Stimmungsmache gegen Roma in Volkmarsdorf(LE)

Bürgerwehr Aufessen! 30.11.2010 18:36 Themen: Antifa Antirassismus
Frauen rennen aus Angst weg, Kinder dürfen nicht mehr auf die Straße, Wassereimer werden aus den Fenstern geschüttet. Bürgerkriegsähnliche Zustände werden heraufbeschworen und eine private Bürgerwehr als letztes Mittel in Betracht gezogen. So schildert einer der selbsternannten „letzten deutschen Mieter“ die Situation in Volkmarsdorf im August 2010.
Seit fast einem halben Jahr hält die Stimmungsmache gegen die im multikulturell geprägten Leipziger Stadtteil(1) lebenden Roma an. AnwohnerInnenbeschwerden, Gespräche hinter vorgehaltener Hand und Anfeindungen gegen Roma auf der Straße oder in der Schlange im Supermarkt lassen erkennen: Rassismus und Antiziganismus sind keineswegs überwunden.
Stattdessen werden typische antiziganistische Vorurteile reproduziert. So werden die Roma für Lärm, Müll und angeblich zunehmende Diebstähle, Einbrüche und Sachbeschädigungen verantwortlich gemacht(2). Ein Anstieg der Kriminalitätsrate ist laut Polizei jedoch nicht zu verzeichnen(3).
Mit reichlich Stereotypen und Vorurteilen im Kopf werden hier wieder einzelne Menschen in Schubladen gepackt und als Störer der guten deutschen Ordnung identifiziert. Es wird sogar gedroht, eine Bürgerwehr zu gründen.
Die NPD veröffentlichte am 01.09.2010 unter der Überschrift „Multi-Kulti-Terror in Leipzig-Volkmarsdorf NPD-Stadträte begrüßen geplante Gründung einer Bürgerwehr“ eine Pressemitteilung(4) und konstruiert darin eine „permanente Situation der Bedrohung für deutsche Anwohner“. Außerdem stellten die Nazis, wie in der Mitteilung angekündigt, eine Anfrage im Leipziger Stadtrat zur „Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch Sinti und Roma“(5)
Da die NPD in Volkmarsdorf recht hohen Zuspruch hat(6) und auch einer der Stadträte im Viertel(7) wohnt, liegt es nah, dass die Nazis in Kontakt mit den Beschwerdeführern stehen oder diese eben aus dem Umfeld der NPD kommen.

Schuld an all dem Übel sollen mal wieder die „Zigeuner“(8) haben, darüber scheinen sich Teile der AnwohnerInnenschaft und die NPD jedenfalls einig zu sein. Dass der Mob die Sache zur Not auch selbst in die Hand nehmen will, zeigt welche Gefahr von weit verbreiteten rassistischen Einstellungen ausgeht.

Viele Akteure im Leipziger Osten und auch die LVZ betrachten die Problemlage fast ausschließlich als ordnungspolitische Fragestellung(9). Im Aktionsbündnis „Sicherheit im Leipziger Osten“(10), einem Zusammenschluss aus VertreterInnen verschiedener Behörden und Vereine, hat sich eine Arbeitsgruppe „Roma“ gegründet - wohlgemerkt ohne Einbeziehung der Roma. In der kürzlich vom Aktionsbündnis veröffentlichten Anwohnerinformation „Roma in der Nachbarschaft“ darf natürlich die Telefonnummer von Polizei und Ordnungsamt nicht fehlen.
Noch mehr schockiert der Inhalt des Schreibens, denn dieser reproduziert antiziganistische Vorurteile, statt sie als solche zu entlarven. So schreibt die Arbeitsgruppe: „Maßnahmen, wie etwa verstärkte Streifengänge der Polizei, die beherzte Ansprache der Roma durch Bürger mit Zivilcourage oder aber auch die zunehmend kühle Witterung haben dazu beigetragen, dass in letzter Zeit weniger Beschwerden über Lärm, Verschmutzung usw. zu verzeichnen waren.“(11)
Abschließend lädt die AG „Roma“ zu einer „Veranstaltung zur aktuellen Lage“ in Volkmarsdorf ein.
Auch die Wochenzeitung Weiter hat es mit der Veröffentlichung des Artikels „Wir brauchen mehr Polizeistreifen“(12) vom 24.09.2010 nicht geschafft einen hilfreichen Beitrag zur Debatte zu leisten.

