( B) Tatorte von Mieterhöhung & Verdrängung

Karla Pappel von und zu Kunger 18.10.2010 23:12 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
Bei strahlendem Sonnenschein trafen sich am Sonntag den 17. Oktober in Alt Treptow zwischen 80 und 100, sehr unterschiedliche Menschen aus dem Kiez und angrenzenden Kiezen. Der Kiezspaziergang begann an der Bibliothek im Kunger-Kiez.
Angesichts der großen Menge von Menschen mußte die Stadtteilinitative Karla Pappel auf ein Megaphon umsteigen. Verschiedene RednerInnen aus dem Kiez hielten Beiträge über die Tatorte der Verdrängung durch z.B. Mieterhöhungen, Eigentumswohnungen, Autobahnen und korrupte PolitikerInnen.
Der erste Beitrag war über die Armutsituation vor allem von Kinder und Jugendlichen in Alt Treptow. Diese unterscheidet sich nicht wesentlich von den angrenzenden Kiezen und ist sehr hoch (wenn wir es schaffen machen wir dazu einen Beitrag auf dieser Seite). Ein weiterer Beitrag ging auf die Schließung von Jugendtreffs (Club 112) ein, die vor allem die armen Schichten in Alt Treptow und dem angrenzenden Neukölln trifft.

* Der nächste Halt war an der Elsenstraße 35/36. Luxus-Townhouses sind dort geplant : mit einem Quadratmeterpreis von über 3000,- Euro. Auf dem ehemaligen Mauerstreifen stehen ungefähr 60-jährige hochgewachsene Pappeln, die im Rahmen der „Kiezaufwertung“ natürlich gefällt würden. Hier wurde noch einmal an den Zusammenhang zu den beiden Baugruppen in der Karl Kunger Strasse / Ecke Lohmühle erinnert. Diese Neubauten mit Eigentumswohnungen haben mit einem Quadratmeterpreis von 2000,- Euro vor zwei Jahren den Anfangspunkt einer aggressiven Bebauung von Brachflächen gesetzt. Die beiden Baugruppen ( „KarLoh“ & „Zwillingshaus“) können auch als vorantreibende Gentrifizierungsprojekte der neuen Mittelschicht bezeichnet werden. Der Name der Stadtteilgruppe „Karla Pappel“ leite sich aus dem damals entstandenen Kampf gegen die Fällung von ebenfalls 60-jährigen Pappeln ab. Einkommenschwache Schichten sollten bezahlbare Mietwohnungen vorfinden statt Eigenheime auf den wilden Brachen im Kiez.

* An der Elsenstraße wurde die A 100 thematisiert und ihre Auswirkungen auf den Kiez. Die Kündigung von Kleingärten entlang der geplanten A100 war rechtswidrig, doch die Kleingärtner haben mittlerweile ihrer Kündigung zugestimmt. Die Stadt versucht nun mit weiteren juristischen Verfahren die A100 durchzusetzen und beauftragt dafür externe Juristen mit einem Stundenlohn von zum Teil 500,-Euro. Der A100 müssten im Kiez auch drei Häuser in der Bearwaldstraße weichen – wenn der Widerstand von Seiten der GegnerInnen dies zuläßt.

* Am Hochdamm in der Kiefholzstrasse 416-418 war der geplante Bau von weiteren 60 Eigentumswohnungen Thema und der Abriss von Garagen. Die Besitzer erhalten für die zu DDR-Zeiten selbst aufgebauten Garagen keinerlei Abfindungen, dafür will sich die Baugruppe dort Tiefgaragen einrichten, einen hauseigenen Kinderladen und hat sich vorsorglich schon mal ein Gentrifizierung-Zertifikat ausgestellt. Der Quadratmeter hier soll schlappe 2400 Euro kosten, bei 10.000 Quadratmeter Wohnfläche. Nur dreizehn Wohnungen sind vergeben. Das soll auch so bleiben.

* In der Kiefholzstraße 22 entstehen in einem ehemaligen Fabrikgebäude Luxuslofts. Wie so oft im Kiez üblich wird auch hier ohne Bauschild gebaut. Den Behörden muss Absicht unterstellt werden, da sie auch in anderen Fällen trotz Beschwerden nicht zu Maßnahmen im Kiez griffen. So bleibt noch im Dunkeln welche üblen Gestalten dort bauen und sich daran goldene Nasen verdienen. Bekannt aber ist die Person die im Kiez das Gebäude vor einigen Jahren für 90.000 Euro vom Liegenschaftsamt gekauft und vor knapp einem Jahr für 500.000,- Euro weiterverkaufte. Wohnen wird als Immobilienanlage betrieben, auf Kosten der einkommensschwachen Schichten. Der Senat deckt diese Schweinereien.

