Neustrelitz: Gegen Nazis und Todesstrafen-Mob

45 Zeichen 23.10.2010 14:45 Themen: Antifa
Am heutigen Samstag hat der Landesverband der NPD in Neustrelitz eine weitere Demonstration unter dem Motto "Todesstrafe für Kinderschänder" abgehalten. Diese steht im Zusammenhang mit dem populistischen Wahlkampf, den die Neonazis seit Ende des Sommers führen, um im nächsten Jahr nicht aus dem Landtag herausgewählt zu werden. Während Vertreter_innen der demokratischen Parteien sich demonstrativ aus der Öffentlichkeit zurückzogen, versuchten Antifaschistinnen und Antifaschisten die NPD und ihren Anhang direkt mit ihrem Protest entgegenzutreten.
Populistischer Wahlkampf

In der parlamentarischen Arbeit in Schwerin sieht sich die NPD seit ihrem Einzug mit einer konsequenten Ausgrenzungshaltung der demokratischen Parteien konfrontiert. Man will der NPD nicht die geringste Möglichkeit lassen sich als politikfähige Opposition darstellen zu können. Deshalb versucht die NPD mit anderen Mitteln als politische Kraft in Erscheinung zu treten und profitiert dabei von der engen Zusammenarbeit mit einer nationalsozialistischen Jugendkultur für deren Identitätsstiftung und -erhaltung die Inszenierung als eine Bewegung von hoher Bedeutung ist. Einerseits wird also mit Mitteln gearbeitet die eher für soziale Bewegungen als für Parteien kennzeichnend sind, andererseits versucht die NPD dort anzusetzen wo die Schwächen der demokratischen Parteien liegen. Das heißt, sie versucht Stimmungen und Unbehagen gegen die parlamentarische Demokratie zu artikulieren und hofft damit ein Identifikationsangebot an Menschen zu machen, die das Gefühl haben, in Bezug auf bestimmte Themen nicht von der Politik vertreten zu werden. Genau dies ist Grund für die aktuellen Welle von Demonstrationen und Mahnwachen zur Forderung nach Todestrafen für Sexualstraftäter. Für die angeblich rasant angestiegenen Fallzahlen gibt es keinen überprüfbaren Beleg.

Keine Basis für eine sachliche Debatte

Die NPD bemüht sich eine Atmosphäre zu erzeugen in der sie emotionale Empörung und Strafbedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern anfacht. Die demokratischen Parteien zeigen sich derweil hilflos, wenn es darum geht auf diese populistischen Methoden zu reagieren. Problematisch ist dabei, dass die Auseinandersetzung weit unterhalb der Ebene eines rationalen Diskurses verbleibt. Die Neonazis rufen gezielt Bilder ab, die im kollektiven Gedächtnis der Menschen tief verankert sind und durch voyeuristische Boulevardmedien reproduziert werden. In diesen Klischees wird das Bild eines unheimlichen, gemeingefährlichen "Kinderschänders" aufgebaut, der im dunklen Park auf seine Opfer lauert. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema widersprechen diesem Bild und stellen heraus, dass die überwältigende Mehrzahl an Missbrauchsfällen im engsten Umfeld der Opfer geschehen. Dass es also nicht „der Fremde“ ist der plötzlich auftaucht und Kindern sexualisierte Gewalt antut, sondern dass sich die Übergriffe langsam anbahnen und leider oft erst sehr spät von den Kindern mitgeteilt werden können. - All diese Argumente interessieren die einmal aufgeheizte Menge kaum.
Was sie ausdrücken wollen sind keine elaborierten Forderungen, sondern Emotionen wie Wut und Zorn. Das Mittel dass sie dafür wählen ist allerdings das des politischen Handelns. Und an dieser Stelle setzen Nazis immer wieder an, wenn sich irgendwo spontan eine Menge von Anwohnerinnen und Anwohner anlässlich eines bekannt gewordenen Falls zusammenrotten. Den Nazis spielt dabei in die Hände, dass sich die demokratischen Parteien unfähig zeigen auf die undifferenzierte und diffuse Gemengelage adäquat zu reagieren. Ihre scheinbare Sprachlosigkeit scheint dann die Propaganda der NPD zu bestätigen. Die NPD braucht in dieser aufgeheizten Situation selbst auch gar kein eigenen Vorschlag zum Umgang mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder vorzulegen, es reicht wenn sie die im Raum schwebenden Rache- und Strafbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in möglichst drastischer Weise artikuliert. (Als Beleg kann hier die voyeuristische Detailverliebtheit angesehen werden, mit der die Reden der NPD lustvoll das vermeintliche Geschehen, den Hergang des Verbrechen ausmalen.)

