Gewerkschaften im Zwielicht

Tom 06.12.2010 14:57 Themen: Soziale Kämpfe
Ein Artikel über hohen Anspruch, falsche Moral und bittere Realität bei den deutschen Gewerkschaften
Gewerkschaftlicher Anspruch-gewerkschaftliche Realität
Von Basisdemokratie, die in den Vorstandsetagen gemacht wird

Sie sind der stilisierte Zeigefinger oder auch einmal die (meist in der Hosentasche) geballte Faust der organisierten deutschen Arbeitnehmer. Die Gewerkschaften unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) strotzen vor Selbstbewusstsein und lassen keine Zweifel an innergewerkschaftlicher Demokratie. Ihre Satzungen schreiben allesamt  den Willensbildungsprozess von unten nach oben vor. Sie deklarieren und zelebrieren regelmäßig ihre politische Unabhängigkeit und ihren Biss gegenüber ihren politischen Gegnern, von ihnen weniger hart  als “Sozialpartner” bezeichnet . Und noch softer gehen die Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften, Politik und Arbeitgebern auch zu. Schnell drängt sich angesichts regelmäßiger Kuschelpolitik und fauler Kompromissfähigkeit der Gewerkschaftsfunktionäre das Sprichwort von den Krähen, die sich gegenseitig kein Auge aus hacken auf. Und an der richtigen Basis brodelt es schon lange gewaltig. Die Betonung liegt auf “richtiger Basis”. Das sind diejenigen Gewerkschaftsmitglieder, die als brave Beitragszahler willkommen sind, ihre Meinung jedoch ignoriert wird. Denn der eigentliche Meinungsbildungsprozess findet zum Unmut der einfachen Mitglieder von oben nach unten statt. Das er reibungslos abläuft ist einer Tatsache geschuldet, die ihr Vorbild in Teilen der Politik, aber auch in vielen anderen angeblich demokratischen Hierarchien findet. Das Prinzip ist dabei relativ simpel:  Ich besetze sämtliche (Unter) Gremien und Strukturen mit meist unkritischen Leuten.
Diese Personen muss man in der Regel nicht von seiner Politik überzeugen, sie sind bereits davon überzeugt, dass “ganz oben schon die richtigen Entscheidungen getroffen werden”. Die dann beispielsweise auch solche sein können: Personalabbau, Schließung von Büroeinheiten,  drastische Erhöhung der Vorstandsgehälter (hier ver.di) , Kürzung von Leistungen der Beschäftigten oder Abschiebung von unbequemen Beschäftigten, die “politisch nicht korrekt handeln.”
Die meisten dieser dargestellten Fälle erblicken nie das Licht der Öffentlichkeit und erreichen die Basis nur, wenn sie beispielsweise eher zufällig vor einem geschlossenen Gewerkschaftsbüro steht. Die DGB Führung verwendet viel Energie und Raffinesse darauf, solche Entscheidungen unten den Teppich der Verschwiegenheit zu kehren. Funktionäre oder Mitglieder die nach bohren werden isoliert oder gleich “entsorgt”.  Das Prinzip von Einschüchterung und Repressalien hat sich über Jahre bewährt. Die Führungsriegen der DGB Gewerkschaften handeln fast autonom, ohne ernsthafte , lästige Widerstände durch die zahlende Basis. Sie konnten sich so zu immer verlässlichen Partnern ihrer eigentlichen politischen Gegner entwickeln, genießen in etwa dieselben Privilegien und verteidigen diese mit der Vehemenz tollwütiger Hunde. Jedwede Kritik prallt von ihnen ab oder wird mit Hilfe der bar jeder Demokratie geschaffenen Gremien der unteren Ebenen bereits dort erstickt, wo sie aufflammt. Wenn wundert es also, dass berechtigte Forderungen der Basis nach wirklicher politischer Unabhängigkeit die Kreisebenen erst gar nicht verlassen oder spätestens auf der Bezirksebene im Keim erstickt werden. Extra ausgewählte Funktionsträger (das können auch schon mal Verwaltungsangestellte als Delegierte sein) machen es möglich.

