B/FFM: Prozessmarathon gegen Klimaschützer

Beobachter 20.09.2010 20:53 Themen: Repression Ökologie
Die berliner Justiz verurteilt einen Klimaaktivisten wegen seiner Beteiligung an einer Besetzungsaktion gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Ein humoristisches Trauerspiel in 3 Akten und mit offenen Ende...
Hintergrund & Vorspiel

Der Flughafen Frankfurt a.M. wird zurzeit u.a. um eine neue Landebahn erweitert. Hiergegen hat es seit langen Protest von lokalen Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbänden gegeben. In den letzten Jahren wurde er um einen vielfältigen direkten Widerstand ergänzt. Von Mai 2008 bis zur Räumung im Februar 2009 war ein Teil des rodungsbedrohten Kelsterbacher Waldes besetzt, während der Rodungsarbeiten kam es mehrfach zu Besetzungen von Rodungsmaschinen und Bäume. Aber auch in den Monaten nach der Räumung des Hüttendorfes kam es zu einer reihe vielfältigen Widerstandsaktionen.
Die Motivationen der Beteiligten waren so vielfältig wie die negativen Folgen des Flughafenausbaus. Sie reichten von Klimaschutz (Fliegen gilt als die klimaschädlichste Fortbewegungsmethode überhaupt), Widerstand gegen Privatisierung und Rodung großer Waldgebiete bis hin zur Ablehnung der steigenden Belastung der Region durch Fluglärm und Abgase. Auch dezidiert herrschaftskritische Positionen spielten eine Rolle. So wurde z.B. die nicht-existenten Mitbestimmungsmöglichkeiten der AnwohnerInnen und das Diktat von kapitalistischer Verwertungsinteressen beim Flughafenhafenausbau kritisiert.Wie so oft konnte die Staatsmacht diese Widerstände einfach nicht unbeantwortet lassen. Zahllose Ermittlungsverfahren mit einer breiten Palette an Tatvorwürfen wurden gegen AktivistInnen eröffnet. Einige wurden wieder eingestellt (zum Teil gegen nicht gerade kleine Auflagen). Andere führten zu Strafprozessen in Rüsselsheim, Frankfurt, Wiesbaden...

In diesem Text geht es um ein Verfahren, dass beim Amtsgericht Tiergarten in Berlin stattfand. In Berlin deshalb, weil der angeklagte Aktivist in Berlin wohnhaft ist, und ursprünglich die Anwendung von Jugendstrafrecht vorgesehen war (dazu später mehr).Anlass des Verfahrens war eine mehrtägige Baumbesetzung ende August 2009, unmittelbar bevor die letzte Etappe der Rodungsarbeiten begann. (Pressemitteilung von damals) Nach der Räumung durch die Polizei wurden mehrere Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch eröffnet, die alle bis auf eines eingestellt wurden. In der Verfahrensakte findet sich als Begründung eine Notiz der Staatsanwaltschaft, dass die betreffende Person schon in der Vergangenheit an diversen Aktionen gegen den Ausbau beteiligt war. Somit kam es zur Anklage wegen Hausfriedensbruch.

1. Akt

Nachdem der Angeklagte wegen Krankheit zum ersten angesetzten Verhandlungstag nicht erschien, wurde ein Strafbefehl gegen ihn in in Höhe von 15 Tagessätzen erlassen. Das ist interessant, weil der Erlass eines Strafbefehls im Jugendstrafrecht nicht möglich ist, also die Entscheidung impliziert, normales Strafrecht anzuwenden. Zwar lagen keine neuen Erkenntnisse vor, warum jetzt auf einmal doch reguläres Strafrecht angewendet werden sollte. Aber es war halt das mit Abstand Einfachste für das Gericht – denn hätte der Angeklagte keinen Widerspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, wäre er rechtsgültig verurteilt gewesen, und für die Justiz wäre die Sache erledigt.

Es kam aber anders: Der Aktivist legte Widerspruch ein, und es wurde ein neuer Verhandlungstermin Anfang April angesetzt. Dieser war dann aber schnell wieder vorbei, nachdem der Aktivist u.a. mehrere Befangenheitsanträge gegen den Richter stellte. Erwähnenswert sind vielleicht noch die Beleidigungen der Jugendgerichtshilfe gegen das Publikum und der brutale Rausschmiss von UntertützerInnen und Angeklagten aus dem Gerichtsgebäude. (Indy-Bericht vom ersten Verhandlungstag) Die Befangenheitsanträge wurden später alle abgelehnt. Das Ordnungsgeld gegen einen Unterstützer wurde vom Kammergericht aufgehoben, nachdem dieser Beschwerde eingelegt hatte (Begründung: Die Situation sei nicht ausreichend im Protokoll festgehalten worden und dem Betroffenen wurde kein rechtliches Gehör gewährt)

