Genmaisprozess: Kein Hausfriedensbruch mehr

Eichhörnchen 18.05.2010 14:17 Themen: Repression Weltweit Ökologie
Mit einem guten Dutzend UnterstützerInnen, liebevoll gestalteten Transparenten und Kreidesprüche startete vor dem Landgericht Würzburg am 12. Mai 2010 gegen 9Uhr der zweite Tag im Berufungsprozess gegen eine Feldbefreierin der Initiative Gendreck-weg. Die Anklage lautet auf Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Im Sommer 2008 hatten rund 60 Menschen eine Maispflanzen-Tauschauktion durchgeführt. Sie hatten einen Acker bei Kitzingen vom Genmais MON 810 befreit und an der selben Stelle Bantam Mais angepflanzt. Der aktueller Prozess in Würzburg ist die erste Berufungsverhandlung im Zusammenhang mit dieser Aktion. Am zweiten Prozesstag konnte der Anklagepunkt Hausfriedensbruch widerlegt werden. Es wurden zudem drei Zeugen vernommen. Dabei kamen etliche interessante Aussagen, was die Sicherheit von Gentechnik und die Polizeiarbeit betrifft zu Tage. Die Angeklagte Cécile Lecomte reichte dann 20 Beweisanträge ein, die die Aktionsform der Feldbefreiung gegen Gentechnik auf dem Acker rechtfertigen sollen. Am 26. Mai wird das Gericht darüber entscheiden, die Verhandlung wird um 11Uhr fortgesetzt.
Die Verhandlung begann mit der Vernehmung von Herrn Müller, dem geschädigten Bauer. Der Landwirt musste zahlreiche vorbereitete Fragen der Angeklagten beantworten und verwies immer wieder darauf hin, dass der Genmais für ihn „wirtschaftlich interessant“ gewesen sei. Auf Nachfragen wurde immer deutlicher, dass er sich mit den Gefahren der Gentechnik nicht befasst hatte bzw. sich nicht dafür interessierte.
Er gab an, dass er schon lange Genmais anbaue. Früher sei es ja nicht Genehmigungspflichtig gewesen. Nach seinen Angaben füttert er seine Bullen mit dem Genmais. Das Fleisch, was er dann verkauft ist in keiner Weise gekennzeichnet, der Verbraucher erfährt somit nicht, dass die Tiere mit Gentechnik gefüttert worden sind und hat somit praktisch keine Wahl. Seit dem Verbot vom MON 810 durch Ministerin Aigner baue er konventionellen Mais an, so Landwirt Müller auf Nachfrage. Auf die Frage, ob er wisse warum der MON 810 verboten wurde, antwortete er mit „ist mir zu blöd.“ Dass der Bt-Mais (MON 810) für „nützliche“ Schmetterlinge sowie weitere Tiere und Bodenorganismen schädlich ist, wusste er nicht, so seine Aussage. Er habe sich nicht damit befasst, ihm seien lediglich die finanziellen Aspekte wichtig.
Als äußerst bedenklich erwies sich zudem sein Umgang mit seiner Ernte. Er gab an, seinen Mais in einem nicht abgeschlossenen und nicht abgedeckten Hänger zu transportieren. „Ich habe kein Problem damit, dass was raus fällt“, äußert er von sich selbst. Auf Nachfrage sagte er, der Abstand von seinem Genmaisfeld zu dem nächsten Feld mit konventionellem Mais betrage 20 Meter. Dass das Nachbarfeld mit Genmais mit großer Wahrscheinlichkeit verseucht werde, sei ihm egal, fügte er hinzu. Weil der Nachbar damit einverstanden sei. Ob der Nachbar sein möglicherweise verseuchtes Feld als Genfeld beim Standortregister eingetragen hat? Natürlich nicht...
Als nächster wurde der Schadensgutachter Schiffmeyer vernommen. Der vom Landwirt eigens bestellter Gutachter legte dem Gericht seine Erkenntnisse dar. Interessanterweise war dabei zu bemerken, dass er den geschädigten Landwirt gut kannte. Den Rest der Verhandlung verbrachten sie nebeneinander auf der Zuschauerbank. Der Gutachter bestätigte die sich in der Akte befindliche und von ihm ermittelte Zahl von 1500 Euro. In diesem Zusammenhang hatte Landwirt Müller zuvor angekündigt, er stehe mit einem Anwalt in Verbindung, um eine Schadensersatzklage einzuleiten.

