Jena: Die Revolution frisst ihre Väter

AutorIn des Beitrags 07.06.2010 12:59
Mit dem Erreichen zentraler Etappenziele wird die Antifa bedeutungslos. Eine "Bilanz- und Strategiekonferenz" zivilgesellschaftlicher Bündnisse in Jena diagnostiziert das inhaltliche und taktische Ende der radikalen Antifa.
Wenn Anständige heutzutage sitzenbleiben, demonstriert mal wieder die NPD oder eine Kameradschaft auf der Straße: Mit betont friedlichen Blockaden gelang es in der Vergangenheit immer häufiger Neonazi-Aufmärsche zu verkürzen oder gänzlich zu verhindern. Viele radikale AntifaschistInnen rechnen sich -- ob zu Recht oder Unrecht spielt dabei keine Rolle -- die Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber rechten Aufmärschen als Erfolg an, der inhaltliche Abstriche rechtfertige. Das emanzipatorische Linke in vielen Bündnissen gegen Rechts tatsächlich nur noch Dienstleister sind beweist ein Blick auf das Programm der vom "Bündnis Dresden Nazifrei" und dem "Aktionsnetzwerk Jena" organisierten "Bilanz- und Strategiekonferenz" am vergangenen Wochenende in Jena: Reden öffentlichkeitswirksamer Phrasendrescher (Bodo Ramelow, Albrecht Schröter u.a.) umrahmen die Workshops zu der richtigen Taktik gegen falsche Versammlungen. Naheliegende Fragen nach Sinn- und Unsinn der Verhinderung von Naziaufmärschen, Umgang mit Konsequenzen, der Auseinandersetzung mit anderen Aktionsformen der Rechten oder gar der Versuch einer realistischen Analyse der politischen Bedrohung sowie einer gesamtgesellschaftlichen Kontextualisierung der "seit 20 Jahren erstarkende extreme Rechte" sucht man im Programm ebenso vergebens wie kritische Initiativen oder Gruppen, die aus einer nicht-bewegungslinken Sicht über Erfahrungen in der Bündnisarbeit berichten können. So verwundert es auch nicht, dass unter den über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Jena nur wenige linke Antifas aus Thüringen teilnahmen.

Seit es 2007 der antifaschistischen Gruppe JAPS Jena gelungen ist zahlreiche namenhafte Einzelpersonen und autonome Gruppen zum Unterschreiben eines öffentlichen Blockadeaufrufes gegen das "Fest der Völker" zu gewinnen, haben sich, inspiriert von den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, Blockaden gegen rechte Versammlungen in vielen Orten etabliert. Köln, Leipzig, Erfurt und schließlich die Massenmobilisierung am 13. Februar nach Dresden: In der Kooperation von Antifa-Gruppen, Bürgerbündnissen, Ordnungs- und Polizeibehörden gegen die rechten Nestbeschmutzer haben sich im Kampf gegen Rechts längst die Realos auch in der radikalen Linken durchgesetzt. Inhaltliche Demontage von Neonazismus und seinem kapitalistischen Rahmen ist der erfolgs- und anerkennungsorientierten Unterordnung unter bürgerliche Akteure und deren minimalen inhaltlichen Konsens gewichen.

Aus Lichterketten wurden Sitzkissen und aus Aufständigen Sitzenbleiber: Der allzeit kontrollierbare und kontrollierte Protest zur Verhinderung von Naziaufmärschen ist so harmlos, dass sich am 1. Mai 2010 in Berlin sogar der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) den Sitzblockaden anschloss. In Ostdeutschland mauserte sich dessen Parteigenosse Albrecht Schröter, der Oberbürgermeister Jenas, zum lächelnden Vorzeige-Antinazi. Dass das wiederholte Blockieren von Naziaufmärschen mittelfristig so erfolglos bleiben wird wie der staatlich inszenierte "Antifasommer" beweisen die Neonazis in Schröters Heimatstadt schon jetzt: Obwohl es seit drei Jahren keinen Versuch eines rechtsextremen Aufmarsches in Jena gab erfreuen sich die Rechten dank radikalisiertem Habitus und subversiven Aktionen höherer Aufmerksamkeit und dem stärksten Zulauf seit dem Ende der gewalttätigen 90er Jahre. Das Haus des OB's selbst wurde dabei bereits zweimal in wenigen Monaten zum Ziel von Farbanschlägen. Immer häufiger kommt es bei der Rückreise nach verhinderten Nazidemos zu spontanen Aufmärschen und Überfällen. Das Massenblockaden "erstmals eine erfolgversprechende Interventionsform gegen die seit 20 Jahren erstarkende extreme Rechte" bieten, wie es der Aufruf zur Bilanz- und Stragiekonferenz unter dem Titel "Dresden, Leipzig, Jena, Köln -- Wie weiter?" vollmundig vorgibt, ist zu bezweifeln. Wer denkt, gewachsenes demokratische Engagement gegen Naziaufmärsche bedeutet für Migranten, Homosexuelle, Linke und andere in Ostdeutschland nazifreie Straßen und eine schwindende Gefahr durch die Gewalt der flexiblen rechten Szene, täuscht sich. Das Gegenteil ist zu befürchten.

