügen neue Namen. Polizisten benachrichtigten das zuständige Tiefbauamt, welches die Beseitigung veranlasst.


+ + + Das schreibt die BZ + + +

Kleber-Aktion
Straßenschilder im Wedding überklebt
14. Dezember 2010 18.18 Uhr, B.Z./EPD

Im Afrikanischen Viertel im Wedding sind sieben Straßenschilder von Aktivisten worden.
Nutzungsbedingungen


Im Wedding sind bei einer antirassistischen Aktion mehrere Straßenschilder, Mülleimer und Hauseingänge beklebt worden. Anwohner haben die Polizei alarmiert, nachdem sie in der Togostraße, zwischen den Einmündungen Nachtigalplatz und Swakopmunder Straße, Plakate im Format A3 gefunden hatten, die die Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit thematisierten, teilte die Polizei am Dienstag in Berlin mit.

Mit weißem Papier und schwarzer Farbe haben die Unbekannten außerdem mehrere Straßenschilder im „Afrikanischen Viertel“ beklebt und umbenannt. So wurde zum Beispiel aus der Swakopmunder Straße die Bantu-Biko-Straße, aus dem Nachtigal- der Lumumbaplatz und aus der Otawistraße die Lilian-Ngoyi-Straße. Insgesamt sind sieben Straßen nach afrikanischen Bürgerrechtlern oder Aktivisten umbenannt worden.

Hinweise auf die Täter gibt es bisher nicht. „Es war das erste Mal, dass im Wedding so etwas passiert ist“, erklärte ein Polizeisprecher. Gegen die Unbekannten ist Strafanzeige gestellt worden. Das zuständige Tiefbauamt werde die Plakate beseitigen.

Im Wedding leben laut Statistik knapp 2.500 der 18.000 Afrikaner in Berlin. Nicht mitgezählt sind dabei alle Afrodeutschen. Das Afrikanische Viertel erinnert an die deutschen Überseegebiete im 19. Jahrhundert.

Mehr Presse

Heidemarie Schlagowski 14.12.2010 - 23:00
Die Welt hat mittlerweile auch von den Schildbürgern im Wedding gehört...

www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/berlinbrandenburg_nt/article11630125/Unbekannte-benennen-Strassen-im-Wedding-um.html

Unbekannte benennen Straßen im Wedding um

Berlin (dpa/bb) - Sieben Straßen in Berlin-Wedding sind am Dienstag vorübergehend umgetauft worden. Unbekannte hatten die Straßenschilder mit Namen von afrikanischen Menschenrechtlern überklebt, wie ein Polizeisprecher am Dienstag sagte. Der Nachtigallplatz war etwa in Lumumbaplatz umbenannt worden - nach dem kongolesischen Freiheitskämpfer und Politiker Patrice Lumumba. Die Togostraße bekam den Namen des nigerianischen Schriftstellers und Menschenrechtlers Ken Saro Wiwa.

Anwohner hatten die Polizei am Morgen alarmiert, nachdem sie die überklebten Schilder und mehrere Plakate entdeckten, auf denen Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit thematisiert wurden. Wer dahinter steckt, ist bislang noch unklar. Die Polizei prüft, ob es sich bei der Aktion um eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat handelt. Das Tiefbauamt beseitigte die Schilder und Plakate.

Auch in der bürgerlichen Presse

Ahoi 14.12.2010 - 23:41
Auch bürgerliche Medien berichten.

So schreibt die "Berliner Zeitung":
 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/detail_dpa_27744234.php

Unbekannte benennen Straßen im Wedding um


Berlin - Sieben Straßen in Berlin-Wedding sind am Dienstag vorübergehend umgetauft worden. Unbekannte hatten die Straßenschilder mit Namen von afrikanischen Menschenrechtlern überklebt, wie ein Polizeisprecher am Dienstag sagte. Der Nachtigallplatz war etwa in Lumumbaplatz umbenannt worden - nach dem kongolesischen Freiheitskämpfer und Politiker Patrice Lumumba. Die Togostraße bekam den Namen des nigerianischen Schriftstellers und Menschenrechtlers Ken Saro Wiwa.

Anwohner hatten die Polizei am Morgen alarmiert, nachdem sie die überklebten Schilder und mehrere Plakate entdeckten, auf denen Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit thematisiert wurden. Wer dahinter steckt, ist bislang noch unklar. Die Polizei prüft, ob es sich bei der Aktion um eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat handelt. Das Tiefbauamt beseitigte die Schilder und Plakate.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Lob — Anonymus

Rad ab ! — Hans Xaver

Mumia? — Hackepeter