* Immer wieder erzählte eine andere Anwohnerin, ein anderer Anwohner, von weiteren Veränderungen. Besonders hart und augenfällig ist die Situation am Inselmarkt. Die gepachtete Fläche war lange Teil des Kiezes mit seinen Marktständen und Fahradreparaturplatz. Erst hat Architekt mit einer weiteren Baugruppe im Schlepptau nach einer Möglichkeit gesucht das Gelände zu kaufen und ein Haus auf Stelzen zu bauen um den Inselmarkt zu erhalten, was zur allgemeinen Erheiterung als schönfärberische Idee interpretiert wurde. Doch nun hat das Gelände für 420.000 Euro den Besitzer gewechselt – und natürlich wird auch dort auf eine Weise gebaut werden, die den Mietspiegel weiter anheizt. Hartz IV BezieherInnen finden zum Beispiel wie in Kreuzberg auch in Alt Treptow keine bezahlbaren Wohnungen mehr vor.

* Die eigentlich letzte Station im Kiezspaziergang bildete die Baugruppe am Schmollerplatz. Der Architekt dieser Eigentumswohnungen (er nennt sie neutraler klingend „20 Wohneinheiten“) war beispielsweise stellvertretender Projektleiter beim Bau am Bundeskanzleramt. Ein Biotop, das seit Bestehen Berlins noch nie bebaut wurde, mußte seinen Baggern weichen. Auf Gute Nachbarschaft und Herzlich Willkommen im Kiez der Verdrängung. Zwei weitere Beiträge hoben die Rolle der städtischen Wohnungsbaugesellschaften hervor, die ihren sozialen Aufgaben nicht nachkämen, sondern überteuerte Mieten nehmen, bzw. öffentliche Wohnungen in Senatsauftrag in Eigentumswohnungen umgewandelt haben.

* Nun folgte ein neuer Punkt in der Route. In der Krüllsstrasse luden Leute den Kiezspaziergang zu Kaffee und Kuchen ein. Also ging der Kiezspaziergang dort noch hin, das Gelände stand offen und der Kuchen war lecker. Der Vorschlag der Schaffung eines Stadtteilzentrums für jung und alt wurde unterbreitet. Ein Ort zur Mieterberatung wurde vorgeschlagen und ein Treff für Jugendliche. Ein Kiezkaffee und ein ständiger, sogenannter „Umsonstladen“ und ein Flohmarkt. Der Ort könne ein Ort sein an dem sich alle treffen die keine Lust mehr auf die „Konsumgesellschaft“ haben, die einsam sind… In einem breit verteilten Flugblatt heißt es dazu: „…das sich heute unterschiedliche Menschen einen Ort angeiegnet haben, an dem eine Stadtteilzentrum entstehen soll.“ Gerade mit dem Wegfall des Inselmarktes, der Dreistigkeit von Baugruppen und Investoren, mit dem der Kiez zerstört wird, und der Unterstützung des Senates von Mieterhöhungs- und den sich anschließenden Verdrängungsprozessen ist diese Idee bestechend. Gegen Abend, als viele KiezspaziergängerInnen sich in das warme zurückgezogen hatten kamen Polizisten und nahmen recht wahllos die Personalien von AnwohnerInnen wegen angeblichem Hausfriedensbruch vor dem Gelände auf. Die ehemalige Autowerkstatt wurde durch die Polizei verschlossen. Albern zu glauben, das die Polizei ein politisches Problem lösen kann, das nur noch die Betroffenen selber lösen werden können.

Fazit: Der Kiezspaziergang war sehr stark besucht und hat der Stadtteilgruppe und ihrer Arbeit auch den Rücken gestärkt. Wir sind im Kiez sicherlich nie einer Meinung, aber wir sind auch nicht wenige die die angebliche „Aufwertung“ als Verdrängungsprozess erleben. Worin wir aber sicher sind ist, dass wir einen starken Rückhalt in der Forderung haben, dass niemand der wenig Geld zur Verfügung hat diesen Kiez verlassen soll und dass wir uns bemühen das auch durchzusetzen. Die „Aneignung“ war ein wichtiger Schritt für den Kiez nicht mehr nur zuzuschauen was hier passiert sondern zu beginnen unser Schicksal auch selber in die Hand zu nehmen. Wir sind eine Erfahrung reicher.

