NPD + Innenminister im Lager Gerstungen/Thüringen

no lager halle 09.11.2010 01:06 Themen: Antirassismus Repression
Aktivitäten der NPD im Wartburgkreis

Am 5.11.2010 wollte die NPD Wartburgkreis die Proteste der Flüchtlinge gegen das Leben im Lager Gerstungen durch eine angekündigte Besichtigung eskalieren lassen.
Um 13 Uhr trafen zwei Vertreter der NPD mit dilettantisch gelayouteten Flyern vor dem Lager ein, auf denen in acht Sprachen der Satz zu lesen war: "Hier erhalten Sie Geld, um in ihr Land zu kommen".
Nur im Deutschen war dieser Satz fehlerfrei. Das Geld erhalten die Flüchtlinge angeblich beim Landratsamtes Wartburgkreis. Flüchtlinge und UnterstützerInnen konnten ein Betreten des Lagergeländes durch die NPD-Nazis und ein Verteilen der Flyer erfolgreich verhindern. Wir werten den Besuch der Nazis und die Ankündigungen weiterer Aktionen gegen die BewohnerInnen des Lagers als lebensgefährliche Drohung an die Flüchtlinge, die im Lager Gerstungen gegen ihren erklärten Willen leben müssen.

Das Lager

Das Lager wird von rund 90 Flüchtlingen bewohnt, darunter auch 18 Kinder.
In Gesprächen mit Flüchtlingen im Lager wurde offensichtlich, dass nicht nur die Lebenssituation in der heruntergekommenen ehemaligen NVA-Kaserne katastrophal ist, sondern auch mehreren Flüchtlingen mit schweren Erkrankungen die medizinische Hilfe verweigert wird. So erhält der erblindete Flüchtling Banga keinerlei Unterstützung durch das zuständige Sozialamt. Noch nicht einmal einen Blindenstock um sich selbstständig bewegen zu können, besitzt der Erblindete. Ein weiterer Flüchtling ist im Gesicht an Hautkrebs erkrankt und erhält ebenfalls keine medizinische Versorgung. Dieser unmenschliche Umgang der Behörden des Landkreises widerspricht selbst den geringsten medizinischen Standards, auf die in Deutschland lebende Flüchtlinge Anspruch haben.

Die Elektrik im Gebäude scheint gerade neu verlegt zu werden und hängt in Fluren, im Treppenhaus und direkt an dem Duschraum im Keller offen aus der Decke oder von den Wänden. Viele Kabel enden blind, welche unter Strom stehen und welche nicht, ist nicht zu erkennen.
Ansonsten scheint sich seit der Erbauung des Kasernengebäudes nichts geändert zu haben. Außen am Gebäude wurden Feuerleitern errichtet. Die gesetzlich vorgeschriebenen Fluchtwege sind so vorhanden. Es kann nun von außen unkontrolliert in alle Etagen eingedrungen werden. Angesichts der Ankündigungen durch die NPD ist dies eine bedenkliche Situation.

Der Innenminister kommt

Am selben Tag um 17 Uhr erschien der Innenminister von Thüringen, Peter M. Huber, im Lager. Vorher versuchten die Heimleitung und die Angestellte des Landkreises UnterstützerInnen vom Gelände zu werfen. Insbesondere die "Mitgliedschaft" bei der Flüchtlingsselbstorganisation The Voice war dabei im Fokus.

