Bln.: Prozess nach "unpolitischem" Nazimord

North East Antifascists (NEA) 10.05.2010 21:27 Themen: Antifa
.
Im Rahmen der Gedenkaktivitäten anlässlich des 10. Todestages von DieterEich, die am 23. Mai 2010 in Berlin-Buch ihren Höhepunkt in einerGedenkdemonstration finden werden, werden auf Indymedia in den kommendenWochen Texte rund um den Nazimord und den politischen Kontext des Mordesveröffentlicht.

2. Teil der Artikelserie:
Rechte Gewalt und ein “unpolitischer Messerstoß”?

Kritik der entpolitisierten Betrachtung des Mordes an Dieter Eich

In Gesprächen über den Mord an Dieter Eich durch drei junge Neonazis, tendiert das kollektive Gedächtnis über den extrem rechten Hintergrund der Tat im Berliner Stadtteil Pankow-Buch in Richtung Vergessen. Der Identität mit und Loyalität gegenüber dem Wohnumfeld scheinen die Akteure sich selbst zu verpflichten. Das Wohnumfeld als Rückzugsraum des Bürgertums und der wirtschaftliche Standort als Investitionsgebiet sollen nicht durch einen Ruf als „rechter Stadtteil“ geschädigt werden. Interessanterweise sind selbst Mitglieder der lokalen Basisorganisation der Linkspartei aufgefallen, die dem kollektiven Gedächtnisschwund beiwohnten, und den Mord als vermeintliche Streiterei unter „Saufbrüdern“(sic!) relativierten. Dies erinnert an die geschmacklose Kolumne, zu dem sich ein Autor der lokalen Zeitung „Bucher Bote“ unter der Rubrik „Sarkastisch betrachtet“ motiviert fühlte. In dieser setze er den Mord mit einem „Todesurteil für einen starken Zecher“ gleich. Neben der gesellschaftlichen Relativierung der tatsächlichen Hintergründe der Tat, wurde das auch institutionell durch die Justiz praktiziert. Die Presse attestierte der ermittelnden Staatsanwaltschaft Zweifel an dem rechten Tatmotiv der Täter. Dies stellt sich wesentlich makaberer dar, wenn mensch die Aussagen der Täter in Betrachtung zieht. So gaben sie an, sich der rechten Szene zugehörig zu fühlen und an Kameradschaftstreffen teilgenommen zu haben. Erst kurz vor der Tat hatten Sie einen Menschen aufgrund seiner Hautfarbe rassistisch beleidigt. Zudem hatten Sie Kontakt zu Arnulf Priem, einem damals noch einflussreichen Berliner Neonazi, der versuchte, Jugendliche extrem rechts anzupolitisieren. Unter Beachtung dieser Umstände, erscheint es als bewusste politische Entscheidung der Justiz, erst drei Monate später die Tat in einer Pressemitteilung zu veröffentlichen. Im Sinn der Relativierung des rechten Kontextes der Tat, wertete Richter Dieckmann die physischen Attacken auf Dieter als „rechtsextrem“, der tödliche Messerstoß stelle jedoch eine „Verdeckungstat“ dar, eine „rechtsradikale Tat“ liege hier nicht vor. Die Entpolitisierung des Mordes, die Bewertung der Tat in der Urteilsverkündung, stellt eine staatliche Legitimierung des Mythos vom „unpolitischen Messerstoßes“ dar, entlastet die Vertreter_innen dieser Geschichtsverfälschung und leistet dem Abwehrmechanismus Vorschub, die Tat sei nicht einem mehrheitsgesellschaftlichen und politischen Problem zuzuordnen, sondern die verachtenswerte Tat von Einzelnen.
Die Verharmlosung des Mordes verkennt die ideologischen Gründe für die Tat. Sie deckt diese und stuft sie zur bloßen Affekthandlung herab, mit der die Täter „nur“ vertuschen, aber nicht etwa eine Person nach ihrer „Entmenschlichung“ als „Schädling im Volkskörper“ ermorden wollten. Dieser Urteilsspruch ist in einen Kontext einzuordnen, in dem zwischen 1990 und 2000 mindestens 14 obdachlose und als „sozial schwache“ kategorisierte Personen ermordet wurden. Die selbsternannte „Mitte der Gesellschaft“ entpolitisiert weiterhin den Mord, entledigt sich somit jeglicher kritischer Reflektion über die von ihnen ausgeübte psychologische und physische Gewalt gegen gesellschaftliche Randgruppen und weist die Verantwortung dafür von sich. Bis heute taucht der Name Dieter Eichs nicht in den offiziellen Statistiken des Staates über Opfer rechter Gewalt auf.
Eine linksradikale, antifaschistische Praxis muss die gesellschaftlichen Widersprüche, die solch eine Tat ermöglichen, benennen und bekämpfen.
Dazu gehört eine Erinnerungspraxis, die Opfer und Umstände dieser menschenverachtenden Taten zurück in das gesellschaftliche Gedächtnis ruft.