2. Akt

Dann passierte erstmal lange nichts. Zwischenzeitlich wechselte die Zuständigkeit von Richter Modrovic zu Richter Ernst. Der setzte schließlich den nächsten Verhandlungstermin für den 31. August an – genau ein Jahr nach Räumung der Baumbesetzung durch die Polizei, zeigt der Staat noch einmal Zähne... Das ganze fand im Hochsicherheitssaal B129 des Amtsgerichts statt. ZuschauerInnen mussten das Gebäude durch einen separaten Eingang betreten und wurden extrem gründlich durchsucht. Mitnahme Kugelschreiber war untersagt (nur Bleistifte durften in den Saal), Papierblätter wurden abgezählt.Ähnlich autoritär war auch das Geschehen im Saal. Alle Anträge des Angeklagten (Beiordnung eines Pflichtverteidigers, Zulassung eines Laienverteidigers, Lockerung der Einlasskontrollen etc.pp.) wurden durch die Bank abgelehnt, seine prozessualen Rechte dabei oft mit Füßen getreten. Befangenheitsanträge des Angeklagten gegen ihnverwarf Richter Ernst gleich selber, da er nicht befangen sei und der Angeklagte damit das Verfahren nur verschleppen wolle. Passend dazu wurden in einigen gestellten Anträgen die Rolle und Funktionsweise der Justiz ausgiebig thematisiert.
Dies dürfte wohl der Anlass gewesen sein, warum Richter Ernst nach einigen Stunden anordnete, die Öffentlichkeit komplett aus dem restlichen Verfahren auszuschließen. Bemerkenswert daran: Das ganze geschah plötzlich wieder nach Jugendstrafrecht, ansonsten wäre es kaum möglich gewesen. Wirklich stichhaltige Erkenntnisse warum denn jetzt doch Jugendstrafrecht Anwendung finden müsse gab es zwar nicht (die Begründung des Richters, das Publikum könne den Angeklagten beeinflussen – oder umgekehrt (??) war so diffus, dass sie eigentlich niemand im Saal wirklich verstand), aber wieder einmal war es das einfachste für das Gericht.
Daraufhin wurden die ZuschauerInnen und ein anwesender Pressevertreter unsanft die Treppen hinuntergeschubst und vor dem Gebäude von über 20 PolizeibeamtInnen im Empfang genommen und mit Platzverweisen eingedeckt. Im Saal begründete Richter Ernst diese Maßnahme sinngemäß damit, er wolle dem erzieherischen Gedanken des Jugendstrafrechts Nachdem der Beschuldigte Angaben zum Tatvorwurf verweigerte wurde die Verhandlung nach 5 Stunden auf den 16. September vertagt. (Pressemitteilung von Robin Wood)

3. Akt

Am 16. wurden dann erstmals Zeugen vernommen, Richter Ernst hatte zwei Staatsschützer aus Frankfurt einfliegen lassen. Wie beim letzten mal von ihm angeordnet, fand auch diese Verhandlung hinter verschlossenen Türen statt. Vor dem Saal war ein Bereich abgesperrt, dahinter einige JustizwachtmeisterInnen, 2 Bereitschaftspolizisten und die beiden Zeugen, mit deren Vernehmung der Verhandlungstag begann. KK Wechsung: und KOK Missal waren (wie in den meisten Verfahren gegen AusbaugegnerInnen) als Sachbearbeiter für die Ermittlungen zuständig gewesen, und hatten die Räumung auch selbst beobachtet.
Während ihre Schilderung der örtlichen Gegebenheiten, der Räumung und des Abtransports der BesetzerInnen weitgehend übereinstimmten, waren ihre Aussagen in anderen Punkten widersprüchlich. Der zuerst vernommene KK Wechsung konnte nicht ausschließen, dass vor der Besetzung mehrere hundert Meter Zaun demontiert worden seien. Er wusste nicht, ob die BesetzerInnen aufgefordert worden waren das Gelände zu verlassen. Und er gab an, sowohl er als auch KOK Missal hätten als Vorbereitung auf ihre Vernehmung nocheinmal die Polizeiakten zu dem Vorfall studiert.
Nach einer Pause von 10 Minuten, in denen die beiden Zeugen vor dem Saal miteinander sprachen, wurde Missal vernommen, und sagte aus, er hätte nichts in den Polizeiakten nachlesen müssen, weil er sich noch an alles erinnere. Ferner würde er mit Sicherheit ausschließen können, dass Zaunstücke umgeworfen worden waren. Und er wüsste von Dritten, das die BesetzerInnen aufgefordert worden waren, das Gelände zu verlassen.Im Verlauf der Vernehmung zeigte sich auch, welchen immensen Aufwand die Polizei betrieben hatte, um eine lückenlose Umzäunung des Geländes nachzuweisen. So hatte es im ??? 2009 eigens hierfür einen Helikopter-Überflug gegeben, an dem KK Wechsung teilgenommen hatte.

