Linke Perspektiven in Latein- +Zentralamerika

lesender arbeiter 05.08.2010 14:51 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
„Zapatismus – Chavismus – linke Perspektiven?“ Unter diesem Motto stand am vergangenen Mittwoch eine Diskussionsveranstaltung ( www.interkom.tk) im gut besuchten Berliner Stadtteilladen Zielona Gora. Referent war der Politologe und Journalist Helge Buttkereit, der in seinem Buch Utopische Realpolitik , Die Neue Linke in Lateinamerika, Pahl-Rugenstein Verlag, 162 Seiten, 16,90 Euro , ISBN 978-3-89144-424-5, beide Bewegungen analysierte und viele Gemeinsamkeiten entdeckte.
Das ist bisher in der linken Debatte eher die Ausnahme. Denn gemeinhin werden in der linken Solidaritätsbewegung in Deutschland eher der Unterschiede zwischen beiden Bewegungen betont.
Jörg Sundermeier brachte diese Kritik in der Taz-Wochenvorschau ( http://www.taz.de/1/berlin/tazplan-programm/artikel/?dig=2010%2F08%2F02%2Fa0159&cHash=42113f70c1) polemisch auf den Punkt:
"Chavismus und Zapatismus - linke Perspektiven?" Helge Buttkereit, der darüber gleich ein Buch geschrieben hat, überlegt, inwieweit die "bolivarianische Revolution in Venezuela" und die EZLN - die er einfach in einen Topf wirft - auch hier machbar wären. Zu Chávez' Möglichkeiten nur Folgendes - der österreichische Chávez, Jörg Haider, hätte es fast geschafft in Europa. Der Vergleich hinkt? Der Vergleich von EZLN und dem machtgeilen Autokraten Chávez ja wohl auch.“

Gute Zapatisten – böser Chavez?
Hier die gute EZLN dort der autokratische Chavez, diese Gegenüberstellung ist sehr weit verbreitet und zeigt aber auch schon die Schwächen. Denn die Chavez-Kritiker machen selber einen Fehler, sie sind selber so in den von ihnen kritisierten Präsidenten verbissen, dass sie die Basisbewegungen in Venezuela gar nicht mehr wahrnehmen. Sie entnennen die Aktivst_Innen, die konkret an der Basis kämpfen und blasen Chavez damit erst zu einem so großen Mythos auf, an dem sie sich dann abarbeiten können.
Hingegen wird bei der EZLN gerne die Rolle von Marcos ignoriert. Aller höchstens wird konzediert, dass er ein Symbol ist. Aber ist nicht Chavez als großer Kommunikator auch ein solches Symbol?
Buttkereit lehnt diese Einteilung in guter Zapatismus versus böser Chavez, indem er in beiden Bewegungen die emanzipatorischen Momente benennt ohne die Probleme zu verschweigen. So sieht er in den Basisstrukturen der Comunas in Venezuela Elemente einer Rätestruktur, die sich gegen die Strukturen der alten Staatsmacht behaupten muss und immer wieder in Konflikt befindet. Auch die besetzten und selbstverwalteten Fabriken in Venezuela sind in der Praxis eine solche Basisstruktur von unten, die sich auch gegen konservative Kräfte innerhalb der venezolanischen Bürokratie immer wieder behaupten muss.
Diese Gegenmacht von unten ist natürlich kein widerspruchsfreier Prozess, wie wir ja schon seit Jahren durch Bücher und Filme von Dario Azzellini, Raul Zelik und der Gruppe MovimentoR erfahren können. Sie und viele andere Genoss_Innen haben sich Mühe gemacht, zu schauen, die Basisprozesse genau anzuschauen und haben dabei nie die Probleme benannt. Manche wollen aber gar nicht wissen und halten lieber am Popanz Chavez fest, auf dem man so gut draufschlagen kann. Dabei sollten die Probleme und Schwierigkeiten beim Aufbau einer neuen Gesellschaft, wie sie jetzt beispielsweise in Venezuela aber auch in Bolivien und Ecuador zu beobachten sind, gerade für Genoss_Innen, die auch hierzulande grundlegende revolutionäre Umwälzungen anstreben, genau beobachten werden, um daraus zu lernen, auch wie mensch es nicht machen sollte.
Probleme der EZLN
Dass gilt natürlich auch für die EZLN, die in der außerparlamentarischen Linke in Deutschland vor einigen Jahren noch viele Anhänger_Innen hatte. Es gab anfangs auch die Vorstellung, die dort gemachten Erfahrungen auf die hiesigen Verhältnisse zu übertragen, also im Grunde genau den Weg zu gehen, den auch Buttkereit in seinem Buch anstrebt. Dass es noch immer eine große Unterstützer_Innenbewegung gibt, zeigte sich auch bei der Veranstaltung. Dort wurde Buttkereits Einschätzung sehr kontrovers diskutiert, dass die EZLN auch eine Kaderorganisation ist und die zapatistische Basis nicht gleichberechtigt in die Kämpfe einbezogen ist. Dass machte er am Beispiel von zentralen Aktionen der zapatistischen Bewegung fest, wo eben EZLN-Kader und nicht die zapatistische Basis aufgetreten sind. Die Einbeziehung der Basis werde so Buttkereit durch eine zu häufige Rotation in den Basisstrukturen erschwert, weil sich die Aktivist_Innen dadurch nicht genügend auf eigenständige Aktivitäten vorbereiten können und die EZLN-Kader dadurch gezwungen wurden, weiterhin nach Außen die Bewegung zu repräsentieren. Dieser These wurde von Seiten zapatistischer Unterstützer_Innen widersprochen mit dem Argument, dass es falsch die zapatistische Bewegung in das Basis-Kader-Schema zu pressen und dass Buttkereit über die tatsächliche Arbeit in der zapatistischen Bewegung zu wenig wisse, um diese Thesen aufstellen zu können.

