Irren-Offensive -30 J gegen Zwangspsychiatrie

Andrzej Skulski 01.10.2010 20:09
Es ist Mittwoch. Um 19 Uhr treffen sich im Werner-Fuß-Zentrum  http://www.zwangspsychiatrie.de, im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin, Aktivisten und Sympathisanten der Irren-Offensive. Das wöchentlich stattfindende Plenum ist das Vereinsorgan – hier sind schon viele Ideen geboren, entwickelt und kontinuierlich verfolgt worden, Ideen, die zum Ziel führen sollen - Abschaffung des psychiatrischen Zwangs. Ein Kampf, wie David gegen Goliath?
Am 16. Oktober wird gefeiert! 30 Jahre besteht schon die Irren-Offensive, eine Vereinigung von Psychiatrie-Überlebender Mitbürger, wie sich manche von ihnen nennen, die seit 30 Jahren um die Unteilbarkeit der Menschenrechte kämpft. Ein Anlass für mich, einen Blick hinter die Kulissen dieser Organisation zu werfen, um auf ihre Nöte aufmerksam zu machen.

In der Bevölkerung wird psychiatrischer Zwang entweder mit pädophilen Sexualstraftätern, mit Serienmördern oder mit anderen besonders grausamen Verbrechern in Verbindung gebracht. Aber das ist nicht nur ein deutsches, sondern auch ein internationales Phänomen.

- Die psychiatrische Propaganda manipuliert seit eh und je die öffentliche Meinung – sagt Uwe Pankow, der gerade seine Notizen fürs bevorstehende Plenum vorbereitet. - Das alles sind Schauergeschichten, die die Psychiatrie gerne über so genannte „psychisch Kranke“ in Umlauf bringt und durch Wiederholungen immer und immer wieder in unsere Köpfe festsetzt, damit die Psychiatrie weiterhin ihre längst wiederlegten „Wahrheiten“ unbeeinträchtigt verbreiten und praktizierten kann. Verbrechen werden mit Knast geahndet und der Rechtsstaat hat für kein Vergehen eine Lücke gelassen. Leider werden Verbrechen als angebliches „Argument“ für die Erhaltung des psychiatrischen Zwangs genutzt und die meisten fallen darauf ein. Heute ist es immer noch kaum vorstellbar, dass die Betonköpfe, die das System der Psychiatrie repräsentieren, öffentlich ihre Fehler zugeben und auf ihre Machtposition und Einnahmen aus der Allianz mit der Pharmaindustrie verzichten würden.

Solange die Bevölkerung nicht begreift, dass wir es hier mit einem gnadenlosen Betrug zu tun haben und dieses „Geschäft mit der Krankheit“ weiterhin als „medizinische Behandlung“ betrachtet wird, wird das Folterregime in der Psychiatrie weiter bestehen.

- Nicht mal die neuen, langjährigen Studien zur Mortalität der s.g. Neuroleptika haben etwas bewirken können – ergänzt Viktoria Hofer, die gerade ein Praktikum bei der Irren-Offensive absolviert - obwohl diese belegt haben, dass Neuroleptika/Neuroplegika in aller Regel schädliche Substanzen sind (s.a. z.B. Volkmar Aderhold 2007 – Anm. des Autors), dass Menschen, die sie einnehmen, im Durchschnitt 25-30 Jahre früher sterben, als die einer Vergleichsgruppe, ohne solche Neuroleptika-„Therapie“. Da bis jetzt, auch drei Jahren nach Veröffentlichung dieser Studien, nichts passiert ist, muss man da nicht inzwischen eine Absicht vermuten und von mörderischen Substanzen sprechen? Die Beteiligten wissen zwar alle davon, aber die Medien meiden das Thema, weil sonst schnell herauskäme, dass es sich bei „psychischer Krankheit“ um erfundene Begriffe und Propaganda handelt, die ein Ausgrenzungssystem am Leben erhalten sollen. Den psychiatriesierten Menschen werden weiterhin regelmäßig diese schädlichen Drogen aufgezwungen, mit denen man gnadenlos ihr Leben verkürzt… Hat das etwas mit ärztlicher Fürsorge zu tun? Oder mit dem Hippokratischen Eid, wo geschworen wird, niemandem zu schaden durch eine Behandlung? Sind Psychiater also Ärzte? Nein! Weil wirkliche Ärzte weder gegen den Willen des Patienten, noch körperlich Gesunde mit so schädlichen Mitteln behandeln würden.

