"Wir brauchen in Aegypten ein wahres Wunder"

Kristin Jankowski 09.08.2010 15:32 Themen: Repression Weltweit
“Wir haben einfach immer Angst. Angst vor der Zukunft, Angst, dass es noch schlimmer wird”, sagte Mohamed. Er sass neben mir auf einem kleinen Sofa. Mohamed wischte sich seine Schweissperlen vom Gesicht.
‘Weisst du”, sagte er weiter “So einfach funktionieren Diktaturen: Der allmaechtige Herrscher und seine Gefolgsleute machen der Bevoelkerung einfach nur Angst – und dann haben sie alle und alles unter Kontrolle.”
Mohamed griff nach einem Taschentuch. Und wischte sich wieder den Schweiss vom Gesicht. “Es ist so warm heute”, fuegte er hinzu.
Die Klimaanlage funktionierte nicht richtig, es war stickig. “Es ist an der Zeit fuer einen politischen Wechsel in Aegypten. Ich will nicht mehr mit dieser Angst leben.” Mohamed senkte fuer einen Moment seinen Kopf. Und dann schaute er wieder zu mir.
Laechelnd.
Wir sassen in der Zentrale der Al Ghad Partei in Cairo Downtown.
Und warteten.
Nach innerparteilichen Streitigkeiten kam es zu der Entscheidung einen neuen Praesidenten fuer die oppositionelle Al Ghad Partei zu finden. Und an diesem Tag standen zwei Kandidaten zur Wahl: Dr. Ayman Nour und Yasser Abdel Hameed

An einer Ecke des Raumes standen die drei Wahlkabinen mit organgenen Vorhaengen. Eine junge Frau, die ein rotes Kopftuch trug, teilte Kugelschreiber aus. Und sie war auch dafuer verantwortlich weiterzuhelfen, falls es Probleme beim Ausfluellen des Wahlzettels geben sollte.
An den Waenden hingen einige Poster von der Anti- Gamal – Mubarak- Kampagne. Auf ihnen war ein Bild des juengeren Sohnes von Hosni Mubarak zu sehen. Sein Gesicht war mit einem roten Kreuz durchgestrichen. “Aegypten ist grosser als du’, stand unter ihm geschrieben.
Nur einige Tage zuvor hatten zahlreiche junge Mitglieder der Al Ghad Partei in den Strassen Cairos diese Poster aufgehaengt.
“Wenn die Leute, die Gamal Mubarak unterstuetzen ihre Plakate in der Oeffentlichkeit aufhaengen duerfen, dann duerfen wir unsere Poster auch in den Strassen aufkleben.”, argumentierte Mona “Aber warum werden unsere Plakate von der aegyptischen Polizei wieder abgerissen ?” fragte sie erbost.
‘Ich bin ueberzeugt, dass die Kampagne fuer Gamal Mubarak von der Nationalen Demokratischen Partei koordiniert wird. Und nicht von Magdy El Kordy”, so Mona. Magdy El Kordy haengt seit einigen Tagen Poster fuer Gamal Mubarak in den Strassen auf. Er will Gamal Mubarak damit bei den anstehenden Praesidentschaftswahlen 2011 untersteutzen. Laut El Kordy habe die Nationale Demokratische Partei, deren stellvertretender Generalsekretaer Gamal Mubarak ist, mit der Aktion jedoch nichts zu tun.
“Wir sind doch keine Schafe, so dass wir alles glauben, was uns vor die Fuesse geworfen wird. Ausserdem haben wir doch auch noch ein Mitspracherecht ueber den naechsten Praesidenten in unserem Land. Oder etwa nicht ?” fragte Mona wuetend.




