S21 - aus Stuttgart wird Wackersdorf!

Rio T. 30.09.2010 21:29 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten und Autonome warten seit Jahren auf ihre "sozialen Unruhen", die Chance, etwas verändern zu können, eine Revolution zu starten. Die Szene verlor sich in den letzten Jahrzehnten im Schwelgen an glorreiche Erinnerungen vergangener Jahrzehnte - die Startbahn West, Brockdorf, Wackersdorf. Die Antworten auf die Räumung der Mainzer Str. in Berlin, und die "guten" Tage der Hamburger Schanze.
Seit heute gibt es wieder die Möglichkeit, autonome Politik und Handlungsweisen an die Zivilbevölkerung zu tragen. Seit der S21-Protest heute so krass eskalierte, gäbe es Rückhalt für geworfene Steine, für Gefangenenbefreiungen und für mehr Definitionen von "zivilem Ungehorsam", als einfach nur Sitzblockaden - aber was macht "die Szene"?
Sie spaltet, mockiert sich über den bürgerlichen Protest, freut sich sogar, dass die Bullen endlich mal die Richtigen vermöbeln, und...mobilisiert weiter nach Bremen, um sich mal wieder in ihrem Alltag zu verlieren, im großen und globalen Protest. Wogegen? Gegen alles! Oder so...
Schaut man sich die heutige "Szene" so an, fallen einem sofort die zahlreichen Riot-Kids in ihren schwarzen Jacken auf, die von Heldentaten in Form beschleunigter Flaschen und Steine aus der 10.-Reihe gegen Cops und ihre Autos erzählen. Die von oben genannten großen Actions träumen, oder sich gern davon erzählen lassen, von Menschen, die damals dabei waren.
Eine gute Demo scheint heute eine Demo mit Ausschreitungen zu sein. Eine Demo ohne Ausschreitungen? Ein langweiliger Kiezspaziergang, der die Mühe nicht lohnt. Gegen Faschos geht immer was. Gegen Polizeigewalt auch. Gegen Häuserräumungen, nun ja, da hat auch Berlin schon bessere Zeiten erlebt - vergleicht man den Höhenflug der Szene nach der wirklich guten Freiraum-Demo im März mit der Lethargie, in der auf Räumungen in Scharni, der Liebig und dem Linienhof gewartet wird, lässt das wohl kaum einen anderen Schluss zu:
es geht wirklich um nix, außer um Riot, Action und Nervenkitzel.

[b]Wer waren "wir" und und wohin wollt "ihr"?[/b]

Jeder Mensch, der sich mit der Geschichte der Autonomen in Deutschland befasst weiß, dass die Ausschreitungen der frühen Achtziger nicht nur politisch berechtigt, sondern auch teilweise entscheidend waren. Weiß, dass sie nicht nur zu hilflosen Gesetzen wie dem Vermummungsverbot führten, sondern identitätsstiftend für das waren, was sich heute "Szene" nennt - woher der "schwarze Block"? Wer hat es denn geschafft, die Cops noch über Nächte hinweg auf Trab zu halten? Genau: "die Autonomen". Die von damals, eben.
Möglich war es uns aber nicht, weil wir cooler oder besser waren als die Heutigen. Nicht weil wir uns vermummen durften, oder weil die Polizei weniger gefilmt hat. Möglich war es uns, weil wir eine Menge "Bürgerliche" hinter uns hatten. Wissend, dass sie zwar nicht für Gewalt, auch in den seltensten Fällen selbst welche ausüben, aber dennoch hinter uns stehen, uns schützen, und im Verständnis bei uns sind.
Diese Bürgerlichen verdankten wir damals den Bullen, die mehr als nur etwas aus dem Ruder liefen und eskalierten. Bilder verletzter Demonstranten, Berichte über unmenschliche Berliner-Einheiten, über eine vollkommene Eskalation bis dahin friedlicher Demos - deren die Cops durch die große Menge an Teilnehmern, gerade aus dem bürgerlichen Spektrum, nicht Herr wurden. Nicht Herr werden konnten!
Brockdorf, Wackersdorf, Startbahn-West, etc, all diese Ereignisse entstanden gleich: aus einem regionalen Protest wurde dank Durchhaltevermögen ein nicht einfach lösbarer, was zur Polizei-Provokation führte, woraufhin der regionale zum bundesweiten Protest wurde.