- Man muss schon mal in einer Klapse gelandet sein, um zu verstehen, mit was für einer Maschinerie wir es hier zu tun haben – unterbricht Uwe. - Keiner begreift so richtig, was hier Sache ist. Als Otto-Normal-Verbraucher schaut man auf die Psychiatrie, als ob es Medizin wäre, aber im Grunde sind die Handelnden Verbrecher, die kontinuierlich das versuchen zu tun, was auch den Psychiatern in der Nazizeit nicht gelang – den „Wahnsinn“ auszurotten, das, was zu den Wertvorstellungen der Herrschenden nicht passt, die „Nein“ zur Uniformität und einer vorgegebenen „Normalität“ sagen. Diese schließt Ungewöhnliches und Buntes mit ein. Zum Beispiel denkt heute kaum noch jemand daran, dass bis vor wenigen Jahren selbst Homosexualität als „psychische Krankheit“ klassifiziert war. Heute haben wir schwule Minister, Bürgermeister und und und. Da immer mehr Menschen sich selbstbewusst als „schwul“ outeten, wurde es schwieriger, diese Diagnose beizubehalten. So verschwand sie 1973 aus der amerikanischen Liste der „psychischen Krankheiten“ (DSM) und dann, erst 1993 (!), aus der International Code of Diseases (ICD). Kaum einem ist auch bewusst, wie überhaupt solche psychiatrischen „Diagnosen“ festgelegt bzw. gestrichen werden! – da lacht er laut. - Man denkt, da gibt es Untersuchungen, Studien, wissenschaftliche Beweise, oder so… Nein! Per Abstimmung wird „definiert“, was gerade dem System nicht in die Tüte passt und in die Psychiater-Bibel (DSM bzw. ICD) als „Krankheit“ reinkommt! Und was kommt da raus? – da macht er eine kurze Pause und sein Lächeln wirkt traurig zugleich… - Nur das, was über öffentlichen Druck, wie im Falle der Homosexuellen, verlangt und durchgesetzt wird…

- Man kann denken, was man will – fügt Viktoria hinzu - man kann sich sogar von einem Psychiater „behandeln“ lassen usw. Alles wunderbar! Und der wird sogar super nett sein und einen richtig friedlichen und fachlichen Eindruck machen. Aber sage mal zu ihm: „Nö, Herr Doktor, sie irren sich, so will ich es nicht. Sie haben mich falsch verstanden bzw. fehlinterpretiert, das muss revidiert werden…“ - und schon hat man den Salat! Der „Doktor“ wird dich kaum mehr anschauen, kritzelt bloß irgendwas vor sich hin in seine Akte und dann erst merkst Du, wie schnell aus einem netten „Doktor“ plötzlich ein allwissender Inquisitor wurde, der dich wie ein Stück Fleisch behandelt. Dann sitzt du echt in der Tinte, obwohl Du ganz genau weißt, dass dein Zustand gar nichts damit zu tun hat, was der „Herr Doktor“ dir da einzureden versucht. Aber dein Wort zählt ja ab diesem Moment nicht mehr, weil du schon eine Diagnose verpasst bekommen hast und nicht mehr für voll genommen wirst. Du kannst jetzt als angeblich „gefährlich“ eingestuft werden und keiner wird dich hier mehr unter menschlichen Aspekten betrachten. Du darfst nicht mehr sauer sein oder verärgert, du kannst nicht heulen oder laut lachen, wenn es dir danach ist. Egal, was du ab diesem Moment tust und wie du dich benimmst: jetzt wird jedes Benehmen als Symptom einer „psychischen Krankheit“ ausgelegt und mit Neuroleptika und/oder anderen Droge „behandelt“. Weil du ja angeblich „gefährlich“ bist oder zumindest jederzeit werden könntest. Warum? - da lacht sie wieder. – Weil du eine Diagnose hast und gleichzeitig eine andere Meinung zu elementaren Rechten auf Selbstbestimmung und der Entfaltung deines Willens; weil du mit dem, was der Psychiater bei dir zu diagnostizieren versucht, nicht einverstanden bist. Und egal, was es ist, weil es hier weniger um Namen, Diagnosen und Definitionen geht, es geht hier vielmehr um dich, als Person mit Rechten… Menschenrechten! Eben dieser dürfen wir uns nicht berauben lassen…

