Karawane-Festival in Jena 4. bis 6. Juni 2010

Karen Eliot 05.06.2010 23:37 Themen: Antirassismus Globalisierung Kultur
"Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört" ist eine Parole aus den vergangenen Jahrzehnten migrantischer Selbstorganisation, die zugleich auch als inhaltliche Klammer für das Karawane-Festival dient. Das Festival findet unter dem Titel "Vereint gegen koloniales Unrecht" dieses Wochenende in Jena statt. Mit einem vielfältigen Programm, bei dem sich künstlerische und aktivistische Interventionen, inhaltliche Debatten und kulturelles Rahmenprogramm (Kino, Konzerte und Ausstellungen) verschränken, wird dabei versucht, das Thema in der Stadt sichtbar zu machen.
Beeindruckend bei vielen Veranstaltungen ist die mehrsprachige Übersetzung von Redebeiträgen (mit Schwerpunkt deutsch, französisch, englisch), welche sich als grundlegend für ein solidarisches Miteinander von verschiedensprachigen Aktivist_innen erweist. Im Gegensatz zu anderen Situationen – auch in linken Kontexten – konnte am Festival so (aber auch durch das experimentieren mit Sprechformen) einer Dominanz weißer Politikformen entgegengewirkt werden. Schade ist dabei aber gleichzeitig, dass dominante Formen der Repräsentation unter dem Gesichtspunkt der Geschlechterverhältnisse zu wenig aufgebrochen wurden bzw. dadurch viele Aspekte von Flucht & Migration sowie rassistischer Diskriminierung und Gegenstrategien zu wenig sichtbar blieben. Let's queer Antirassismus!

Das Festivalprogramm ist in fünf Themenblöcke gegliedert: »Die Toten der Festung Europas ehren«, »Wir sind hier, weil Ihr unsere Länder zerstört«, »Stoppt rassistische Polizeigewalt«, »Abschiebungen stoppen« und »Vereint gegen soziale Ausgrenzung«.

Kurz zu einzelnen Programmpunkten bisher: Zum Auftakt wurde Freitag Vormittag in der Innenstadt von Jena eine Installation des Künstlers Hermann Josef Hack aufgebaut. Die Installation besteht aus 1000 Miniaturzelten, die symbolisch ein Flüchtlingslager darstellen und durch auf den Zelten angebrachte Parolen einen Zusammenhang zwischen Migration und Klimawandel herstellen sollen. Gerahmt wurde die Ausstellung durch die Präsenz antirassistischer Aktivist_innen. Wie sich vor Ort zeigte, eine Intervention im öffentlichen Raum, die sich gut dazu eignet, den Zusammenhang zwischen Flucht und Migrationen aus dem globalen Süden auf Grund sich ändernder klimatischer Bedingungen und den Verursacher_innen des selbigen in den industrialisierten Ländern aufzuzeigen. Diese Argumentation hat das Potential, ein vereinfachtes Verständnis rund um das Thema Migration (auf rassistische Bilder einerseits und einen daran anschließenden Sicherheitsdiskurs andererseits) zu durchbrechen.

Freitag Nachmittag kam es anschließend zu einem ersten Höhepunkt am Festival. Die Demo „In Gedenken an die Toten der Festung Europa“, an der sich etwa 400 Menschen beteiligten, wurde in Form eines Gedenkzuges abgehalten: Die Spitze des Demonstrationszuges bildete ein symbolischer Sarg, weiters wurden Papierbänder mit den Namen unzähliger Personen, die an den EU-Außengrenzen ermordet wurden, getragen. Die Demo, untermalt von einem Klangteppich, formierte sich zu einem Trauermarsch, um den Ermordeten ihre Würde wiederzugeben. Bei einer Zwischenstation am Theaterplatz wurde ein Mahnmal im Gedenken an die 12.000 Toten der Festung Europa eröffnet. Das Denkmal, dass aus mit Beton übergossenen Koffern besteht, soll dazu anregen, ähnliche Denkmalinitiativen in ganz Europa zu starten, um die Toten an den EU-Außengrenzen symbolisch sichtbar zu machen.