[b]Auf nach Stuttgart![/b]

Das ist auch der derzeitige Stand in Stuttgart: eine vollkommen maßlos über-aggressive Polizei hat bürgerlichen, friedlichen Protest niedergeknüppelt. Mit WaWes, Pfeffer, CS und Tonfa. Die bürgerliche Presse quittiert den Einsatz größtenteils mit Unverständnis und Fassungslosigkeit. Die Tagesschau spricht selbst von friedlichen Demonstranten, zeigt Bilder alter Menschen, definitiv nicht dem bösen, linken Spektrum zuzuordnen, die verletzt, teils schwer verletzt sind. Es werden in den "normalen" Medien über 400 Verletzte als Folge des Polizeieinsatzes genannt - worauf warten wir?
Die Wenigsten in Stuttgart wollen, dass die Lage eskaliert, aber die Meisten werden es nach heute verstehen! Nicht nur getrieben durch Rache, sondern getrieben durch Frust: über einen Monat stetiger, friedlicher Protest, mit teils 50.000 Teilnehmern - und die Bullen gehen dermaßen ab. Wer glaubt noch wirklich, dass heute dort jemand einer bösen "Schwarzjacke" den Stein aus der Hand genommen hätte, sich deeskalierend, von Aktionskonsens faselnd, in den Weg gestellt hätte?


[b]Der Traum ist aus...[/b]

Stattdessen sieht man auf Solidemos in Städten wie Berlin 100 Teilnehmer. Die großen Bündnisse mobilisieren weiter nach Bremen, um sich bei den Einheitsfeierlichkeiten mal wieder einen ein-Tages-Riot mit den Cops liefern zu können, und bereiten so den Nährboden für die Nachrichten am Montag "Rund 4000 randalierende, vorwiegend Linksautonome, lieferten sich am Wochenende teils heftige Straßenschlachten mit der Polizei", woraufhin spätestens am Dienstag in den Köpfen der Menschen, die heute noch hinter uns stünden wieder die gängige Meinung vorherrschen wird "Na ja, wenn die Polizei eingreift, dann werden die auch schon nen Grund dazu gehabt haben. Hat man ja in Bremen gesehen.".

Also: bleibt alles beim Alten, irgendwo zwischen Träumen vom Paradies und Lethargie. Zwischen der Bereitschaft, gegen die Wiedervereinigung und die BRD nach Bremen zu fahren, und dem Vogel zeigen, wenn sie gefragt werden, wirklich Teil einer Geschichte werden zu können - ob sie auch alle an Stelle ihrer "Helden", der Altautonomen, früher gesagt hätten "Wackersdorf? Was soll ich denn in dem Kaff?"?
Ich hab das nicht, und bin froh darüber - und werde Morgen nach Stuttgart fahren!
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Ergänzungen

Fahrt nach Stuttgart

SAV 30.09.2010 - 22:09
Wer morgen von Hamburg nach Stuttgart fahren möchte, wir treffen uns um 8:30 Uhr am HBF Reisezentrum und nehmen um 8:46 Uhr den IC nach Stuttgart. Ein teurer Spaß ist es mit 106€ pro Person. Billiger wird es am Wochenende, wo die Bahn ein ICE-Ticket für 20€ durch ganz Deutschland anbietet, wir wollen aber zu der angemeldeten Großdemonstration Freitag Abend da sein.

Berlin- Schwaben-Connection

Mitfahrer 30.09.2010 - 22:32
Dank unzähliger in Berlin lebender Schwaben ist das Angebot an Mitfahrgelegenheiten für Morgen von Berlin nach Stuttgart ein Traum:

 http://www.mitfahrgelegenheit.de/mitfahrzentrale/Berlin/Stuttgart.html?city_from=30&radius_from=0&city_to=310&radius_to=0&date=date&day=1&month=10&year=2010&tolerance=0&


Kurz: zwischen 6 und 19:30Uhr sind locker noch 150-200 Plätze frei. Kosten liegen zwischen 30 und 35€.

Fällarbeiten beginnen in etwa 30 Minuten

Funker Voigt 30.09.2010 - 23:47
Die Bullen haben gerade an alle eingesetzten Kräfte durchgegeben, dass in ca 30 Minuten die ersten Fällarbeiten beginnen werden. Vorher wird eine zweite Bullen-Linie an den Absperrungen gezogen.

Cop-Funk:
 http://www.ustream.tv/channel/kaputtgart-21

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Danke! — Anarcho

Antwort — Genau

erweiterte Kritik — Solidarität

@ erol — ooooO

der erste — Baum

@ erol — egal

@erol — .

Zum Begriff "Revolte" — Roland Ionas Bialke