Gegen 20 Uhr geht der offizielle Teil des Plenums los. Die small-talk-Runde wird beendet; aus einem in der Ecke stehenden Schrank wird das „Logbuch“ genannte Protokollheft geholt, um Themen, die im offiziellen Teil des Plenums zu besprechen sind, zu sammeln. Nach wenigen Minuten sind es gut 15 Punkte, mit denen die Irren-Offensive ihre Sache, Abschaffung der Zwangspsychiatrie, seit nun 30 Jahren ihres Bestehens versucht zu befördern… Frau Prof. Dr. Theresia Degener ist heute unter anderen auch so ein Punkt und René Talbot, der seit langem die Irren-Offensive mitgestaltet, fasst es kurz zusammen:

- Leider ist es so gekommen, wie zu erwarten war; Frau Professor Degener ist trotz gegenteiliger Stellungnahme des UN Hochkommissariats für Menschenrechte nicht bereit ihre Aussage zurück zu nehmen, dass Einsperrung und Zwangsbehandlung unter dem Vorwand, eine Person sei angeblich „psychisch krank“ und gefährlich, mit Zustimmung eines Richters und eines entsprechenden Gesetzes mit der UN Behindertenrechtskonvention (BRK) vereinbar sein soll. Damit hat sich Deutschland in dieser Hinsicht behindertenrechtspolitisch zum schlimmsten Land der Welt entwickelt. Denn das Parlament hat nicht nur die BRK ratifiziert und dabei akzeptiert, dass gerade die wichtigsten Abwehrrechte des deutschen Bürgers – formuliert in den Artikeln des Grundgesetzes (Integrität der Menschlichen Würde, Schutz vor körperlichem Schaden, Integrität der Wohnung und Freiheit vor willkürlicher staatlicher Gefangennahme) - auch für angeblich “psychisch-krank-Behinderte” gelten sollen. Es hat im Gegenteil eine regierungsgefällige „Monitoring-Stelle“ (Deutsches Institut für Menschenrechte Berlin – Anm. d. A.) beauftragt, die inzwischen sogar die Organisationen derer einlädt, die diese Konvention als Täter systematisch missachten - die DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde – Anm. d. A.) und ihre Tarnvereine. Diese Täter als „Betroffene“ einzuladen ist die Spitze eines Zynismus, den diese „Monitoring-Stelle“ nun offen zeigt: Wenn die Regierung zahlt, erklären sie auch noch einen Gulag zu einem beispielhaften Ferienheim! Dass jetzt ausgerechnet die Professorin Degener von der deutschen Regierung für das Komitee bei der UN vorgeschlagen wurde, das international die Umsetzung der BRK überwachen soll, ist logische Konsequenz dieser Politik der Verhinderung von Behindertenrechten. Sie wird dieses Institut für Regierungsgefälligkeiten von der internationalen Ebene versuchen zu decken. Damit wir die BRK auf Seiten der UN enorm geschwächt, wenn nicht sogar gänzlich zunichte gemacht. Dass in der BRD viele Behindertenorganisationen sich völlig blind zu dieser Entwicklung stellen, und meinen, dass sie bei den dramatischsten Menschenrechtsverletzungen im Bereich der Psychiatrie eben wegsehen sollten, ist besonders traurig. Diese Organisationen meinen wohl, sie könnten sich so Liebkind machen, und dafür würden die Regierungen in Deutschland ein paar Brosamen vom Herrschaftstisch fallen lassen. Sie werden noch böse aufwachen, wenn sie merken, dass sie mit dieser Taktik nur genau das Gegenteil „ernten“ können. Denn wenn sie zulassen, dass die BRK so an einer Stelle, wo es um zentrale Werte geht, wirkungslos gemacht werden kann, dann ist die BRK so geschwächt, dass sie nicht mal mehr für Brosamen taugt. Aber wahrscheinlich werden solche Organisationen auch noch Beifall klatschen, wenn sie den Kakao trinken, durch den sie gezogen wurden.

