Erftstadt: Agnes-Miegel-Str ist passé

Antifa Erftstadt 02.11.2010 19:53 Themen: Antifa Kultur
Der Hauptausschuss entschied nach 3-stündiger Diskussion mit 13 zu zwei Gegenstimmen, die nach der nationalsozialistischen Dichterin benannten Straße umzubenennen. Alle BürgerInnen hatten die Möglichkeit im Ausschuss zu diskutieren. Die AnwohnerInnen äußerten sich offen nazistisch („Ich würde auch eine Adolf-Hitler-Straße nehmen“) und im Bezug auf den Vorschag der Antifa Erftstadt einen in der Shoah ermordeten Erftstädter Juden als neuen Namensgeber zu wählen antisemitisch („Warum muss es denn schon wieder ein Jude sein!?“). Geprägt war die Auseinandersetzung von Uneinsichtigkeit, der Relativierung von NS-Verbrechen und billigem Populismus.
AntifaschistInnen stellten noch vor Beginn der Sitzung vor dem Gebäude ein Portrait und Kerzen in Gedenken an alle Opfer des Nationalsozialismus auf. Zudem wurden sporadisch Flyer über den „Bund der Vertriebenen e.V.“ – dem politischen Sprachrohr der „Vertriebenen“ verteilt. In der Agnes-Miegel-Straße, die sich zudem in Nähe zu einem Judenfriedhof befindet, wohnten traditionell „Vertriebene“, die auch heute noch die Mehrzahl (vier) der sechs Häuser stellen.
Jetzt obliegt es den AnwohnerInnen, gemeinsam mit der Ortsbürgermeisterin, einen neuen Namen zu wählen.
Vorspann
Der Entscheidung voraus gegangen war eine symbolische Umbenennung durch die Antifa, eine antifaschistische Kundgebung sowie viele Presseartikel. Die im Grunde banale Aktion der Umbenennung erregte großes Aufsehen im 50.000-EinwohnerInnen-Städtchen 25 km südwestlich Kölns. Parteien und Stadt bekamen täglich dutzende Briefe aus ganz Deutschland, der Bürgermeister räumte der Debatte „Stadtweite Beachtung“ ein. Auch überregional mischten sich vor allem verschiedene FürsprecherInnen der AnwohnerInnen in die Debatte ein, z.B. die Agnes-Miegel-Gesellschaft aus Bad Nenndorf.

Ideelle Unterstützung der Forderung nach Umbenennung erhielt die Antifa von einem Lehrer, der sich in Erftstadt in einer Schul-AG gegen Rechtsextremismus engagiert, von dem Leiter des Israelaustausches vom Gymnasium in Liblar und von einem evangelischen Pfarrer. Auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V. Bonn, die Jüdische Gemeinde Köln e.V., das Jüdische Forum Köln e.V., eine Person, die im Verein zur Förderung jüdischer Musik, Kunst und Kultur – „OpenKlezmerScales“ – tätig ist und schlussendlich der VVN/BdA Köln schlossen sich der Forderung an. Die Beteiligung letzterer sollte noch vor der Sitzung zu Spannungen führen. Mehrmals wurde der Antifa empfohlen den VVN von der UnterstützerInnen-Liste zu streichen. Schließlich habe diese unrühmliche Positionen im „Unrechtsstaat DDR“ besetzt. Luca Plette, Pressesprecherin der Antifa Erftstadt kommentiert: „Unsere Solidarität gilt bedingungslos allen NS-Opfern. Wir werden uns nicht kategorisch von der ‘Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes’ distanzieren. Dies zu verlangen ist eine unerträgliche Verhöhnung der Opfer!“


die Sitzung
Der Sitzung wohnten ca. ein Dutzend Antifas und etwa doppelt so viele AnwohnerInnen der Agnes-Miegel-Straße bei. Abseits dieser BesucherInnen kamen etwa 20 weitere Personen. Die Sitzung avancierte damit im ca. 3.000 EinwohnerInnen Ort zum lokalen Event.
Während die AnwohnerInnen sich primär der Verteidigung ihrer „Heimat“, der Diskreditierung anderer NamensgeberInnen von Straßen (z.B. Bertold-Brecht-Straße) und der populistischen Ablenkung vom Sachverhalt („literarische Würdigung Agnes Miegels“, angrenzende Schnellstraße, „wir wurden auch nicht nach dem Euro gefragt“, die Antifa sei von „einflussreichen Hintermännern gesteuert“) verschrieben. Ein 1938 geborener Anwohner vertrat die Ansicht, dass die Antifa von heute mit dem Dritten Reich gleichsetzbar sei und dass endlich ein „Schlussstrich“ unter den NS zu ziehen sei. Diese Tirade unvorstellbarer Dummheit gipfelte in der rhetorischen Frage, warum der neue Namensgeber „schon wieder ein Jude“ sein müsse, schließlich haben schon die Väter seiner Generation Reparationskosten zahlen müssen. Die Rede einer Anwohnerin gipfelte gar in der Aussage, sie würde „auch eine Adolf-Hitler-Straße nehmen“.