Initiative gegen Rassismus...
Es besteht also dringend Handlungsbedarf um den Nazis in der Nachbarschaft etwas entgegenzusetzen. Erste Schritte sind bereits gemacht: Eine Gruppe von Engagierten veranstaltete unter dem Motto „Abspielen statt Abgrenzen – Bürgerwehr und Rassismus wegkicken“ am 21.11. im Rahmen einer Kundgebung ein antirassistisches Fußballturnier. Auf dem Ernst-Thälmann-Platz in Volkmarsdorf wurde in einer Streetsocceranlage gekickt, die Küfa („Küche für Alle“) vom Krisenherd war mit Essen und Tee vor Ort, außerdem gab es einen Redebeitrag und einige musikalische Einlagen.
So soll direkte Solidarität gelebt und vor Ort ein erstes Zeichen gegen die rassistische Stimmungsmache gesetzt werden.

Blick über den Tellerrand...
Aktuell finden innerhalb von Europa, z.B. in Frankreich Massenabschiebungen und Vertreibungen von Sinti und Roma statt. Es gibt Ausschreitungen und Morde in Italien, der Slowakei, Ungarn und Rumänien. Auch in Deutschland wird abgeschoben und es erscheinen immer wieder Berichte über rassistische Übergriffe und menschenunwürdige Unterbringung in Flüchtlingsheimen.
Immer wieder führt der gesellschaftlich tolerierte Rassismus zu Ausgrenzung, Übergriffen und Toten.
Die systematische Ermordung von Sinti und Roma zu Zeiten des Nationalsozialismus in Deutschland ist wohl als trauriger Höhepunkt einer seit hunderten Jahren andauernden Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma zu sehen.

Wo Menschen vor allem nach ihrem Wert für den (nationalen) Markt beurteilt werden, Nationalismus weit verbreitet ist und Rassismus gesellschaftlich toleriert wird, gehört die Diskriminierung von Minderheiten eben zum Normalzustand.

Nationalismus und Antiziganismus entgegentreten!
Schluss mit der rassistischen Hetze gegen Roma in Volkmarsdorf und überall!
Globale Bewegungsfreiheit für alle!

Initiative „Bürgerwehr Aufessen!“ 30.11.2010
Kontakt:  antira-lo@gmx.de

Anmerkungen

(1)Laut „Sozialreport 2009“ der Stadt Leipzig haben 26,3% der EinwohnerInnen in Volkmarsdorf einen Migrationshintergrund; www.leipzig.de/sozialreport
(2)Siehe LVZ-Artikel vom 27.08.2010 „Extreme Feindlichkeit – Zoff um Sinti und Roma in Volkmarsdorf: Stadt und Polizei reagieren auf Anwohnerbeschwerde“
(3)Siehe Mephisto97.6-Meldung vom 27.08.2010 „Polizei lehnt Bürgerwehr in Volkmarsdorf ab“
(4)Siehe  http://xxx.npd-leipzig.net/2010/09/01/multi-kulti-terror-in-leipzig-volkmarsdorf-npd-stadtraete-begruessen-geplante-gruendung-einer-buergerwehr/
(5)Anfrage Nr. V/F 213 vom 15.09.2010 an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig
(6)Wahlergebnis der NPD 2009 in Volkmarsdorf: Sächsischer Landtag Direktstimmen 9,9% Listenstimmen 10,5%, Leipziger Stadtrat 8,0%; höchste Ergebnisse in ganz Leipzig
(7)NPD-Stadtrat Rudi Gerhardt Idastr. 18, 04315 Leipzig siehe
xxx.rechte-sachsen.de/Kommunalwahlen_NPD_2009_Ergebnis_Sitze.pdf
(8)Die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ ist von Stigmatisierung und Stereotypen geprägt. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma lehnt diesen Begriff ab. Er wird hier aber verwendet, weil eben nicht reale Menschen gemeint sind, sondern das projizierte Bild.
(9)Siehe dazu auch CEEIEH#181 „Was die LVZ Sonntagabend vom Tatort lernen könnte...“
www.conne-island.de/nf/181/3.html
(10)Mehr Informationen zu Zielen und Arbeitsweise des Bündnisses unter www.leipziger-osten.de/content/aktionsbuendnis-sicherheit/
(11)Das Schreiben ist auf den 15.11.2010 datiert und wird seitdem an Haushalte und bei verschiedenen Veranstaltungen verteilt.
(12) Siehe  http://nochweiter.de/geschichten/2010/09/24/0757_%E2%80%9Ewir-brauchen-mehr-polizeistreifen%E2%80%9C/