Für uns ist damit der bedauerliche Zustand eingetreten, dass es einen tiefen Gegensatz zwischen uns und diesen anderen Gruppen gibt, die behindert werden. Dieser Gegensatz hat sich allerdings schon angedeutet, als diese Organisationen das Gesetzgebungsverfahren für die nun verbindlich gültige Patientenverfügung versucht haben zu verhindern. Dass Selbstbestimmung gerade auch gegen ärztlichen Paternalismus durchgesetzt werden muss, ist ihnen offenbar fremd - sagt Talbot ruhig aber bitter.

Ich schaue durch den Raum. Es ist für einen kurzen Augenblick still geworden, das Entsetzen hält sich jedoch in Grenzen. Die versammelten Mitglieder der Irren-Offensive, aber auch Gäste anderer Organisationen, die gegen psychiatrische Gewalt aktiv sind, haben im „Fall Degener“ nichts anderes erwartet… „Der Betrug geht also weiter“ – hört man quasi als Schlusswort im kurzen Kommentar. Auf meine Frage hin, wie kann das sein, dass ein behinderter Mensch die Selbstbestimmungsrechte eines anderen behinderten Menschen nicht unterstützt, muss ich schon über die nächste Aussage schlucken: Die Körperbehinderten meiden das Thema „psychisch Behinderter“… Sie sind froh, ins Regierungsboot eingestiegen zu sein, kümmern sich um ihre Sachen, und der Blick über den eigenen Tellerrand ist leider… unerwünscht.

Seitens der Organisationen, die gegen psychiatrischen Zwang antreten, wurden schon mehrere Versuche gestartet, um mit den Körperbehinderten eine konstruktive Kooperation aufzubauen, um auch für das Recht auf ein barrierenfreies Leben für diejenigen zu streiten, die als „psychisch Kranke“ verleumdet wurden und für die bestehenden Gesetzte, die Behinderung sind. Da gingen jedoch schnell nicht nur die Türen zu, sondern auch der Traum vom Aufbau einer die Psychiatrie-Betroffenen unterstützenden Lobby erwies sich als Luftschloss. Manche im Raum schmunzeln enttäuscht und kommentieren: das ist wohl die Angst vor vorausschaubaren Konsequenzen, weil man sich für so einen Einsatz doch seitens der Pharma- und Psychiatrielobby Feinde machen würde. Was wäre dann?! Man könnte doch aus dem Boot geworfen werden ohne, dass da einer „Man über Bord!“ schreien würde. Das Thema „Psychiatrie gegen Menschenrechte“ ist einfach sehr unbequem, man negiert es in politischen Debatten einfach, schaut lieber weg und behauptet stattdessen, dass man „unsere Gesellschaft“ schütze, weil diese Menschen „gefährlich“ seien. Der öffentlichen Meinung zu erklären, dass es im Falle der sogen. „psychisch Kranken“ vor allem um behindernde Gesetze geht und nicht um Zustand von Personen, scheint beinahe, wie ein unlösbares Problem. Würde man alle Autofahrer in die Psychiatrie einsperren, weil sie doch auch „gefährlich“ sind (werden doch viele Menschen jährlich durch sie verletzt und getötet!), dann würde die Mehrheit begreifen, welcher Unsinn hinter der psychiatrischen Diagnostik und dem Behandlungszwang steckt…