In dem Moment wo die Bürgerinnen und Bürger sich nicht daran stören, dass die NPD es ist, die hier scheinbar ihren Willen ausspricht, sind die Neonazis ihrem Ziel, einer behaupteten Volksgemeinschaft näher gekommen. Denn wenn sich die Bürger kollektiv mit der von den Neonazis artikulierten Forderung identifizieren, haben sie sich demonstrativ, ob nun gewollt oder nicht, auch zu ganz anderen Aussagen bekannt. Denn die NPD artikuliert nicht nur einen Zorn, den sie selbst miterzeugt hat, sondern verbindet diese Artikulation auch mit ihrer Propaganda. Das ist die populistische Gefahr des derzeitigen Wahlkampfstils der Rechten in Mecklenburg Vorpommern.

Fortschrittliche Wege im Umgang mit Kindesmissbrauch

Dass dieser Wahlkampf auf eine eigentümliche Art und Weise gleichzeitig politisch und zu großen Teilen aber sehr unpolitisch und emotional ist, offenbart, dass die Rechten es für strategisch klüger halten, in Bezug auf den Wahlkampf in einem Register zu spielen, in dem sie nicht so beschränkt sind wie bei ihrer fruchtlosen Parlamentsarbeit. Dies sollte Menschen, die sich gegen die NPD und ihr Gefolge stellen nicht zu dem Umkehrschluss führen, dass dieses Thema ausgespart werden kann, dass die politische Auseinandersetzung nur dort geführt werden sollte wo es bessere Chancen gegen die Neonazis gibt. Wer sich zum gemeinsamen Textelesen demonstrativ einschließt, wer anlässlich von NPD Demonstrationen Wegschauen als politische Strategie empfielt, hat den Kampf gegen die Nationalsozialisten (mindestens an diesen speziellen Tagen) schon verlorengegeben.

Für Antifaschistinnen und Antifaschisten ist hier, wie immer klar, dass Wegschauen und Nichtstun keine Mittel sind die in Frage kommen. Deshalb ist es zunächst einmal wichtig gewesen, den Versuch zu unternehmen das populistische Setting aufzubrechen, in dem sich die Nazis als die Einzigen darstellen, die sich des Themas Kindesmissbrauch annehmen. Denn es ist klar, dass die NPD nur Rezepte hat, die wie ihre Ideologie auschließlich auf Mord und Todschlag hinausläuft.
Dass dieses Engagement heute in Neustrelitz durch die Polizei abgewürgt werden sollte, passt zum hilflosen Umgang der demokratischen Parteien, welches sich auch in der lokalen Presse niederschlägt. Für uns ist aber klar, dass der Vereinnahmung der Opfer und Betroffenen von sexualisierter Gewalt durch die Nazikampagne, sowie jeglicher Nazipropaganda entschieden entgegengetreten werden muss, und zwar dort wo sie sich zeigt und nicht kilometerweit im Abseits.

Im weiteren muss dann die Auseinandersetzung den besonderen politischen Charakter des nationalsozialistischen Todesstrafen-Aktivismus benennen und gegen diesen Stellung beziehen. Und schließlich muss in dieser schwierigen Auseinandersetzung darauf hingearbeitet werden, dass die Ebene rationaler Argumentation wieder erreicht werden kann.

Weitere Links zum Thema:

Bro­schü­re zum Thema se­xu­el­ler Miss­brauch der Amadeu-An­to­nio-​Stif­tung

Ar­ti­kel von Lobbi e.V. zum Thema „Kin­des­miss­brauch und die rechts­ex­tre­me Szene“

Ar­ti­kel „For­de­rung nach To­des­stra­fe nützt den Op­fern nicht“ von npd-​blog.​info

Ar­ti­kel „Warum en­ga­gie­ren sich Nazis gegen Kin­der­schän­der“ von Netz gegen Nazis

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Ergänzungen

Bericht und Bilder bei der lokalen Presse

i.d.o.l.c. 23.10.2010 - 15:13
Die Lokalpresse in Form des Nordkuriers hat auch einen Bericht veröffentlicht. Dort ist von 200 marschierenden Nazis die Rede und wird vor allem der "Protest" in Form des Einschließens erwähnt.

 http://www.nordkurier.de/index.php?objekt=nk.homepage&id=733996

Artikel

Name 25.10.2010 - 16:49
Noch ein Artikel und weitere Infos auch unter
 http://de.indymedia.org/2010/10/292890.shtml