Skandalurteil SB: Maulkorb gegen Gentec-Kritik

horst errr. 08.05.2010 10:59 Themen: Biopolitik Repression Ökologie

Seit Jahren schimpfen Umweltverbände und grün angestrichene Parteien, Ökos und Lohas, deutsche Medien und viele andere über die böse Firma Monsanto und ihren MON810-Mais. Im Schatten dieses in der Sache begründeten, aber mit antiamerikanischen Ressentiments verquirlten Protestes konnte sich die deutsche Gentechnik weitgehend ungestört ausbreiten. Nur einige lokale Initiativen und unabhängige AktivistInnen nahmen die deutschen Genversuchslabore und -felder ins Visier. Im Sommer 2009 erschien aus deren Kreis dann eine brisante Broschüre über die Verflechtungen zwischen Konzernen, Behörden, sogenannter Forschung und Lobbyverbänden in der deutschen Agro-Gentechnik. Das Jaulen der getroffenen Hunde war laut. Die Strafjustiz verhängte drastische Haftstrafen wegen der Aktionen und über die Kontakte eines Ex-FDP-Wirtschaftsministers in Saarbrücken konnten auch RichterInnen gefunden werden, die die Kritik jetzt schlicht verboten haben. Die bürgerlichen KritikerInnen der Gentechnik duckten sich weg und sammeln weiter lieber Spenden und Wählerstimmen mit dem Thema ...

Schon Mitte der 90er Jahre prägten vor allem militante und direkte Aktionen den Widerstand gegen die Agro-Gentechnik: Feldbesetzungen und Feldbefreiungen ließen kaum Entfaltungsmöglichkeiten für die Konzerne und den ihnen dienlichen ForscherInnen. Auch damals prägten schon Lügen und Hinterzimmergeschäfte das Geschehen. Gerade die unabhängigen AktivistInnen brauchten auch die politische Kritik mit ein - die Machtfrage im Zusammenhang mit Landbesitz, Saatgutkontrolle und Patentrechten. Seit dem 2008, als sieben Feldbesetzungen gelangen (und später auch viele Feldbefreiungen) waren die Türme als Signal des Widerstands wieder in aller Munde. Am 7.9.2009 auf dem InnoPlanta-Forum, dem wichtigsten Treffen der deutschen Gentechnik-Seilschaften, nannten mehrere RednerInnen von Raiffeisenvorständen bis zu Ex-Wirtschaftsminister Clement als Hauptprobleme in Deutschland die Bauern in Bayern und die FeldbesetzerInnen/-befreierInnen. Umweltverbände spielten keine Rolle, die Grünen waren auf dem Seilschaftentreffen sogar artig anwesend, während draußen unabhängige AktivistInnen protestierten.

Genau aus dem Kreis der unabhängigen AktivistInnen erschien dann Mitte 2009 eine brisante Broschüre über die Verflechtungen der Konzerne und vielen dubiosen Kleinstfirmen mit Behörden, sogenannter Forschung und Lobbyverbänden. Zwei der wichtigen Personen in der deutschen Gentechnik, die Vielfach-Geschäftsführerin Kerstin Schmidt und der InnoPlanta-Chef und FDP-Landtagsabgeordnete Uwe Schrader, versuchen per gerichtlichen Verfügungen, die Kritik an ihrer "Tätigkeit" verbieten zu lassen. Sie zettelten über einen wichtigen Förderer der Agro-Gentechnik in Deutschland, den FDP-Politiker und Ex-Wirtschaftsminister von Saarland und Sachsen-Anhalt, Horst Rehberger, ein Maulkorbverfahren an. Ausgewählt wurde das Landgericht Saarbrücken, wo Rehberger über seine Anwaltskanzlei beste Beziehungen pflegt und sich quasi die eigenen RichterInnen aussuchen konnte. Der Prozess verlief entsprechend einseitig: Die Beweisaufnahme fand nie statt, aber alles, was Schrader und Schmidt wünschten, wurde verboten. Die mussten noch nicht einmal selbst vor Gericht erscheinen. Die Begründungen im Urteil sind an Komik schwer zu übertreffen. So ist zum Beispiel verboten worden, den Gentechnik-LobbyistInnen vorzuwerfen, dass sie Propaganda betreiben würden - den Begriff gäbe es nur in Diktaturen. Urteile das Gericht. Dabei waren alle Angaben der Broschüre belegt. Dem Gericht wurden dicke Aktenordner mit allen Quellen überreicht - beachtet hat das Gericht die nie.

