Portugal-Generalstreik und soz.Bewegungen

sopa para tod@s 26.11.2010 10:24 Themen: Freiräume Globalisierung Militarismus Soziale Kämpfe Weltweit
In Portugal kam es am 24.11.2010 zum größten Generalstreik der Geschichte. Das öffentliche Leben im Land war lahmgelegt. Bis zu 3 Millionen Menschen beteiligten sich. Einige Streikposten wurden von der Polizei angegriffen. Premierminister Sorates zeigt sich unbeeindruckt. Gleichzeitig erleben die parteiungebundenen anti-kapitalistischen Bewegungen einen nie gekannten Aufschwung. Große Demonstration in Lissabon mit anschließender Hausbesetzung.
Laut der 2 großen Gewerkschaften CGTP und UTP haben mehr als 3 Millionen portugiesische ArbeiterInnen Mittwoch am Generalstreik teilgenommen , und damit das öffentliche Leben weitesgehend lahmgelegt. Über 200 Schulen blieben geschlossen, 98% aller Flüge fanden nicht statt ( die Umwelt hat's gefreut, ein paar Touristen zeigten sich solidarisch, viele haben nicht verstanden um was es geht). Der gesamte Verkehrsektor brach zusammen. Es fuhren keine Züge, Fähren oder U-Bahnen. Der Müll wurde nicht abgeholt und quoll in den Ballungszentren aus den Müllcontainern auf den Straßen. Im Krankenhaus gab es nur eine Notversorgung. Das Militär, das gesetzeswegen nicht streiken darf, legte einen "Reflexionstag" ein Selbst die Polizei, die zwar an einigen Orten gewaltsam gegen Streikposten vorging, die -nach portugiesischem Gesetz legalerweise- die Zufahrtsstrassen z.B. zur Post versperrten, zeigten sich in der Mehrheit solidarisch und versprachen an diesem Tag kleine Ordnungswidrigkeiten nicht aufzunehmen und zu bestrafen. Auch an Universitäten wurde gestreikt. In der Lissabonner Universität FCSH, an der 90% der Professoren streikten, wurde von den Streikposten allerdings illegalerweise die Identifikation gefordert. Der Großteil der Streikenden befindet sich im öffentlichen Dienst, aber auch Menschen aus dem Privatsektor beteiligten sich. So musste z.B. Volkswagen mit 3000 ArbeiterInnen die Produktion einstellen und auch Intermarchefilialen wurden bestreikt.

In einer Filiale von Intermarche nördlich von Porto fuhr der Besitzer die Streikposten mit seinem Jeep an und verletzte damit 2 Frauen schwer. Sie wurden ins Krankenhaus eingeliefert, er wurde festgenommen.Am Nachmittag versammelten sich als 1500 DemonstrantInnen aus dem antikapitalistischem Spektrum- Erwerbslose, Prekarisierte, Umweltbewegte, AnarchistInnen und andere- in Lissabon zu einer kraftvollen Demonstration.

Am frühen Abend wurde eines der 4.600 leerstehenden Häuser in Lissabon besetzt, die zu großen Anteilen der Stadt und einer kirchennnahen Organisation- Santa Casa de Misericordia- gehören.Das besetzte Haus, mehrstöckig und multifunktional sollte als "Casa das Grevistas" (Haus der Streikenden) den Generalstreik auf unbestimmte Zeit verlängern. Die BesetzerInnen sagten "Wie geben solange Suppe aus, wie Menschen danach verlangen". Heute wurde am frühen Abend das (Video)Haus von der Polizei geräumt, ämtliche Menschen, die sich darin befanden festgenommen. Für den späteren Abend war im Haus ein "Jantar popular", die seit 2007 wöchentlich stattfindende und mittlerweile schon legendäre Polit-Volksküche der Umweltorganisation GAIA geplant gewesen. Diese wurde spontan vor die Polizeistation verlegt um später in den Räumen eines anarchistischen Kulturzentrums ihren Abschluss zu finden.

Es war das erste Mal seit 1988, dass beide große Gewerkschaften zusammen zu einem Streik aufgerufen haben und es war der größte und erfolgreichste Streik in der Geschichte Portugals. 3 Millionen Menschen, von 9,5 Millionen Menschen insgesamt im Streik, dazu noch Erwerbslose und Menschen, die aus Alters-, Gesundheits- oder persönlichen Gründen ebenso nicht in die Kategorie der Arbeitenden miteingerechnet werden, aber das Anliegen teilen - das wären in Deutschland umgerechnet ca. 35 Millionen Streikende! Selbst auf den ultra-konservativen Azoren und Madeira wurde gestreikt.