Dritter und letzter Zeuge an diesem Tag war Polizeiobermeister Heid. Er erklärte erst spät dazu gekommen zu sein. Die FeldbefreierInnen seien schon auf dem Feld gewesen. Die Angeklagte habe er erst im Bereich wo die Gefangenen hin gebracht wurden am Rande des Feldes gesehen. Die Angeklagte habe versucht die Stimmung anzuheizen, indem sie Widerstandslieder auf Französisch und auf Deutsch sang. Aus diesem Grund habe man sich dazu entschieden, die Aktivistin als erste abzuführen und der Gefangenensammelstelle zu übergeben. Vorwurfsvoll gab der Polizist an, die Aktivistin habe sich geweigert, freiwillig mit zu gehen und passivem Widerstand geleistet. Er habe darauf hin einen Armhebelgriff angewendet und die Aktivistin sei wegen der Schmerzen ja aufgestanden und freiwillig mitgelaufen. Auf die Frage der Angeklagten hin, ob ein solches Zufügen von Schmerzen notwendig und verhältnismäßig sei, ob es nicht angemessener gewesen wäre, die Person weg zu tragen wie Sanitäter es tun, antwortete er, solche Techniken würden nicht zur Polizeiausbildung gehören. Polizisten lernen also wie man Schmerzen zufügt, aber nicht wie man friedliche DemonstrantInnen weg trägt. Ach ja, der Freund und Helfer...
Als der vorsitzende Richter Dr Heß die Angeklagte über die Relevanz ihrer Fragen für das Verfahren fragte, schlug diese die Brücke zum Rechtfertigenden Notstand. Beim ersten Verhandlungstag am 26. April hatte der Vorsitzende durchblicken lassen, er werde Lecomtes persönliche Annahme einer Gefährdung durch MON810-Mais als gegeben ansehen. Für eine Bewertung nach § 34 StGB (Notstand) komme es somit auf die Angemessenheit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der gefahrenabwehrende Handlung an. Die Angeklagte merkte dabei an, dass das Gericht von ihr verlange, die Verhältnismäßigkeit ihrer Handlung zu beweisen. Das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Verhältnismäßigkeit müsse also auch für den Polizeieinsatz gelten... In der Tat hält sich der Staat an eigenen Regeln aber nicht. Und wenn Polizisten jemand umbringen, da finden immer willige Richter einen Grund, ihm freizusprechen. Zum Beispiel mit tollem Gutachten darüber, wie der Zeigefinger sich alleine verkrümmen kann... Bei Handlungen des Staates werden Rechtsfertigungsgründe (Notwehr, Notstand) schon gerne angenommen. Soviel zum Thema Gleichheit...

Was Polizei und Justizwachmeister unter Verhältnismäßigkeit verstehen, konnten die Teilnehmer in einer live Inszenierung wieder finden. Nach einer kurzen Verhandlungspause lief eine Unterstützerin über die Stuhlreihe um an ihren Platz zu gelangen. JustizbeamtInnen forderten sie daraufhin, ihre Personalien abzugeben, was die Betroffene verweigerte – weil es keine Rechtsgrundlage dafür gab. Es war ja nichts beschädigt worden. Die Beamten fassten die Frau daraufhin an, um sie aus dem Saal führen. Angeklagte und Publikum protestierten laut und fragten nach der Rechtsgrundlage. Die Beamten konnten da – wie oft - keinen Paragraf nennen! Die Angeklagte wies den vorsitzenden Richter darauf hin, dass sie in dem Vorgehen eine Einschränkung der Öffentlichkeit des Verfahrens sehe. Richter Heß erklärte dann – ob er da im Kopfe hatte, bloß keine Revisionsgründe zu liefern? - die Personalien ließen sich auch noch nach der Verhandlung feststellen.

Nach Prozessende um ca. 12:20 kam es zu der angekündigten Personalienkontrolle. Dieses mal sorgte aber die Landespolizei für Überraschung! Die Zuhörerin wurde nicht von den Justizbeamten, sondern von den Polizeibeamten Müller und Langner und einem weiteren Zivilbeamten der PI Würzburg Ost erwartet und durch Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Abgabe ihrer Personalien genötigt. Es war nicht mehr die Rede von „über die Stühle laufen“, sondern plötzlich von Kreidemalen vor dem Landgericht vor Beginn des Prozesses ca. vier Stunden früher. Die OrdnungshütterInnen lassen sich Vieles einfallen, um Eskalation zu provozieren und willkürliche Maßnahmen zu begründen... Was für einen künstlerischen Beruf...
„Diese Maßnahme ist meiner Meinung nach unverhältnismäßig. Es war offen erkennbar, dass die mit Kreide gemalten Meinungsäußerungen keine dauerhafte Verunreinigung oder gar Schädigung eines öffentlichen Raumes darstellten. Spätestens der nächste Regenschauer hätte die Kreide weg gewaschen. Eine solche Überreaktion gegenüber der Meinungsfreiheit, durch eine erzwungene Personalienfeststellung, halte ich für bedenklich, zudem sie auch als Einschüchterungsversuch der Zuhörer eines öffentlichen Gerichtsprozesses verstanden werden konnte,“ kommentierte ein Augenzeuge.