Der Dreh- und Angelpunkt ist die extralegale Gewalt, die der Psychiatrie zugebilligt wird, Menschen wegzusperren und zwangsbehandeln zu können. Solche Gewaltakte müssten vom Staat bestraft werden, wie andere Freiheitsberaubung und Körperverletzung auch. Stattdessen wird sie staatlich nicht nur gebilligt, sondern sogar gefördert. Damit ist klar, dass es kein medizinisches, kein soziales, kein ökonomisches Problem einer profitorientierten Pharmaindustrie, sondern ein politisches Problem ist, das rechtlich “verschlüsselt” und ideologisch garniert wird. Ein politisches Problem kann nur politisch gelöst werden: also müssen Menschen sich zu Organisationen zusammenschließen, Forderungen stellen, Öffentlichkeit durch eigene Medien, Zeitungen, Internet, Radio usw. schaffen, sowie journalistische Kontakte aufbauen. Man muss an den Universitäten Verbündete suchen, „aber bloß nicht in den medizinischen“ – sagen bei der Irren-Offensive alle einstimmig - sondern den politischen, juristischen und soziologischen Fakultäten. Das muss dann durch direkte Lobbyarbeit bei den Parlamentariern ergänzt werden. So wurden schon einige Male bei Gesetzesentwürfen durch jeweils persönliche Briefe an alle Parlamentarier, die kostenlos in der Poststelle des Parlaments abgegeben wurden, Gesetzesvorhaben erfolgreich beeinflusst.

Die weiteren 14 Themen, die im Irren-Offensive-Plenum besprochen wurden, lassen wir hier einfach bei Seite. Die Sitzung ging erst gegen 1 Uhr nachts zu Ende; es sind viele ähnliche Hindernisse, vieles hat man noch vor, neue Aktionen gegen die psychiatrische Gewalt werden geplant. Um für den Leser etwas von der Geschichte der Irren-Offensive zu erfahren, begleitete ich René Talbot auf seinem Nach Hause-Weg. Er war ja von Anfang an dabei.

- Wir haben nach einer Aufbruchsphase in einem besetzen Haus, unserer “Verrücktenburg”, ungefähr 10 Jahre der Konsolidierung als Gruppe gehabt – erzählt er. - In dieser Zeit konnten wir durch staatliche Gelder eine gemietete Wohnung und ein paar Stellen finanzieren und hatten damit das Gerüst für unsere Aussenwirkung: insbesondere unsere Zeitung “Irren-Offensive” in hoher Auflage verschaffte uns Aufmerksamkeit in ganz Deutschland. In dieser Zeit war nicht nur die Zusammenarbeit mit der Studentenvertretung der Freien Universität sehr eng, sondern auch zur Grünen Partei, die sich damals noch als Partei außerparlamentarischer Bewegungen verstand.

Der Traum von einer legalen “Verrücktenburg” erwies sich aber genau dann als Problem, als seine Erfüllung durch ein Haus als Spende in Reichweite kam. 1990 kam es zu einer Spaltung und der sozialpädagogisch orientierte Teil der Gruppe okkupierte die Spende für ein staatsfinanziertes sog. “Weglaufhaus”, das aber, da die Mittel nur für psychiatrisch Diagnostizierte flossen, durch diese Gelder an das psychiatrische System gebunden wurde. Unser Teil der Gruppe radikalisierte und politisierte sich in diesem Prozess und stellte in der Folge die ganze Arbeit gezwungenermaßen auf Spenden um  http://zwangspsychiatrie.de/konto_der_irren-offensive.