Ergänzung

Das im Text erwähnte Schreiben des Aktionsbündnis „Sicherheit im Leipziger Osten“ wurde überarbeitet.
Mit gleichem Datum wird nun ein ähnliches Schreiben ohne Telefonnummer der Polizei oder des Ordnungsamtes verteilt. Es wurden einige Passagen umformuliert und dem Schreiben an einigen Stellen etwas „Schärfe“ genommen. Kritik bleibt weiter angebracht.
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Ergänzungen

Weiterer Beitrag auf chronik.LE

Ergänzung 01.12.2010 - 19:06
unter: www.chronikle.org/ereignis/leipziger-b%C3%BCrger-mobilisieren-gegen-sinti-roma

"Leipziger Bürger mobilisieren gegen Sinti und Roma
27.August 2010

Im Leipziger Stadtteil Volkmarsdorf drohen Anwohner_innen eine Bürgerwehr gegen eine Gruppe von Sinti und Roma zu gründen. In einem offenen Brief machen sie diese für große Verschmutzungen, belästigende Bettelei, Steine werfende Kinder und sonstige Kriminalität rund um die Lukaskirche verantwortlich. Die Gründung einer Bürgerwehr gegen Sinti und Roma stellt für die Bewohner_innen den Weg dar, um ihrer extreme(n) Feindlichkeit gegen die betreffende Minderheit Ausdruck zu verleihen.

Die LVZ reagierte Ende August auf den offenen Brief der Anwohner_innen mit einem Artikel dessen Untertitel „Zoff um Sinti und Roma“ die Meinung vorzugeben scheint. Zwar wird Quartiersmanager Schirmer zitiert, der pauschale Schuldzuweisungen an bestimmte Gruppen zurückweist, doch bleibt die Tatsache bestehen, dass die LVZ nicht in der Lage ist, den Brief und die Bürgerwehr zu kritisieren. Es erscheint der LVZ eine gerechtfertigte und diskutierbare Forderung der Anwohner_innen zu sein, eine in Selbstjustiz handelnde Bürgerwehr gründen zu wollen, welche auf vorurteilbehaftetem Handeln und Agieren gegen eine Minderheit basiert und mit Sicherheit nicht die angesprochenen Probleme des Viertels lösen würde.

Zum wiederholten Mal beweist die LVZ eine unreflektierte Meinungswiedergabe, welche keinerlei Versuch unternimmt, Kritik klar zu formulieren und das Problem in Volkmarsdorf beim Namen zu nennen: Antiziganismus! Ganz nebenbei steht im Artikel der LVZ die Aussage der Polizei, die klar macht, dass in Volkmarsdorf weder die Kriminalitätsrate besonders hoch, noch die verübten Straftaten an einer Gruppe Sinti und Roma fest zu machen seien. Warum die Anwohner_innen sich so sicher sind, es handele sich bei den Verursachern von Sachschäden und kleineren Diebstählen um ausgerechnet die Minderheit der Sinti und Roma in diesem Stadtviertel, geht weder aus dem offenen Brief noch aus Artikeln in der LVZ hervor.

Vorhersehbar war, dass die NPD auf das gesattelte Ross aufspringt und den, sich von der Stadt und Polizei allein gelassen fühlenden, Deutschen ihre Unterstützung zusagt. An den NPD- Stadtrat Rudi Gerhardt seien angeblich Anwohner_innen persönlich herangetreten, um die Angelegenheit in den Stadtrat zu tragen. Aussagen von Anwohner_innen zufolge sei nicht nur das öffentliche Verhalten der Sinti und Roma auffällig, sondern auch das selbstständige Schlachten von Tieren in der Wohnung mit anschließender Innereien-Entsorgung „einfach auf der Straße“. Es war nicht anders zu erwarten, dass die NPD in ihrem Artikel rassistische und antiziganistische Vorurteile aufgreift und natürlich auch davon ausgeht, dass die „Damen und Herren Sinti und Roma“, die, wie die NPD bedauert „aus Gründen der politisch korrekten Sprachregelung“ nicht mehr „Zigeuner“ genannt werden dürfen, an der Kriminalität in Volkmarsdorf schuld seien.

Stigmatisierungen und Vorurteile dieser Art werden seit Jahrhunderten mit Sinti und Roma in Verbindung gebracht und die Bewohner_innen in Volkmarsdorf sind nicht die ersten vermeintlich braven Bürger_innen, welche alles Übel ihres vernachlässigten Stadtteiles auf eine Gruppe projizieren und damit einer Jahrhundert alten Tradition antiziganistischer Zustände folgen."

Quelle:
LVZ vom 27.08.2010, Radio Mephisto 97,6 Beitrag vom 30.08.2010, Intiative "Geschichte vermitteln"

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