Nicht mehr im Knast – dennoch unfrei!

Thomas Meyer-Falk 11.05.2010 14:23 Themen: Blogwire Repression Soziale Kämpfe
Wer seine Freiheitsstrafe vollständig verbüßt hat, der ist in Deutschland ein freier Mensch. So glauben zumindest viele Menschen. In der Praxis wird das Gefängnis, welches durch Mauern umwehrt ist, ersetzt durch die sogenannte Führungsaufsicht (§§ 68 ff Strafgesetzbuch).
Besonders hart trifft es Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit, denn in diesen Fällen ist die Ausländerbehörde, bzw. das Amt für öffentliche Ordnung berechtigt weitere Auflagen zu erteilen.
Im Folgenden berichte ich von einem konkreten Einzelfall, der aber letztlich exemplarisch ist für den Umgang des (deutschen) Staates mit Ex-Gefangenen.
Zur Vorgeschichte

Mohamed Abu D. wurde am 23.04.2002 vom Bundeskriminalamt unter dem Vorwurf verhaftet, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein und Anschläge in Deutschland geplant zu haben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte ihn am 26.10.2005 zu acht Jahren Freiheitsstrafe. Bis dahin saß er überwiegend in strenger Isolationshaft: erst in Stuttgart-Stammheim, später in Köln. Nur sukzessive wurden die Sicherungsmaßnahmen gelockert. Weiter verschärft wurde die Haftsituation durch den Umstand, dass sich sein Name auf einer „Sanktionen-Liste“ von UN und EU findet; jedermann der Personen, welche auf dieser Liste geführt werden, finanzielle (oder gleichwertige) Zuwendungen leistet, macht sich strafbar (Strafrahmen bis zu 15 Jahren). Selbst die Zusendung von Briefmarken musste erst durch Deutsche Bundesbank oder den UN-Sanktionsausschuss in den USA bewilligt werden.
Eine vorzeitige Freilassung aus der Haft auf Bewährung lehnte das OLG Düsseldorf strikt ab, sodass Anfang Mai 2010 Herr Abu D. nach Vollverbüßung entlassen wurde.

Führungsaufsicht und Auflagen – Teil 1

Am 23.04.2010 wurde Herr Abu D. von Richtern des OLG Düsseldorf (den Richtern Breidling, Bachler und Feilcke) mündlich angehört, um die Frage der Führungsaufsicht zu erörtern. Er wolle, so gab er an, ein „normales“ Leben führen und gerne in einen anderen (muslimischen) Staat übersiedeln, jedoch habe sich bislang kein Land gefunden, welches ihn aufnehmen wolle.
Die JVA bescheinigte ihm, „in keiner Weise negativ aufgefallen“ zu sein während der Haftzeit.

Das OLG unterstellt nun in seinem acht Seiten umfassenden Beschluss vom 27.04.2010 (Az.: III-6 StS 1/10 FA), dass die Gefahr bestünde, Herr Abu D. könne weiterhin „für staatsschutzrelevante Bereiche und Personen ansprechbar“ sein. Dies folge aus dem Fehlen einer „klaren Distanzierung von den Taten, die zu seiner Verurteilung“ geführt hätten.

Über eine Seite lang ist die Liste der Auflagen, die ihm das OLG im Rahmen der Führungsaufsicht erteilt. Für die Dauer von fünf (!) Jahren müsse er sich „einmal täglich zwischen 8 Uhr und 13 Uhr“ bei der „zuständigen Polizeidienststelle persönlich“ melden. Er dürfe für die Dauer der Führungsaufsicht den ihm zugewiesenen Stadtteil Köln-Nippes ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle nicht verlassen; er dürfe keinerlei „öffentliche religiösen Aktivitäten“ betreiben; er dürfe zu bestimmten Personen keinen Kontakt aufnehmen, und weiteres mehr.

Auflagen durch Amt für öffentliche Ordnung – Teil 2

Als wäre dies alles nicht genug, ließ Frau Pauly vom Kölner Amt für öffentliche Ordnung, Abt. Ausländeramt am 07.04.2010 den Anwalt von Herrn Abu D. wissen, dass sie umfangreiche Auflagen erlassen werde, da sie Herrn Abu D. für einen gefährlichen Islamisten halte.
Weder dürfe er o.g. Stadtteil ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde verlassen (was letztlich dazu führt, dass er sich um zwei Genehmigungen bemühen müsste, sollte er einmal den Stadtteil verlassen wollen: Führungsaufsichtsstelle und Ausländerbehörde), noch dürfe er öffentliche Fernsprecher (Telefonzellen) aller Art nutzen. Noch dürfe er e-mail versenden/ empfangen oder überhaupt das Internet nutzen.
Besitz oder Nutzung von Mobiltelefonen wird ihm verboten; lediglich ein Handy dürfe er benützen, aber nur dann, wenn er zuvor „Telefon-, Karten- und Gerätenummer“ bei Frau Pauly angegeben habe.