Am Abend fanden schließlich zwei Diskussionsveranstaltungen statt. Die erste, von "The VOICE Refugee Forum" getragene Veranstaltung hatte das Ziel, über lokale Kämpfe in Flüchtlingslagern in Thüringen zu informieren. Bei der Veranstaltung waren Aktivist_innen unter anderem aus der Türkei, Palästina, Syrien und dem Irak anwesend, die von ihrem Aufenthaltsstatus in Deutschland und ihren von "The VOICE" unterstützten Kämpfen in den einzelnen Lagern berichteten. Bei der Veranstaltung wurde sichtbar, wie wichtig die hartnäckige Unterstützungsarbeit von "Außen" gerade auch für die Bewohner_innen von teilweise sehr isoliert gelegenen Lagern ist. Am Beispiel des Lagers "Katzhütte", gegen das eine von "The VOICE" zusammen mit Bewohner_innen des Lagers geführte Kampagne gestartet wurde, wurde aber auch die Ambivalenz von erfolgreicher Kampagnenarbeit in dem Bereich deutlich. Wie diese Woche bekannt wurde, wird "Katzhütte", die in der Kampagne gefordert wurde, nun endlich geschlossen. Für zahlreiche Flüchtlinge bedeutet dies eine Verbesserung ihrer Lebensumstände, während einige sich nun mit noch beschisseneren Lebensumständen konfrontiert sehen.

In einer Podiumsdiskussion am selben Abend unter dem Titel "Die anhaltende koloniale Ungerechtigkeit – Klimaungerechtigkeit, Flucht & Migration" berichtete Alassane Dicko (Assoziation der Abgeschobenen Malis) von den Auswirkungen des Klimawandels in Mali und den damit verbundenen Migrationspolitiken. Er berichtete davon, wie die EU versucht, Druck auf die dortige Regierung aufzubauen, um die Migration im Interesse der EU zu managen. Angekündigt wurde unter anderem der Plan, nächstes Jahr eine Karawane zu organisieren, die ausgehend von Dakar (Senegal, Ort des nächsten World Social Forum) nach Bamako (Mali) reisen wird. Dabei arbeiten lokale Aktivist_innen und Unterstützer_innen aus dem globalen Norden zusammen, es sollen Fluchtgründe aufgezeigt und Bewegungsfreiheit praktiziert werden.

Samstag mittag startete eine weitere Demo in Form einer Maskenparade durch die Innenstadt. Die Form der Maske ist an Formen des Totengedenkens in Teilen Afrikas angelehnt. 2 afrikanische Holzmasken, die eigens für das Festival hergestellt wurden, bildeten den Höhepunkt der Feierlichkeit, auch viele Demoteilnehmer_innen trugen Stoffmasken. Durch die kämpferische Stimmung zog die Parade viel Aufmerksamkeit und Interesse auf sich. Das Konzept der Anerkennung und des Respekts für die Toten der Festung Europa schätzen auch viele Demonstrationsteilnehmer_innen als geglückt ein.

In Summe könnte der Versuch, das Grenzcamp als Ort vielfältiger Aktionsformen zu begreifen als gelungen angesehen werden. Des Festival war bisher von einer kämpferischen und zugleich zugänglichen Atmosphäre geprägt, die nicht nur für die zusammengekommenen Aktivist_innen – und das generationenübergreifend - durchwegs fein war, sondern auch im Kontext einer Kleinstadt wie Jena gut funktioniert hat. Das Karawanefestival in Jena war ein weiterer Schritt in Richtung der Verankerung der Parole „Wir sind hier und wir bleiben“ als Grundlage emanzipatorischer Politik. Wir treffen uns nicht nur nächstes Jahr in Jena, sondern auch bei Grenzcamps im Sommer 2010, dem ESF in Istanbul und der Karawane in Westafrika im Sommer 2011.

Links zum Festival:
 http://karawane-festival.org
 http://thevoiceforum.org
 http://thecaravan.org

Weiterer Artikel zum Thema:
 http://no-racism.net/article/3396
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Ergänzungen

Versorgung mit Internet durch Freifunk

Klaus Kruse 06.06.2010 - 12:27
Die Jenaer Freifunk-Initiative hatte sich im Vorfeld dazu bereit erklärt, die Teilnehmenden des Karawane-Festivals kostenlos mit Internet zu versorgen. Dazu wurden am Johannistor und auf dem Theatervorplatz an verschiedenen Stellen Router aufgestellt, die durch die automatische Selbstvernetzung flächendeckend einen Zugang ins WWW angeboten haben.

Im Gegenzug war Freifunk Jena mit einem Infostand am Johannistor vertreten. Dieser wurde einigermaßen rege besucht, vor allem von Teilnehmenden, die sich mit dem Netzwerk verbinden wollten. Die Resonanz war insgesamt positiv, und als nächstes steht die Versorgung des interkulturellen Flutlicht-Festivals ( http://flutlicht-festival.de/) an.

