Demo nach Suizidversuch im Abschiebknast

w2eu 10.12.2010 11:54 Themen: Antifa Antirassismus Weltweit
Spontan Demo gestern abend vom Bahnhof Sternschanze zum Untersuchungsgefängniss Hamburg nachdem bekannt geworden ist das Milos R. am 2.12.2010, in der Abschiebhaft versucht hat sich das Leben zu nehmen.

Nach den Selbstmorden von David M. und Yeni P. vom März und April diesen Jahres ist dies ist der dritte bekannt gewordene Suizid(-versuch) in Hamburger Abschiebknästen innerhalb eines Jahres.
Am 2. Dezember unternimmt der 22-jährige Miroslav Redzepovic im Hamburger Abschiebeknast Billwerder-Moorfleet einen Suizidversuch. Er erfuhr von der Ablehnung seines Asylantrags und fürchtete die sofortige Abschiebung nach Belgrad -- zum zweiten Mal in seinem Leben. Für den 7. und 9.12. hatten die Behörden Sammelabschiebeflieger ab Düsseldorf gechartert um Roma, Ashkali und Ägypter nach Serbien und in den Kosovo abzuschieben. Miroslav lebt, weil Justizbeamte ihn rechtzeitig fanden, doch die Abschiebung droht ihm weiterhin.

Im Herbst gelang ihm die Flucht, zurück in seine Heimat, zu Verwandten nach Hamburg. In Serbien war er immer wieder antiziganistischen Bedrohungen ausgesetzt. Der Kontakt zur Familie war abgebrochen.

Am 16. November 2010 wird Miroslav in Hamburg bei einer Kontrolle aufgegriffen, er stellt einen Asylantrag. Postwendend landet er im Abschiebeknast Billwerder in Hamburg.

Das Datum 16. November ist seit 8 Jahren für die gesamte Familie Redzepovic mit der schlimmsten Erinnerung verbunden.


Am Tag nach dem Suizidversuch wird Miroslav in die psychiatrische Klinik in Hamburg-Ochsenzoll gebracht. Wenn es nach den Behörden geht, soll er so bald wie möglich abgeschoben werden.

Miroslav ist Rom. Geboren ist er in Jugoslawien, aufgewachsen, seit er 2 Jahre alt ist, in Deutschland. Seit 1995 lebte die 7-köpfige Familie in Syke, Landkreis Diepholz in Niedersachsen. Als Asylbewerber mit einer Duldung und so genannten Abschiebehindernissen wurde ihnen Wohnraum in der Asylbewerberunterkunft "Deutsche Eiche", einem ehemaligen Gasthaus, zugewiesen. Milos Redzepovic, der Vater der Familie protestierte gegen die unzumutbaren Zustände in der Unterkunft, er bat immer wieder um eine Arbeitserlaubnis; forderte ein Leben in Würde für seine Familie.

Am 15. November 2002 begeht Milos Redzepovic eine schier unbegreifliche Verzweiflungstat. Seiner Familie sagt er, er wolle Zigaretten holen. Tatsächlich geht er ins Rathaus von Syke, übergießt sich im Foyer mit Benzin und zündet seinen Körper an. Am Tag darauf, den 16. November, stirbt er an den Verbrennungen.

Zehn Tage später gedenken 100 Menschen in Syke dem Toten mit einem Trauermarsch. Sie wollen auch auf die ungewisse Situation der Flüchtlingsfamilie aufmerksam machen und protestieren gegen die Abschiebung von Roma nach Jugoslawien. Den Tod des Vaters hat Miroslav nie verkraftet.


Alle Bemühungen bleiben ohne Erfolg, knapp zwei Jahre später, im Oktober 2004 werden die Witwe und 4 ihrer minderjährigen Kinder nach Belgrad abgeschoben. Die 17-jährige älteste Tochter läuft voller Panik weg, als die Polizei morgens die Wohnräume der Familie betritt. Sie versteckt sich zwei Monate lang und landet schließlich im Abschiebeknast Hannover-Langenhagen. Ihren 18. Geburtstag, etwas 2 Wochen später verbringt sie in einem Land das sie nicht kennt und nach Feiern ist ihr schon lange nicht mehr zumute.


Die abgeschobene Familie lebt nun in Südserbien. Man schlägt sich irgendwie durchs Leben. Die älteren Kinder müssen bald eigene Wege gehen. Ljalje versucht sich im Handel auf Flohmärkten und arbeitet eine zeitlang in einer Kneipe. Schreiben hat sie nie gelernt. Sie wird immer wieder krank. Aufgrund fehlender Zeugnisse und einer nicht geglückten Registrierung gehen die Kinder nun nicht mehr zur Schule.

