Kugelschreiber statt Urteil im Amtsgericht F

k.o.b.r.a.__antirepressionsplattform____ 10.05.2010 19:53 Themen: Blogwire Repression

Die Polizei prügelt, der Verprügelte beschimpft daraufhin die Polizei - angeklagt wird nur der Verprügelte! Das typische Spiel des Umgangs Uniformierter mit ihrer eigenen Polizeigewalt ... in Frankfurt so geschehen am 2.1.2009, wie ein alter FAZ-Text noch zeigt (sicherlich einer von vielen Fällen). Damals kam es zu Auseinandersetzungen vor dem Polizeipräsidium F - nach einigen Festnahmen wegen Kletterns und Kreidemalens. Die prügelnde Polizei machte Anzeigen - und nun sollte dazu am 10.5.2010 ein Prozess laufen. Passierte auch - aber HauptdarstellerInnen waren nicht die geladenen Uniformierten, sondern einige Kugelschreiber ...

Der Ablauf der Gerichtsverhandlung

  • 8.30 Uhr Am eigentlichen Raum (E 23) verkündet ein Schild: Umzug in den glasscheibengesicherten Raum A 164
  • 8.33 Uhr Start im mit Glasscheiben gesicherten Saal A 164, aber Probleme mit Technik
  • 8.38 Uhr Zeugen werden geprüft, zwei sind da, Hauck meldet sich wieder als "frisch operiert" ab
  • 8.39 Uhr Personalien - der Richter räumt auf entsprechende Bemerkungen des Angeklagten großzügig ein, dass mensch sich das Deutschsein nicht aussuchen kann ...
  • 8.40 Uhr Verlesung der Anklage
  • 8.44 Uhr Einlassung des Angeklagten
    Zunächst fragt der Angeklagte nach den augenblicklich noch geltenden Anklagepunkten: Es wird geklärt, dass nur noch zu Beleidigung verhandelt werden. Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sei eingestellt, schildert die Staatsanwältin, die ansonsten damit brilliert, noch nie die Akten gesehen zu haben!
    Dann folgt die Einlassung. Sie beginn mit einem Vortrag über das Polizeipräsidium Frankfurt und die Serie an Rechtswidrigkeiten, u.a. die Verhaftung, um die es in dem Rahmen ging, der jetzt hier zum Verfahren führte. Der Protest gegen diese Verhaftung hätte auch der Willkürlichkeit des Gewahrsams gegolten, die inzwischen auch vom Oberlandesgericht festgestellt wurde. Umfangreich schilderte der Angeklagte auch seine eigenen Aufenthalte im Gewahrsam - allesamt auch inzwischen als rechtswidrig festgestellt. Abenteuerlich war der sechstägige Gewahrsam als Folge eines erfundenen Anschlags auf den hessischen Innenministers Bouffier. Dahinter steckte, wie nach Monaten der Recherche festgestellt werden konnte, ein Auftrag des Innenministers, den Angeklagten, der seit Jahren ein scharfer Kritiker von Polizei und Justiz sowie der hessischen Innenpolitik ist, aus dem Verkehr zu ziehen. Dafür wurde ein Anschlagsversuch inszeniert und dem Angeklagten in die Schuhe geschoben. Die Sache flog auf, weil irgendwann die Ergebnisse einer Observation eines Spezialkommandos der Landespolizei bekannt wurde, nach dem Polizei und auch die Haft verhängenden Richter immer wussten, dass alles erfunden war. Der Angeklagte verlas Auszüge aus den damaligen Rechtswidrigerklärungen der Haft durch das OLG, in dem dieses feststellte, dass hessische Justiz und Polizei mit Mitteln aus dem Dritten Reich operiert hätten.
    Als der Angeklagte nach dieser Darstellung von vergangenem Geschehen im Zusammenhang mit dem Demonstrationsort und einer kleinen Zusatzschilderung zum bekannten Fall des Frankfurter Folterpolizeichefs Daschner zur Schilderung des Geschehens am 2.1.2009 übergehen wollte, signalisierten Zuschauer, dass sie keine Stifte mit in den Saal nehmen durften und deshalb nichts mitschreiben könnten. Der Angeklagte beantragte die Prüfung, ob das stimme. Nach seiner Auffassung würde das die Öffentlichkeit gefährden. Dann geschah etwas ziemlich Bemerkenswertes: Es gab eine längere Pause zur Klärung der Rechtmäßigkeit des Bleistiftklaus.
  • Das Ergebnis verkündete der Richter um 9.35 Uhr: Die Kugelschreiber konnten geholt werden.
  • 9.36 Uhr: Das Verfahren könnte nun weitergehen. Aber nun verkündete der Richter, dass es jetzt zu spät wird und er lieber nochmal von vorne anfangen würde. Er peilte einen Termin nach der Sommerpause, z.B. den 1. September an ... die Zeugen wurden entlassen (leider nicht aus dem Polizeidienst) und der Angeklagte empfahl allen, ihren Job sausen zu lassen, um freier leben zu können. Das wars, Feierabend im absurden Prozess um die Frage, ob mensch prügelnde Polizisten "Arschlöcher" nennen darf (Beleidigung, sozial adäquate Reaktion oder Tatsachenbehauptung?).