Vielen Dank allen, die uns unterstützt haben!!! Bitte ergänzt unseren Bericht bei Bedarf.

Wir verweisen mit Freuden auf den nächsten Kiezspaziergang - diesmal im Schillerkiez in Berlin. Und zwar am Sonntag den 24.10. um 14.00 Uhr am Stadtteilladen "Lunte in der Weisestraße 53

 http://mietenstopp.blogsport.de/2010/10/08/kiezspaziergaenge-im-flotten-dreier/
 http://karlapappel.wordpress.com
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Die große Sorge vor der Verdrängung

zeitungsleserIn 19.10.2010 - 09:50
Mit Kiezspaziergängen machen linke Gruppen auf Gentrifizierung und steigende Mieten aufmerksam

Von Nicolas Šustr 19.10.2010 / Berlin / Brandenburg

Lange lag die heute Alt-Treptow genannte Gegend rund um die Karl-Kunger-Straße im Dornröschenschlaf. Halb umschlossen von der Berliner Mauer und eher peripher durch den S-Bahnhof Treptower Park erschlossen, dauerte es auch nach der Wende lange, bis sich die Gegend mit ihren Gründerzeitbauten zu einem begehrten Wohnquartier entwickelte.

Vor allem die stark steigenden Mieten im nahen Kreuzberg führten dazu, dass Bewohner von dort den Kiez als preiswerte und nahe Ausweichmöglichkeit entdeckten. Das kurbelte den Markt an, die Preise steigen nun auch hier. Grund genug für lokale Initiativen, eine Begehung nach Vorbild der rührigen Anwohner des Kreuzberger Graefekiezes zu veranstalten. Rund 80 Interessierte fanden sich ein. »Die Gegend entspricht von der Sozialstruktur genau dem Durchschnitt«, erläutert Sigrun. 44 Prozent der Kinder und rund 32 Prozent aller Haushalte sind Hartz-IV-Bezieher. »Das zeigt, wie schlecht es der Berliner Bevölkerung insgesamt geht.«

Die erste Station ist der vom Bezirk Treptow-Köpenick geschlossener Jugendclub 112. Ein Raum für offene Jugendarbeit, in dem sich die Zielgruppe einfach zwanglos, aber sozialpädagogisch betreut, aufhalten konnte. »Stattdessen hängen die jetzt in den Grünanlagen auf dem Mauerstreifen rum und trinken aus Langeweile gerne auch das eine oder andere Bier«, empört sich eine Anwohnerin.

Die Kritik der Stadtteilinitiative Karla Pappel, die kürzlich ihr Zweijähriges beging, richtet sich vor allem gegen die Baugruppen, also jene Zusammenschlüsse privater Bauherren, die gemeinsam ein oder mehrere Wohnhäuser errichten. »Wir waren auf alles vorbereitet, nicht aber auf eine kleinbürgerliche Mittelschicht aus dem alternativen Milieu«, heißt es auf der Internetseite. So seien die Quadratmeterpreise von 2000 Euro beim ersten Bau auf inzwischen 3000 Euro gestiegen.

Die Sorge ist, dass durch »Eigentumsbildung, Zuzug der besser verdienenden Mittelschicht und Aufwertung des Kiezes« ärmere Schichten verdrängt werden. Sehr emotional wird an den einzelnen Standorten, zu der die Tour führt, über gefällte Bäume, zerstörte Lebensräume für Fledermäuse, verdrängte DDR-Garagengemeinschaften und neu eröffnete Bioläden referiert. Es zeigt sich, dass es ums große Ganze, den Gesellschaftsentwurf, nicht nur um steigende Mieten geht.

So geht man bei Karla Pappel auch davon aus, dass sowohl der aktuelle Berliner Senat als auch ein künftiger unter Beteiligung der Grünen »die Aufwertung und den Zuzug von Kaufkraft« begrüßen, was eben im Gegenschluss hieße, dass Menschen mit wenig Geld eine »Abwertung« erführen.

