DAN: StA will Verteidiger ausschließen

Vogel bei der StA Lüneburg... 08.12.2010 18:00 Themen: Atom Repression Ökologie
Dannenberg: Staatsanwaltschaft will Verteidiger ausschließen!

Zuspitzung im Strafprozess gegen Cécile Lecomte in Dannenberg: Staatsanwalt Vogel hat den Ausschluss des Verteidigers Jörg Bergstedt beantragt. Offensichtlich hat er keine Hoffnung mehr, im Verfahren gegen das strafprozesserprobte Duo und dessen offensive Prozessführung gewinnen zu können. Vorangegangen waren mehrere Versuche des Staatsanwaltes, die Angeklagten und den Verteidiger einzuschüchtern oder in den Rechten zu beschränken. Doch die hatten alle Attacken sauber pariert. Entscheiden über den Antrag muss nun der Richter, der bislang fast immer auf den Staatsanwalt hörte, dafür aber selbst auch Kritik einstecken musste.
Hintergrund des Verfahrens ist eine Aktion vor dem Brennelementezwischenlager in Gorleben im Sommer 2008 (Hintergrund siehe  http://bewegung.taz.de/termine/prozess-gegen-atomkraftgegnerin) .
Die Betreiber hatten vor dem eigentlichen Festungszaun einen weiteren Sperrzaun errichtet. Der hatte an einer Stelle aber einen Durchschlupf, weil zwei Stahlstangen nicht in gleichmäßigem Abstand geschweißt waren. Cecile wird nun vorgeworfen, durch diesen äußeren Zaun geschlüpft zu sein und dann in einer "Ätsch, Euer Zaun funktioniert nicht"-Manier mit Kiefernzapfen Volleyball mit DemonstrantInnen vor dem Zaun gespielt zu haben. Statt amüsiert zuzuschauen und Cecile zu danken für das Herausfinden der Schwachstelle, machte die Polizei das, was sie kann: Befehle erteilen, sich dann auf Cecile stürzen, sie zum Fahrzeug zu schleppen, dann zur Polizei mitzunehmen und dort einen Platzverweis zu erteilen. Das Versammlungsrecht beachteten sie ebenso wenig wie die Regeln der Verhältnismäßigkeit, nach der immer das mildeste Mittel anzuwenden ist. Eine Inhaftierung ist aber das weitgehendste Mittel. Obwohl selbst zur Videoauswertung in der Gerichtsakte steht, Cecile hätte keinen Widerstand geleistet, der Film das auch zeigt und unter solchen Umständen ein Widerstand ohnehin nicht strafbar wäre (weil die Polizeihandlung rechtswidrig war, siehe § 113 StGB, Abs. 3), bekam Cecile genau diesen Vorwurf. Und auch die Betreiberfirma des Atomklos war verbohrt und befand das Geschehen als Hausfriedensbruch. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg, denen protestierende Menschen ohnehin ein Greuel sind, insbesondere aber unberechenbar-freche, zettelten ein Verfahren an. Verhandelt wurde erstmals im Sommer 2010 in Dannenberg. Nach fünf Verhandlungstagen scheiterte der erste Versuch. Das Gericht hatte auf Antrag von Cecile den Aktivisten Jörg Bergstedt als Verteidiger bestellt, die Staatsanwaltschaft äußerte keine Bedenken.(Berichte:  http://wendland-net.de/index.php/artikel/20100804/eichhoernchen-beschaeftigt-gericht-mit-allerlei-antraegen-26448
und  http://www.scharflinks.de/47.0.html&tx_ttnews[tt_news]=12163&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=99f6c5d21b
Das Verfahren platzte durch die Krankheit der Angeklagten, wobei Gericht und Staatsanwaltschaft ihre Mentalität offen zeigten. Obwohl Cecile ein Attest übersandte, ließ Richter Stärk die Angeklagte verhaften und drei Stunden festsetzen, bis eine Amtsärztin nochmal alles überprüfte. Die befand aber ebenfalls, dass Cecile verhandlungsunfähig sei (Siehe:  http://de.indymedia.org/2010/10/291522.shtml ).
Unfassbar unverschämt war eine Anmerkung von Staatsanwalt Vogel, der weiter von einer angeblichen Krankheit sprach, über deren Wahrscheinlichkeit er sich der Höflichkeit wegen nicht weiter auslassen wollte.

Zitat: „ Ob die Begründung, mit der die mit der Untersuchung der Angeklagten befasste Amtsärztin schließlich zur Feststellung angeblich vorliegender Verhandlungsfähigkeit gelangt ist, plausibel ist, möchte ich aus Gründen der Höflichkeit nicht näher kommentieren.“