Fazit:
Es war eine kontroverse Diskussion, bei der aber um argumentativ um Positionen gerungen wurde, was sie angenehm abhebt von Debatten in der deutschen Linken, wo es um Tickets und Abgrenzung aber nicht um Argumente geht, Sehr gut hat eine Genossin, die das zapatistische Konzept unterstütze, auf den Punkt gebracht. Auch, wenn sie die Thesen von Buttkereit nicht teilt, sei es positiv, dass eine solche Veranstaltung so viele Menschen in Deutschland dazu bringt, über linke Basisprozesse in Lateinamerika zu diskutieren.
Ein anderer Genosse erinnert daran, dass es Stiftungen und Think Thanks auch aus Deutschland sind, die aktiv gegen linke Regierungen in Lateinamerika beteiligt sind, in Honduras, in Venezuela auch in Südmexiko. Bei allen Unterschieden im Detail, sollten wir auch hier gemeinsam dagegen agieren, ob prozapatistisch ,probolivarisch oder einfach an revolutionären Veränderungen interessiert.

Links zum Thema:
Zum Buch von Helge Buttkereit:
 http://www.utopische-realpolitik.de/aktuelles.php
Zur Gruppe MovimentoR:
 http://www.movimentor.net/
Zu Filmen und Büchern von Dario Azzellini zu den Basisprozessen in Venezuela:
 http://www.azzellini.net/
und hier sein neuer Film Comuna im Aufbau:
 http://www.azzellini.net/interviews/comuna-im-aufbau-ein-film-von-dario-azzellini-und-oliver-ressler
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Ergänzungen

Blöder Hinweis zur Überschrift

bill 05.08.2010 - 22:14
aber Zentralamerika ist Lateinamerika.

Auch dagewesen

Name 06.08.2010 - 10:27
Im obigen Text kommt nicht so richtig zum Ausdruck, dass der Autor und Referent sich doch teils heftige Kritik an seinem Vortrag anhören durfte.

Die Kritik bezog sich u.a. darauf, dass ökonomische Themen fast komplett ausgeklammert wurden, dass die unterschiedlichen ökonomischen, sozialen, kulturellen und historischen Gegebenheiten fast komplett ignoriert wurden, um die These einer ähnlichen Entwicklung in Venezuela und Chiapas nicht in Frage zu stellen.

Das Problem war nicht der Vergleich zwischen der Entwicklung in Venezuela und der in Chiapas, sondern die enorme Oberflächlichkeit, mit der auf Teufel komm raus Ähnlichkeiten gesucht wurden, auf Kosten von Genauigkeit. Wenn Chavez sagt, er möchte den kommunitären Staat, ist das noch lange kein Beleg dafür, dass Venezuela auf einem direkten Weg hin zum sich selbst verwaltenden Kommunismus ist. Genausowenig lässt sich aus der Tatsache, dass Marcos vor allem in den ersten Jahren des zapatistischen Aufstandes enorm in den Medien präsent war, auf einen - Venezuela vergleichbaren - autoritären Charakter der zapatistischen Bewegung insgesamt schliessen. Allgemein schien der Autor vor allem auf ein paar öffentliche Verlautbarungen und Texte zurückgegriffen zu haben, aber von der Realität der Lebensbedingung sowohl in Chiapas als auch in Venezuela doch sehr unberührt zu sein.

Aber auch dieser Abend war nicht umsonst gewesen. Viel konnte darüber gelernt werden, wie zum einen ein analytisches Herangehen an verschiedene soziale Bewegungen in vergleichender Hinsicht nicht aussehen darf, zum anderen, wie mensch seinen Stoff nicht präsentieren sollte. Und darüber hinaus, dass soll garnicht negiert werden, gab es trotz viel Überflüssigem und viel Falschem den einen oder anderen Gedanken im Vortrag, der nachdenkenswert ist.

ein wesentlicher Unterschied

Hugo Rafael 06.08.2010 - 21:47
muss hier schon mal genannt werden: Chavez ist der Präsident eines Landes von 24 Mio. Leuten mit ganz derben Klassengegensätzen, und die Zapatisten sind eine Indio-bewegung im Süden von Mexico, die für Mexico selbst nicht so massgeblich wichtig ist.

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Meinung — Rätist

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