Die Soliüberweisungen von Unterstützer_innen aus Deutschland vermögen die Not nicht wirklich zu mildern. Im Herbst 2010 entdecken die Ärzte erneut bei Ljalje einen Tumor in der Brust. Sie war schon einmal in Deutschland an Krebs erkrankt. Auch diesmal kann noch operiert werden. Die für die OP notwendige Vorauszahlung in bar wird durch eine Blitzspendenaktion aus Bremen ermöglicht.


Als Miroslav die Reise zurück nach Hause - nach Deutschland - antritt, versuchte er der Verfolgung als Angehöriger der Minderheit der Roma zu entkommen, welche in Ex-Jugoslawien in extremer Armut und mit erschwertem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung leben müssen.

Miroslav wagte es, für ein besseres Leben zu kämpfen. Als Miroslav erneut scheiterte und die zweite Abschiebung bevorstand, verließ ihn sein Lebensmut. Er konnte einfach nicht mehr und wusste keinen Ausweg.

Miroslav ist im Moment noch in der Klinik, wenn es nach den Behörden geht soll er Anfang Januar abgeschoben werden. In Nordrhein-Westfalen wurde Anfang Dezember ein Abschiebe
stopp für Roma, Ashkali und Ägypter nach Serbien und Kosovo erlassen. Nicht jedoch in
Hamburg.
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Ergänzungen

Verlauf der Demo

... 10.12.2010 - 17:23
An der Demo nahmen grob geschätzt 100 Menschen Teil.

Bei der Startkundgebung wurden zwei Redebeiträge verlesen (einer entspricht meiner Erinnerung nach dem obigen Artikel). Leider relativ leise über ein Megaphon.

Die Demo ging ohne Spalier oder ähnliches, genug Polizei für 1-zu-1-Betreuung fuhr aber vorweg. Erfreulicherweise gab es Flyer, die auch an PassantInnen verteilt wurden. Zusammen mit den gut sichtbaren Transpis, relativ griffigen Parolen und gelegentlichen Erläuterungen über's Megaphon sollten die Menschen, die zu der Zeit auf der Straße waren, auch erkannt haben, worum es ging.

Route war: Schanzenstraße - Neuer Pferdemarkt - Neuer Kamp - Feldstraße - Holstenglacis (dort dann Abschlusskundgebung vor dem UG.

Bei der Abschlusskundgebung wurde darauf hingewiesen, dass die Demo eigentlich mit dem Routenziel Gänsemarkt angemeldet worden war, dies aber nicht genehmigt wurde.

Nach Auflösung der Demo gab es noch eine kleine Verzögerung beim Rückweg, weil die Polizei nicht alle auf einmal gehen lassen wollte. Trotzdem ließ es sich ein großer Teil der ehemaligen Demoteilnehmer nicht nehmen, den Rückweg gemeinsam hinter einem Transpi durch die Marktstraße zu gehen und dabei weiter Parolen zu rufen. Auch hier gab es von einigen der wenigen Passanten Zuspruch.
Das ganze löste sich aber auf, als die Polizei an der Schlachthof-Passage hektisch aus ihren Wannen gerannt kam.


Ganz subjektiv: ich habe schon wesentlich unsinnigere Spontandemos erlebt und obwohl ich mit der hier geäußerten Kritik an Spontandemos was anfangen kann, teile ich sie in diesem Fall nicht (auch wenn ein paar Leute mehr und eine Lautsprecheranlage sicher schön gewesen wären).

Weitermachen!

Miri 10.12.2010 - 17:28
Morgen (Sa. 11.12.) findet in Hamburg die schon länger geplante Antira-Demo der Karawane zum 62. Jahrestag der Verabschiedung der Uno-Menschenrechtserklärung statt. Ein guter Anlass den suizidversuch in Abschiebehaft zum Thema zu machen. Nicht auf Indymedia rummeckern, Hingehen!