Am 22.11.2010 ging das Verfahren in eine neue Runde. Verteidiger Jörg Bergstedt war inzwischen selbst inhaftiert ( http://weggesperrt.blogsport.eu). Sein Antrag, die Fahrt nach Dannenberg trotzdem antreten zu dürfen, wurde abgelehnt - Knäste und Justiz fuhren sich da gegenseitig in die Parade. So lief der erste Verhandlungstag ohne VerteidigerIn. Alle Anträge dazu seitens der Angeklagten wurden zurückgewiesen. Am 29.11. folgte der zweite Verhandlungstag. Der Verteidiger, im offenen Vollzug untergebracht, investierte einen seiner eher raren Urlaubstage (jaja - Urlaub aus dem Knast) und fuhr nach Dannenberg. Offenbar war zumindest Staatsanwalt Vogel überrascht, hatte er doch auf ein Verfahren mit weniger Gegenwehr gehofft. Er legte aber keinen Widerspruch ein, so dass ein hart umgekämpfter Verhandlungstag mit vielen Anträgen folgte. Hauptstreitpunkt: Verteidiger Jörg Bergstedt wollte, wie es § 147, Abs. 4 der StPO vorsah, die Akte in seine Wohnung zugestellt bekommen. Das darf nur mit besonderen Gründen abgelehnt werden. Die fielen aber niemanden ein. Staatsanwalt Vogel hatte schon im Verlauf des Verfahrens mit üblen Attacken jenseits der Beleidigungsgrenze agiert: "Der kann die Zustellgebühr gar nicht zahlen" oder "Der bietet keine Gewähr, dass die Akte wieder vollständig zurückkommt" usw. Aber er rührte an der Gesamtlage nichts an - noch nicht. Das kam ihm offenbar erst einige Tage später, möglicherweise motiviert, weil in einem weiteren Verfahren in Lüneburg nun auch eine Laien-Verteidigerin ausgerechnet in der Person von Cécile Lecomte beantragt und genehmigt wurde, Bedenken äußerten weder Richterin noch Staatsanwaltschaft (Siehe :  http://de.indymedia.org/2010/12/295583.shtml ). Die Justiz bekam mit, dass Menschen sich hier selbstbestimmt organisieren und nicht den staatlichen oder bewegungsinternen Verhaltensnormen unterwerfen.

Am 2.12. ließ sich Staatsanwalt Vogel Unterlagen von seinen Kollegen in Gießen schicken: Den Haftantritt des Verteidigers und mehr. Daraus nun konstruierte er eine wilde Story: Jörg Bergstedt sei nur Verteidiger von Cécile geworden, um Gründe für eine Verschonung von der Haft haben zu können usw. Die völlig abstrusen Vorwürfe begründete er auch nicht weiter, leitete aber daraus den Vorwurf ab, dass er sich das Verteidigermandat "erschlichen" hätte und dieses deshalb zurückgenommen werden müsste.
Mit diesem Antrag nun wurde der Verhandlungstag am 6.12. eröffnet. Jörg Bergstedt war wieder anwesend - er, die Angeklagte und die ZuschauerInnen schauten fassungslos ob dieses unglaublichen Angriffs der Staatsanwaltschaft. Niemand im Raum hatte Zweifel: Hier versucht, ein Geschlagener doch noch zu obsiegen, in dem er jegliche Rechtsnähe (die er ja, was meist ja ohnehin keine tolle Sache ist, da die meisten Gesetze nicht besonders menschlich sind) verließ und mit billigen Unterstellungen, übler Nachrede und Rechtsverdrehungen die Verteidigungsbank einfach zerlegen wollte. Richter Stärk wusste, dass dieser Antrag kam und hatte schon mal die Zeugin abgeladen (sie wäre sonst das 6. (!) Mal umsonst gekommen). Angeklagte und Verteidiger reichten Stellungnahmen zum Antrag ein, der Verteidiger zusätzlich eine Strafanzeige gegen den Staatsanwalt wegen falscher Verdächtigung und übler Nachrede. Dann war Schluss - und nun darf mit Spannung erwartet werden, was Richter Stärk am nächsten Montag, 9.30 Uhr im Amtsgericht Dannenberg verkündet.

Wird er wieder dem Staatsanwalt nach dem Mund reden? Oder überzieht Vogel mit diesem Manöver und verliert in diesem wichtigen Punkt die Unterstützung des Richters? So oder so ist dann aber auch die Folge völlig unklar, denn der Ausschluss eines Verteidigers ist eine sehr ungewöhnliche Sache - und dann noch mit einer derart hanebüchenen Geschichte! Werden Richter und Staatsanwalt nach dem Rauswurf einfach das Verfahren gnadenlos durchdrücken? Normalerweise hat ein Verteidigerausschluss weitreichende prozessuale Folgen - aber wer beim Rauswurf des Verteidigers das Recht mit Füßen tritt, kann sich auch danach ja einen Dreck drum scheren. Andersherum: Was macht Vogel, wenn er dieses Duell verliert? Greift er zu noch plumperen Waffen? Nach Eindruck der Anwesenden wirkt Vogel wie ein Schachspieler, der nicht verlieren kann. Verbissen führt er, durchaus überdurchschnittlich mit der Rechtsmaterie vertraut, seinen einsamen Kampf gegen Störenfriede. Für den Widerstand im Raum Lüneburg und Wendland dürfte die Auseinandersetzung daher von Bedeutung sein, denn Vogel ist der für Anklagen wegen politischen Aktionen zuständige Staatsanwalt. Zudem zeigt die Auseinandersetzung, was eine offensive Prozessführung für einen Wert hat: Sie demaskieren die Justiz als das, was sie ist - ein übles Schwert in der Hand derer, die die Normen und Diskurse bestimmen.
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Ergänzungen

weitere Prozesstermine in Danneberg:

bla 08.12.2010 - 19:15
Es geht weiter:
Mo. 13.12.2010 - Mo. 20.12.2010 - Mo. 10.01.2011 jeweils 9:30 Uhr vorm Amtsgericht Dannenberg