1. Mai: Schanze, Krawalle und Solidarität

quartiersnachrichten 07.05.2010 14:17 Themen: Blogwire Freiräume Repression Soziale Kämpfe
»Einem System, das am Arsch ist, kann man ruhig auch mal in den Arsch treten!« (Schorsch Kamerun, Goldene Zitronen)
Eine Stellungnahme aus den Untiefen der Roten Flora zu den Ereignissen am 1. Mai. Nach den Auseinandersetzungen vom 1. Mai im Hamburger Schanzenviertel ist in den lokalen Medien die übliche Diskussion um entpolitisierte Jugendgewalt entstanden. In dieser Gemengelage wurden auch Anwohner_innen und Geschäftsleute zitiert und als authentische Stimme des Schanzenviertels präsentiert. Inzwischen wird mit Fahndungsfotos nach Jugendlichen gefahndet, die eine Flasche Sekt aus der zertruemmerten Rossmann Filiale geschleppt haben. In den Medien werden teilweise hohe Strafen angedroht.
Es mag eine gewisse Ironie besitzen, wenn teilweise selbst Leute, die erst vor wenigen Jahren in den Stadtteil gezogen sind, sich kaum länger oder sogar kürzer hier bewegen als jene Jugendlichen, denen sie aus Altersgründen das Recht absprechen, dazuzugehören, sich heute hinstellen und erklären, die jetzigen Krawalle hätten nichts mit den Menschen in der Schanze zu tun. Doch dies ist - von deren begrenzten Tellerrand aus betrachtet - vermutlich einfach nur ehrlich. Fürsprecher_innen dieser Haltung fanden und finden sich schon immer in diesem Stadtteil. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben misst sich insbesondere in einer Hafenstadt jedoch weder an der Dauer der Anwesenheit noch am Alter. Entscheidend ist vielmehr der Sprechort. Dies gilt für diejenigen, die von der Aufwertung des Schanzenviertels in der Vergangenheit profitiert haben, ebenso wie für diejenigen, die aufgrund dieser Entwicklung vertrieben wurden oder wiederum genau deshalb inzwischen hier wohnen.

Das Schanzenviertel ist in den letzten Jahren vor allem jung, weiß und mittelständisch geworden. Dies war nicht immer so. Dass immer weniger alte Menschen und migrantische Nachbar_innen hier leben, dass Läden mit Dingen des täglichen Gebrauchs dichtmachen und Cafes, Kneipen und schicke Boutiquen aufmachen, hat Gründe. Was hier stattfindet, ist ein tagtäglicher Verdrängungsprozess und Kampf um Anwesenheit, um das Überleben im Bild der Stadt. Die Waffen in dieser Auseinandersetzug sind der Mietenspiegel, Bausparverträge, Start-ups und Franchise-Unternehmen. Es gibt Gewinner dieser Entwicklung und Verlierer. Der Bruch im Schanzenviertel verläuft nicht zwischen alteingesessen und zugezogen, sondern zwischen Eigentum und umgewandelter Mietwohnung, zwischen wohlhabend und abgehängtem Prekariat, zwischen denjenigen, die sich die Mieten hier leisten können und denen, die in die Peripherie gedrängt wurden, um nun auch noch zynisch um die Ohren gehauen zu bekommen, irgendwie nicht dazu zu gehören.