Nun ist also die Lage so: Die Kritik an Kerstin Schmidt und Uwe Schrader ist durch eine willfährige Justiz zu großen Teilen verboten - aber nur dem Autor der Broschüre. Alle anderen Menschen dürfen (und sollten!!!) die Kritik weiter streuen. Die neue Auflage ist bereits von einem neuen HerausgeberInnenkreis nachgedruckt worden und kann folglich weiter bestellt und verbreitet werden. Der Autor hält weiter seinen brisanten Vortrag - wenn auch mit markiert-zensierten Teilen. Der Originalvortrag liegt wiederum auf DVD vor und kann wie die Broschüre bestellt werden (auch über den Filmemacher selbst auf www.wunschfilme.net. Der Erwerb der DVD enthält eine Vorführerlaubnis für nicht-kommerzielle Zwecke.

Von den Apparaten bei Grünen, Umweltverbänden und etlichen anderen Strömungen ist kaum Solidarisierung oder Unterstützung zu erwarten. Sie sind mit der Betreuung ihrer Spenden- und Mitgliederzuwächse sowie mit Lobbygesprächen an den Tischen der Mächtigen beschäftigt. An der Basis (so die modernen Bewegungsagenturen über so etwas noch verfügen) ist die Entschlossenheit teilweise größer, doch für einen überregional wirksamen Protest reicht das zur Zeit nicht.

 

