„Sind wir Schland oder Sarrazin?“
Rassismus und Sozialchauvinismus im Land der Aufarbeitungsweltmeister: "Im Wettbewerb um kluge Köpfe müssen wir die Besten anziehen und anziehend sein, damit die Besten bleiben. (…) Wir verschließen nicht die Augen vor denjenigen, die unseren Gemeinsinn missbrauchen. „Unser Sozialstaat ist kein Selbstbedienungsladen ohne Gegenleistungsverpflichtung“, so schlicht und so richtig hat es die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig ausgedrückt. (…) Wir achten jeden, der etwas beiträgt zu unserem Land und seiner Kultur." (Christian Wulff, 3.10.2010)
Blitzeis im Herbst
Im September 2010 titelte die BZ, Berlins auflagenstärkste Zeitung, mit der Frage „Sind wir Schland oder Sarrazin?“ Gerade eben noch, zur WM, waren „wir“ eine festliche Multikulti-Nation in Schwarz-Rot-Geil. Medien und Öffentlichkeit hatten ihre Freude an Neubürgern „mit Migrationshintergrund“, die mit „unserer Fahne“ um die Häuser zogen, und sie auch tapfer gegen nörgelnde „Autonome“ verteidigten. Mit Sami und Mesut im weißen Trikot schien das gegenseitige Misstrauen überbrückt, und wir alle endlich kollektiv ga-ga.
Und kaum war die WM vorbei, fiel dieses Sommermärchen in Scherben. Thilo Sarrazin, sozialdemokratisches Vorstandsmitglied der Bundesbank, löste mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine „Integrationsdebatte“ mit längst überwunden geglaubten rassistischen Zuspitzungen aus. Politik und Feuilleton rügten zwar pflichtschuldig Sarrazins rassekundliche Spekulationen über die Erblichkeit von „Intelligenz“, machten sich aber seine Kernthese zu eigen: Es bestehe ein „Integrationsdefizit“, ja eine regelrechte „Integrationsverweigerung“ migrantischer „Parallelgesellschaften“. Derweil ließen ganz normale Deutsche in einer Flut von Leserbriefen und online-Kommentaren ihren xenophoben Ressentiments freien Lauf. Es bedurfte offenbar nur dieses einen symbolischen Tabubruchs aus der politischen Chefetage, um die realen Bedrohungslagen und Spannungen einer krisenhaften Gesellschaft völkisch zu formieren. Das anschließende Befriedungsmaneuver des Bundespräsidenten - seine Rede „Vielfalt schätzen, Zusammenhalt fördern“ am Tag der deutschen Einheit - bremste zwar vorläufig den Durchmarsch der Rassisten im politischen Mainstream. Doch auch Wulff bestätigte Sarrazins Maßstab nationaler Anerkennung. Stigmatisiert wird, wer dem Standort auf der Tasche liegt und nichts leistet, wer sich nicht produktiv für Deutschland verwerten kann. In dieser Situation müssen Marginalisierte mit und ohne „Migrationshintergrund“ um gesellschaftliche Schonung konkurrieren, während sich die Mehrheitsgesellschaft an ihrer dosierten Toleranz erbaut und verschärfte Ansprüche diktiert. Diese neuerliche „Sozialstaatsdebatte“ ist brandgefährlich, weil sie an die unberechenbaren Konjunkturen der Standortkonkurrenz geknüpft ist, und deshalb zu ideologischen Kurzschlüssen neigt. „Schland“ ist nicht ohne „Sarrazin“ zu haben, das multikulturelle Teamwork der Standortameisen nicht ohne die Ausgrenzung der Überflüssigen, und nicht ohne die endlose Ertüchtigung und Disziplinierung des nationalen Humankapitals.