Auch mutige Funktionäre, wie Lothar Degen vom ver.di Fachbereich 8 aus Hamburg drücken es inzwischen drastisch aus: „ Der Apparat hat sich von der Realität an der Basis entfernt und versucht verzweifelt, sich selbst zu retten. Die Staatsnähe und die Kungelei mit Unternehmen und öffentlichen Dienstherren ist dabei zum Selbstzweck geworden.“
Apropos politische Unabhängigkeit. Der Vorsitzende des DGB; Michael Sommer kann es noch so oft Gebetsmühlenartig herunter beten, der DGB ist (und wird es sicher auch weiter bleiben), ein Anhängsel der SPD. Fast sämtliche Spitzenfunktionäre (mit wenigen Ausnahmen) sind nicht nur Mitglieder der SPD, sondern bekleiden in ihr auch Spitzenfunktionen. Wenn wundert es also, dass vor Jahren noch Gerhard Schröders Wahlkampf auch finanziell kräftig unterstützt wurde und der wirklich große Aufschrei gegen die Hartz IV Gesetzgebung oder die Mehrwertsteuererhöhung ausblieben? Und jetzt, nachdem Sommer und Ko. auch bei Merkel mit ihrer (richtigen)  Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn abgeblitzt sind, werden die Freundschaftsbänder zur SPD schon wieder dicker. Auch wittert DGB Chef Sommer wohl bereits Morgenluft, was die künftigen politischen Konstellationen angehen könnte. Man hält sich halt gern ein Türchen ins Kanzleramt offen. Und wer weiß, vielleicht läuft Steinmeier als glückloser Kanzlerkandidat der SPD nochmals zur Hochform auf. Doch allzu große Erwartungen sollten auch Gewerkschaftsmitglieder an einen Regierungswechsel zu rot/grün nicht haben. Hartz IV, eine verkorkste Gesundheitsreform, Mehrwertsteuererhöhung und Rente mit 67 sind auch Kinder der SPD. Sich jetzt in der Opposition darüber aufregen, obwohl man es damals hätte besser machen können, lässt doch arge Zweifel an der Glaubhaftigkeit der SPD Genossen aufkommen.
Doch zurück zu den gewerkschaftlichen Moralisten.
Ja, sie wird hoch gehalten  in den gewerkschaftlichen Verlautbarungen : die Moral.
Kaum ein Tag vergeht, wo der moralische Zeigefinger einmal unten bleibt. Sind sie deshalb die letzten Gralshüter der Moral? Mitnichten. Denn es gibt auch Formen der falschen Moral. Und hier stehen Gewerkschaften mit an vorderster Front.
Nur einige Beispiele: Wenn es um die Verteidigung des Friedens geht, stehen sie gern mit in der ersten Reihe und präsentieren sich als Friedensaktivisten. Das ist lobenswert. Doch schon auf die Frage, warum die IG Metall nicht gegen die Produktion von Waffen und anderes Kriegsgerät Stellung bezieht, reagieren deren Vertreter kurzatmig und gereizt. Nein, ihre vielen tausend Mitglieder in der deutschen Rüstungsindustrie will man nicht vergrämen. Auch dann nicht, wenn ihrer Hände Arbeit weltweit Kriege erst ermöglichen und forcieren.
