Migranten für Schulreform (wenn sie dürften)

Montgomery 03.07.2010 21:17 Themen: Antirassismus Bildung Soziale Kämpfe
Am 18. Juli wird in Hamburg über die Primarschule abgestimmt. Gerade Kindern mit Migrationshintergrund würde ein längeres gemeinsames Lernen bessere Chancen bieten. Aber rund 206.000 Migranten dürfen nicht mit abstimmen. Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, veranstaltete die „Interkulturelle Elternintiative“, ein Netzwerk aus 25 migrantischen Elternvereinen, heute eine symbolische Abstimmung auf dem Hamburger Rathausmarkt.
Der frisch gekürte Bundespräsident Christian Wulff hat sich für eine bessere Integration von Ausländern und vor allem für gerechteren Bildungszugang ausgesprochen. Wer sich ein bisschen mit niedersächsischer Landespolitik auskennt weiß, dass das grob geheuchelt ist. Es war Wulff, der 2003 im Eilverfahren das gemeinsame Lernen bis Klasse 6 zugunsten einer Selektion in Klasse 4 abschaffte. Außerdem wurde die Gründung neuer Gesamtschulen in Niedersachsen seinerzeit verboten. Heute rächt sich diese falsche Politik: In Oldenburg z.B. haben die Gesamtschulen mittlerweile doppelt so viele Anmeldungen wie Plätze zur Verfügung. Wullfs Nachfolger ist David Mc Allister. Mc Allister ist deutscher und britischer Staatsbürger. Was für ihn selbstverständlich ist, ist für Millionen Deutsch-Türken nicht möglich: Die doppelte Staatsbürgerschaft. Es war die Partei von Wulff und Mc Allister, die vor zehn Jahren in einer beispiellos demagogischen Kampagne den Doppelpass, in so ziemlich allen anderen Ländern der Welt Standard, verhinderte. Deshalb gestaltet sich Integration und vor allem auch politische Partizipation von Migranten in Deutschland so schwer.

Um aber dennoch nicht zu schweigen, sondern die Stimme für gemeinsames Lernen und moderne Schulen in Hamburg zu erheben, trafen sich heute mehrere hundert Menschen mit und ohne Migrationshintergrund auf dem Rathausmarkt um an einer symbolischen Abstimmung über die Schulreform und über eine Änderung des Abstimmungsgesetzes teilzunehmen. Dazu gab es Redebeiträge von der Interkulturellen Elternintiative, der GEW (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft), der AGIJ (Arbeitsgemeinschaft internationaler Jugendverbände), der Hellenischen Gemeinde und des Türkischen Elternbundes. Zwischendurch waren musikalische Beiträge unterschiedlichster Art zu hören. Es wurde noch einmal betont, dass nahezu alle Migranten in Hamburg aus Ländern kommen, in denen das gemeinsame Lernen mindestens bis Klasse 6 absolute Normalität ist. Gleichzeitig sind es aber vor allem Kinder ohne Muttersprache Deutsch, die von der frühen deutschen Selektion betroffen sind und auf dem schulischen Abstellgleis landen.

Die Gegner der Schulreform, im Form der rechtspopulistischen Initiative „Wir wollen lernen“ um den Blankeneser Rechtsanwalt Walter Scheuerl, setzen jetzt im Wahlkampf voll auf´s Lügen, in Ermangelung von Argumenten. Sie und die sie unterstützende FDP behaupten wahrheitswidrig, beim Volksentscheid ginge es um das Elternwahlrecht, welche weiterführende Schule die Kinder besuchen sollen. Tatsächlich ist die anfängliche Idee des Senates, dass Elternwahlrecht abzuschaffen, längst wieder vom Tisch. Auch die NPD unterstützt das Anliegen von „Wir wollen lernen“ massiv. Auf ihrer Homepage sprechen sie von angeblich genetisch bedingt unterschiedlichen Leistungspotentialen und sprechen sich für eine konsequente Sonderbeschulung von Ausländern aus. Nachdem vor einigen Wochen die NPD massenhaft Plakate für „Wir wollen lernen“ verklebt hat ( http://de.indymedia.org/2010/06/284871.shtml), ist Scheuerl das Ganze jetzt etwas peinlich. Jetzt droht er, typisch Scheuerl, schon mal mit dem Anwalt. Auf die Idee sich vielleicht auch mal inhaltlich von den Bildungsidealen der NPD zu distanzieren ist Scheuerl bislang aber noch nicht gekommen.

Es sind jetzt von zwei Wochen Zeit, den Bildungsstrategen von „Wir wollen lernen“, FDP und NPD das Handwerk zu legen.

Hier noch zwei interessante Artikel:
Zu ungleichen Chancen:
 http://de.wikipedia.org/wiki/Bildungsbenachteiligung_in_Deutschland
Zu den Bildungsnazis:
 http://npd-blog.info/2010/06/24/npd-hamburg-schulreform/
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Ergänzungen

Deine Stimme für längeres gemeinsames Lernen

Für einen politischen AStA 04.07.2010 - 11:12
Eine gemeinsame Erklärung von Die Linke.SDS, CampusGrün, Regenbogen/Alternative Linke und der Piraten Hochschulgruppe

Das deutsche Schulsystem ist weltweit eines der sozial selektivsten. Nirgendwo sonst ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen so stark wie in Deutschland. Der Schulerfolg eines Kindes hängt hier immer noch maßgeblich vom sozialen Status der Eltern ab. Dazu tragen das gegliederte Schulwesen und die frühe Selektion in starkem Maße bei, wie verschiedene internationale Studien beweisen.
Kinder werden in Deutschland sehr früh auf verschiedene Schularten separiert. Dies wurde vor drei Jahren auch vom UN-Sonderberichterstatter für Bildung Vernor Muñoz kritisiert. Er bat die deutsche Regierung darum, „das mehrgliedrige Schulsystem, das sehr selektiv und sicher auch diskriminierend ist, noch einmal zu bedenken“.
Die Befürchtung, dass gemeinsames Lernen die leistungsstärkeren SchülerInnnen bremse, ist zumindest (erziehungs-)wissenschaftlich längst widerlegt. Dies war auch ein Ergebnis der Fachtagung zur Primarschule an der Uni Hamburg am 21.04.2010.