Fotos vom Karawane Festival

no-racism.net 06.06.2010 - 14:01
Hier erste Fotos von der Maskeraden-Parade beim Karawanen Festival 2010, weitere Fotos (in den nächsten Tagen kommen noch welche dazu) findet ihr hier:  http://no-racism.net/image/3396

weitere Fotos

eNeeba7 07.06.2010 - 19:07

Karawane People Are Fighters

mensch 08.06.2010 - 14:20
Gestern endete mit einer großen Tanzparade das Jena-er „Karawane Festival für die Toten der Festung Europa“, an welchem wir als Aufruf-unterstützende Gruppe teilnahmen. Seit Freitag wurde die Innenstadt der Thüringer Studentenstadt durch politische Aktivisten, entrechtete Einwanderer und sich solidarisch zeigender, interessierte Mitbürger bevölkert. Mit einer Gedenkdemonstration am Freitag Mittag startete das Festival in seine „heiße Phase“ – bei den Temperaturen von 30 Grad im Schatten symbolisch als auch wörtlich gemeint. An dieser Gedenkdemonstration, die vom Pulverturm zum Theaterhaus über den Holzmarkt führte und bei der am Theater ein Monument zur Erinnerung an die Opfer der Festung Europa errrichtet wurde, nahmen bereits an die 500 Menschen teil, die nahezu schweigend bei sphärischen Klängen an all die Tausenden Menschen gedachten, die dank rassistischer Sondergesetze, EU-Repression und faschistischer Gewalt den Tod fanden. Weltmusikkünstler aus verschiedensten afrikanischen Staaten, Klezmer-Musiker, politische Hiphopper und Reggae-Musiker die sich in deutschen Flüchtlingsheimen zusammenfanden, spielten auf den diversen Bühnen und umrahmten politische Diskussionsrunden, Theaterstücke und Infostände. An DIY-Tischen wurde dazu animiert, sich gegen Spende Fair Traide-T-Shirts, -Stofftaschen oder andere Textilien zu bedrucken, sich seine eigenen Andenken sprayen oder Buttons pressen zu lassen. Jeder Cent, jeder Schein eine Spende für die Karawane. Ein Festival wie dieses wird ein Schweinegeld gekostet haben, also hoffen wir, daß möglichst viele Besucher sich solidarisch zeigten und ihr Geld lieber in tolle Projekte wie die Karawane als an die gleichzeitig stattfindende Kirmes investiert haben. Am Samstag fand mit der Maskenparade, deren wichtigster Teil 2 afrikanische originale Totenmasken – eine uralte Tradition zur Ehrung der Verstorbenen – die Demonstration anführte. Bei bestem Wetter und begleitet von zahlreichen Transparenten und Parolen, die die Abschaffung der Residenzpflicht, das dauerhafte Bleiberecht für alle Menschen, die Schließung sämtlicher Lager forderten oder einfach rassistisches Verhalten des Staates anprangerten, nahmen hier an die 1500 bis 2000 Menschen teil. Im Permanentkino an der Uni sowie am Theaterplatz wurden fortwährend politische Doku-Filme gezeigt, verschiedenste Gruppen präsentierten Theaterstücke, so z.B. ein non-verbales Stück der Gruppe „Break the Silence – Oury Jalloh“ oder zur EU-Grenzproblematik. Seinen Höhepunkt erreichte das Festival am Samstag Abend als zuerst Holger Burner (Polit-Rap) sowie Irie Revoltes (Reggae-Ska-Dancehall aus Heidelberg), welche am Pulverturm vor sicherlich 2000 Zuschauern auftraten. Doch mit dem Besuch von Konzerten und dem dortigen Parolengerufe ist es noch lange nicht getan. Erst wenn wir das, was wir rufen, auch im Alltag leben, wenn wir uns für bedingungslose Solidarität einsetzen, können wir die Ketten, die uns fesseln, durchbrechen.

Erverywhere you go, you can hear them sing:
Karawane people they are fighters!

Person vermisst

Aktivist 08.06.2010 - 14:24
Am Kinderfest am Sonntag wurde am Theaterhaus durchgegeben, daß seit den frühen Morgenstunden eine Frau namens "Peggy" vermisst worden würde. Diese war bis ca. 4 Uhr - so die Durchsage - am Pulverturm am feiern. Danach fehlte bis zum Sonntag Nachmittag jegliche Spur von ihr. Ich hoffe daß sich dieses Verschwinden wieder geklärt hat. Weiß jemand was dazu?

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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