Interview mit griechischem Gewerkschaftslinken

George Pontikos + Gewerkschaftsforum Hannover 19.10.2010 20:40 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Zum anhaltenden Widerstand gegen die Kahlschlagspolitik der sozialdemokratischen PASOK-Regierung von Giorgios Papandreou in Griechenland hier ein Interview mit einem der führenden linken Gewerkschafter des Landes, George Pontikos (PAME) aus der linken italienischen Tageszeitung "il manifesto" vom 3.10.2010.
Eine soziale Bewegung brauche „Erfolge“, deshalb müsse sie sich „erreichbare Ziele“ stecken, schreibt die aus der autonomen Linken hervorgegangene, bekannte Berliner Gruppe „Für eine linke Strömung“ (FELS) in der neusten Ausgabe ihrer Zeitschrift „Arranca!“ und drückt damit die Meinung vieler Linker – nicht nur in Deutschland – aus.

Wir wollen hier keine Vermutungen darüber anstellen, ob das schon Opportunismus ist oder nur eine Neuauflage der altväterlichen Empfehlung, sich „nach der Decke zu strecken“, also den vorgegebenen Rahmen nicht in Frage zu stellen und schon gar nicht zu sprengen.

Wir beschränken uns ganz einfach auf die Feststellung, dass diese Aussage von FELS und Anderen schlicht nicht den Tatsachen entspricht, denn wäre dem so, dann müsste in Griechenland, angesichts diverser erfolgloser Streiks und Demonstrationen gegen die neoliberale Kürzungsorgie längst wieder Friedhofsruhe herrschen. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Zwar nicht die überwältigende Mehrheit, aber doch ein großer, ein erheblicher Teil der Betroffenen hört einfach nicht auf, sich zu wehren, diskutiert wieder massenhaft politische und ökonomische Zusammenhänge (zum Beispiel über die Rolle der Finanzmärkte, das Vorgehen der sozialdemokratischen PASOK-Regierung von Giorgios Papandreou, die sog. „Risikoaufschläge“ auf Staatsanleihen / „Capital Spreads“, die Urteile von Ratingagenturen, die Diktate von EU und IWF etc.), streikt, besetzt die Akropolis und legt nicht nur den Verkehr lahm. Ein Ende ist nicht absehbar und die Furcht der Herrschenden wächst, wie u.a. die Schlagzeile der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 8.Oktober 2010 verrät: „Papandreou: 2011 wird kritisch“.

Eine bedeutende Kraft ist (bei aller berechtigten Kritik an Teilen der KP-Politik und -Programmatik) ohne Frage die Gewerkschaftsfront der KKE, PAME. Die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ brachte am 3.10.2010 das folgende Interview mit einem Mitglied der PAME-Führung:


Der griechische Gewerkschafter:

„Auf eine globale Krise antwortet man mit der Einheit der Arbeiter“

Rocco Di Michele

Da er sich wegen der Europa-Konferenz des Weltgewerkschaftsbundes (WGB) in Rom aufhielt, nutzten wir die Gelegenheit und sprachen mit George Pontikos, dem Leiter der internationalen Abteilung der PAME, das heißt der Gewerkschaft der griechischen Linken, die 2010 „für Bewegung gesorgt“ hat.

Wie ist die ökonomische und politische Lage in Griechenland?

„Die offizielle Erwerbslosenquote liegt bei 16 Prozent, aber verschiedene Wirtschaftsexperten sind der Auffassung, dass wir bis Endes des Jahres 20 Prozent erreichen werden. Der Umsatz des Handelssektors ist von Juni 2009 bis Juni 2010 um 9% gesunken. Die Regierung hat die Renten gekürzt, die Liste der besonders verschleißenden Arbeiten revidiert ((aufgrund derer man früher pensioniert werden kann; GFH)), die Invaliditätsrenten begrenzt und plant die Privatisierungen der Eisenbahn sowie der übrigen öffentlichen Verkehrsmittel, wobei der Mindestlohn um 20% sinkt. Nun hat sie auch noch höhere Strompreise und eine Reform der Tarifverträge angekündigt, die die Flächentarifverträge auf nationaler Ebene abschafft und nur noch betriebliche Abkommen vorsieht.“

Wie viele Generalstreiks haben in den letzten Monaten stattgefunden?

„Zwölf. Die Beteiligung ist von Mal zu Mal gestiegen. Der am 5.Mai war der größte der letzten 30 Jahre. Viele Jugendliche und neue Berufsgruppen haben sich dem Kampf angenähert. Aber, da sie keine Erfahrung besaßen, haben sie anfangs einen großen Enthusiasmus gezeigt und hinterher einen Einbruch erlitten. Es gibt auch die weit verbreitete Ansicht, dass wir derzeit den härtesten Moment der Krise erleben, aber sich die Dinge in zwei oder drei Jahren bessern könnten. Deshalb setzen sich viele hin und warten ab. Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der mit uns übereinstimmt, aber durch die hohe Erwerbslosenrate und den ‚Terrorismus’ der Regierung wie der Arbeitgeber eingeschüchtert ist, die nach dem Motto verfahren: ‚Wenn es Dir so nicht gefällt, kannst Du ja kündigen!’“

Ist das eine politische Unsicherheit?