Nach der Zeugenvernehmung wollte Richter Ernst das Urteil sprechen, dementsprechend würgte er alle Initiativen des Angeklagten konsequent ab. Ein Antrag, die Verhandlung zu vertagen, damit es Gelegenheit gebe, Beweisanträge zu schreiben wurde abgelehnt. Hierfür wurden kurze Pausen von 10-15 Minuten gewährt (Zitat Richter Ernst: Ob der Angeklagte es schaffe, in dieser Zeit alle geplanten Anträge zu schreiben, sei „seine Sache“). Die Anträge selbst wurden wie gewohnt alle abgelehnt, auch die Befangenheitsanträge in denen die Äußerungen und Verhaltensweisen des Richters thematisiert wurden, verwarf er alle selber, weil sie ohnehin nicht ernst gemeint seien.
So kam es schließlich zu den Plädoyers. Der Staatsanwalt hatte offensichtlich keine Lust sich mit der unzureichend aufgeklärten Sachlage auseinander zusetzen und kaschierte dies mit der (nicht weiter begründeten) Behauptung, der Angeklagte würde ihm eh nicht zuhören, deshalb fasse er sich kurz: Unabhängig von der Frage ob das Anliegen des Protestes legitim gewesen sei, handele es sich um eine kriminelle Handlung die bestraft werden müsse. Mit der wörtlichen Begründung, der Angeklagte brauche anscheinend Zeit „um über seinen Platz in Staat und Gesellschaft nachzudenken“, beantragte er 2 Wochen Jugendarrest.
Der Angeklagte führte aus, die Beweislage reiche überhaupt nicht für eine Verurteilung aus, eine Haftstrafe sei im übrigen unverhältnismäßig, und endete mit der Feststellung, Recht sei immer das Recht der Herrschenden, und das er dementsprechend nicht von dem Gericht erwarte.

Nach einer kurzen Pause erfolgte die Verkündung des Urteils, zu der die Anwesenden UnterstützerInnen des Angeklagten erstmals wieder in den Saal durften. Diese hatten bisher vor dem Saal gewartet, sich Wortgefechte mit den JustizwachtmeisterInnen und Polizeibeamten geliefert, waren wieder mal kurzzeitig von etwa 20 Angehörigen der Bereitschaftspolizei umstellt worden, die dann doch wieder abrückten. Zeitgleich fand vor dem Gebäude eine kleine Mahnwache statt, und im ganzen Gericht verteilt tauchten auf den Toiletten Aushänge auf, die über den Prozess informierten...

Das Urteil selbst war recht aussagekräftig in Bezug auf die menschlichen und juristischen Kompetenzen des Richters Martin Ernst. Den juristischen Sachverhalt löste er recht einfach: Der Angeklagte habe im Baum gesessen, ob der Zaun vollständig war (in der Verhandlung ging es um mehrere hundert Meter die möglicherweise fehlten) sei egal, wie das Gelände betreten wurde sei egal, und im übrigen sei der Angeklagte aufgefordert worden zu gehen (zur Erinnerung: Der erste Zeuge wusste das nicht, der zweite wusste es vom hören-sagen). Mit diesen Begründungen wäre Herr Ernst als Student bei jeder Klausur durchgefallen, zum verurteilen als Richter hat es aber gereicht...
Wesentlich ausführlicher beschäftigte er sich dann auch mit dem Charakter des Angeklagten. Dieser sei die unreifste Person mit der er in 20 Jahren Berufspraxis zu tun gehabt habe, man könne sei ein Verhalten etwas emotional als kindisch bezeichnen, er sei arrogant, nicht in der Lage sich in andere hineinzuversetzen, ja Richter Ernst war sich nichteinmal zu schade, den Klimaaktivisten und Umweltschützer mit jemanden zu vergleichen, der auf eine wehrlos am Boden liegende Personen eintrete. Aus dem Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung (also letztenendes dem juristischen Kampf um prozessuale Rechte, die Reaktion auf Fehlverhalten des Richters in Form von Befangenheitsanträgen, Abgabe von politischen Stellungsnahmen zu Rolle und Funktion der Justiz) leitete er nicht nur diese Triade von Beschimpfungen ab, sondern schob es auch als Grund für die Anwendung von Jugendstrafrecht vor, da es von Unreife zeuge. Das mag logisch etwas befremdend wirken, war aber nötig um den Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Verfahren juristisch zu rechtfertigen.
Dementsprechend verurteilte er auch nach Jugendstrafrecht: Neben der Ableistung von gemeinnützigen Arbeitsstunden solle der Angeklagte ein halbes Jahr lang täglich an einer Art „Gruppentherapie“ teilnehmen.

Der betroffene Aktivist hat am Montag Berufung gegen das Urteil eingelegt, es wird also eine Wiederholung der Verhandlung vor dem Landgericht geben.

Wünschenswerter wäre es natürlich, wenn die Justiz überhaupt nicht mehr solche Theaterstücke inszenieren würde – aber daran wird sich von allein nichts ändern...

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