Auszüge aus der Geschichte des Maulkorbverfahrens

  • Juni 2009: Die erste Auflage der Seilschaftenbroschüre "Organisierte Unverantwortlichkeit" erscheint. Sie ist als Massenheft gedacht - auch angesichts dessen, dass Umwelt- und Biolandbauverbände genauso wie gentechnikkritische Medien meist wegen Feigheit für die Weiterveröffentlichung nicht in Frage kommen.
  • Juli 2009: Schon vergriffen - die zweite Auflage der Broschüre geht in Druck. Die Broschüre wird in jeweils mehreren Tausend Stück rund um die Hochburgen der Gentechnikseilschaften verteilt. Vermehrt wird der Autor zu Veranstaltungen eingeladen, unter anderem dort, wo Genversuchsfelder stehen.
  • 17.8.2009: Kerstin Schmidt, Uwe Schrader (und Horst Rehberger als Anwalt) klagen gegen den Vorwurf der Seilschaften und die Broschüre "Organisierte Unverwantwortlichkeit"
  • 20.8.2009: Das Gericht ist zu Diensten - und schnell. Per Beschluss wird ein Maulkorb verhängt und von einer Gerichtsvollzieherin dem Beklagten überbracht. Ohne jegliche Anhörung oder Gerichtsverhandlung werden ihm Kritiken an den Seilschaften verboten!
  • 4.9.2009: Der Betroffene legt (über einen Rechtsanwalt) Widerspruch ein. Zudem wird beantragt, Schmidt/Schrader zur Hauptsachklage eine Frist zusetzen. Ein Antrag auf Prozesskostenhilfe wird gestellt mit entsprechenden Nachweisen.
  • 2.9.2009: Schrader/Schmidt beantragen sehr schnell die erste Vollstreckung (2.9.2009), also eine erste Bestrafung - ohne dass der Beklagte überhaupt jemals angehört wurde. In ihrem Antrag behaupten sie, die Internetseiten und die Broschüre im Internet seien unverändert vorhanden. Das ist schlicht gelogen. Zudem richtete sich die ganze Verfügung gegen den Falschen, denn der Beklagte war und ist gar nicht Inhaber der Internetseite. Das Gericht wird sich dafür aber nicht interessieren, sondern Schmidt/Schrader auch hier zu Diensten sein. Am 21.9. legt der Beklagte gegen die Vollstreckung Widerspruch ein.
  • Danach: Lange Schriftwechsel, gescheiterte Verhandlungstermine, miese Tricks des Gerichts und mehr ...
  • Verhandlung am LG Saarbrücken am 12.10.: Da der Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht bearbeitet wurde, konnte sich der Beklagte keinen Anwalt im Termin leisten. Allein aber darf er nicht agieren. Die logische Folge ist ein Versäumnisurteil. Am 22.10.2009 legt der Anwalt des Beklagten Einspruch ein.
  • Ebenfalls am 12.10.2009 fällt das Gericht den ersten Vollstreckungsbeschluss: 10 Tage Haft für den Autor der Broschüre - das Gericht fällt den Beschluss, obwohl es merkt, von Schmidt/Schrader belogen worden zu sein. Die sichtbar veränderten Internetseiten werden nämlich nicht mehr erwähnt. Dennoch glaubt das Gericht ohne Überprüfung der zweiten Lüge - es guckt sich die aktuelle Version der Broschüre gar nicht an. Natürlich gibt es auch hier eine Beschwerde (22.10.2009) und zwei Tage später eine genauere Begründung (24.10.2009).
  • Danach: Streit um die Prozesskostenhilfe. Das Gericht verweigerte die mit dem Argument, der Autor der Broschüre solle arbeiten gehen. Auf Protest und den Hinweis auf über 20 gelistete Bücher des Autors in der Deutschen Nationalbibliothek ändert das peinliche Gericht den Beschluss ab: Der Autor soll halt Bücher schreiben, die das Volk will. Dabei verbietet das Gericht ja gerade die bisher erfolgreichste Schrift des Autors ... aber wer gegen Meinungsfreiheit agiert, muss sich für Kunstfreiheit und überhaupt schlüssiges Denken ja nicht scheren. Doch die angerufene höhere Instanz (OLG) korrigiert die einseitigen Beschlüsse des Gerichts.
  • Die Junge Welt lehnt den Abdruck eines bereits für deren Themenseite verfassten Artikel zu den Gentechnik-Seilschaften in den neuen deutschen Bundesländern ab - aus Angst vor Klagen von Schmidt und Schrader. Der vorgesehene Text als .rtf-Datei ...
  • Dann endlich mal eine Gerichtsverhandlung: Montag, 7.12. um 12.15 am Landgericht Saarbrücken (Hardenbergstr. 1, Sitzungssaal 114).
    Doch der Prozess dauert nur 30 Sekunden und platzt dann erstmal wegen einem Befangenheitsantrag ... Bericht ++ DDP auf Yahoo! und Adhoc ++ Saarländische Zeitung
  • Schrader/Schmidt wird eine Frist von 14 Tagen zur Erhebung der Hauptsachklage gesetzt. Jetzt müssen sie sich entscheiden - ein umfangreiches Verfahren, in dem alles genau geprüft werden, oder klein beigeben!
  • Außerdem geben die RichterInnen Erklärungen zum Befangenheitsantrag ab (eher nichtssagend), aber (war ja klar), die Befangenheit wurde abgelehnt. Anwalt Döhmer legte Beschwerde ein - was bleibt einem sonst und reichte die Begründung (immer zusammen mit dem Beklagten tätig) am 22.1.2010 nach. Doch auch das höhere Gericht (OLG am 8.2.2010) fand: Alles völlig in Ordnung.
  • Hauptsachklage eingelegt: Schrader und Schmidt gehen in die große Auseindersetzung
  • 24.2.2010: Erwiderung zur Hauptsachklage
  • Neuer Termin festgesetzt: Am Montag, den 29.3., soll um 12 Uhr wieder am Landgericht Saarbrücken verhandelt werden (am Freitag vorher wird eingeladen zum Vortrag über Seilschaften: 26. März um 19 Uhr im BioFrischMarkt, Johannisstr. 6, Saarbrücken)
  • 29.3.2010: Zweite Gerichtsverhandlung in Saarbrücken - knapp eine halbe Stunde dauerte es diesmal. Es waren wieder einige UnterstützerInnen gekommen - leider erneut nur wenige aus Saarbrücken selbst. Das sollte sich ändern, fanden viele, denn auf Dauer ist es nicht zumutbar, dass Menschen solch lange Strecken fahren (diesmal waren u.a. Unterstützer aus dem Bodenseeraum und nahe Stuttgart dabei). Im Prozess wurden eigentlich nur die schon ausgetauschten Schriftstücke nochmal erwähnt, die schon gestellten Anträge nochmal gestellt - einfach nur formal, weil die mündlich benannt werden müssen, sonst zählt es nicht. Das Gericht wusste auch immer schon, wer was vorschlägt und legte den beiden Anwälten die Formulierungen in den Mund.
  • 26.4.2010: Der Schock - das von Anfang als befangen erkennbare Gericht fällt bereits das Urteil im Hauptsacheverfahren. Der Maulkorb wird verhängt, ohne jegliche Erörterung, Beweiserhebung, Vernehmung von ZeugInnen usw. (Kommentiertes Urteil)
  • Das Eilverfahren läuft noch weiter. Will heißen: Das eigentlich vorgelagerte Eilverfahren geht weiter, während die Hauptsache schon durch ist - phantasievolle Prozessgestaltung eines Gerichts im Dienst der Gentechnik-Seilschaften. Die Kläger nehmen nochmal Stellung im Eilverfahren. Dann fällt auch dort das Urteil - es ist das gleiche wie im Hauptsacheverfahren.