„Es gibt zwei unterschiedliche Logiken. Die sozialdemokratische Regierung ((von Ministerpräsident und PASOK-Chef Papandreou; GFH)) sagt, dass diese Maßnahmen hart sind, aber sich die Lage mit der Zeit verbessern wird. Unserer Ansicht entsprechen sie hingegen den Interessen der Finanz und des Kapitals. Unser Ziel ist es, die abhängig Beschäftigten, die Selbstständigen und die Jugendlichen in einem Kampf gegen diese Maßnahmen zusammenzuschließen.“

Wie ist das Verhältnis zu den anderen Gewerkschaften?

„Das ist ein Verhältnis zu Bürokratien, nicht zu Gewerkschaften. Nehmen wir den Dachverband der in der Privatwirtschaft Beschäftigten GSEE, dessen Vorsitzender ist ein Mitglied der PASOK (d.h. der regierenden Sozialisten; Anm. d. Red.).“

Alle europäischen Regierungen wenden dieselbe Strategie an. Kann man da auf nationaler Ebene erfolgreich Widerstand leisten?

„Die Krise ist kein griechisches Phänomen, sondern global. Notwendig ist eine Koordination aller klassenorientierten Organisationen außerhalb der Beschlüsse des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), der den neoliberalen Politiken nicht entgegentritt, sondern sie im Gegenteil unterstützt. Am einen Tag bringen sie – wie in Italien, Frankreich oder Spanien – die Leute auf die Straße und am nächsten sind sie zum ‚Dialog’ bereit.“

Im April findet der Weltkongress des Weltgewerkschaftsbundes (WGB) statt. Aber ist eine gemeinsame Linie der Gewerkschaften in den aufstrebenden und den fortgeschrittenen Ländern überhaupt möglich?

„Es gibt weltweit unterschiedliche Entwicklungsniveaus. Wir müssen zumindest in Sachen Arbeit, Löhne, Rechte und soziale Sicherheit gemeinsame Punkte finden. Wir können wunderschöne Vorschläge machen, aber das primäre Problem besteht darin, die gesellschaftliche Macht zu erringen, um sie durchzusetzen. Zu den wichtigsten Zielen gehört es, die Jugendlichen und die Frauen, die eine große Unzufriedenheit mit den Gewerkschaften und ihren Führern zeigen, in diesen Kampf zu integrieren. Es ist wichtig, dass die Gewerkschaften gerade unter der Jugend und den Frauen wieder präsent sind. Und in Europa muss es uns gelingen, die Arbeitsmigranten innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zu organisieren sowie die Konkurrenz unter den Werktätigen zu bekämpfen, um auch Rassismus und Faschismus zu beseitigen. Der Kapitalismus ist keine Lösung für die Probleme der Völker und jetzt hat er keine Zukunft mehr. Unsere Anstrengungen gehen in Richtung einer politischen Plattform / einen politischen Forderungskataloges, die / der es ermöglicht, sich in deutlicher und direkter Form an alle diese Leute zu wenden.“


((Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover))
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Scheiß KKE

Blubb 19.10.2010 - 22:59
Aus einem Interview mit einem griechischen Aktivisten: "The Communist Party separated itself from anarchists and leftists, and organized separate demonstrations. Also, the announcements that the Communist Party published, their appearances in the corporate media, their speeches to the parliament, and the negative propaganda that they carried on against all leftist organizations prove that they are a real enemy of any kind of efforts for social change."
Die können einem echt gestohlen bleiben...

Hintergründe der Kämpfe

Pablo 23.10.2010 - 00:14
Auf der englischsprachigen Website der PAME finden sich noch weitere Informationen zu den Kämpfen in Griechenland:

 http://www.pamehellas.gr/main.php?lang=2

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass die Aktivist/innen der Pame in ganz Griechenland ihren Kampf führen während gewisse Anhänger/innen kleiner Politgruppen im wesentlich in einem Stadtteil in Athen sich als einzige wichtige Kraft empfinden und gerne mit billigster Polemik und verzerrten Darstellungen gegen alle anderen Gruppen (gerne auch untereinander) agitieren und dafür insbesondere auf indy Werbung zu machen versuchen.

Einen kleinen (etwas pathetischen) Überblick über Gewerkschaften in Griechenland bietet die UZ:

 http://www.dkp-online.de/uz/4241/s1301.htm

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

Lügner! — Syndikalist