In Gera droht "kurzer Prozess"

Rote Hilfe Jena 15.06.2010 21:03 Themen: Freiräume Repression
Schnellverfahren gegen drei Teilnehmer der Critical Mass am 15. Mai beantragt
Mit einer Critical Mass demonstrierten am 15. Mai 2010 30 Menschen in Gera gegen Konsumzwang, Ordnungswahn und Polizeischikanen und für ein selbstverwaltetes Zentrum für Politik, Kultur und Spaß. Die außergewöhnliche Aktion sorgte für Aufsehen und verlief ohne bedeutende Zwischenfälle - bis an der Eselsbrücke die Bereitschaftspolizei die Aktivisten stoppte: "Ohne den Dialog zu suchen, prallten aufspringende Autotüren gegen TeilnehmerInnen, Polizisten verteilten vollkommen überzogen Tritte und Schläge und versprühten zudem Pfefferspray", berichtete die Critical-Mass-Initiative.

Pressemeldungen zufolge wehrten sich einige Aktivisten und verletzten drei Polizisten. Die Staatsanwaltschaft wirft drei Teilnehmern gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. Sie hat ein Schnellverfahren gegen sie beantragt.


Das Schnellverfahren (beschleunigtes Verfahren, §§ 417 - 420 StPO und § 127b StPO) in seiner heutigen Form wurde 1994 mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz eingeführt. Damals wurde vor allem die "Bekämpfung der rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Ausschreitungen" betont. Zur heutigen Anwendung schreibt die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft: "Besonders geeignet ist das Beschleunigte Verfahren für Wohnsitzlose oder durchreisende ausländische Täter ..." Und weiter: "Trotz aller "Beschleunigung" ist das Beschleunigte Verfahren kein "Schnellgericht". Es wird ebenso sorgfältig durchgeführt wie andere Strafprozesse."

Das Gesetz bestimmt:

  • Ladungsfrist für den Betroffenen nur 24 Stunden
  • keine Anklageschrift erforderlich
  • erleichterte Verlesung von Vernehmungsprotokollen u. Ä.
  • Beweisanträge können leichter abgelehnt werden
  • Hauptverhandlungshaft bis zu einer Woche bei vergleichsweise geringen Delikten möglich
Angewendet werden soll dieses Verfahren, "wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist."

Mit anderen Worten, das Gericht vorverurteilt den Beschuldigten auf Grund der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte und nimmt ihm die Möglichkeit, sich auf den Prozess vorzubereiten und sich gegen die Beweisführung mit den üblichen Mitteln zu verteidigen. Die Generalstaatsanwaltschaft mag dieses Verfahren zwar gegen noch ganz andere "Schnellgerichte" der deutschen Vergangenheit abgrenzen können. Ein "faires Verfahren" im (höchst fragwürdigen) gebräuchlichen Wortsinn ist diese "Karikatur einer Gerichtsverhandlung" ("Was tun, wenn's brennt", S. 14, PDF) nicht.


Soweit wir wissen, wurde das Schnellverfahren gegen politische Aktivisten bisher in Thüringen praktisch nicht angewendet. Dass es nun dazu kommt, dürfte neben der grassierenden Extremismushysterie auch daran liegen, dass nach der überraschenden Aktivität der Geraer Genossen aus Sicht der Verfolgungsbehörden Abschreckung mit einer "auf dem Fuße folgenden" Strafe Not tut. Wir sind besorgt, dass das Geraer Verfahren Modellcharakter gewinnt. Als "einfach und klar" könnten viele Vorwürfe wegen politischer Betätigung eingeordnet werden.

Die Thüringer Bereitschaftspolizei ist unfähig, deeskalierend vorzugehen. Dies lehrt alle Erfahrung und zeigte sich in Jena etwa bei der Spontandemo anläßlich des Auftritts von Horst Mahler am 10.01.2009 (Rundbrief 1/09, PDF) oder dem Einsatz gegen Jenaer Fans beim Spiel gegen Heidenheim am 24.04.2010. Die Geraer Polizeiführung hat zehn Mannschaftswagen solcher Einheiten gegen eine Critical Mass mit 30 Teilnehmer eingesetzt und damit eine Konfrontation vorprogrammiert, für die sie die Verantwortung trägt. Die Justiz sieht das anders. Sie wird sich darauf konzentrieren, einzelnen Beteiligten Arm- oder Beinbewegungen nachzuweisen und den zugrunde liegenden politischen Konflikt als "nicht zur Sache gehörig" auszublenden.

Dagegen ergreifen wir Partei für diejenigen, die gegen die repressiven Geraer Verhältnisse protestiert haben und sich für Freiräume in der Stadt einsetzen. Solidarische Grüße nach Gera!

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Ergänzungen

A Propos Gera: 10. Juli!

Großstadtantifa 15.06.2010 - 22:50
Bockwurstparty verhindern. Gera goes Dresden.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Solidarische Grüsse!

Radler 15.06.2010 - 21:33
Ich sende auf diesem Wege mal soidarische Grüsse an die angeschuldigten Opfer.
Es ist mit sicherheit kein Zufall.
Da die sozialen Kämpfe härter werden, sucht der Staat effektivere Repressionsmittel.
Rechtstaatliche Standarts, die einst erkämpft wurden, werden in vielen Bereichen zurückgedrängt.
Wünsche euch viel Kraft diesen neuen Vorstoß abzuwehren.
Bitte veröffentlicht auf jeden Fall Termine von Gerichtsverhandlungen.

Schnellverfahren ist doch gut

Richter Hold 16.06.2010 - 06:33
Ich weiss garnicht was ihr habt, dass Schnellverfahren ist doch gut. Dieses Verfahren gilt nur für die erste Instanz! Rechtsmittel dauern dann wieder ihren gewohnten Gang: 4-6 Monate bis zur Berufung und weitere 4-6 Monate zur Revision!

Der Vorteil an der Sache: Du weisst jetzt schon, dass ihr abgehen werdet! Schnellverfahren bieten sich nur bei einfacher Rechtslage an! Und da wäre der größte Vorteil - ihr könnt nur max. 1 Jahr Freiheitsstrafe bekommen.