Kulturalisierung des Sozialen
Sicher, bei Sarrazin bekommen auch unproduktive Germanen ihr Fett weg. Sie werden als faul und teuer verhöhnt, als unnütze Kostgänger des Standorts, als menschlicher Müll. Doch gerade dieser richtungsoffene Chauvinismus verstärkte in der Folge die ethnisch-nationale Frontstellung der Debatte. Deutsche Ureinwohner können sich immer noch auf ihr Deutschsein berufen, wenn nicht auf deutsche Gene, dann auf deutsche Kultur. Indem Sarrazin den Untergang des Abendlandes unter Kreuzberger Minaretten herbei phantasiert, erneuert er eine erprobte Ausgrenzungslinie, und versichert den Mehrheitsdeutschen das Wohlgefühl des nationalen Innenraums, samt privilegierter Versorgungsansprüche. Wie zur Absicherung dieser haltlosen ethnisch-nationalen Grenzziehung bereicherte das Schlagwort der „Deutschenfeindlichkeit“ migrantischer Jugendlicher die Debatte. Neu an diesem Vorwurf ist nicht der rassistische Argwohn gegenüber türkischen und arabischen Schülerinnen und Schülern, neu ist die dreiste Kulturalisierung ihres sozialen und ideologischen Schicksals. Vorbei die Zeiten, in denen der nervtötende weltanschauliche Absolutismus von Teenagern als ohnmächtiger Widerstand gegen ausweglose gesellschaftliche Zumutungen entschlüsselt wurde. Gerade die Generation, die als Jugendliche selbst nur dank apokalyptischer Revolutionshoffnungen durch den Tag kam, beklagt jetzt „dieses mystische Erhabensein, dieses Auserwähltsein auf muslimischer Seite“ (Buschkowsky, SPD Bürgermeister von Neukölln) als fremdvölkischen Ursprung aller Konflikte. Ihre eigenen Kinder, die Christians und Christianes dieser Welt, können dank Herkunfts- und Bildungsprivileg meist spielend auf religiöse Erlösungsversprechen verzichten. Sie sind bereits die „Auserwählten“ des strukturellen Bildungsrassismus deutscher Schulen.
Brutalisierung des Sozialstaats
Doch diese Verschärfung des Kulturkampfes von oben und unten fußt auf einer allgemeinen Brutalisierung des Sozialstaats. Die „soziale Marktwirtschaft“, die in der Krise als Kapitalismus mit menschlichem Antlitz verkauft wurde, hat ihren fürsorglichen Charakter längst verloren. Im kapitalistischen Globalisierungsschub seit 1989/90 hat Deutschland konsequent soziale Garantien beschnitten. Aus sozialen Rechten wurden Ermessensleistungen der staatlichen Arbeits- und Sozialverwaltung. Und während die Gewerkschaften zu Hause den sozialen Frieden hüteten, konnte die deutsche Exportindustrie die Welt erobern. Die neuen Einschnitte des „Sparpakets“, das in erster Linie die Kreditwürdigkeit des Standorts absichern soll, treffen vor allem Erwerbslose, also gesellschaftlich Ohnmächtige. Wo euphemistisch eine „Stärkung von Beschäftigungsanreizen und Neujustierung von Sozialleistungen“ (Kabinettsbeschluss, Juni 2010) angekündigt wird, grenzen die realen Maßnahmen an administrativen Sadismus. Denn zusätzlich zur entwürdigenden Dauerüberwachung durch die Hartz-IV-Bürokratie sollen nun Elterngeld und Heizkostenzuschuss gestrichen werden. Im Klartext: Die Unterschichten sollen nicht unproduktiv in warmen Wohnungen sitzen und sich sinnlos vermehren. Aus ihren Kindern wird nämlich im Durchschnitt eh nichts. Den vorläufig Verschonten macht Prediger Gauck Mut zur Nötigung: „Und wir müssen uns nicht fürchten, auch in den Problemzonen der Abhängigen Forderungen an diese zu stellen. Es schwächt die Schwachen, wenn niemand mehr etwas von ihnen erwartet.“ (Rede vor dem Berliner Abgeordnetenhaus, 2.10.2010).
Dass dieser perverse Chauvinismus der Eliten als Menschenfreundlichkeit durchgeht, sagt alles über die objektive Menschenfeindlichkeit des entwickelten Kapitalismus. Es könnte natürlich noch viel schlimmer kommen. Aber auch ganz anders. Deshalb bleibt die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln auch heute unsere Losung.