Unsere Beziehungen zu Mitgliedern anderer Gruppen, vor allem in den USA, waren zwar nur informell, führten aber 1994 zu einer großartige Gruppenreise an die amerikanische Ostküste, bei der uns Kate Millett die Türen geöffnet hat. So verschob sich auch der Focus unserer Aufmerksamkeit von einer Kritik an medizinischen Methoden zu den rechtlichen Voraussetzungen und wie sie politisch/ideologisch zu überwinden sind. Durch das Foucault Tribunal entwickelte sich ein sehr guter Kontakt zu unserer Israelischen Partnerorganisation  http://www.iaapa.org.il und zu Freunden in Kanada, der Schweiz und Österreich. 2002 haben diese zu der Gründung der "International Association Against Psychiatric Assault”  http://www.iaapa.ch in Basel geführt, an der wir uns sehr aktiv beteiligt haben. IAAPA ist ein Verein, der das Handicup einer internationalen Organisation, dass unsere Mitglieder meistens relativ arm sind und sich keine weiten Reisen leisten können, dadurch überwindet, dass die Mitgliederversammlungen per Chat im Internet stattfinden. Dadurch hat sich ein teilweise sehr guter Kontakt sogar zu Mitgliedern in Russland entwickelt.

Im Zuge dieser Neuorientierung organisieren wir seit 1995 einen jährlichen Protestzug  http://www.freedom-of-thought.de/may2 und wir konnten 1996 wieder eine Wohnung in einem ehemals besetzen Haus übernehmen. Seitdem haben wir wieder ca. alle 2 Jahre eine neue Zeitung herausgebracht. Durch das Internet konnten wir seit 1996 mit geringsten Mitteln eine große Öffentlichkeit erreichen; es war eine sehr große Hilfe, weil die anderen Medien nichts berichten, sondern immer nur die Lügen der Psychiater bestätigen.

1997 konnten wir aufgrund unserer engen Zusammenarbeit mit Professoren der Soziologie, Politologie und Philosophie an der Freien Universität Berlin drei Erfolge feiern:

- ein Symposium “Grausames Mitleid”  http://www.irrenoffensive.de/szaszsymposium/index.htm mit Prof. Thomas Szasz,

- die ersten Seminare des “Lehrstuhls FÜR Wahnsinn”  http://www.irrenoffensive.de,

- die Gründung und den Beginn der Vorbereitungen für das “Foucualt Tribanul zur Lage der Psychiatrie”  http://www.foucault.de.

Foucault TribunalDas Foucault Tribunal vom 30.4.-3.5.1998 in der Volksbühne in Berlin wurde mit insgesamt mehr als 1000 Besuchern zu einer internationalen Veranstaltung, getragen von der Freien Universität Berlin, der Volksbühne und der Irren-Offensive. Das Urteil dieses Tribunals verurteilte die systematischen psychiatrischen Gewaltakte als Verbrechen gegen die Menschenrechte. Das Urteil wurde in 20 Sprachen übersetzt und es gibt einen Film im Internet darüber  http://www.foucault.de/ft_video_stream.htm. Außerdem haben wir eine Unterschriftensammlung zur Unterstützung des Urteils des Tribunals mit 1773 Unterschriften im Internet veröffentlicht.

Selbst für uns überraschend trat daraufhin zum Anfang des Jahres 1999 ein neues Gesetz in Kraft, das in einem Nebensatz einer selbst erteilten Vollmacht, einer Vorsorgevollmacht, den Vorrang vor einer staatlich erzwungenen Bevormundung (irreführend wird sie “Betreuung” genannt) einräumte. Mit Hilfe einer durch Anzeigen gefundenen Gruppe von Anwälten konnten wir diese Chance so nutzen, dass wir uns untereinander diese Vollmachten ausgestellt haben, verbunden mit der vertraglichen Zusicherung, diese immer nur dazu zu nutzen, dass einer Zwangseinweisung IMMER widersprochen wird. Die Anwälte nutzten konsequent jede Chance, die das neue Recht bot, um auch gerichtlich bis zu höchstrichterlichen Entscheidungen den Erfolg abzusichern. Mit dieser Vorsorgevollmacht hatten wir das erste mal einen rechtlichen Hebel in die Hand bekommen, um dem Geflecht aus Richtern und Ärzten entgegen treten zu können.