Eman winkte mir zu und sie setzte sich neben mich. “Wer denkst du wird heute gewinnen ?” fragte ich sie in der Zentrale von der Al Ghad Partei . “Dr. Ayman Nour”, gab sie mir schnell als Antwort. “Das hoffe ich zumindest”, fuegte sie hinzu.
Eine Stunde spaeter wird sie die Ergebnisse auszaehlen.
Eman wischte sich den Schweiss von ihrem Gesicht. “Wuerde die Regieurung uns nicht davon abhalten als offizielle Partei zu agieren, so wuerden wir viel mehr Mitglieder bekommen. Und dann koennten wir eine ernste Bedrohung fuer Mubaraks Nationale Demokratische Partei sein. Falls Dr. Nour heute gewinnen sollte, dann werden wir sicherlich wieder neue Parteizugaenge erhalten.”
Sie grinste: “Dr. Nour wird heute die meisten Stimmen bekommen. Da bin ich mir sicher.”
Und Dr. Ayman Nour hatte es bereits im Voraus deutlich gemacht: Falls er als Praesident der Al Ghad Partei gewaehlt wird, dann wird er auch fuer die aegyptischen Praesidentschaftswahlen im Jahr 2011 kandidieren wollen.
“Aber es kann ja niemand sagen, was nach den Praesidentschaftswahlen in einem Jahr geschehen wird.” Eman schuettelte den Kopf:
“Das ist alles so ein grosses Durcheinander.” Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. “Es gibt zahlreiche Szenarien, es wird so viel spekuliert. Aber anscheinend weiss niemand, was passieren wird.” Eman wischte sich mit einem Taschentuch die Schweissperlen vom Gesicht. Dann drehte sie sich um: “Warum funktioniert die Klimaanlage eigentich nicht richtig ?”

Eman legte das Taschentuch zur Seite. “Vielleicht wird Gamal Mubarak unser naechster Praesident, vielleicht wird er nach der Wahl getoetet und die Armee kommt an die Macht.” Sie schuettelte wieder den Kopf:” Es ist alles so unklar. Ich weiss , dass das Militaer nicht hinter Gamal steht. Und das ist ein Problem fuer ihn.”

Eman griff nach ihren Zigartetten, die in ihrer Tasche lagen. “Und ausserdem spielt die Regierung der Vereinigten Staaten ja auch noch mit. Schliesslich ist Aegypten ein bedeutungsvoller Verbuendeter fuer die USA. Und sie bezahlen sehr viel Geld, damit Aegypten sozusagen stabil bleibt. Aber wir wissen hier alle:
Die USA unterstuetzen keine Demokratisierung in Aegypten.”
Ploetzlich hatte sie einen sehr ernsten Ausdruck im Gesicht.

Und ich erinnerte mich noch daran, als der amerikanische Praesident im letzten Sommer eine Rede in der Universitaet in Cairo hielt.
Ich sah ihn gedanklich vor mir.
Barrack Obama. Er trug eine lichtblaue Krawatte an diesem Tag..
Die Zufahrtswege zur Universitaet waren von Sicherheitskraeften gesperrt. Zahlreiche Geschaefte in Cairos Innenstadt waren geschlossen.
.
Ich hoerte Barack Obama sagen: “Ich bin der unerschütterlichen Überzeugung, dass sich alle Menschen nach bestimmten Dingen sehnen: Die Fähigkeit, seine Meinung zu äußern und ein Mitspracherecht dabei zu haben, wie man regiert wird, Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und die Gleichheit vor dem Gesetz zu haben, eine Regierung, die transparent ist und die Menschen nicht bestiehlt sowie die Freiheit, so zu leben, wie man möchte. Das sind nicht nur amerikanische Ideen, es sind Menschenrechte. Und aus diesem Grund werden wir sie überall auf der Welt unterstützen.”

Das waren Barack Obamas Worte am 4. Juni 2009.

Vor einigen Tagen schrieb die aegyptische Zeitung “Al Masry Al Youm” dass
der US-Senat Haushaltsausschusses ankuendigte, die Hilfen zur Foerderung der Demokratie in Aegypten zu kuerzen. 5 Millionen US Dollar werden gestrichen.

Und auch die Huffington Post berichtete ueber die Finanzspritzen der Vereinigten Staaten an Aeypten. Nur kurze Zeit nachdem Barack Obama seine Rede in Cairo hielt, machte die amerikanische Organisation USAID bekannt, dass sie unregistrierten Buergergesellschaften in Aegypten keine finanziellen Hilfen mehr zukommen laesst, so die Huffington Post.
Die amerikanische Zeitung hebte hervor, dass Organisationen,die sich gegen die Mubarak Regierung stellen, oft keine Registrierung erhalten.

Und waehrend ich das gerade aufschreibe, faellt mir ein, dass ich im Namen unserer aegyptischen Radiostation, fuer die ich eine woechentliche Sendung produziere, bei einem grossen deutschen Institut in Cairo nachgefragt habe, ob wir das einjaehrige Jubilaeum unseres Radios in deren Raeumlichkeiten feiern koennten. Ich erhielt eine Absage. Der Grund: Eure Radiostation ist “politisch inkorrekt.”