Im September 2010 titelte die BZ, Berlins auflagenstärkste Zeitung, mit der Frage „Sind wir Schland oder Sarrazin?“ Gerade eben noch, zur WM, waren „wir“ eine festliche Multikulti-Nation in Schwarz-Rot-Geil. Medien und Öffentlichkeit hatten ihre Freude an Neubürgern „mit Migrationshintergrund“, die mit „unserer Fahne“ um die Häuser zogen, und sie auch tapfer gegen nörgelnde „Autonome“ verteidigten. Mit Sami und Mesut im weißen Trikot schien das gegenseitige Misstrauen überbrückt, und wir alle endlich kollektiv ga-ga.
Und kaum war die WM vorbei, fiel dieses Sommermärchen in Scherben. Thilo Sarrazin, sozialdemokratisches Vorstandsmitglied der Bundesbank, löste mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine „Integrationsdebatte“ mit längst überwunden geglaubten rassistischen Zuspitzungen aus. Politik und Feuilleton rügten zwar pflichtschuldig Sarrazins rassekundliche Spekulationen über die Erblichkeit von „Intelligenz“, machten sich aber seine Kernthese zu eigen: Es bestehe ein „Integrationsdefizit“, ja eine regelrechte „Integrationsverweigerung“ migrantischer „Parallelgesellschaften“. Derweil ließen ganz normale Deutsche in einer Flut von Leserbriefen und online-Kommentaren ihren xenophoben Ressentiments freien Lauf. Es bedurfte offenbar nur dieses einen symbolischen Tabubruchs aus der politischen Chefetage, um die realen Bedrohungslagen und Spannungen einer krisenhaften Gesellschaft völkisch zu formieren. Das anschließende Befriedungsmaneuver des Bundespräsidenten - seine Rede „Vielfalt schätzen, Zusammenhalt fördern“ am Tag der deutschen Einheit - bremste zwar vorläufig den Durchmarsch der Rassisten im politischen Mainstream. Doch auch Wulff bestätigte Sarrazins Maßstab nationaler Anerkennung. Stigmatisiert wird, wer dem Standort auf der Tasche liegt und nichts leistet, wer sich nicht produktiv für Deutschland verwerten kann. In dieser Situation müssen Marginalisierte mit und ohne „Migrationshintergrund“ um gesellschaftliche Schonung konkurrieren, während sich die Mehrheitsgesellschaft an ihrer dosierten Toleranz erbaut und verschärfte Ansprüche diktiert. Diese neuerliche „Sozialstaatsdebatte“ ist brandgefährlich, weil sie an die unberechenbaren Konjunkturen der Standortkonkurrenz geknüpft ist, und deshalb zu ideologischen Kurzschlüssen neigt. „Schland“ ist nicht ohne „Sarrazin“ zu haben, das multikulturelle Teamwork der Standortameisen nicht ohne die Ausgrenzung der Überflüssigen, und nicht ohne die endlose Ertüchtigung und Disziplinierung des nationalen Humankapitals.