Zwei andere RednerInnen argumentierten aus antifaschistischer Sicht. Der erste Redner stellte klar, was die Antifa ist: ein Zusammenschluss auf Jugendlichen, die gegen rechte Tendenzen in der Gesellschaft intervenierten und trotzdem für die DDR nur wenig Sympathien übrig hätten. Agnes Miegel sei auch nach 1945 noch aktiv in der nazistischen Rechten gewesen, sodass eine Umbenennung aus geschichtlicher Verantwortung nötig sei.
Der zweite Redner meinte, dass Agnes Miegel eine „kulturschaffende“ Person gewesen sei, die 1933 mit immerhin 54-Jahren keine „Verführte“ gewesen sei, sondern aktiv daran mitgewirkt habe nationalsozialistische Ideologie und deren mörderische Konsequenzen erst salonfähig zu machen. Eine Nichtumbenennung wäre zudem eine Ermutigung an die Neonaziszene. Den Namensvorschlag, die Straße nach Salomon Franken zu benennen verteidigte er, schließlich gelte es, den NS-Opfern zu gedenken. Der Einwand, dass eine AnwohnerIn auch eine „Adolf-Hitler-Straße nehmen würde“ zeuge von der nazistischen Orientierung der „Vertriebenen“. Dem vorigen Aufrechnen von „linker und rechter Gewalt“ hielt er entgegen, dass jede Gleichsetzung den rassistischen Charakter rechter Gewalt gegen „unwertes Leben“ verhöhnte und, dass eine linke Bewegung breit gefächert sei (von PazifistInnen bis zu Militanten) und daher keine Pauschalisierung unabhängiger Antifagruppen möglich sei. Wer „rechte und linke Gewalt“ gleichsetze, habe zudem jedes Verständnis von Menschlichkeit verloren, schließlich richte sich „linke Gewalt“ in der Regel gegen Gegenstände und nicht gegen Menschen.

Auch Dr. Dieter Heinzig (Historiker, Erftstadt) sprach sich für eine Umbenennung der Straße aus. Er wolle jedoch im Gegensatz zur Antifa nicht bloß den Straßennamen gegen einen Juden austauschen, da ihm dies zu schlicht sei. Deshalb forderte er stattdessen, den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus, in Form von Stolpersteinen zu gedenken. Daraufhin erntete er nur von antifaschistischer Seite Applaus.

Der CDU-Politiker Wolf-Rüdiger Zoll sprach sich aufgrund der „dichterischen Leistungen“ Agnes Miegels gegen eine Umbenennung aus, schließlich solle nicht das Andenken an „Kultur und Heimat“ ostpreußischer „Vertriebener“ gelöscht werden.
Sein Parteichef Alfred Zerres unterstrich im kölschen Dialekt das historische Versagen Miegels: eine Dichterin, die bei der Bücherverbrennung nicht wach würde – „wo simma denn?“. Auch der Gleichsetzung von DDR und NS wusste er zu kontern: ohne den NS hätte es die DDR gar nicht gegeben. Doch schon zu Beginn seiner Rede wusste er selbstbewusst zu sagen er fände es „auch z.T. Unrecht was in Israel passiere“ – ganz so als habe dies mit dem Thema zu tun oder als ob er damit ein gesellschaftliches Tabu brechen würde.

Bürgermeister Dr. Rips (SPD) zeigte sich dankbar, dass die Antifa/Jugendgruppe der Stadt die Augen öffnete (eine Anwohnerin verlässt daraufhin die Sitzung), die AnwohnerInnen müssten die persönlichen Kosten der Änderung jedoch selbst tragen, da die Umbenennung wichtiger sei als finanzielle Nachteile („Ich könnt’ kotzen“ erboste sich daraufhin jene Person, die keine Probleme mit einer Adolf-Hitler-Straße gehabt hätte). Dass der finanzielle Schaden entsprechender Adress-Änderungen gen null tendieren (Änderung im Ausweis, Grundbuchänderungen und Änderungen bei Versicherungen sind kostenlos) schienen weder Politik noch AnwohnerInnen zu wissen bzw. wissen zu wollen. Ein mit einer AnwohnerIn liierten Person sprach von abstrusen 300€ Kosten aufgrund einer Änderung pro Person.
Ein Parteikollege des Bürgermeisters betonte die Antifa seien keine „Krawalltypen“, die die AnwohnerInnen „ärgerten“. Aufgrund der Einstellung Miegels zum NS käme für die SPD nur eine Umbenennung in Betracht.

Schließlich stimmten 13 Mitglieder des Hauptausschusses für eine Umbenennung und zwei dagegen (Hans-Otto Nowak (FDP) und Dr. Wolf-Rüdiger Zoll (CDU)).


