Schweiz: Demos gegen Ausschaffungsinitiative

Albert Olter (RIO) 30.11.2010 21:38 Themen: Antifa Antirassismus Globalisierung Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Die SchweizerInnen haben sich bei einem Referendum am Sonntag mit knapp 53 Prozent für die automatische Abschiebung straffällig gewordener AusländerInnen ausgesprochen. Als Reaktion auf das Abstimmungsresultat zu dieser Ausschaffungsinitiative kam es am Sonntagabend in verschiedenen Schweizer Städten zu Protesten. Wie schon im Vorfeld durch Resultate von Umfragen zu erwarten war, wurde die Vorlage mit 52,9% Ja-Stimmen angenommen, ein vom Parlament ausgearbeiteter Gegenvorschlag, der zumindest eine gewisse Willkür verhindern sollte, mit 54,2% abgelehnt.
Als um 18 Uhr die offiziellen Abstimmungsresultate bekannt gegeben wurden, gingen in Bern und Lausanne einige hundert Personen auf die Strasse. Die weitaus grösste Demonstration fand jedoch in Zürich statt. Hier fanden sich ungefähr 4.000 Personen zusammen, eine Zahl, die sonst nur von der 1. Mai-Kundgebung erreicht wird. Lautstark und sehr kämpferisch zog die Demonstration durch die Zürcher Innenstadt. Normalerweise versucht die Polizei, ein Eindringen von Demonstrationen in die historische Altstadt zu verhindern, was diesmal durch die grosse Anzahl an DemonstrantInnen und die sichtliche Überforderung der Polizei allerdings nicht gelang.

Während des Umzugs wurden in der gesamten Stadt immer wieder Schaufenster eingeschlagen und Parolen gesprayt, so beispielsweise bei der NZZ, einer rechtskonservativen Zeitung. Nachdem die Demonstration ungefähr zwei Stunden unbehelligt und lautstark lief, wurde sie von der Polizei an einem Weiterkommen gehindert. Dazu setzte die Polizei Tränengas, Gummischrot und Wasserwerfer ein, und trieb die Menschen auseinander. Nach einigen hektischen und unübersichtlichen Minuten sammelten sich die Teilnehmenden am Paradeplatz, dem Herzstück der Schweizer Bankenlandschaft, und zogen zurück zum Ausgangspunkt, wo die Kundgebung aufgelöst wurde.

Der Protest der DemonstrantInnen richtete sich gegen die bald gesetzlich verankerte Diskriminierung. Nach der am Sonntag verabschiedeten Vorlage reicht bereits eine Verurteilung wegen Sozialhilfebetrugs oder Drogenbesitzes aus, um ausgewiesen zu werden. Somit entstehe ein Gesetz, das die Gleichheit untergrabe und je nach Herkunft des Angeklagten unterschiedliche Maßstäbe anwende, monieren die GegnerInnen.

Proteste hatte es bereits im Vorfeld des Referendums gegeben: Die SVP warb mit Schäfchen-Plakaten für die verschärften Ausländergesetze. Darauf zu sehen ist ein weißes Schaf, das ein schwarzes mit einem schwungvollen Tritt ins Hinterteil von der Schweizer Flagge bugsiert. Die Ausschaffungsinitiative wurde von der SVP, einer Partei die sich vom konservativen Lager bis weit nach Rechtsaußen erstreckt, lanciert und mit riesigem finanziellen Aufwand propagiert.

Die Kampagne rund um die Abstimmung ist allerdings nur ein Puzzlestück in einer breiten und langfristig angelegten Kampagne der SVP, die die AusländerInnenpolitik zu ihrem Kernthema erhoben hat und beinahe 30% der Sitze im Schweizer Parlament hält. Interessant ist, dass in ländlichen Gebieten, also genau in jenen Regionen, die einen geringen AusländerInnenanteil aufweisen, die Initiative sehr deutlich angenommen wurde. Einzig in der französischsprachigen Schweiz wurden sowohl die Initiative wie auch der Gegenvorschlag verworfen. Diese klare Linie entlang der Sprachengrenze ist immer wieder zu beobachten, und hängt vor allem mit dem vergleichsweisen grossen Einfluss der Gewerkschaften und der parlamentarischen Linken in dieser Region zusammen.