Es ist unklar, was nun geschehen wird. Eine Unterbrechung von mehr als drei Wochen bedeutet: Alles nochmal von vorn. Das Angeklagte kann seinen Vortrag über Polizeigewalt und Fälschungen im Polizeipräsidium Frankfurt und in hessischen Sicherheitsbehörden also nochmal von vorn starten ... ob er dann zum Ende kommt und dann das schöne Video geguckt werden kann? Dort ist wunderbar zu erkennen, wie ein Polizeibeamter auf dem Angeklagten hockt und ihn schlägt mit den Worten "Hälst Du jetzt die Klappe" - bis ein anderer Beamter sagt: "Ollie, is gut" (siehe Bild: Ausschnitt aus dem Film kurz vor der Prügelszene).

 

Für FeinschmeckerInnen: Die neuesten Gerichte - serviert in Berlin

Mittwoch, 12.5.: Polit-Tag am Landgericht Berlin (Turmstraße 91, Moabit) ++ Flyer und Internetseite

  • 9 Uhr im Saal 700: Berufung wegen vermeintlicher Zündelei an Autos (Staatsanwaltschaft war mit Freispruch in erster Instanz nicht zufrieden) ++ Blog zum Prozess
  • 14 Uhr im Raum 701: Weiterer Prozesstermin im Verfahren wegen 1. Mai 2009 (Prozessbericht)
  • 14 Uhr im Saal 817: Berufung wegen vermeintlichen Widerstands gegen die Staatsgewalt
    Der erste Prozess endete mit Urteil wegen Nichterscheinens Angeklagten - der wurde absichtlich in der Kontrolle im Eingang solange festgehalten, bis das Verfahren so ausging (Hintergrundinfos und das anhängige Verwaltungsverfahren deswegen) ++ Ladung
    Auszug aus der Presseinfo: "Die Politik redet über die zunehmende Gewalt gegen Polizei. Doch könnte hinter den Statistiken die gegenteilige Wahrheit stecken? Das jedenfalls behauptet der Polizei- und Justizkritiker Jörg Bergstedt. Er steht zum wiederholten Mal vor Gericht. Die Polizei wirft ihm Widerstand vor. Um sich vor Konsequenzen zu schützen, weil sie selbst gewalttätig wurden, behauptet der Angeklagte. „Das ist die Logik der meisten Strafanzeigen in Konflikten von Menschen, die nicht nur unterwürfig agieren, und der Polizei des Gewaltmonopol-Staates“, kritisiert der Angeklagte Jörg Bergstedt seine Verfolger aus Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichten. „Und mit diesen Anzeigen wird dann Politik gemacht, wenn zunehmende Brutalität von Polizisten zu mehr Angriffen auf die Polizei umgedeutet und härtere Gesetze gefordert werden“. Bergstedt ist seit Jahren Kritiker von Polizei und Justiz, hat mit mehreren Veröffentlichungen Fälschungen und Falschaussagen öffentlich gemacht. Immer wieder ist er deshalb von Verfolgungsbehörden angegriffen und vor Gericht gestellt worden. Doch die Stellung des Angeklagten bietet ihm Chancen, sein Wissen vorzutragen und den jeweiligen Fall als neue Recherche in die Reportagen aufzunehmen: „Ich stelle die Fragen, die Täter in Uniform sind Zeugen im von ihnen selbst angezettelten Verfahren“, kündigt er eine intensive Beweisaufnahme über die Abläufe an."
  • 20 Uhr im Kubiz (Berlin-Weißensee, Bernkasteler Str. 78): Politshow "Fiese Tricks von Polizei und Justiz"
    "Die Vorwürfe klingen ungeheuerlich: Polizisten basteln einen Brandsatz oder fertigen Gipsabdrücke selbst an, um Beweismittel zu haben. Beweisvideos und -fotos verschwinden, Falschaussagen werden gedeckt, Observationen verschwiegen, um Straftaten erfinden zu können. Alles Hirngespinste von Verschwörungstheoretikern? Offenbar nicht." (ddp am 22.11.2007, 10.26 Uhr)
    Eine Bühnenschau wie ein Bond-Film - und die Polizei- und Gerichtsakten belegen alles: Verfolgung wegen Graffitis, die es nie gab. Inszenierte Falschaussagen durch Polizei- und Gerichtsbeamte. Geheime Observationen, die vertuscht werden, um Straftaten zu erfinden. Staunen über die Dreistigkeit der Staatsmacht. Kopfschütteln über uniformierte Dummheit. Lachen über die kreative Gegenwehr! Eine Mischung aus Enthüllung, Kriminalroman, Kino, Kabarett und Straftaten - und immer die Originalquellen an die Wand projiziert! ++ Internetseite www.fiese-tricks.de.vu
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