Erftstadt: Kundgebung ggn Agnes-Miegel-Straße

Antifa Erftstadt 11.10.2010 22:05 Themen: Antifa Antirassismus Kultur
Am Dienstag, den 5. Oktober 2010 haben „rund 30 Mitglieder der Antifa Erftstadt“ (Kölner Stadt-Anzeiger) für die Umbenennung der Agnes-Miegel-Straße im Stadtteil Friesheim, in Salomon-Franken-Straße demonstriert. Agnes Miegel war eine nationalsozialistische Dichterin und gilt heute vor allem für sogenannte deutsche „Heimatvertriebene“ als Bezugsperson. Die Antifa kämpft dafür, dass die Straße nach dem letzten Vorbeter der Friesheimer Synagoge – Salomon Franken – benannt wird.
Obwohl die Kundgebung unter dem Motto "Kein Vergeben den NS-TäterInnen - Kein Vergessen den NS-Opfern!" mittags und unter der Woche stattfand, fanden sich etwa 30 Personen im zentralen Ort in Erftstadt-Liblar ein, um in unmittelbarer Nähe zur Ratssitzung ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Schon einige Wochen vorher wurde die Straße symbolisch mit einem selbst gebastelten Namensschild überklebt. Gemeinsam mit lokaler und regionaler ideeller Unterstützung gelang es bereits, eine definitive Umbenennung der Straße zu erwirken; dass die Straße umbenannt werden muss, darin sind sich alle Stadtratsfraktionen (CDU, SPD, Grüne, FDP) einig. Nicht zuletzt auch deswegen, weil Prof. Dr. Horst Matzerath – ehemaliger Direktor des NS-Dokumentationszentrums der Stadt-Köln – in einem Gutachten über Agnes Miegel schreibt, sie müsse „als Person des öffentlichen Lebens angesehen werden, die nach außen hin aktiv den Nationalsozialismus vertreten hat, die gerade bei den Frauen und in der Jugend für ihn geworben hat und die für den Nationalsozialismus eine wichtige Symbolfigur war.“. Damit bestätigte er, was eine eigens von der Antifa Erftstadt und der Antifa Wunstorf zusammengetragene Materialiensammlung zu Agnes Miegel bereits vermuten ließ.

Mit unserem Vorschlag die Straße nach Salomon Franken zu benennen tut sich die Politik derzeit allerdings schwer. Im letzten Hauptausschuss beschlossen die Fraktionen nicht nur die Umbenennung, sondern diskutierten auch peripher über einen neuen Namen. Dabei klang bereits durch, dass Salomon Franken kein Lyriker gewesen sei, wie es die anderen NamensgeberInnen rund um die Agnes-Miegel-Straße waren. Er passe damit nicht in das gewünschte Stadtbild hinein. Wurden Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus als angeblich „Undeutsche“ aus der Gesellschaft ausgeschlossen und letztlich in einer singulären industriellen Vernichtung brutal ermordet, wird hier das Gedenken an sie mit Verweis auf das Stadtbild verhindert. Salomon Franken war ein jüdisches, bis jetzt unbekanntes, Opfer des Nationalsozialismus. Die Antifa Erftstadt setzt sich weiter für die Benennung nach Salomon Franken ein, weil jedes Opfer des Nationalsozialismus es verdient hat genannt und nicht vergessen zu werden.

Für inhaltlichen Input auf der Kundgebung sorgte nicht nur die Antifa Erftstadt, die über die realpolitische Auseinandersetzung mit dem Thema berichtete und einen kurzen Redebeitrag zum Leben von Agnes Miegel vortrug. Die Gruppe conflict aus Bergisch Gladbach gab einen Überblick über die Entwicklung vom christlichen Antijudaismus über den nationalsozialistischen rassistischen Antisemitismus bis hin zur heutigen verharmlosenden „Israelkritik“ genannten Antizionismus. Es folgte eine Rede der antifaschistischen Gruppe A2K2 [westliches Ruhrgebiet] zum Verhältnis von kapitalistischer Produktionsweise und nationalsozialistischer Ideologie. Den Abschluss bildeten ein Beitrag zur Debatte um Thilo Sarrazin, ebenfalls von conflict, und einige Worte der Jugendantifa Erftstadt zur lokalen Neonaziszene und ihren Erfolgsaussichten auf dem Lande an der Erft. Alle Redebeiträge können auf der Website der Antifa Erftstadt angehört werden.