Oder nehmen wir ein Beispiel aus den Tarifverhandlungen. Regelmäßig fordern die Gewerkschaftsfunktionäre “ einen ordentlichen Schluck aus der Pulle” . Soll heißen, die Beschäftigen brauchen ordentliche Gehaltszuwächse. Eine durchweg berechtigte Forderung. Doch wirklich durchgesetzt haben “ordentliche Schlucke” nur die kleinen , vom DGB beschimpften Spartengewerkschaften, wie die Gdl (Lokführergewerkschaft) , die Vereinigung Cockpit, (Pilotengewerkschaft) oder der Marburger Bund ( Ärztegewerkschaft). Anders als die DGB Gewerkschaften ließen sie sich nicht auf schnelle und meist faule Kompromissvorschläge der Arbeitgeber ein und erstreikten die guten Abschlüsse. Entgegen dem Mitgliedertrend beim DGB haben diese Gewerkschaften Zulauf.
Besonders dreist handeln Gewerkschaften, wenn es um die Gehälter ihrer eigenen Beschäftigten geht. “ 1,5 Prozent ist ein gutes Angebot - ich finde, eines, über das man diskutieren kann” sagte z.B. Isolde Kunkel Weber vom ver.di Vorstand zum Vorschlag ihrer Gewerkschaft an die Beschäftigten. Dreister geht es nicht. Auch im Zusammenhang mit den Protesten um Stuttgart 21 zeigt sich, wie weit Fordern und Handeln bei Gewerkschaften auseinander liegen. Obwohl lautstark immer mehr Bürgerbeteiligung vom DGB gefordert wird, ließ er einen Redner der Stuttgart 21 Organisatoren auf einer ihrer Kundgebungen nicht zu. Wohl nicht zufällig wenn man weiß, dass die Eisenbahnergewerkschaft Transnet das umstrittene Projekt unterstützt.
Auch innergewerkschaftlich spielt Moral beim DGB eher eine untergeordnete Rolle.
Doch in dieser Hinsicht dringt meist noch weniger an die Öffentlichkeit. Aber auch hier gibt es einige peinliche Vorfälle.
Für bundesweite Aufmerksamkeit ( sogar der Focus berichtete) sorgte z.B. der Fall des  Ende 2009 entlassene vorpommerschen DGB Funktionärs Thomas Möller, der insgesamt 21 Jahre als Funktionär arbeitete. Was war passiert?
Möller hatte zum 1. Mai 2007 kurzerhand sämtliche Politiker ausgeladen, die der Rente mit 67 ,der Mehrwertsteuererhöhung und der Gesundheitsreform zugestimmt hatten. Damit zog er  besonders den Unmut von SPD Politikern auf sich. Diese beschwerten sich bei seinen Vorgesetzten und verlangten Konsequenzen. Zwar blieben diese zunächst aus, doch Möller stand wohl damit bereits auf der Abschussliste. Im Jahre 2008 zog Möller dann den Unmut einiger seiner eigenen Funktionäre auf sich. Vehement hatte er sich auf die Seite des ehrenamtlichen DGB Kreisvorstandes Greifswald gestellt der den Beschluss gefasst hatte, den beabsichtigten Bau eines Steinkohlekraftwerks in Lubmin durch den Dänischen Konzern Dong Ernergie, abzulehnen. DGB, IG Metall und besonders die IGBCE unterstützen den Bau. Es ist davon auszugehen, dass es Funktionäre dieser Gewerkschaften waren, die T. Möller scharf angriffen und ihm mit Hilfe von nicht belegbaren und konstruierten Unterstellungen uin ein Arbeitsgerichtsverfahren zwangen. Möller gewann dieses Verfahren zwar, doch der DGB setzte auf Zermürbung, Mobbing und Selbstaufgabe. Ende 2009 schied Möller gesundheitlich angeschlagen beim DGB aus. Mehr zum Thema findet man unter der Homepage : www.basisfern.npage.de.
T. Möller engagiert sich heute  weiter gegen Funktionärsfilz, kämpft für politische Unabhängigkeit der Gewerkschaften und für mehr  Basisdemokratie.
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Ergänzungen