Diese Tatsache zeigt, dass nur die ArbeiterInnenbewegung eine konsequente Antwort auf die rassistische Hetze der SVP geben kann. Der Aufstieg der SVP insgesamt war nur möglich auf der Grundlage der historischen Krise der Sozialdemokratie (sowohl der Partei wie auch der mit ihr verbundenen Gewerkschaften), die selbst in der wohlhabenden Schweiz immer weniger Spielräume für ihre reformistische Politik vorfinden. Nur der Aufbau einer revolutionären, internationalistischen Strömung in der ArbeiterInnenbewegung kann die Hetze der SVP wirklich aufhalten. Militante Demos gegen rassistische Politik sind wichtig – und wir unterstützen sie überall, wo wir können –, können jedoch wenig zur Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse beitragen. Deswegen sehen wir es als die Aufgabe von allen AntirassistInnen und AntikapitalistInnen, am Aufbau einer revolutionären Organisation mit Verankerung in den Betrieben, Schulen und Unis mitzuwirken.

Albert Olter, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO), Zürich,  http://www.revolution.de.com

Eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der jungen Welt vom 30. November,  http://www.jungewelt.de/2010/11-30/032.php

Bilder:  http://ch.indymedia.org/de/2010/11/78968.shtml
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Ergänzungen

NZZ "rechtskonservativ"!?

Meinungsfreiheit 01.12.2010 - 10:23
Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) ist wahrlich keine linke Zeitung, aber das sind auch taz, Frankfurter Rundschau und selbst die Jungle World nicht wirkich. Ob das allerdings ein Grund sein sollte, militant gegen sie zu agieren, steht auf einem anderen Blatt. Es zeigt meines Erachtens nur, dass die Meinungsfreiheit vom vermeintlich "revolutionären" Aufbau aus Zürich kein allzu geschätztes Gut ist.

Und die NZZ wie hier im Artikel als "rechtskonservativ" zu bezeichnen, dient letztlich nur dazu die Militanz an einer Stelle schön zu reden, an der sie völlig unangebracht war. Denn in Wirklichkeit gehört die NZZ zu den liberaleren Zeitungen im deutschsprachigen Raum. Das lässt sich gut am Artikel zur Demonstration sehen:

 http://www.nzz.ch/nachrichten/zuerich/stadt_und_region/gewalt_im_schutz_der_masse_1.8508074.html

Jede konservative Zeitung, besonders dann, wenn sie das Präfix "rechts" trägt, hätte doch alle demonstrierenden AntirassistInnen in einen Topf mit den Gewalt ausübenden AktivistInnen geworfen und sich gehütet so detailliert zu differenzieren. Es ist auch bezeichnend, dass im Junge Welt Artikel des selben Autors nichts von einer "rechtskonservativen Zeitung" steht, weil selbst dieses ML-Blättchen zu seriös ist um so einen Unfug zu drucken.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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offensichtliche Trittbrettfahrer

ich 01.12.2010 - 03:44
Ich glaube kaum, das die Gründung einer leninistischen Partei jetzt in der Schweiz, wo ein rassistischer Grundkonsens herrscht und wo es eigentlich nie eine nennswerte Tradition des Klassenlkampfes gab, die adäquate Antwort auf diese neue Stufe des Rechtspopulismus ist. Erinnert doh sehr stark an die deutschen "Klassenkämpfer" der frühen neunziger Jahre, die sich selbst angesicht der Massenpogome von Rostock-Lichtenhagen nicht eingestehen wollten, das es grade ihre Arbeiterklasse war, die die reaktionäre Stimmung gewalttätig vorangetrieben hat, und sich noch bei dem rassistischen Mob durch Parolen ala "Ausländer sind die falsche Adresse, haut den Bonzen auf die Fresse" anbiedern wollten.

mensch meier

arbeiter 01.12.2010 - 09:42
gegen die ausschaffung auf die strasse gehen ist gut und wichtig - aber mit einer "arbeiterbewegung" in der dann am ende sowieso nur studenten rumrennen kommt das dann für den durchschnittsarbeiter eher abstoßend und lächerlich rüber.

NZZ

tzüri 01.12.2010 - 22:24
Die NZZ ist eine reaktionäre, hetzerische Zeitung. Nur weil sie nicht ganz so schlimm ist, wie die anderen, ist sie immer noch eine Drecks-Zeitung.

