Krisenpolitik in der Krisenfalle

Tomasz Konicz 08.06.2010 09:15 Themen: Globalisierung Weltweit
Verschulden bis zum Staatsbankrott, oder sparen bis zur Depression? In dieser Zwickmühle befindet sich derzeit die Politik in vielen kapitalistischen Industrieländern.
Ende Mai hat eine Ratingagentur abermals die Kreditwürdigkeit Spaniens herabgestuft. Diesmal war es die Agentur Fitch, die Madrid zu Wochenanfang die Bestnote „AAA“ aberkannte und die Bonität des krisengeschüttelten spanischen Staates um eine Stufe auf „AA+“ herabgestufte. Die Begründung für diesen Schritt, der umgehend von europäischen Politikern und Ökonomen kritisiert wurde, lässt allerdings aufhorchen: Aufgrund der drastischen Sparprogramme, mit denen Madrid die enorme Neuverschuldung senken wolle, drohe der spanischen Volkswirtschaft ein weiterer konjunktureller Abschwung.

Bereits Ende April senkte die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) die Bonitätsnote Spaniens in zwei Schritten auf die drittbeste Note „AA“. S&P wiederum begründete sein Vorgehen mit der rasant ansteigenden Neuverschuldung Spaniens. Die Regierung in Madrid müsse „weitere Sparmaßnahmen ergreifen,“ um die Verschuldungsdynamik in den Griff zu kriegen, zitierte Speigel-Online die Ratingagentur Ende April. Ähnliche Forderungen nach einem umfassenden Sparprogramm erhob auch Brüssel im Rahmen des 750 Milliarden Euro umfassenden „Rettungsschirmes“ für die Eurozone. Die spanische Regierung folgte diesen Weisungen und beschloss ein rabiates Sparprogramm, dass unter anderem Gehaltskürzungen im Öffentlichen Dienst vorsieht. Nun sieht sich Madrid also mit der von Fitch formulierten Kritik konfrontiert, durch seine Sparmaßnahmen die Wirtschaftserholung abzuwürgen.

Die widersprüchliche Haltung dieser beiden Ratingagenturen spiegelt eine fundamentale Aporie – einem unlösbaren Widerspruch – kapitalistischer Krisenpolitik, die im Endeffekt nur die Wahl zwischen zwei verschiedenen Verlaufsformen der Krise hat. Die Politik kann einerseits die Staatsverschuldung immer höher treiben, um durch Konjunkturprogramme den wirtschaftlichen Absturz zu verhindern. Dieser Politikansatz, der zumeist mit einer expansiven Geldpolitik einhergeht, führt letztendlich in Inflation oder Staatsbankrott. Andererseits kann die Politik durch drakonische Sparmaßnahmen versuchen, die staatlichen Schuldenberge abbauen. Diese Politikvariante führt zu einem enormen ökonomischen Einbruch, der wiederum breiteste Verelendungsprozesse in der betroffenen Gesellschaft nach sich zieht. Eine Überwindung der Krisendynamik ist mit diesem Politikinstrumentarium, das den Regierungen der kapitalistischen Staaten zur Verfügung steht, nicht möglich.

Dieser gegensätzliche Ansatz bürgerlicher Krisenpolitik trat auch am 27. Mai bei einem Treffen zwischen dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble und seinen amerikanischen Amtskollegen Timothy Geithner zutage. Während in Washington weiterhin auf schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme gesetzt wird, will Berlin vor allem knallhart sparen. Bei einem rhetorischen Schlagabtausch prallten die unterschiedlichen Auffassungen direkt aufeinander. Wolfgang Schäuble vertrat die Meinung, dass ausgerechnet die ausartenden Staatsdefizite „die Hauptursache der Euro-Krise“ bildeten. Folglich müsste laut dem deutschen Finanzminister die Staatsverschuldung in der Eurozone möglichst rasch abgebaut werden. Der amerikanische Finanzminister hingegen warnte Berlin davor, mit seinen Sparprogrammen dass Wirtschaftswachstum abzuwürgen und eine - angeblich anstehende - globale Konjunkturerholung zu gefährden. „Es geht jetzt um Wachstum und Beschäftigung und nicht nur darum, die Verschuldung abzubauen“, betonnte Geithner.