Streit um längeres gemeinsames Lernen auch in Hamburg

Am 7. Oktober 2009 wurde von der Hamburger Bürgerschaft die von der schwarz-grünen Koalition eingebrachte Schulreform verabschiedet. Kern dieser Reform ist die Einführung der sechsjährigen Primarschule. An die sechsjährige Primarschule werden sich zwei weiterführende Schulformen - die Stadtteilschule und das Gymnasium - anschließen. Beide Schulformen können mit dem Abitur abgeschlossen werden, die Stadtteilschule nach sieben, das Gymnasium nach sechs Jahren.
Dagegen regte sich Widerstand von konservativer Seite. Die Initiative „Wir wollen lernen“ um den Blankeneser Anwalt Dr. Walter Scheuerl begann, sich mit viel Geld für die Beibehaltung der frühen Selektion in der Schule einzusetzen. Sie strengte ein Volksbegehren gegen diese Reform an und war damit letztlich erfolgreich. Sie führte zu einer Nachverhandlung an deren Ende ein Kompromiss stand, der zwar nicht von Scheuerl & Consorten, dafür aber von allen in der Bürgerschaft vertretenen Fraktionen mitgetragen wird. Es wird zu einem Volksentscheid kommen, der am 18. Juli stattfindet. Bereits ab Anfang Juni kann schon per Briefwahl abgestimmt werden.
Gegenstand des Kompromisses sind jedoch neben der Einführung der Primarschule, noch weitere sinnvolle Änderungen. So soll das Büchergeld und das Sitzenbleiben zugunsten individueller Förderung abgeschafft werden und die Klassengrößen sollen verringert werden (höchstens 23 SchülerInnen, oder 19 in sozial schwächeren Stadtteilen).

Deine Stimme für die Schulreform!

Es geht bei dem Volksentscheid um eine richtungsweisende Frage, die über die Grenzen Hamburgs hinaus Bedeutung haben wird. Es geht letztlich nur um einen kleinen Schritt für Bildungsgerechtigkeit, aber sollte es „Wir wollen Lernen“ gelingen, diese Reform zu verhindern, würde eine grundlegende Reform des Schulsystems bundesweit auf Jahre erschwert werden.
Wir rufen daher dazu auf, über die geplante Reform der Hamburger Schulen zu informieren und beim Volksentscheid gegen die Vorlage der Initiative „Wir wollen lernen“ und für den einstimmigen Beschluss der Hamburger Bürgerschaft zu stimmen.

Infos rund um die Schulreform:

• Infobroschüre des Hamburger Senats zur Schulreform:
 http://schulreform.hamburg.de/contentblob/1570664/data/broschuere-schulreform.pdf
• Homepage des überparteilichen Bündnisses „Chancen für alle - Hamburger Allianz für Bildung e.V.“:
 http://www.die-schulverbesserer.de/
• Panorama-Beitrag zu „Wir wollen lernen“:
 http://daserste.ndr.de/panorama/media/panorama408.html
• Fachtagung zur Primarschule am FB Erziehungswissenschaft (21.04.2010):  http://www.epb.uni-hamburg.de/de/node/3669

"Gibt es eine richtige Schule im Falschen"

Peter 04.07.2010 - 13:15
„Sind aber Schulen der falsche Ort, um eine Fertigkeit zu erlernen,
sind sie es erst recht, um Bildung zu vermitteln.
Die Schule erfüllt beide Aufgaben deshalb schlecht,
weil sie häufig nicht zwischen ihnen unterscheidet.“
(Ivan Illich)

Zu empfehlen: der Aufruf „Gibt es eine richtige Schule im Falschen“ zum schwarz-grünen Schulreförmchen. Er setzte sich einmal mit den sich selbst so nennenden „Die Schulverbesserer“ (Befürworter_innen der schwarz-grünen Primarschulreform) und der erzkonservativen Initiative „Wir wollen [ohne Arbeiterkinder] lernen“ auseinander.

„Gibt es eine richtige Schule im Falschen?
Bildungs- und Schulpolitik sind zentrale Themen in der kapitalistischen Wissensökonomie. Das liegt daran, dass Bildung in ihr eine bestimmte Funktion hat, nämlich für die Anpassung an gesellschaftliche Normen und die Verfügbarkeit junger Menschen für den Arbeitsmarkt zu sorgen. Deshalb sind Reformen in der Schulstruktur seit über 100 Jahren ein zwischen konservativen und progressiven Kräften stark umkämpftes Thema.
Dieses Ringen um den richtigen Weg in Fragen der Schulstruktur erleben wir zur Zeit zwischen…..“ (weiter auf:  http://gewstudis.blogsport.de/2010/06/05/gibt-es-eine-richtige-schule-im-falschen/)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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