Kulturalisierung des Sozialen
Sicher, bei Sarrazin bekommen auch unproduktive Germanen ihr Fett weg. Sie werden als faul und teuer verhöhnt, als unnütze Kostgänger des Standorts, als menschlicher Müll. Doch gerade dieser richtungsoffene Chauvinismus verstärkte in der Folge die ethnisch-nationale Frontstellung der Debatte. Deutsche Ureinwohner können sich immer noch auf ihr Deutschsein berufen, wenn nicht auf deutsche Gene, dann auf deutsche Kultur. Indem Sarrazin den Untergang des Abendlandes unter Kreuzberger Minaretten herbei phantasiert, erneuert er eine erprobte Ausgrenzungslinie, und versichert den Mehrheitsdeutschen das Wohlgefühl des nationalen Innenraums, samt privilegierter Versorgungsansprüche. Wie zur Absicherung dieser haltlosen ethnisch-nationalen Grenzziehung bereicherte das Schlagwort der „Deutschenfeindlichkeit“ migrantischer Jugendlicher die Debatte. Neu an diesem Vorwurf ist nicht der rassistische Argwohn gegenüber türkischen und arabischen Schülerinnen und Schülern, neu ist die dreiste Kulturalisierung ihres sozialen und ideologischen Schicksals. Vorbei die Zeiten, in denen der nervtötende weltanschauliche Absolutismus von Teenagern als ohnmächtiger Widerstand gegen ausweglose gesellschaftliche Zumutungen entschlüsselt wurde. Gerade die Generation, die als Jugendliche selbst nur dank apokalyptischer Revolutionshoffnungen durch den Tag kam, beklagt jetzt „dieses mystische Erhabensein, dieses Auserwähltsein auf muslimischer Seite“ (Buschkowsky, SPD Bürgermeister von Neukölln) als fremdvölkischen Ursprung aller Konflikte. Ihre eigenen Kinder, die Christians und Christianes dieser Welt, können dank Herkunfts- und Bildungsprivileg meist spielend auf religiöse Erlösungsversprechen verzichten. Sie sind bereits die „Auserwählten“ des strukturellen Bildungsrassismus deutscher Schulen.
Brutalisierung des Sozialstaats
Doch diese Verschärfung des Kulturkampfes von oben und unten fußt auf einer allgemeinen Brutalisierung des Sozialstaats. Die „soziale Marktwirtschaft“, die in der Krise als Kapitalismus mit menschlichem Antlitz verkauft wurde, hat ihren fürsorglichen Charakter längst verloren. Im kapitalistischen Globalisierungsschub seit 1989/90 hat Deutschland konsequent soziale Garantien beschnitten. Aus sozialen Rechten wurden Ermessensleistungen der staatlichen Arbeits- und Sozialverwaltung. Und während die Gewerkschaften zu Hause den sozialen Frieden hüteten, konnte die deutsche Exportindustrie die Welt erobern. Die neuen Einschnitte des „Sparpakets“, das in erster Linie die Kreditwürdigkeit des Standorts absichern soll, treffen vor allem Erwerbslose, also gesellschaftlich Ohnmächtige. Wo euphemistisch eine „Stärkung von Beschäftigungsanreizen und Neujustierung von Sozialleistungen“ (Kabinettsbeschluss, Juni 2010) angekündigt wird, grenzen die realen Maßnahmen an administrativen Sadismus. Denn zusätzlich zur entwürdigenden Dauerüberwachung durch die Hartz-IV-Bürokratie sollen nun Elterngeld und Heizkostenzuschuss gestrichen werden. Im Klartext: Die Unterschichten sollen nicht unproduktiv in warmen Wohnungen sitzen und sich sinnlos vermehren. Aus ihren Kindern wird nämlich im Durchschnitt eh nichts. Den vorläufig Verschonten macht Prediger Gauck Mut zur Nötigung: „Und wir müssen uns nicht fürchten, auch in den Problemzonen der Abhängigen Forderungen an diese zu stellen. Es schwächt die Schwachen, wenn niemand mehr etwas von ihnen erwartet.“ (Rede vor dem Berliner Abgeordnetenhaus, 2.10.2010).
Dass dieser perverse Chauvinismus der Eliten als Menschenfreundlichkeit durchgeht, sagt alles über die objektive Menschenfeindlichkeit des entwickelten Kapitalismus. Es könnte natürlich noch viel schlimmer kommen. Aber auch ganz anders. Deshalb bleibt die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln auch heute unsere Losung.
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(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)
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Ergänzungen
Der Text...
@ worum gehts? 22.10.2010 - 13:08
Jetzt verwirklicht sich die Befürchtung: Deutschland sucht und benennt das "Außen"!
Deutschland bitte sofort abschaffen!