Die US-Regierung scheint tatsächlich ein weiteres Konjunkturprogramm auflegen zu wollen. So forderte Lawrence Summers, derzeit als Wirtschaftsberater von Barack Obama tätig, jüngst den US-Kongress auf, einem weiteren Konjunkturpaket zuzustimmen, dass diesmal einen Umfang von 200 Milliarden US-Dollar annehmen soll. „Die Anfrage des Weißen Hauses ist ein taktisches Eingeständnis, dass die Ökonomie bereits an Auftrieb verliert und später im Jahr stagnieren könnte“, da die stimulierenden Effekte des ersten Konjunkturpaketes von 800 Milliarden US-Dollar bereits „verblassen“, kommentierte der britische Telegraph. Den USA fällt die Implementierung dieser Verschuldungsstrategie umso leichter, da sie derzeit aufgrund der Krise der Eurozone als ein „sicherer Hafen“ des Weltfinanzsystems gelten, und einen enormen Zufluss an Finanzinvestitionen verzeichnen können. So hat sich der Absatz langfristiger US-Anleihen und Aktien an ausländische Investoren von 47,1 Milliarden US-Dollar im Februar 2010 auf 140,5 Milliarden US-Dollar im März 2010 rund verdreifacht. Den meisten Staaten der südlichen Peripherie der Eurozone, die ohnehin schon unter einer steigenden Zinslast leiden, steht aber dieser Option gar nicht mehr offen.

Dessen ungeachtet warnten auch etliche Europäischen Notenbankchefs und Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao davor, dass die Sparbeschlüsse die konjunkturelle Erholung im Keim ersticken könnten. „Die große Herausforderung ist es, einen Teufelskreis zu verhindern, in dem eine Krise im öffentlichen Sektor erneut zu krisenhaften Entwicklungen in den Finanz- und Immobiliensektoren der Volkswirtschaft führt“, erklärte der Gouverneur der Notenbank Österreichs, Ewald Nowotny. Sein italienischer Amtskollege Mario Draghi sprach sich für eine internationale Koordination der Haushaltskonsolidierung aus, um die Wirtschftserholung nicht abzuwürgen. Ähnlich argumentierte Wen Jiabao, der einen generellen Ausstieg aus Konjunkturprogrammen als „verfrüht“ ansah. Diesen Äußerungen liegt das implizite Eingeständnis vor, dass das kapitalistische Weltsystem oder fortdauernder Verschuldung (Konjunkturprogramme) nicht mehr reproduktionsfähig ist.

Welche verheerende Folgen die von Berlin favorisierten und nun europaweit aufgelegten Sparprogramme nach sich ziehen können, illustriert der wirtschaftliche Einbruch in Lettland. Die Baltenrepublik musste Ende 2008 vermittels eines Notkredits von 7,5 Milliarden Euro durch EU und IWF vor dem Staatsbankrott „gerettet“ werden. Im Gegenzug verpflichtete sich die Regierung des baltischen Staates, dass wohl schärfste Sparprogramm der bisherigen Krisengeschichte umzusetzen, dass mit massiven staatlichen Ausgabenkürzungen einherging und einen Wirtschaftseinbruch von unglaublichen 18 Prozent des BIP im vergangenen Jahr zur Folge hatte. Der Absturz ist keineswegs zu Ende: Auch in diesem Jahr wird die lettische Wirtschaft voraussichtlich um 3,5 Prozent schrumpfen. Die Arbeitslosenquote kletterte in Lettland im April auf 22,5 Prozent (März: 22,3 Prozent).

Zudem können solch rabiate Sparprogramme bei anhaltender Rezession eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale auslösen, bei der sinkende Steuereinnahmen die ursprünglichen Sparziele unterlaufen und somit den Schuldenabbau der betreffenden Volkswirtschaft unmöglich machen. Bei Lettland, dass sein Haushaltsdefizit unter sechs Prozent des BIP in 2011 drücken muss, ist es beispielsweise fraglich, ob die Rückzahlung des IWF-Kredits ab 2012 überhaupt möglich sein wird. „Ausgehend von heutigen Berechnungen - sollte es zu keiner starken Verbesserung der Wirtschaftssituation kommen - werden wir nicht imstande sein, mit der Tilgung des Kredits zu beginnen. Wir werden einfach kein Geld in der Kasse haben“, so zitierte die russische Nachrichtenagentur RIA-Novosti Miroslaw Mitrofanow, Mitglied der Kommission für Haushalt und Finanzen des lettischen Parlaments. Trotz eines gewaltigen Wirtschaftseinbruchs und massenhaften Elends scheint der Abbau des lettischen Schuldenberges aufgrund fallender Steuereinnahmen in weiter Ferne. Es ist im Prinzip diese Variante der „Krisenbewältigung“, auf die sich die Berliner Regierungspolitik offensichtlich verständigt hat.
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Krisenmensch 08.06.2010 - 10:43
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Zahlen abschaffen! — angemerkt

Jippieh — Heiner