[Th/J] Viel Theater um … nichts?

Geschwister Grimm 10.10.2010 22:22 Themen: Antifa Medien Repression
Nicht einmal vier Wochen lassen sich Medien und Repressionsorgane in Thüringen Zeit, um erfolgreiche Polizei-Maßnahmen gegen Neonazis auch gegen unliebsame Linke zu nutzen.
„Linksextremisten“ seien nach dem Oberstaatsschützer beim Thüringer LKA, Anton Wahlig, in Jena besonders umtriebig. Und der Thüringer Verfassungsschutzchef Thomas Sippel bemängelt: „Zu beklagen ist allerdings, dass in Teilen des demokratischen Spektrums nicht immer die nötige Distanz auch zum Linksextremismus gewahrt wird. Man muss wissen, wenn man als Demokrat Extremisten in seinen Reihen duldet, dann macht man sie immer auch ein Stückchen gesellschaftsfähig.“ (MDR Thüringen Journal, 09.10.2010)

Eine geschickt vorbereitete und getimte Vorstellung:


** Prolog **

Spätestens seit den Aktionen gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai 2010 in Erfurt ist die angespannte Situation zwischen bürgerlichen und linksradikalen Nazigegner_Innen in Thüringen öffentlich wahrnehmbar. Zwischen „Hauptsache's knallt“ von Antifas und dem „aktiven Verfassungsschutz“ von Bürger_innen verbindet heute immer weniger die Akteure. Die schwersten inhaltlichen Vorwürfe an die bürgerlichen Aktivist_innen können als Autoritarismus, Standortnationalismus und Staatsaffinität benannt werden. Den vorläufigen Höhepunkt fand der Konflikt in einer Antifa-Demonstration am 10.09.2010 in Jena, welche forderte, den bürgerlichen „Minimalkonsens [zu] kündigen“.

Darüber hinaus wird im Hintergrund am „Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ geschrieben – dabei ist immer wieder strittig, welche Rolle „Linksextremismus“ einnehmen soll. Auch eine Polizeireform steht in Thüringen an.



** Der erste Akt **

Erst am 17. September berichtete der MDR über einen merkwürdigen vereitelten Anschlag auf die LINKE-Landtagsabgeordnete Katharina König. Doch nicht sie, sondern „einen Bus [...] der von der Abgeordneten regelmäßig genutzt wird.“ wollten drei Faschos im Juli anzünden. Klingt aber alle mal spektakulärer als „Brandanschlag auf Busunternehmen verhindert“. Öffentliche kritische Meinungen an der seltsamen Meldung, den Hausdurchsuchungen oder gar der Handyüberwachung von mindestens 19 Telefonanschlüssen von Neonazis auf Grund von Verdachten gab es nicht. Statt dessen beklatschten Linke wie Bürgerliche die gute Polizeiarbeit.

Ende des ersten Aktes: Ein Schlag gegen rechte „Extremisten“ gelungen und Law-and-order-Gegner_Innen der Wind aus den Segeln genommen.



** Der zweite Akt **

Am 7. Oktober durchsuchten 200 Ermittler der Sonderkommission „Feuerball“ 16 Büros, Wohnungen und Treffpunkte von Neonazis in Ostthüringen, Westsachsen und Nordbayern auf der Suche nach Sprengstoffbauanleitungen.
Ende des zweiten Aktes: Ein Schlag gegen rechte „Extremisten“ gelungen und Law-and-order-Gegner_Innen der Wind aus den Segeln genommen.



** Der dritte Akt **

Am 10.10.2010 ließ der MDR Staatsschützer verkünden: „Extremisten in Thüringen werden immer militanter“. Die Extremismusfalle klappte zu. Die alten Bilder von Brandanschlägen aus Weimar und Erfurt aus dem vergangenen Jahr sowie einem entglasten Pößnecker Schützenhaus wurden umrahmt von eindeutigen Ansagen des Chef's des Thüringer Verfassungsschutzes an zivilgesellschaftliche Gruppen und bürgerliche Parteien: Gegenüber dem MDR kritisiert der Oberspitzel, das demokratische Spektrum würde Gewaltaktionen nicht entschieden verurteilen, sondern es werde stattdessen häufiger Verständnis für die Motive geäußert. Außerdem würden Linksextremisten in Initiativen demokratischer Einrichtungen eingebunden.

Perfide gelingt es der vierten ostdeutschen Staatsgewalt – dem MDR – in seiner Bildsprache durch die Darstellung einer Fahne der Partei „Die Linke“ an passender Stelle die Partei als „extremistisch“ zu stigmatisieren, ohne diese auch nur erwähnen zu müssen.

Ende des dritten Aktes: Ein (noch) medialer Schlag gegen linke „Extremisten“ gelungen.


** Epilog **


Die geschickte gleichsetzende Inszenierung vermeintlicher rechter und linker „Extremisten“, gegen die sich das „demokratische Spektrum“ gleichermaßen wehren muss, ist gelungen. Renommierte Anti-Nazi-Initiativen wie das Jenaer „Aktionsnetwerk“ werden zu einem strategisch günstigen Zeitpunkt aufgefordert, sich von „Linksextremisten“ zu distanzieren und diese von Bündnissen auszuschließen – was insbesondere im Hinblick auf die anlaufende Mobilisierung nach Dresden 2011 interessant werden dürfte.


Momentan sind noch keine unmittelbaren repressiven Maßnahmen von Polizei und Geheimdiensten zu spüren. Das könnte sich schnell ändern, wenn sich die Antifa-Szene und ihr Umfeld nicht nur inhaltlich ausdifferenziert sondern gänzlich entsolidarisiert und zudem die öffentliche Stimmung weiter gezielt angeheizt wird. Dann nämlich bleibt bei Mensch Meier schnell der Eindruck, 'wenn rechts und links gleich böse sind, wo bleiben dann Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Telefonüberwachungen bei Linken?'


Infolgedessen sollten sich nicht nur Genoss_Innen aus Jena vermehrt Gedanken zu vorbeugender Antirepression machen. Im Klartext heißt das: Räumt zu Hause auf, prüft den Grad eurer PC-Sicherheit (Verschlüsselung!), nutzt Telefone verantwortungsvoll (der Brandanschlag der Nazis wurde verhindert, weil alle drei gleichzeitig ihr Handy ausgeschaltet haben und die überwachenden Cops dadurch misstrauisch wurden) und sprecht mit Freund_Innen und Genoss_Innen über die Situation.


* Den mehrfach zitierten MDR-Beitrag findet Ihr unter:  http://www.mdr.de/nachrichten/7754045.html.


***** Solidarität ist eine Waffe! *****
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 3 Kommentare an

Zitat — bÄrliNN

Oh! — Logikus

1984 — Daniel Ziemski