Aktion gegen Arbeitsbedingungen bei Forsa

Wladek Flakin 04.08.2010 16:51 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
"Sind die Menschen, die für Forsa Interviews durchführen, eigentlich selbständig?" Das fragen sich viele der rund 700 Beschäftigten des Meinungsforschungsunternehmens, denn eigentlich sind sie gar nicht beschäftigt, sondern selbständige UnternehmerInnen. Für die Telefoninterviews, die sie in den Standorten der Firma in Berlin und Düsseldorf führen, bekommen sie dann auch keinen Lohn sondern ein Stundenhonorar von 8,50 Euro. Davon müssen sie einen Euro pro Stunde als Miete für den Arbeitsplatz an die Firma zurückgeben. Wenn die InterviewerInnen zur Toilette müssen, sind sie angewiesen, sich aus dem Computer auszuloggen, damit die Minuten nicht als Arbeitszeit berechnet werden. "Wir müssen quasi eine Klogebühr an die Firma zahlen", berichtete eine Arbeiterin, die anonym bleiben will.
Um auf solche schlechten und eigentlich absurden Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen, hat die Gewerkschaft ver.di letzten Freitag eine Kundgebung vor der Firmenzentrale in Berlin-Mitte organisiert. Am Abend davor gaben die "Supervisor" den MitarbeiterInnen bekannt, dass die gesamte Freitagsschicht wegen Netzwerkreperaturen ausfallen müsste. GewerkschafterInnen vermuteten, dass um jeden Preis verhindert werden sollte, dass Hunderte von Beschäftigten bei Schichtbeginn an der Kundgebung vorbeilaufen müssten. "Wenn sich herausstellt, dass Forsa die Beschäftigten nicht arbeiten ließ, weil ver.di eine Kundgebung vor dem Gebäude durchführen wollte, handelt es sich um eine kalte Aussperrung", kritisierte ver.di-Landesbezirksleiterin Susanne Stumpenhusen.

Das rechtlich fragliche Beschäftigungsmodell von Forsa erlaubt es der Firma, auf bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und selbstverständlich auch auf einen Betriebsrat zu verzichten. Die wenigen Beschäftigten, die direkt bei Forsa beschäftigt sind, sind Verwaltungsangestellte. Die Belegschaft ist vielfältig: Studierende, Renter und Hartz-IV-Aufstocker telefonieren für Forsa. Einige sind bereits über 80. "Es freut mich, dass die ver.di-Jugend und die ver.di-Senioren bei dieser Kampagne zusammenarbeiten", so ein Gewerkschaftsmitglied aus dem Unternehmen.

Die Scheinselbständigkeit, wegen der die Firma seit Jahren im Clinch mit der Rentenversicherung liegt, ist nicht das einzige Problem. Auch die Arbeitsbedingungen sind eine Zumutung. Alte Stühle und Rechner und eng nebeneinander liegende Kabinen führen dazu, dass die Arbeit am Telefon laut und stressig ist. Vor Schichtbeginn stehen die Beschäftigten 20 Minuten Schlange, um einen verhältnismäßig annehmbaren Arbeitsplatz, zum Beispiel neben einem Hoffenster, zu ergattern. Und trotzdem ist es nicht einfach für die Gewerkschaft, die KollegInnen zu animieren, ihre Rechte wahrzunehmen. Trotz des Beschäftigungsmodells bei Forsa sind die Arbeitsbedingungen in anderen Berliner Callcentern noch schlimmer. "Als Marktführer im Meinungsforschungsbereich sollte Forsa aber mit gutem Beispiel vorangehen", fordert der zuständige ver.di-Sekretär André Pollman.

Wladek Flakin, RIO - Revolutionäre Internationalistische Organisation, ( http://www.revolution.de.com)

Eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der jungen Welt vom 2. August ( http://www.jungewelt.de/2010/08-02/040.php)
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