Er müsse zwingend in einem bestimmten Gebäude, einem Hotel mit dem schönen Namen „Stadt Viersen“, Wohnsitz nehmen und sei verpflichtet dort auch „ausnahmslos zu übernachten“. Den Stadtteil, in welchem das Hotel liegt, darf er – wie oben erwähnt – nicht verlassen; zur Orientierung legte Frau Pauly „als Anlage (einen) Ortsplan“ bei, der den künftigen Bewegungsradius verdeutlicht. Eines gewissen Zynismus entbehrt es freilich nicht, dass besagte „Anlage“ die fett gedruckte Überschrift „Sehenswertes im Stadtbezirk Nippes“ trägt.

Von ihm gehe eine „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus“, deshalb dürfe sie – Frau Pauly – ihm hiermit auch verbieten die Abu-Bakr-Moschee und die At-Tauhid Moschee zu besuchen.

Zusammenfassung und Ausblick

Da nur ca. 30% der Inhaftierten vor Vollverbüßung aus der Haft entlassen werden, stellt sich für tausende (Ex-)Gefangene das Problem, auch nach der Haftverbüßung staatlicher Überwachung und Repression ausgesetzt zu sein; zumal Verstöße gegen Auflagen der Führungsaufsicht mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren (§ 145a StGB) geahndet werden können.
Sicherlich mag es eine Entlastung sein, nun nicht mehr im Gefängnis zu sitzen, den täglichen kleineren und größeren Demütigungen in massiver Form ausgesetzt zu sein; aber letztlich wechselte Herr Abu D. von einem Gefängnis in ein etwas größeres.
Was es mit Menschen macht, die einem derart rigiden Korsett an Auflagen ausgesetzt werden, mag sich jeder selbst ausmalen.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
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Ergänzungen

Rechtliches

Ex-Gefangene 12.05.2010 - 01:53
Nicht immer sind Gefangene, die ihre Freiheitsstrafen komplett abgesessen haben, von Führungsaufsicht betroffen. Ist die Freiheitsstrafe nämlich geringer als 2 Jahre, bleibt den Gefangenen Führungsaufsicht normalerweise erspart – auch wenn sie diese Strafe voll verbüßt haben. Anders sieht es jedoch aus, wenn jemand für eine Straftat verurteilt wurde, für die das Gesetz Führungsaufsicht besonders vorsieht.

ALLE Gefangenen, die wegen vorsätzlicher Straftaten – egal welcher Art – zu mindestens 2 Jahren Knast verurteilt worden sind, stehen nach der Entlassung automatisch unter Führungsaufsicht, wenn sie die Strafe vollständig verbüßt haben, also NICHT vorzeitig auf Bewährung entlassen worden sind (vgl. § 68f Abs. 1 StGB). Das Gericht kann hier aber anordnen, dass die Führungsaufsicht entfällt (vgl. § 68f Abs. 2 StGB).
Die Führungsaufsicht dauert in der Regel 2 bis 5 Jahre (vgl. § 68c Abs. 1 StGB).

Für bestimmte Straftaten (wie beispielsweise Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“; vgl. § 129a StGB) sieht das Strafgesetzbuch Führungsaufsicht ausdrücklich vor (vgl. § 68 StGB, § 181b StGB).
Wenn jemand wegen einer solchen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten verurteilt worden ist, kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (vgl. § 68 Abs. 1 StGB).
Zudem tritt bei bestimmten Delikten wie sexuellem Missbrauch oder Zuhälterei mit der Haftentlassung automatisch Führungsaufsicht ein, wenn eine Strafe von mindestens 1 Jahr verhängt wurde und der Verurteilte sie vollständig abgesessen hat (vgl. § 68f Abs. 1 und § 181b StGB).

Die Anordnung von Führungsaufsicht und die Aussetzung eines Teils der Strafe zur Bewährung sind auch gleichzeitig möglich. (vgl. § 68g)