Demokratie statt Integration
Die Bundesbank ist Thilo Sarrazin los. Damit ist die Geschichte aber längst nicht vorbei. Denn beunruhigend sind nicht allein die populistischen Thesen dieses Bankiers, beunruhigend ist vielmehr die Plausibilität, die seinen Ausführungen zugestanden wird. Eine erstaunliche Anzahl von PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen und MeinungsmacherInnen sind sich einig: Der Sarrazin’sche Biologismus hat zwar in Deutschland einen besonderen Hautgout, im Kern aber habe der Mann doch Recht. Nicht wenige feiern den ehemaligen Finanzsenator Berlins als Tabubrecher mit visionärem Blick für Deutschlands Zukunft. Wir fragen: welches Tabu? Die Skandalisierung der Migration gehört zum Standardrepertoire in Deutschland. Es ist sinnlos, den infamen Behauptungen von Sarrazin et al. wissenschaftliche Fakten entgegenstellen zu wollen, um zu beweisen, was MigrantInnen „wirklich“ tun oder lassen.
Man kann diese Debatte nicht versachlichen, denn nichts an ihr ist richtig. Wir akzeptieren schlicht keine Haltung, die gesellschaftliche Verhältnisse nach Kosten-Nutzen-Erwägungen durchrechnet und Arme und MigrantInnen zur Ausschusspopulation erklärt. Dies geschieht im Kontext einer globalen Wirtschaftskrise, von der nur allzu klar ist, wer ihre Folgen tragen soll.
Wir wollen das Offensichtliche klar stellen. Wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft. Das bedeutet: Wenn wir über die Verhältnisse und das Zusammenleben in dieser Gesellschaft sprechen wollen, dann müssen wir aufhören, von Integration zu reden. Integration heißt, dass man Menschen, die in diesem Land arbeiten, Kinder bekommen, alt werden und sterben, einen Verhaltenskodex aufnötigt, bevor sie gleichberechtigt dazugehören. Aber Demokratie ist kein Golfclub. Demokratie heißt, dass alle Menschen das Recht haben, für sich und gemeinsam zu befinden, wie sie miteinander leben wollen. Die Rede von der Integration ist eine Feindin der Demokratie.
Noch vor kurzem wurden MigrantInnen der besonderen Missachtung von Frauenrechten bezichtigt. Die aktuelle Hysterie zeigt aber einmal mehr, dass es den KritikerInnen der Migration nicht um Gleichberechtigung geht: Hier wird über Frauen nur noch als Gebärende gesprochen, die entweder zu viel oder zu wenig Nachwuchs produzieren. Es muss darum gehen, rechtliche und politische Strukturen zu schaffen, die es MigrantInnen ermöglichen, selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten – und das beinhaltet auch, das Ausländerrecht zu verändern.
Wenn selbsternannte LeistungsträgerInnen sich ein quasi „naturgegebenes“ Recht zubilligen, über die Daseinsberechtigung anderer zu urteilen, dann ist das wohl ein neuer Mix aus Neoliberalismus und Rassismus. Bisher wurden Sprache, Kultur und religiöse Gebräuche der migrantischen Minderheiten für deren Lebensverhältnisse verantwortlich gemacht. Jetzt sollen es die Gene sein. Bisher wurde behauptet, dass durch Leistung, Arbeitsethos und Anpassung ein Platz in der Gesellschaft gesichert ist. Jetzt wird ganzen Gruppen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Fähigkeit dazu abgesprochen. Inakzeptabel ist nicht nur der Rassismus, der in den Ausführungen von Sarrazin und seinen Mitläufern steckt, sondern auch die darin enthaltene Konsequenz, Hierarchien in dieser Gesellschaft als unverrückbar zu erklären und damit Politik an sich, die Konflikte, Verhandlungen und Kämpfe um ein besseres Leben für sinnlos zu erklären.
Es sind politische Entscheidungen, die für die Verarmung und soziale Deklassierung zunehmender Teile der Bevölkerung verantwortlich sind. Reden wir davon, wie dieses Deutschland jahrzehntelang den Eingewanderten ihre sozialen und politischen Rechte vorenthalten hat. Reden wir davon, dass MigrantInnen der Zugang zu Bildung, Wohnraum und Arbeitsplätzen, in öffentliche Institutionen und Ämter ebenso wie in Clubs und Fußballvereine systematisch erschwert wird. Das Problem sind weder die Armen noch die MigrantInnen, das Problem ist eine Politik, die Armut und Rassismus produziert. Das Problem ist eine Gesellschaft, die sich auch über Ausgrenzung definiert.