Zitat aus Indymedia Portugal (Original aus http://ingenea.gualter.net/?p=230)

"Exzellent, wie sich die verschiedenen Kämpfe ergänzen, es ist ein Beweis mehr für die tiefe Unzufriedenheit der portugiesischen Bevölkerung mit der neoliberalen Politik, die vom internationalen Finanzmarkt bestimmt wird. Die Regierung gibt natürlich andere Zahlen heraus (die Arbeitsministerin sprach von 20% Streikenden, die Gewerkschaften von über 80% Anm.) Es gehört eben zu solchen Kämpfen dazu, dass die Regierung sich, spezialisiert auf Propaganda, uninteressiert zeigt.Die Regierung hat ihre Komplizen, die bürgerliche Presse, das sollte uns daher nicht berühren(...)Die Regierung hat gezeigt, dass sie sich vor einem sozialen Aufstand fürchtet, deutlich gemacht hat dies eine Reihe von (illegalen) Eingriffen seitens der Polizei gegen die Streikposten, wie Gewaltanwendung oder das Fordern von Dokumenten innerhalb von den Universitäten (im Stile Salazars)(Salazars Regierung hielt über 40 Jahre einen faschistischen Staat aufrecht, der erst 1974 mit der Revolution zunächst in eine revolutionär-sozialistische Staatsform, dann mit einem Militärputsch am 25.11.1975 in die parlamentarische Demokratie überführt wurde Anm.) Es wird noch genug Gelegenheit geben, dass die Polizei ihre "Blindados" ( neue, schussischere, extra für den NATO-Gipfel angeforderte Militärfahrzeuge, die aber erst NACH dem NATO-Gipfel geliefert wurden, was den Verdacht bestätigt, dass sich die Regierung gegen soziale Kämpfe rüstet Anm.) einsetzen können, die vom Schweiß der ArbeiterInnen finanziert wurden.

Aber, alles in allem sind wir nicht alleine, am Rand der iberischen Halbinsel. Heute erst wurde ein europaweiter Aufruf für den 15. Dezember gegen die Zerstörung des Sozialstaates zugunsten des Neoliberalismus und seiner Krise verbreitet. Und am 7. Dezember sind alle Bürger (Europas Anm.) aufgerufen, ihr gesamtes Guthaben von den Bankkonten abzuheben, im Rahmen einer Boykottaktion, die das Potenzial hat, das gesamte Finanzsystem zum Kollaps zu bringen."

Für Portugals junge soziale Bewegung war die letzte Woche ein großer Erfolg. Denn vor dem Generalstreik hatte sich die NATO ebenfalls in Lissabon getroffen. Erstmalig seit der Revolution wurde zu Zivilem Ungehorsam dagegen aufgerufen und die Zufahrtsstrasse zum Tagungsort wurde für 2 Stunden von 80 DemonstrantInnen blockiert. Die Zahl erscheint angsichts Tausender Menschen im Wendland für vernachlässigbar, im portugiesischen Kontext betrachtet, ist es aber ein deutliches Signal. Zumal an der Grenze etwa 300 internationale FriedensaktivistInnen zurückgewiesen wurden und somit an den Protesten nicht teilhaben konnten (http://kjoe.at/rebellja/2010/11/18/portugal-frieden-ja-nato-nein/)

José Socrates, der als Premier einer sozialisitischen Regierung bezeichnet wird, obwohl er eher in Toni Blair Tradition (3.Weg) denkt und handelt, kann das neue Sparpaket jedenfalls nicht so leicht wie vermutlich erhofft, durchbringen. Zunehmend sehen sich die Menschen als Teil einer globalen Widerstandskultur.

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Ergänzungen

Hausbesetzung

lohnt 26.11.2010 - 13:24
Die Menschen, die gestern bei der Hausräumung festgenommen wurden, werden nicht strafrechtlich verfolgt.
Die Ministerin für Wohnraum, Helena Rosseta, hat einem Treffen mit dem für die Besetzung verantwortlichem Kollektiv "Materia Bruta" zugesagt.
 http://jornal.publico.pt/noticia/26-11-2010/okupas-retirados-de-edificio-municipal-devoluto-20700841.htm

kleine Anmerkung

Entdinglichung 26.11.2010 - 17:52
die Anmerkung unter dem einen Bild, dass auch (sogar) viele Banken geschlossen waren, ist ein wenig irreführend, da Streiks von Bankangestellten in Portugal nichts besonderes sind und Bankangestellte in den letzten 35 Jahren traditionell zu den kämpferischten Sektoren der Klasse in Portugal zählen, was u.a. auch damit zusammenhängt, dass Bankjobs vor 35-40 Jahren in der Endphase der Slazar-/Caetano-Diktatur eine der wenigen Möglichkeiten für Uni-AbsolventInnen waren, einen einigermassen einträglichen Job zu finden und daher viele politisierte Ex-Studis dort angefangen haben zu arbeiten

ubersatzung

globalinfo.nl 27.11.2010 - 12:41
Danke fur das bericht, wir haben es ubersaetzt (auf Hollandisch) und hier geposted:  http://www.globalinfo.nl/Nieuws/massale-algemene-staking-in-portugal.html