 

Wie geht es weiter?

Der Maulkorb steht. Der Aufschrei darüber wird in kleinen Kreisen bleiben - das Kartell der GentechnikgegnerInnen ähnelt in vielem den Seilschaften der Gentechnik-MacherInnen. Der Betroffene wird in die nächste Instanz gehen. Wenn nötig, vor Verfassungsgericht. Dann wird zu sehen sein, ob die RobenträgerInnen bis in ihre höchsten Etagen durchhalten - in der willfährigen Unterstützung von Konzerninteressen und im Niederbügeln der Meinungsfreiheit. Oder ob das Gericht in Saarbrücken über den Draht zum FDPler-Rehberger ein besonderer Sumpf ist ...

 

Veranstaltungsrundreisen mit dem Autor der Broschüre "Organisierte Unverantwortlichkeit"

  • 14.5. in Güstrow um 19 Uhr im Cafe Utopia (ehemaliges jüdisches Gemeindehaus, Krönchenhagen 13: Vortrag „Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Firmen und Forschung“ (und: Vokü, also was zu essen!)
  • Samstag, 15.5.2010, 18 Uhr, Biofrisch Nordost GbR, Teschendorf, Am Storchennest 8: Vortrag „Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Firmen und Forschung“
  • Sonntag, 16.5.2010, 14 Uhr: Informationsspaziergang zum Versuchsgarten in Sagerheide (Treffpunkt vor dem Haus Birkenallee 10)
    Sonntag, 18 Uhr, Gemeindehaus „Kiek in“, Thulendorf, Molkereistr.: Vortrag „Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Firmen und Forschung“
  • Montag, 17.5. in Demmin (AWO-Gebaeude Beethovenstr., näheres folgt): Vortrag „Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Firmen und Forschung“
  • Dienstag, 18.5. in Neubrandenburg (vorgemerkt, näheres folgt): Vortrag „Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Firmen und Forschung“
  • Mttwoch, 19.5., 19 Uhr in Rostock (an der Universität, näheres folgt): Vortrag „Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Firmen und Forschung“
  • Donnerstag, 20.5. in Greifswald (IKuWo Goethestr., näheres folgt): Vortrag „Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Firmen und Forschung“
  • Freitag, 21.5., 20 Uhr in Hamburg-Harburg (im "Alles wird schön", Friedrich-Naumann-Str. 27, 21075 Hamburg, 5 min von S-Bahnstation Heimfeld)
  • Freitag, 4. Juni in Pforzheim (näheres folgt hier ...)
  • Sonntag, 6. Juni um 19 Uhr im Kulturcafe Groß Gerau (in der Ortsmitte)
  • Montag, 7. Juni in Bingen (näheres folgt hier ...)

 

Kontakt: über die Projektwerkstatt in Saasen.

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