Abschluss
Nach der Entscheidung suchten einige Menschen die Diskussion mit den AntifaschistInnen. Den zum Teil antisemitischen und alle Male antizionistischen Hasstiraden wollten die Antifas aber nicht unwidersprochen begegnen. Vor dem Sitzungsort wurde daher eine Israelflagge entrollt und demonstrativ die Entscheidung gefeiert. Dass das zu noch schlimmeren verbalen Entgleisungen seitens einiger BürgerInnen führte, war vorauszusehen und ist nicht verwunderlich. Die Wut des deutschen Volksmobs sollte sich zwar nur verbal äußern, klar war aber allen Beteiligten, dass sie besser gehen, bevor die „Umgezogenen“ eine tatsächliche Vertreibung an Menschen verwirklichen.


Nachspiel?
Kampflos werden die AnwohnerInnen kaum aufgeben. Von dem beschlossenen Verfahren gemeinsam mit der Ortsbürgermeisterin einen neuen Namen zu finden wird, den Reaktionen nach zu urteilen, kein Gebrauch gemacht werden. Stattdessen ist zu befürchten, dass die AnwohnerInnen sich mit allen (rechtlichen) Mitteln gegen die Entscheidung wehren werden.
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Ergänzungen

interner Brief von CDU-Politiker

autonome antifa [e] 02.11.2010 - 21:18
Dass CDU-Politiker Dr. Wolf-Rüdiger Zoll gegen eine Umbenennung votiert ist nicht verwunderlich. In einem gefundenem Brief Zolls an den Kulturdezernenten Volker Erner votiert Zoll erheblich gegen Erner. Erner hatte vorher in einem Radiointerview mit “Radio Erft” gesagt, er sei “dankbar, dass dieser Hinweis an uns heran getragen wurde”. Der Moderator nahm damals zudem Bezug auf den Namensvorschlag der Antifa (Salomon Franken) und sagte: “Die Stadt Erftstadt könne sich vorstellen im Falle einer Umbenennung den Vorschag der Antifa zu beherzigen”. Ob Zolls Brief einflussreich genug war, um das zu verhindern!?

Keine Agnes-Miegel-Straße nirgendwo!

Felix Abate (gruppe bricolage) 03.11.2010 - 11:16
Auch in anderen Orten warten Agnes-Miegel-Straßen, Wege und eine Schule auf ihre Umbenennung:

Agnes-Miegel-Straße, 25761 Büsum, SH
Agnes-Miegel-Straße, Nächstebreck-West 42279 Wuppertal, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Straße, Friedrichsfehn 26188 Edewecht, Ammerland, NDS
Agnes-Miegel-Straße, 48653 Coesfeld, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Straße, 24782 Büdelsdorf, Rendsburg-Eckernförde, SH
Agnes-Miegel-Straße, 49152 Bad Essen, Osnabrück, NDS
Agnes-Miegel-Straße, 46359 Heiden, Borken, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Straße, 46242 Bottrop, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Straße, Obervieland 28279 Bremen, HB
Agnes-Miegel-Straße, 30989 Gehrden, Region Hannover, NDS
Agnes-Miegel-Straße, Oberaden 59192 Bergkamen, Unna, Nordrhein-Westfalen

Agnes-Miegel-Weg, 33813 Oerlinghausen, Lippe, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, 32756 Detmold, Lippe, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, 32839 Steinheim, Höxter, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, 47475 Lintfort, Wesel, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, Todenmann 31737 Rinteln, Schaumburg, NDS
Agnes-Miegel-Weg, Quickbornerheide 25451 Quickborn, Pinneberg, SH
Agnes-Miegel-Weg, 48231 Warendorf, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, 29640 Schneverdingen, Soltau-Fallingbostel, NDS
Agnes-Miegel-Weg, 67067 Ludwigshafen am Rhein, RP

Agnes-Miegel-Realschule- Gottlieb-Planck-Str. 1, 49080 Osnabrück

Agnes-Miegel auch als Weg

a 05.11.2010 - 10:27
Agnes-Miegel-Weg, 42553 Ammanskothen Velbert, Mettmann, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, 33813 Oerlinghausen, Lippe, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, 32756 Detmold, Lippe, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, 67067 Ludwigshafen am Rhein, RP
Agnes-Miegel-Weg, 93055 Regensburg, BY
Agnes-Miegel-Weg, 32839 Steinheim, Höxter, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, 47475 Lintfort, Wesel, Nordrhein-Westfalen
Agnes-Miegel-Weg, 31737 Todenmann Rinteln, Schaumburg, NDS
Agnes-Miegel-Weg, 25451 Quickbornerheide Quickborn, Pinneberg, SH
Agnes-Miegel-Weg, 48231 Warendorf, Nordrhein-Westfalen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 7 Kommentare an

Schön! — Peter Weiss

Mail — Agnes Miegel Superstar?

Gute Aktion! — Kevin S.

Schöne Sache.. — naja

ganz viel Wissen — Wissender