Der Innenminister wurde von 5 Polizisten begleitet, die den Innenminister abschirmten und versuchten Flüchtlinge und UnterstützerInnen einzuschüchtern. Der Innenminister weigerte sich gemeinsam mit den Flüchtlingen das Lager zu besichtigen. Bei seiner Besichtigung wollte er sich nur von den Angestellten des Landkreises und der Lagerleitung begleiten lassen. Anschließend sperrten die Polizisten einen Flur des Gebäudes ab, von dem ein kleiner Versammlungsraum abgeht, in dem der Innenminister sich mit der Lagerleitung und dem Landkreis beraten wollte. Flüchtlinge, deren Zimmer im selben Flur liegt, konnten der Weilen nicht ihre Zimmer betreten. Gespräche mit "Betroffenen" wollte der Innenminister zu erst nur mit Einzelpersonen zulassen. Nach Protest der versammelten Flüchtlinge und UnterstützerInnen durften mehrere BewohnerInnen aus dem Lager Gerstungen zu einem Gespräch, Kinder waren besonders erwünscht. Trotz der schwierigen Umstände wurden deutlich die katastrophalen Zustände und die Verweigerung medizinischer Versorgung geschildert. Der Innenminister versprach die Berichte zu prüfen. Er forderte die Flüchtlinge auf, ihm ihre Unterlagen zu zu schicken. Angesichts der Tatsache, dass am 5.11. der dritte Besuch des Innenministers im Lager Gerstungen stattfand, ist die Glaubwürdigkeit seiner minimalen Zusicherung zweifelhaft. Vor allem die Äußerung, dass das nächste Haus nur 300 Meter vom Lager entfernt liege und deshalb das Lager Gerstungen nicht isoliert sei, scheint exemplarisch die Auffassung des Innenministers zu verdeutlichen.

Nicht nur das Lager Gerstungen beherbergt unter menschenunwürdigen Umständen Menschen, die in Deutschland Schutz und Asyl suchen. Nicht nur im Landkreis Wartburgkreis werden eben diesen Menschen systematisch die ihnen zustehenden Sozialleistungen verweigert. Und nicht nur in Gerstungen werden Flüchtlinge Ziel neofaschistischer Aktivitäten.
Die zwangsweise Unterbringung in Lagern findet Deutschland weit in vielen Kommunen und Landkreisen statt. Wir fordern nicht nur die sofortige Schließung des Lagers in Gerstungen, sondern aller Lager.
Für eine freie Wohnortswahl aller in Deutschland lebenden Menschen. Für eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe. Für ein Bleiberecht.



Video Gerstungen
 http://www.youtube.com/thevoicejena
ARD Mediathek "Schlimme Zustände im Asylbewerberheim Gerstungen"
 http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=574262...

Das Isolationsflüchtlingslager "Gemeinschaftsunterkunft" in Gerstungen.
 http://thevoiceforum.org/node/1779

Video: BLIND BANGA - Maybe I can see again! Gerstungen Refugee Isolation
camp in Thueringen (eng/deut)
 http://thevoiceforum.org/node/1760

The VOICE Refugee Forum - Video Channel:
 http://www.youtube.com/thevoicejena

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Aufruhr im Okkupantenheim – Besuch im Asylbewerberheim Gerstungen
 http://xxx.npd-thueringen.de/?p=424
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Ergänzungen

»Alle Lager müssen geschlossen werden«

refugee community 10.11.2010 - 02:58
»Alle Lager müssen geschlossen werden« - Flüchtlinge in Thüringen fordern Wohnungen.
08.11.2010 / Inland / Seite 8Inhalt

»Alle Lager müssen geschlossen werden«

Flüchtlinge in Thüringen fordern Wohnungen.
Neonazis provozierten vor Sammelunterkunft in Gerstungen.
Ein Gespräch mit Osaren Igbinoba
Interview: Gitta Düperthal

unbenannt
Osaren Igbinoba ist Mitbegründer der Initiative »The Voice Refugee Forum« und Aktivist der Dachorganisation »Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten«

Aktivisten des Flüchtlingslagers in Gerstungen in Thüringen haben in den vergangenen Wochen scharfe Kritik an den Zuständen im Lager öffentlich gemacht. Am Freitag kamen zwei NPD-Mitglieder, um fremdenfeindliche Hetzpropaganda vor und in dem Lager zu verbreiten.

Die NPD-Funktionäre Tobias Kammler und Patrick Wieschke hatten angekündigt, die Asylbewerber in Gerstungen aufsuchen zu wollen, aber keinen Zeitpunkt bekanntgegeben. Offensichtlich war ihnen klar, daß sie dort nicht willkommen sein würden und mit Gegenwehr zu rechnen hätten. Gegen 13 Uhr wurden sie von einem Polizeiaufgebot empfangen, das ihnen den Zutritt zum Heim verwehrte. Beide verteilten dann vorm Lager Flugblätter, auf denen sie den Flüchtlingen in verschiedenen Sprachen Geld versprachen, wenn sie in ihre Herkunftsländer zurückkehren.