Unübersehbar ist, wie viele Sarrazin eilig beispringen und nach dem Recht auf Meinungsfreiheit rufen, ganz so, als ob er ein Problem hätte, seine Thesen öffentlich zu machen. Die Kritik an ihm wird zum Angriff auf die Freiheit des Wortes stilisiert. Der Aggressor wird so zum Opfer, auch das ist leider eine sehr gewöhnliche Inszenierung. Wer Sarrazins bevölkerungspolitische Ansichten übernimmt, arbeitet mit an der Spaltung unserer Gesellschaft.
Denn: Wenn Integration irgendetwas bedeuten kann, dann doch nur, dass alle drin stecken!
Sarrazin: Lautsprecher d. herrschenden Klasse
Auf der Veranstaltung (Kampfschriften mit brauen Wurzeln) in der LUNTE am 18.10. 2010 habe ich erfahren, was Herr Sarrazin an konkreten Maßnahmen vorschlägt, die samt und sonders aus den Denkfabriken der Kapitalistenklasse stammen bzw. z.T. schon praktiziert werden (Stichwort: Bürgerarbeit) oder unmittelbar bevorstehen (Stichwort Bildungsgutschein).
Der Referent nannte aus Sarrazins Buch u.a. folgende Forderungen:
+ keine Grundsicherung sondern Arbeitspflicht nach dem Muster Rotterdam und New York
+ die Qualität der Arbeit, der dann zu leistenden Arbeit ist egal,
+ bei Unpünktlichkeit oder mangelnder Arbeitsbereitschaft sofort Abzüge
+ Umstellung der Geldleistungen für Kinder auf Sachleistungen
+ regelmäßige Hausbesuche zur Kontrolle, wie „Bildungsferne“ mit ihren Kindern umgehen
+ KiTa-Besuch: Pflicht ab 3./4. Lebensjahr
+ Schule ab 1. Schuljahr als Ganztagsschule mit Freizeit nur abends und an Wochenenden
+ Schuluniformen
+ empfindliche Geldbußen für Eltern bei Schwänzen
+ Bundesweit einheitliche Leistungs- und Intelligenztests (!) in jeder Schule und jeder Klasse am Ende eines jeden Schuljahres
+ Finanzielle Gleichbehandlung von staatlichen und Privatschulen
+ Zwangsgermanisierung durch Pflichtkurse für hier lebende MigrantInnen
+ Zuzug des Ehegatten nur, wenn der andere 3(!) Jahre vorher ohne Inanspruchnahme von Grundsicherung gelebt hat
+ der zuziehende Ehegatte bekommt in den ersten 10 Jahre keine Grundsicherung
+ Biometrischer Ausweis und zentrale Datenbank für alle MigrantInnen
+ Fortpflanzungsbereitschaft nichtmigrantischer erwerbstätiger Mütter fördern
+ Deutliche Senkung der Kinderbeiträge bei Personen mit Grundsicherung
+ Dafür 50.000 Euro Prämie für Akademikerinnen bei Geburt eines Kindes vor dem 30. Lebensjahr
Auf diese geplanten massiven Angriffe, müsste in der Kritik an Sarrazin vielmehr konkret, d.h. politisch praktisch eingegangen werden. Nämlich es müsste diskutiert werden, wie die Teile des Proletariats, die noch einen Lohnarbeitsplatz haben, sich mit denen zusammenschließen können, die erwerbslos sind, um gemeinsam den Kampf gegen diese Angriffe aufzunehmen.
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
ich versteh das nich — worum gehts?
Einfach mal Randale machen - scheiß egal! — Der mit dem Grill-Anzünder
Sarrazin — sowat
Theoriebaukasten — BOB
Rassismus? — Kleiner Bär
fuck — schland