Harald Moritz vom BUND empört sich vor allem über die »Verschwendung von Steuermitteln« beim weiter geführten Planfeststellungsverfahren zur Verlängerung der A 100. »Somit sind wir gezwungen, den Gerichtsweg zu beschreiten.« Kosten für ein Projekt, das wohl nie gebaut werden wird, ganz sicher könne man jedoch nicht sein.

Am Ende gibt es noch eine Hausbesetzung. Die Aktivisten wollen das Gelände einer ehemaligen Autowerkstatt an der Krüllsstraße – auch hier hat eine Baugruppe Pläne – zu einem »Stadtteilzentrum für jung und alt« machen. Tapeziertische werden aufgebaut, es gibt Kaffee und Kuchen, einen improvisierten Umsonststand und es wird auch musiziert. In dem betonierten Hof entsteht eine fast idyllische, nachbarschaftliche Atmosphäre. Es ist fraglich, ob die dem Aufwertungsdruck standhalten wird.

Am Sonntag, dem 24. 10. findet eine weitere Tour im Neuköllner Schillerkiez statt, am 31. 10. durch den Kreuzberger Reichenbergerkiez. Informationen unter mietenstopp.blogsport.de

kleiner Nachtrag

--- 20.10.2010 - 14:57
Es wurden acht Personalien aufgenommen. Der Vorwurf auf Hausfriedensbruch ist ein bisschen absurd. Auf dem "angeeigneten Gelände" befand sich bereits niemand mehr und die überforderte Polizei kontrollierte Spaziergänger_innen und Anwohner_innen ohne erkennbares Konzeptauf dem Gehweg. Sie fotografierte akribisch ein verglimmtes Lagerfeuer und zupfte alte Flyer von Wänden.
Eine längere und angeregte Diskussion der Beamten untereinander konnte ebenfalls durch Anwohner_innen aus den Häusern beobachtet werden. Dabei ging es um Zettel auf denen Menschen ihre Ideen und Gedanken zu einem Stadtteilzentrum öffentlich aufgeschrieben haben. Möglicherweise wollten sie die Ideen untereinander diskutieren, jedenfalls hat die Polizei die Zettel unerlaubterweise entfernt und mitgenommen.
Auch berichteten Anwohner_innen davon, das die Polizei sich nicht zu dumm war, Luftballons zu zerstören, die an dem Objekt der Begierde angebracht waren. Die Polizei behauptete von Anwohner_innen gerufen worden zu sein.

Fotos vom Kiezspaziergang, Teil 2

Graf Photo 22.10.2010 - 00:33
...und noch die Fotos von den letzten beiden Stationen des Kiezspaziergangs:

Bilder vom Bauprojekt Elsenstraße

Recherchör 22.10.2010 - 00:49
Vom Bauprojekt Elsenstraße, im Marketing-Neusprech "Elsenhöfe", gibt es ein paar Visualisierungen der Architektur, wie es also mal werden soll.

Infos zum Bauprojekt bei den Immobilienentwicklern "IST Immobilien":
 http://www.ist-immobilien.info/content/index.php?option=com_misterestate&view=object&task=showME&id=20〈=de
...und bei den Architekt_innen:
 http://sauerarchitekten-berlin.com/wohnen/elsenstr

Fotos von der temporären Aneignung

Crow Nist 22.10.2010 - 01:22
Wo wir schonmal dabei sind - es gibt auch ein paar Fotos von der geöffneten Werkstattfläche in der Krüllstraße 6-10, wo bei Kaffe&Kuchen eifrig über die Entwicklung im Kiez diskutiert wurde.

Zur Baugruppe "Wohnen am Hochdamm"

Nachtrager 22.10.2010 - 01:39
Die Baugruppe in der Kiefholzstraße "Wohnen am Hochdamm" hat sich selbst ein nicht-Gentrifizierungs-Zertifikat ausgestellt:

"Das Wohneigentumprojekt Wohnen am Hochdamm, Berlin-Treptow hat keine direkt nachweislichen Folgen auf das sozialräumliche Umfeld"

Das ist ja sehr hilfreich. Und anmaßend.
Mittlerweile ist das PDF-Exposé des Bauhabens, in dem das selbstgezimmerte Zertifikat abgebildet war, nicht mehr auf der Internetseite der Baugruppe verfügbar.

Infos zur Baugruppe:
 http://www.wohnen-am-hochdamm.de/
 http://www.bawamm.de/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an