Um gegen den Besuch zu protestieren waren Aktivisten von The Voice aus Jena, Apolda, Eisenach und Halle gekommen. Die Polizei war freundlich, aber erlaubte uns nicht, das Lager zu betreten – später erfuhren wir, warum. Gegen 14 Uhr fuhren Limousinen vor. Nachdem der Spuk mit den Nazis vorbei war, stand den Flüchtlingen hoher Besuch ins Haus. Der Thüringer Innenminister Peter Huber (CDU) hatte beschlossen, an diesem Tag, begleitet von seinen Bodyguards, das Lager zu besichtigen. In aller Diskretion, versteht sich, denn zu feiern gibt es ja da wahrlich nichts. Die NPD hatte angekündigt, weiter in der Stadt Gerstungen ihre Pamphlete zu verteilen, »um die dortigen Stimmungen inländerfreundlich zu kanalisieren«.

Inwiefern ist die Thüringer CDU/SPD-Regierungskoalition mitverantwortlich dafür, daß rassistische Kräfte nun Morgenluft wittern?

Mit ihrer Politik, Migranten keine Integration zu ermöglichen, geben sie den Neofaschisten Gelegenheit, aus ihren Löchern zu kommen. Die fallen mit ihrem Rassismus fast gar nicht mehr auf. Bezeichnend ist, daß die Sozialdemokraten sich kaum rühren. Sie tun nichts gegen die Fremdenfeindlichkeit. Insofern sind auch sie mitverantwortlich für dieses Klima. Amtsleiter und Mitarbeiter in Behörden tragen ebenso Verantwortung, indem sie Migranten in abgelegenen alten und heruntergekommenen Kasernen isolieren, ihnen mit der Residenzpflicht auferlegen, sich nicht fortbewegen zu können und sie in die Armut drängen. Auf diese Weise ermuntern sie die Faschisten geradezu, ihrem Rassismus ungehemmt zu frönen und die Demokratie zu verhöhnen.

Wie sind die Flüchtlinge mit der NPD-Gefahr umgegangen?

Sie haben gefordert, den Rechten Hausverbot zu erteilen.

Was hatte es mit dem Besuch des Innenministers auf sich?

Wir hatten ihn bereits Ende September bei unseren Protesten anläßlich der von uns als Heuchelei empfundenen Interkulturellen Woche in Bad Salzungen angetroffen. Kein einziger Flüchtling war dazu eingeladen worden. Deshalb hatten wir uns selber eingeladen, um über die inhumanen Lebensbedingungen in den Lagern zu diskutieren. Der Innenminister hatte uns damals zugesagt, das Flüchtlingswohnheim zu besuchen. Er besichtigte Duschen und Küche, die wegen ihres miserablen hygienischen Zustands im Gespräch waren und sprach drinnen mit den Bewohnern.

Später sagte der Innenminister zu mir, das Heim könne nicht geschlossen werden, aber er werde versuchen, für einige Familien »eine Lösung außerhalb« zu finden. Die Renovierung soll 360000 Euro kosten, bis jetzt sind allerdings nur sehr oberflächlich Elektrizität und Heizung repariert worden. Ich sagte ihm, er müsse alle vier Heime in Thüringen schließen: Gangloffsömmern, Gerstungen, Zella-Mehlis und Breitenworbis. Er hat zugesagt, die anderen Lager ebenfalls zu besuchen.

Was fordern Sie von der Landesregierung, um Aktivitäten der NPD und anderen Neofaschisten zurückzudrängen?

Sie muß sich zu einer menschlichen und demokratischen Flüchtlingspolitik bekennen. Alle Lager müssen geschlossen werden, und den Flüchtlingen sind ordentliche Wohnungen zu stellen. Es darf auch keine Abschiebungen mehr geben.

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