Die Kundgebung provozierte offensichtlich eine ganze Reihe von Personen. Schon zu Beginn schwangen sich zwei Rentner zu Agnes Miegel- und NS-Experten auf – nicht ohne sich dabei antisemitisch zu äußern. Die Polizei tat sich dennoch schwer damit, die beiden Bürger von der Kundgebung zu entfernen, nachdem der Anmelder dies ausdrücklich verlangt hatte.
Der Stadtrat ignorierte die Kundgebung letztlich komplett – ein offener Brief der Antifa Erftstadt und ein weiterer Brief von Doris Schmitten (u.a. tätig im Verein zur Förderung jüdischer Musik, Kunst und Kultur – „OpenKlezmerScales“) waren nicht Teil der Tagesordnung. „Trotzdem wurde unsere Kundgebung von den PolitikerInnen wahrgenommen“, ist sich Luca Plette – Pressesprecherin der Antifa Erftstadt – sicher. „Schließlich mussten die PolitikerInnen an uns vorbei, bevor sie an der Ratssitzung teilnehmen konnten“.

Es bleibt also spannend welchen Namen die Straße künftig tragen wird und welche obskuren Theorien die „Heimatvertriebenen“ - welche die überwiegende Mehrheit der BewohnerInnen der Agnes-Miegel-Straße stellen - bei der nächsten Sitzung des Hauptausschusses vorbringen werden. Schon wenige Tage nach der Antifa-Kundgebung mokierte sich Günter Schulze im „Kölner Stadt-Anzeiger“ über die „chronischen Dummschwätzer“ und „diese Handvoll selbstgefälliger Aktivisten“, die mit ihrem „Unsinn“ den Bürgerwillen der „Heimatvertriebenen wie auch aller anderen Bürger, die seinerzeit für die Namensgebung stimmten, ins Abseits stellen [und] ausgrenzen“. Schließlich seien auch andere Persönlichkeiten, nach denen Straßen und Plätze in Erftstadt benannt sind „keineswegs Pazifisten und hehre Menschenfreunde, sondern Menschen, die auch Gewalt anwendeten“ gewesen. Eine bestechende Logik, die sicher kein Mensch mit mehr humanistischem Empfinden als Günter Schulze nachvollziehen oder gar verstehen kann.

Bei der kommenden Sitzung des Hauptausschusses wird aller Wahrscheinlichkeit einmal mehr deutlich werden für welch völkisch-nationales Gedankengut der „Bund der Vertriebenen e.V.“ steht. „Obwohl offiziell ‘parteipolitisch neutral’, waren zahlreiche zum Teil hochrangige Nationalsozialisten Mitglieder und Funktionäre des BdV. Über Jahrzehnte lehnte der BdV vehement jegliche Anerkennung der deutschen Nachkriegsgrenzen ab und brandmarkte diese als ‘Verzicht’.Seit seiner Gründung wird der BdV massiv durch Steuergelder finanziert. Die Summe beläuft sich nach Schätzungen derzeit auf insgesamt ca. 200 Millionen Euro jährlich. Hinzu kommen weitere, projektbezogene Gelder. Erika Steinbach ist seit 1998 gewählte Präsidentin des BdV. Ihr wird zugeschrieben, den BdV ‘aus der rechten Ecke’ geholt zu haben. Steinbach stimmte im Bundestag unter anderem gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und gegen die Aufnahme Tschechiens und Polens in die EU. Seit 2000 verfolgt Steinbach mit der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen die Errichtung einer zentralen Erinnerungsstätte für deutsche Vertriebene. Offiziell ist die Stiftung unabhängig vom BdV.Bis heute hat weder eine historische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von BdV- Mitgliedern, noch eine Distanzierung von der früheren offen revisionistischen Politik des BdV stattgefunden.“ (Quelle: Broschüre „Jenseits von Steinbach – Zur Kontroverse um ein Vertreibungszentrum im Kontext des deutschen Opferdiskurses“)
In Erftstadt erinnern noch heute zwei vom BdV gesponserte Gedenksteine an die „Ost-Vertriebenen“.

Der nächste Hauptausschuss tagt voraussichtlich am Mittwoch, den 27.10.2010 um 18 Uhr in der Kneipe „Altes Gasthaus“ in Erftstadt-Friesheim.
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Ergänzungen

Kleiner Tipp

Whv 12.10.2010 - 11:36
In Wilhelmshaven gab es bis vor kurzem noch eine Agnes-Miegel-Schule. Dann hat eine unabhängige Zeitung sich in die Diskussion eingemischt, in dem sie ein Gedicht von AM druckte. "Die Ode an den Führer" hat allen klar gemacht wer diese Person war und was sie dachte. Wer sich mal den Schwachsinn antun möchte:  http://www.gegenwind-whv.de/a24313.htm

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

nationalfahnen — Mindener*in

@Mindener*in — ja

Typisch Minden — Netzmeister

brd zerschlagen, palästina befreien — antideutsch total

zweck — @ja

Israel-Flaggen! — Antifaschist von der Erft

@support Israel — Trottel wie mich

indy-stasi — wayne