Die deutsche Enzyklopädie schreibt ueber den Begriff “Politische Korrektheit” folgendes:

Ursprünglich war der Begriff politisch korrekt eine positiv gemeinte Bezeichnung für die loyale Unterstützung einer politischen Partei, und wandelte sich später zu einer ironisch überspitzten Bezeichnung für „übertriebene Parteitreue“.

Ich frage mich: “Welche Kritierien muss eine Radiostation erfuellen, um als politisch inkorrekt bezeichnet zu werden ?”



“Und denkst du, El Baradei wird nicht den erhofften politischen Wechsel herbeifuehren ?” fragte ich Eman. Sie lachte auf. ‘El Baradei ?” wiederholte sie.
Eman wischte sich wieder den Schweiss vom Gesicht.
“El Baradei”, sagte sie wieder “der ist doch wie ein Geist hier aufgetaucht. Und ich habe ihm von Anfang an nicht getraut. Und wo ist er denn jetzt? Was tut er denn fuer die Aenderung der Vefassung ueber die er so gerne in den grossen Medien spricht.” Ich sagte gar nichts. Und wartete. Und Eman schien auch auf eine Antwort von mir zu hoffen. Aber ich schwieg. Dann sagte sie nach einigen Sekunden: “El Baradei ist nicht da. Er ist einfach nicht da.”
Eman atmete tief ein. ‘Warum tritt er nicht in eine oppositionelle Partei ein ? Warum kooperiert er nicht mit uns ?” Wieder schien sie auf eine Antwort von mir zu warten. Und dann schaute sie fuer einen Moment auf den Fussboden: “Warum ueberzeugt er die Leute nicht mit der Opposition zusammen zu arbeiten ? Er hat mit seinem Nichtstun doch schon so viele Menschen hier enttaeuscht. Wieviele will er denn noch enttaeuschen ?”
Sie wischte sich wieder eine Schweissperle von der Stirn.
“Manchmal denke ich, El Baradei arbeitet mit der Regierung zusammen . Und am Schluss laesst er die Leute alleine. Mit ihrer Hoffnungslosigkeit.”

Eman stand vom Sofa zu:” Ich muss jetzt die Wahlergebnisse auszaehlen.”
Sie drehte sich noch einmal zu mir um. Und laechelte mich an. Fast so, als ob sie wissen wuerde, was sie kurze Zeit spaeter erfahren wird.

Jemand schaltete endlich die Klimaanlage an..

Ahmed setzte sich zu mir. Er arbeitet seit rund einem Jahr mit Dr. Ayman Nour zusammen. “Was denkst du wird an den Wahlen in einem Jahr geschehen ?”
Er rueckte seine Brille zurecht und schaute auf den Fussboden.
“Ich habe wirklich Angst”, sagte er.
Ploetzlich stand das Wort ‘Angst’ wie ein fetter, schwarzer Klotz vor mir.
Dieses Wort kann einen auffressen, die Energie saugen, es kann so unfassbar maechtig sein.
“Ich habe Angst, weil Dr. Ayman Nour laut Gesetzgebung nicht an den Praesidentschaftswahlen teilnehmen kann. Mohamed El Baradei wird am Wahltag Zuhause bleiben. Und wer bleibt ? “ Ahmed gab sich selbst die Antwort “Gamal Mubarak”.
Ahmed seufzte: “Ich bin so muede staendig gegen dieses System anzukaempfen, ich bin erschoepft. Ich bin hier doch nicht im Krieg.”

Rund eine Stunde spaeter wurden die Ergebnisse veroeffentlicht.
Dr. Ayman Nour hatte die Wahl mit 88 % der abgegebenen Stimmen fuer sich gewonnen. Er ist nun der Praesident der Al Ghad Partei.
Ich sah, wie sich einige Parteimitglieder umarmten, sich die Haende hielten.
Laechelnd auf die Schultern klopften. “Wie geht es dir jetzt ?” fragte ich Eman.
“Ich freue mich so sehr, dass Dr. Nour gewonnen hat”, antwortete sie mir.
‘Jetzt wird es richtig spannend”, fuegte sie hinzu. Und ich drehte mich zu Dr. Ayman Nour. Er hielt eine Rede. Und er sagte: “Wir werden jetzt in den Praesidentschaftswahlkampf einsteigen.” Eman griff nach meiner Hand: “Hoerst du, er will als Praesident kandidieren. Er will noch einmal gegen die Mubaraks antreten.”