Bei der letzen Demo wurde der Tagesanzeiger gesmasht...Na Und?
Wer hetzt denn die ganze Zeit gegen Auländer. Eben....Noch Fragen?

punktumschluss
Für die Anarchie

@tzüri

XXX 02.12.2010 - 11:18
Das Niveau deiner Agitation ist wirklich erschreckend! Die vorgebrachte Kritik an der Aktion richtete sich ja gerade dagegen, dass für manche "Linke" alle anders Denkenden legitime Ziele für militante Aktionen darstellen und du bestätigst das nur noch einmal:

"Die NZZ ist eine reaktionäre, hetzerische Zeitung. Nur weil sie nicht ganz so schlimm ist, wie die anderen, ist sie immer noch eine Drecks-Zeitung. Bei der letzen Demo wurde der Tagesanzeiger gesmasht...Na Und?"

Was soll das denn für ein Argument sein, dass ihr auch schonmal eine andere Zeitung "gesmashed" habt? Eine dumme Aktion wird ja nicht besser, wenn ihr sie noch einmal macht. Einzig der letzte Satz wäre im Ansatz ein Argument, wenn er denn stimmen würde, aber ich kann keine Hetze gegen "Ausländer" in der NZZ finden. Deswegen solltest du lieber einen Link zu einem solchen Hetzartikel anfügen, anstatt mit "Eben....Noch Fragen?" zu beweisen, wie selbstgefällig selbst "Linke" in der Schweiz sein können.

Im Übrigen würde mich mal interessieren, wie du dir "die Anarchie" vorstellst, wenn du Diskussionen schon im Ansatz mit "punktumschluss" beenden willst, nachdem du deine Position klargemacht hast. Du reproduzierst damit nämlich lediglich eine Verhaltensstruktur, wie ich sie nur von Bullen und Chefs kenne.

kritik ist keine

zürcher 02.12.2010 - 13:51
der nzz wurde nicht das publizieren verboten, sondern ein bisschen glas zerscherbelt. hälst du wirtschaftsliberal für einen widerspruch zu rechtskonservativ? was ist denn rechtskonservative wirtschaftspolitik?

@züricher

XXX 02.12.2010 - 17:24
Rechtskonservativ ist zu allererst einmal ein politisch unsinniger Begriff, wenn es um die Neue Züricher Zeitung geht:

Konservativ bedeutet das Bestehende erhalten, also konservieren zu wollen. Somit ist es von vorn herein gegen progressive Veränderungen gerichtet. Ob diese nun revolutionär oder reformistisch durchgesetzt werden sollen, spielt dabei für Konservative keine Rolle. Folglich gehören sie bereits per Definition zur klassischen, politischen Rechten.

Der Begriff Rechtskonservativ muss also als Verortung innerhalb des politischen Spektrums des Konservatismus verstanden werden. Somit beschreibt er die Grauzone zur nicht mehr verfassungskonformen, vermeintlich umstürzlerischen politischen Rechten. Ob das auf die in jeglicher Hinsicht liberale (also auch wirtschaftsliberale) NZZ zutrifft, kann ohne weitere Argumentation bestritten werden.

Aber um deiner Frage direkt zu antworten: Ja, "Rechtskonservative" können auch für Wirtschaftsliberalismus sein. Und nein, nicht jeder Wirtschaftsliberale ist "rechtskonservativ", da dies zumindest einen starken Wertekonservatismus voraussetzt (d.h. etwa gegen Homoehe, Geschlechtergleichberechtigung usw.).

Übrigens wollen die meisten Militanten ausserhalb der Schweiz nicht nur, dass ein paar Scheiben zu Bruch gehen, sondern dass ihre Militanz als symbolischer Akt der Negation verstanden wird. Sie fackeln etwa DHL Transporter ab, weil sie symbolisieren wollen, dass Kriege und die daran profitierenden Wirtschaftsunternehmen zur Geschichte gehören sollen. Sie werfen die Scheiben von Banken ein, weil sie damit symbolisieren wollen, dass sie das kapitalistische System abschaffen wollen. Usw.

Ich denke Militante in der Schweiz haben eigentlich auch einen solchen Anspruch. Was allerdings symbolisch abgeschafft werden soll, wenn die Scheiben von allen nicht-linken Zeitungsredaktionen eingeworfen werden, liegt auch auf der Hand. Das sollte jedoch keinesfalls verwundern, da Meinungsfreiheit bei bestimmten "linken" Strömungen noch nie zu den hochgeschätzten Gütern gehörte.