Einen Teilerfolg konnte die Angeklagte immerhin im Laufe des Tages bei einem Punkt der Anklage verbuchen. Den Vorwurf des Hausfriedensbruches ließ das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach § 154a StPO fallen, Richter Heß hatte zuvor durchblicken lassen, dass dieser Anklagepunkt bei der gegebenen Sachlage keine Aussicht auf eine Verurteilung böte.
Für den nächsten Verhandlungstermin am 26 Mai (11Uhr) sind zwei weitere Polizeizeugen geladen. Richter Heß versuchte immer wieder in einer sehr eindringlichen Art und Weise die Angeklagte zu einer Aussage zu bringen. Er wollte offensichtlich mit der Beweisaufnahme schneller vorankommen. Die Angeklagte ließ sich jedoch nicht an. Sie erklärte, keine Fragen des Vorsitzendens beantworten zu wollen, weil sie die Inhalte ihres Vortrags selbst bestimmen wolle. Sie wolle sich nicht steuern lassen und ihren Prozess selbstbestimmt führen. Hinzu käme, dass die Sprache für sie als nicht Muttersprachlerin eine Hürde sei, sie befürchte, bei mündlichen spontanen Antworten, nicht korrekt verstanden zu werden, weil sie in einer laufenden Verhandlung keine Zeit habe, über die Formulierung ihrer Aussage nachzudenken. Weiter interessiere sie die Tat in sich nur sekundär. Ihr gehe es viel mehr um die politische und juristische Auseinandersetzung um den rechtfertigenden Notstand. Also werde sie sich nicht bemühen, fragen des Vorsitzenden zur Tat zu beantworten.

Ihre Energie steckte Cécile lieber in das Vortragen ihrer Beweisanträge. Am 12. Mai stellte sie die ersten 20 Beweisanträge. Darüber wird das Gericht bis zum nächsten Verhandlungstag bescheiden.
In ihren zum Teil sehr langen Beweisanträgen machte sie deutlich, dass sie sich mit dem Thema Gentechnik in der Landwirtschaft ausgiebig beschäftigt hatte. Sie legte dar, dass sie seit Jahren den gesellschaftlichen Diskurs darum verfolge, und ihr aufging, dass legale Mittel bisher keinen Erfolg zeigten, um gegen Gentechnik vorzugehen. Sie brachte Nachweise ein, dass Behörden schlampig oder rechtswidrig arbeiteten und die entscheidenden Stellen bewusst mit Gentechnik-BefürworterInnen besetzt würden. Sie prangerte weiter die Verhältnismäßigkeit des damaligen Polizeieinsatzes an.
Am Rande ging es auch um die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten. Wie schon beim ersten Termin gab sie ihren Beruf mit „Bewegungsarbeiterin“ an, was Richter Heß zu der Bemerkung verleitete, das sei wohl „das Gegenteil eines Beamten“. Cécile erklärte daraufhin, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit an der internationalen Vernetzung von diversen sozialen Bewegungen arbeite, diverse Vorträge über politische Themen halte und journalistisch tätig sei.

Das Verfahren wird am 26.5.2010, 11 Uhr, vor dem Landgericht Würzburg fortgeführt. Unterstützung ist willkommen.

Erster Verhandlungstag:  http://de.indymedia.org/2010/04/279141.shtml
Initiative Gendreck-weg:  http://www.gendreck-weg.de/
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Ergänzungen

Und in Rostock rollt die Prozesslawine weiter

egal 18.05.2010 - 15:24
Und weiter gehts mit den Prozessen gegen Gentechnik-KritikerInnen am

1.6.2010 am Amtsgericht Rostock. Dort wird ab 13:30 Uhr in Saal 323 wegen Hausfriedensbruch verhandelt. Die drei Angeklagten sollen an einer Genfeldbesezung nahe Rostock am Aggrobiotechnikum in Groß Lüsewitz beteiligt gewesen sein.

bis dann!

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