Ahmed kam zu auf mich zu. Er grinste: “Das ist einer der besten Tage in meinem Leben.”
Ein aelter Mann mit einem Schnauzbart hatte das gehoert und tippte mir auf die Schulter.
‘Dr. Ayman Nour ist ein richtiger Held”, sagte er und lachelte.

“Wo ist Mohamed El Baradei ?” fragte ich Ahmed, der in der Stadt Tanta Unterschriften fuer die National Association for Change sammelt. Diese Vereinigung will eine Aenderung der Verfassung herbeifuehren – mithilfe von zahlreichen aegyptischen Buergern, die diese Petition signieren sollen.
Mohamed El Baradei, der ehemalige Leiter der Internationalen Atomenergiebehoerde kam im Februar zurueck in sein Heimatland Aegypten.
Die aegyptische Verfassung soll geandert werden, damit es unabhaengigen Kandidaten erleichtert wird, an der Praesidentschaftswahl im Jahr 2011 teilnehmen zu koennen – das ist El Baradeis Wunsch.
“Er ist im Ausland”, antwortet mir Ahmed. “Warum sammelt er nicht gemeinsam mit euch die Unterschriften. Warum ist er nicht in der Strasse zu sehen ?” fragte ich Ahmed weiter.
“Das weiss ich auch nicht. Aber das ist mir auch egal. Wir sind bereits in den Strassen und uns kann niemand mehr aufhalten.” Auch an diesem Tag hatte Ahmed wieder dieses Glitzern in den Augen – wie jedes Mal wenn er ueber diese Aktion mit mir spricht.
“Wir machen das doch nicht fuer El Baradei. Wir machen das fuer uns – fuer die Aegypter. Wir nutzen die Oeffentlichkeit, die er fuer einen poltischen Wechsel geschaffen hat. Das ist alles. Auch wenn er uns im Stich lassen wuerde – das ist mir egal. Ich weiss, dass es fuer mich keine andere Moeglichkeit gibt als diesen Weg zu gehen.”
Bis zum 15. Oktober will die National Association for Change 1 Millionen Unterschriften sammeln. ‘Wir haben jetzt insgesamt schon mehr als 600.000”, erzaehlte er mir grinsend.

Am 2. August schrieb die aegyptische Zeitung “Daily News Egypt”, dass in Alexandria 15 Personen festgenommen wurden.
Zuvor hatten sie Poster aufgehaengt auf denen die Buerger aufgerufen wurden, die Petition fuer die Aenderung der Verfassung zu unterschreiben.

“Denkst du, es wird einen poltischen Wechsel in Aegypten geben ?” fragte ich Mona waehrend eines Nachtspazierganges.
“Ich hoffe es. Wir brauchen in Aegypten ein wahres Wunder."

Kristin Jankowski
www.elma7rosa.net
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Ergänzungen

weitere derzeitige Streiks & Demos in Ägypten

Entdinglichung 10.08.2010 - 09:53
Quelle:  http://www.almasryalyoum.com/en/news/various-protests-strikes-erupt-nationwide

Several Egyptian governorates on Sunday witnessed popular protests and strikes over different issues, most notably in the Gharbiya Governorate, where workers from the Nile Cotton Company staged protests against the company's failure to pay out bonuses since 2005.

Demonstrators tied themselves up and threatened to throw themselves in front of oncoming trains if they did not receive their rightful bonuses. They were prevented by security personnel, however, from marching to a nearby railroad crossing.

In Sohag, meanwhile, more than 250 nurses and laboratory technicians declared a strike, demanding payment of bonuses as had been promised earlier by the Health Ministry. In Cairo, 500 employees of the North Cairo Power Station also went on strike to demand better working conditions and salary increases.

Workers from the Telephone Equipment Company in southern Cairo also maintained their strike for the fifth consecutive day against Manpower Minister Aisha Abdel Hadi's refusal to pay them each LE50,000 retirement packages--as had been promised earlier--in advance of the company's liquidation.

And in Fayoum, 100 villagers staged demonstrations against a three-month-long water shortage, which, they say, has caused their crops to whither and their cattle to die.

Moreover, scores of people protested in Cairo against a recent resolution by the Education Ministry requiring that primary school applications be personally submitted to the ministry's Cairo headquarters. Protesters, many of whom live outside the capital, wondered why they had to travel all the way to Cairo to submit their children's school applications.

Finally, scores of citizens with special needs protested against the government's failure to meet earlier promises to provide them with housing units and micro-business opportunities.