DEMONSTRATION
AM SAMSTAG, 11.12.2010 UM 12h
- Hamburg HAUPTBAHNHOF -
Vorplatz Glockengießerwall

Die Menschenrechte werden weltweit und insbesondere von den reichen Staaten mit Deutschland vornweg – „dem Westen“ – mit Füssen getreten. Und zugleich sind es eben diese Unterdrücker, Ausbeuter, Folterer und Naturzerstörer aus der Welt des Reichtums, die sich als Hüter und Verteidiger der Menschenrechte aufspielen. Sie wollen sie für ihre Ziele, für eine Weltordnung der Ungleichheit, Sklaverei und Plünderung der Erde missbrauchen. Menschenrechte soll es nur für die Privilegierten geben, deren Verhalten zu oft erinnert an jene, die sich vor ein paar Jahrzehnten als „Herrenrasse“ wähnten...
Aber die Menschenrechte gehören uns – den Ausgebeuteten, Unterdrückten und Entrechteten, denen die als Menschen und nicht als Sklaven leben wollen!
Die Menschenrechte dürfen nicht Werkzeug der Herrschenden des Westens und ihrer Marionetten sein – sie sind unsere Waffe auf dem Weg in eine Welt ohne Krieg, ohne Verwüstung der Natur, dem Weg in eine befreite Welt der Geschwisterlichkeit und des Respekts vor allem Leben.
DAFÜR AM 11.DEZEMBER AUF DIE STRASSE!* ...  http://thecaravan.org/node/2640

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Und was war jetzt los?

ich 10.12.2010 - 15:54
Ihr könntet ja mindestens ein wenig zum Verlauf der demo schreiben. Z.B: wie viele Leute daran teilgenommen haben, o ihr hingegangen seit, ob irgendwas aussergewöhnliches von Seiten der Bullen passiert ist und wie die Reaktion der Passanten war.
Nur die Presseerklärung noch mal zuveröffentlichen und ein paar Fotos daran zu hängen, ist vielleicht ein bisschen wenig, wenn die Überschrift explizit auf die Spontandemo hinweist. Allerdings bin ich auch in der priviligierten Situation, das ich die Presseerklärung zugemailt gekriegt habe, was wohl bei den meisten Lesern von indymedia nicht der Fall ist. Aber wie gesagt ein wenig Inhalt u der Demo wäre schon okay gewesen.

macht mal was besseres

//danke() 10.12.2010 - 16:14
ich finde eure hamburger sponti-kultur scheiße. irgendwer ruft im internet zu einer sponti auf. obligatorisch ist 19h sternschanze und das höchstens noch in der flora rum zu erzählen. guckt doch mal nach berlin. es reicht einfach nicht einen indymedia beitrag zu schreiben und 3 transpis mitzubringen. viel mehr wäre erreicht worden wenn jetzt z.b. für samstag was organisiert worden wäre. ansonsten ist es immer dasselbe: 70 leute sbahn sternschanze um 19h laufen rum, gröhlen, die passanten wissen nichtmal um was es geht "ach die linken schon wieder", und für die bullen läuft es genauso berechnet wie jedes mal ab.

das bringt nichts.

Wo sind all die....

sahne 10.12.2010 - 17:14
Wo sind all die Antifas die im Februar nach Dresden fahren um den Haufen von Nazis zu behindern? Wo sind all die Leute, die T-Shirts tragen mit dem Spruch "Antifaschistische Aktion" oder "Gegen Nazis"? Wo sind all die Leute die sagen sie sind gegen Nationalismus und Rassismus?

Good Night White Pride heisst nicht bloß Nazis klatschen oder auf einer Gegenveranstaltung anwesend sein!!!!!!!!!!!!!!!!

Abschiebung verhindern!!!

stop deportation 10.12.2010 - 19:06
Es war wichtig mit der Spontandemo erst mal ein Zeichen zu Setzten, und bewisstsein für die Dringlichkeit der Lage zu schaffen.
Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zu den vorhergegangenen Suiziden im Abschiebeknast: Miroslaw hat überlebt! Und die Hamburger ausländerbehörde will ihn abschieben - nach möglichkeit Anfang Januar. Das dürfen wir nicht zulassen!
Die gestrige Demo muss also als ein Auftakt gesehen werden. Wür müssen ab jetzt alle Register ziehen und eine massive Öffentlichkeitskampagne gegen die geplante Abschiebung führen.

ähm...

tut nix zur sache 10.12.2010 - 22:14
..die demo wurde auf bewegungsmelder.org angekündigt.auch für weniger priviligierte,aber interessierte leute einsehbar.
trotzdem wäre es hilfreich, in zukunft eine kombi aus ausführlicher berichterstattung zum verlauf der demo UND der presseerklärung ins netz zu stellen