Die beschränkte Reduktion der Neonaziszene auf ihre Aufmärsche ist das taktische Abbild des inhaltlichen Defizits der zivilgesellschaftlichen Bündnisse und ihrer schwarz-gekleideten Anhängsel. Auch Phrasen wie "der Rechtsextremismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft" können darüber nicht hinwegtäuschen, drücken sie doch viel mehr die Affirmation zur bürgerlichen Gesellschaft aus, die zwar irgendwas mit dem Extremismus der Neonazis zu tun hat -- schließlich ist man ja auch ein Volk -- letztlich aber doch die gute, zu verteidigende demokratisch-kapitalistische Ordnung hochschätzt.
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Ergänzungen

Ein ganz und gar nicht neutraler Rückblick

sabotnik 07.06.2010 - 13:42

andere spektren

andere meinungen 07.06.2010 - 14:01
so sehen das die veranstalter;
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Erfolgreiche Strategiekonferenz gegen Nazis in Jena – Vertrauen in die Unterschiedlichkeit
Juni 1st, 2010 · Keine Kommentare

Am Sonntag ging in Jena die Bilanz- und Strategiekonferenz des bundesweiten Bündnisses “Dresden-Nazifrei” zu Ende. Ein ganzes Wochenende tagten 163 Menschen aus 22 Städten, Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster antifaschistischer Bündnisse, Parteien, Gewerkschaften, Jugendverbände und Netzwerke.

Nach den erfolgreichen Blockaden neo-nazistischer Aufmärsche in Dresden, Erfurt und Berlin wurde Bilanz gezogen und diskutiert welche strategischen Fragen sich für die Zukunft ergeben. Am Freitag diskutierten bei einer gut besuchten Podiumsveranstaltung Bodo Ramelow (MdL Thüringen, Die Linke), Johannes Lichdi (Mdl Sachsen, Bü90/ Die Grünen, Vertreter der Interventionistischen Linken und des Jenaer Aktionsnetzwerks.

Am Samstag eröffneten Beiträge des Jenaer Oberbürgermeisters Albrecht Schröter und des Soziologe Prof. Klaus Dörre die Konferenz bevor die Teilnehmer in 20 thematischen Arbeitsgruppen das zukünftige Vorgehen besprachen.

Pfarrer Hans-Christoph Stoodt von der Anti-Nazi-Koordination Frankfurt, der es mehrfach gelungen war mittels Massenblockaden faschistische Aufmärsche zu verhindern, wies darauf hin, dass sich der Überraschungseffekt einer Blockade auf der Demoroute der Nazis nach einigen Jahre verbrauche und es wichtig sei, auch die Anreisewege der Nazis mit in den Blick zu nehmen.

Christoph Kleine von der Gruppe Avanti-undogmatische Linke aus Lübeck und Peter Zimmermann, Oberkirchenrat (i.R.) aus Erfurt diskutierten die unterschiedlichen Sichtweisen auf zivilen Ungehorsam und antifaschistischen Widerstand. Ihr Fazit “bei aller Unterschiedlichkeit verbindet uns das Vertrauen in unseren gemeinsamen Aktionskonsens”.

“Ich bin superglücklich, in welch angenehmer und konstruktiver Weise so viele Menschen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen miteinander über ihre Erfahrungen mit Massenblockaden gegen Naziaufmärsche debattierten und Konzepte weiterentwickelten, die unsere Arbeit bereichern werden” fasste Mariana Thiele vom Jenaer Aktionsnetzwerk zusammen.

Nächste Schritte, werden die Erarbeitung einer Handreichung und eine Vorbereitungskonferenz Anfang Oktober in Dresden sein. “Unserem Ziel Neo-Nazis nicht die öffentlichen Räume zu überlassen, nicht in Dresden, nicht in Jena, nicht in Gera, nirgendwo, sind wir ein ganzen Stück näher gekommen” resümiert Christoph Ellinghaus vom Jenaer Aktionsnetzwerk müde aber sehr zufrieden die Ergebnisse der Konferenz.

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