Dieter Eich- ein fast vergessenes Opfer rechter Gewalt.

Quellen:
Vgl. Bucher Bote, März 2001.
Vgl. Tageszeitung vom 07.02.2001, S. 20.
Vgl. Tagesspiegel vom 03.03.2001, S. 10.
Vgl. Zitty, Ausgabe Nr. 11, 2002.


TERMINE:
Mobilisierung: Veranstaltungen in Berlin, Magdeburg, Leipzig

13. Mai 2010 – Leipzig
20.00 Uhr, LIWI, Stockartstr. 11
präsentiert von: Ladenschluss Bündnis [http://ladenschluss.blogsport.de/]

14. Mai 2010 – Magdeburg
19.30 Uhr, Libertäres Zentrum Magdeburg, Alt Salbke 144
präsentiert von: Antifaschistische Aktion Burg & Autonome Linke Magdeburg
[http://antifa-burg.de.vu/ & http://www.autonomer-widerstand.org/]

15. Mai 2010 – Berlin
20.00 Uhr, Schreiner Cafe, Schreiner Str. 47, Friedrichshain, S./U.-Bhf. Frankfurter Allee


Theorie: Veranstaltung in Berlin

Mo. 10. Mai 2010 – Berlin
BAIZ, 20.00 Uhr, Christinnen Str.1 / Ecke Torstr., Mitte, U Rosa-Luxemburg-Platz

Veranstaltung: »Mordsleistung!« - »Die Arbeit als »asoziales« Prinzip von Selektion und Ausschluss«

Referent: Norbert Trenkle (Gruppe Krisis)

Um den Stellenwert der Arbeit in der postfordistischen Phase kapitalistischer Vergesellschaftung darzustellen, haben wir Norbert Trenkle, einen Redakteur der wertkritischen Zeitschrift »KRISIS«, eingeladen. Die Veränderungen in der Produktion und das, was allgemeinhin »Globalisierung« genannt wird, führen dazu, dass immer weniger Menschen für die Produktion von Waren gebraucht werden. Die Arbeit ist das zentrale Prinzip der kapitalistischen Gesellschaft. Sie definiert wesentlich, wer dazugehört und wer nicht. Unter den Bedingungen des globalen Krisenprozesses, der immer mehr Menschen »überflüssig« macht, gerät die Arbeit daher zunehmend zum Kriterium des sozialen Ausschlusses. Je deutlicher sich das abzeichnet, umso aggressiver wird der Diskurs der Noch-Insassen der Arbeitsgesellschaft. Das ist die Grundlage für die neuerliche Konjunktur des offenen Sozialdarwinismus und der parallel dazu verlaufenden Kulturalisierung der gesellschaftlichen Polarisierung, wie sie von Westerwelle, Sarrazin und Konsorten federführend betrieben wird.Norbert Trenkle: publiziert für die wertkritischen Zeitschriften »KRISIS«, und »Streifzüge«. Er war Mitautor der Bücher: »Dead man Walking« und »Feierabend!«


Praxis: Demo am 23. Mai in Berlin
23. Mai 2010, Berlin
Demo: 14.00 Uhr, S-Bhf. Buch
Anschließend Konzert: 19.30 Uhr (mit Blockwart, Holger Burner, Kurzer Prozess und Wasted Youth)


Infos: www.niemand-ist-vergessen.de
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Zusammenfassung

niv-northeast 23.05.2010 - 01:43
Hier findet sich eine Zusammenstellung bisheriger Artikel:
 https://linksunten.indymedia.org/de/node/20492

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

Was geht... — *