2001 bestärkte das 5. internationale Russell Tribunal  http://www.freedom-of-thought.de/index.html das Urteil des Foucault Tribunals und untermauerte unsere konsequente Orientierung an den Menschenrechten.

Den durchschlagenden Erfolg erhofften wir uns von der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung – erzähl Talbot weiter - die im Juni vorigen Jahres verabschiedet wurde und nun seit September 2009 gilt. Der Gesetzgeber hat sich deutlich und parteiübergreifend darauf geeinigt, dem Patientenwillen und damit der Selbstbestimmung in jeder Lebenslage und entgegen jedem ärztlichen und staatlichen Paternalismus, unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung Geltung zu verschaffen. Jede „medizinische“ Behandlung gegen den schriftlich erklärten und aktuellen Willen eines „Patienten“ wurde damit logischerweise zur Körperverletzung und jede erzwungene Unterbringung ist zur Freiheitsberaubung geworden. Heute sehen wir, wie sich die DGPPN dagegen wehrt und mit voller Verzweiflung zu erklären versucht, dass… „freier Wille ja, aber Hände weg von unserer Psychiatrie; Zwang ist ein Muss…“ Das klingt makaber, aber für diese s.g. Mediziner wäre Abschaffung des psychiatrischen Zwanges gleichzeitig bedeuten, dass dieses gesamte System zusammenfällt. Chirurgie, Augenheilkunde, innere Medizin, Pädiatrie und und und – sie alle können ohne Zwang bestehen, Psychiatrie jedoch, als Scheinmedizin, würde zweifelsfrei ohne Zwang ihre Daseinsberechtigung verlieren… Daher ihrer „Zwang“ zum Zwang. Die DGPPN hat sogar ein Gefälligkeitsgutachten von Prof. Olzen erstellen lassen, was so voller Wiedersprüche ist und mit einem professoralen Gegengutachten völlig wiederlegt werden konnte. Man propagiert jedoch weiterhin den Zwang, trotzt der deutlichen Worte des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, dass Gesetze, wie z.B. das deutsche PsychKG, mit den menschenrechtlichen Normen unvereinbar sind.

Wer sich einen genaueren Überblick über unsere Aktivitäten machen möchte, sollte die 14 Ausgaben unserer Zeitung lesen - fügt Talbot zum Schluss hinzu. - Sie sind frei im Internet verfügbar  http://www.zwangspsychiatrie.de/irrenoffensive. Freunde, Sympathisanten, Unterstützer, Interessierte und alle, die sich mit uns solidarisieren, laden wir herzlich zu unserer 30-jährigen Jubiläumsfeier am 16.10. ins Rauchhaus, Mariannenplatz 1 ein  http://bewegung.taz.de/termine/irren-offensive-30-jahre-kampf-fuer-die-unteilbarkeit-der-menschenrechte. Es gibt nicht nur ein tolles Programm mit Kunst und Kuchen ab 18 Uhr und ab 19.30 Uhr der Uraufführung eines Dokumentarfilms über 30 Jahre Irren-Offensive, der Vorstellung des Jubiläumsbuches und der Verleihung des Freiheitspreises der Irren-Offensive an Wolf-Dieter Narr, sondern auch ein tolles Geburtstagsbuffet. Ab 22 Uhr gibt es Musik von drei Bands live und danach bis in den frühen Morgen von der Platte. Da es wirklich was zu feiern gibt, wird es ein duftes Fest werden.
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Ergänzungen