Literaturhinweis

Entdinglichung 06.12.2010 - 16:14
Rainer Zoll: Der Doppelcharakter der Gewerkschaften. Zur Aktualität der Marxschen Gewerkschaftstheorie. Suhrkamp, Frankfurt, 1976

bei aller Kritik

Frank 07.12.2010 - 11:11
...muss man doch auch mal die positiven Aspekte der Gewerkschaften sehen. Die Basis hat hier mehr zu sagen als irgendwo sonst, zB als bei Parteien, egal welcher. Ver.di und IGM finanzieren und unterstützen antifaschistische Arbeit, immer schon. Dass die Vorstände ein gutes Gehalt bekommen - ja, und? Da wird kritisiert, wenn Büros dichtmachen, andererseits wird der Wasserkopf-artige Apparat kritisiert. Was denn jetzt, verschlanken und effizienter machen, oder auf Teufel komm raus noch mehr Hauptamtliche durchfüttern? Das Geld fehlt dann ja auch woanders. Die Gewerkschaften sind OK

Immer mehr Wut auf sozial Schwache

Klassenkampf 08.12.2010 - 14:44
Immer mehr Wut auf sozial Schwache

Erstellt 03.12.10, 19:10h
Einer Studie zufolge gibt es vor allem in höheren Einkommensgruppen eine Zunahme „abwertender, menschenfeindlicher Einstellungen“ gegenüber sozial schwachen Gruppen und Minderheiten. Die Rede ist von einem „Klassenkampf von oben“.
Armut
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Etwa jeder sechste Deutsche ist von Armut bedroht. (Bild: dpa)
Armut
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Etwa jeder sechste Deutsche ist von Armut bedroht. (Bild: dpa)
BERLIN - Einer Studie zufolge ist in Deutschland eine "deutliche Vereisung des sozialen Klimas" zu beobachten. Vor allem in höheren Einkommensgruppen gibt es eine Zunahme "abwertender, menschenfeindlicher Einstellungen" gegenüber sozial schwachen Gruppen und Minderheiten, wie aus der am Freitag in Berlin veröffentlichten Untersuchung des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld hervorgeht. Fremdenfeindlichkeit und vor allem Islamfeindlichkeit nehmen bei den Besserverdienenden danach ebenso zu wie die negativen Einstellungen gegenüber Langzeitarbeitlosen, Obdachlosen oder Homosexuellen.

Die Wissenschaftler um Studienleiter Wilhelm Heitmeyer sprachen von einer "rohen Bürgerlichkeit" und einem "Klassenkampf von oben". Es zeichne sich ein Rückzug der höheren Einkommensgruppen vom sozialen Zusammenhalt der Solidargemeinschaft ab. Sie begründen diese Tendenzen vor allem mit den Folgen der Wirtschaftskrise. Dabei gehe es den Besserverdienenden vor allem um die Sicherung eigener sozialer Privilegien.

Entsolidarisierung in der Gesellschaft

Das Gefühl, von der Krise bedroht zu sein, befördert laut Studie generell die Entsolidarisierung in der Gesellschaft gegenüber Einwanderern. Während sich aber Arme stärker mit Hilfebedürftigen wie Arbeitslosen solidarisieren, selbst wenn sie sich von der Krise bedroht und benachteiligt fühlen, sei dies bei Menschen mit mehr als 2500 Euro Nettoeinkommen im Monat weniger der Fall.

Die Langzeitstudie "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Deutschland" untersucht seit 2002 Ausmaße, Entwicklungen und Ursachen von Vorurteilen gegenüber unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Für den nun vorliegenden 9. Report, der sich mit den Folgen der Wirtschaftskrise befasste, wurden im Mai und Juni dieses Jahres 2000 Personen befragt.

Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Grünen-Bundestagsfraktion, forderte angesichts der Studienergebnisse Konsequenzen. Politik und Wirtschaft müssten dem Auseinanderdriften der Gesellschaft dringend entgegen wirken. Wer wie FDP-Chef Guido Westerwelle von "anstrengungslosem Wohlstand" der Hartz-IV-Empfänger phantasiere, "fördert diesen fatalen Trend zur Abwertung sozial Schwacher", kritisierte Lazar. (afp)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Anderer Gedanke — Sozialpartnerschaftskritisch

qwertz — völligwurst