Es wird beklagt, junge Aktivist_innen trügen Markenklamotten und seien nicht politisch. Mal abgesehen davon. dass wir nicht wissen, weshalb man als politische_r Aktivist_in schlecht angezogen sein sollte, drückt sich darin vor allem eine Verachtung und ein Ressentiment gegenüber einer Bevölkerungsschicht aus, der solcher Luxus anscheinend nicht zustehen soll. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen (schon gar nicht den bei Rossmann befreiten Schampus trinken)“, ist die dahinter liegende alte Devise, die als neoliberale Binsenweisheit und Mitwirkungspflicht bei HartzIV neuen Schwung erfährt. Einem vorurteilsgeladenen Sprechen kann man nur entgehen, wenn mensch sein Gegenüber nicht als Stereotyp bürgerlicher Angstkulissen unsichtbar macht. Die Jugendlichen, die in Hamburg auf der Straße revoltiert haben, haben Bedürfnisse, Wünsche und eine Sehnsucht nach Teilhabe am Leben. Manche kommen aus reicheren Elternhäusern, andere aus ärmeren. Sie sind Querschnitt der Menschen, die hier leben, die die Flora besuchen oder hier im Stadtteil abhängen. Manche sind Anarchist_innen oder Autonome, andere nicht. Was sie und uns verbindet, ist keine Ideologie oder feststehende Utopie, sondern die Unzufriedenheit und der Wunsch, dass etwas anders wird. Wir finden dies nicht verurteilenswert, sondern gut.

Noch ist in der Schanze und dem Rest der Stadt nicht alles vertrieben, was sich regt und unbequem ist. Dies wird auch in Zukunft nicht gelingen. Würden diejenigen, die die Leserbriefspalten nutzen, um sich selbst und ihre uniforme Vorstellung vom Schanzenviertel darzustellen, einmal auf die Straße gehen und mit den Leuten sprechen, die sich dort bewegen, würden sie sich vermutlich wundern. Nicht wenige, die hier unterwegs waren, sind direkt neben ihnen aufgewachsen. Dass die Kinder und Jugendlichen, die im Schanzenviertel aufwachsen, nicht wahrgenommen werden, verwundert nicht. Denn im Treiben der erfolgsorientierten Twenty-Somethings tauchen sie ebensowenig auf wie in stadtplanerischen Konzepten.

Sie fehlen in den Caipirinha-Erlebnisräumen der Mittelschicht und den schick dekorierten Bars. Ökonomisch sind sie egal, für die Marke Hamburg uninteressant und für den vermeintlich kreativen Touch sorgen längst Werbeagenturen und studentische Aushilfskräfte. Man könnte meinen, es gibt sie gar nicht und hätte sie nie gegeben. Sie sind Unsichtbare im durchökonomisierten Alltag. Am 1. Mai haben sie sich zu Wort gemeldet. Mit denen, die hier als überflüssig abgeschrieben werden oder jenen denen die Verhältnisse hier einfach so nicht passen. Der Krawall war im besten Sinne ein Kampf um das Recht auf Stadt und ist verwoben in diese politische Auseinandersetzung.

Gewalt im Alltag entsteht nicht aus heiterem Himmel, sondern ist Ergebnis und Folge der politischen und sozialen Realität. Nicht alles, was am 1. Mai vorgefallen ist, finden wir gut. Aber Sachbeschädigungen und die Formulierung von Begehren durch das Aufbrechen des Straßenpflasters empfinden wir als konstruktiven Ausdruck, um die stumme Gewalt, die uns umgibt, überhaupt sichtbar zu machen. Law and Order-Konzepte, nach denen sich Leute im Schanzenviertel gegen Aktivistinnen auf der Strasse organisieren sollen, sind ein ziemlich alter Hut aus der Mottenkiste autoritärer Phantasiewelten. Gedanklich und im Wertesystem bewegen sie sich im Muff der 50er Jahre. Kein Wunder, dass in diesem Zusammenhang dann sogar ernsthaft der Begriff der Halbstarken wieder reanimiert wurde. Den Rock‘n‘Roll wird es beleben.

Die etablierte Öffentlichkeit steht dem Phänomen heutiger Jugendproteste offensichtlich ebenso ratlos gegenüber wie in den sechziger Jahren den Langhaarigen und Gammlern, in den siebziger Jahren den Punks oder in den Achtziger Jahren den autonomen Hausbesetzeri_nnen. Geschichte scheint sich an diesem Punkt als bürgerlicher Abwehrmechanismus zu wiederholen, um die Augen vor einer ungeliebten Realität zu verschließen. Dem daraus folgenden populistischen Ruf nach Bürgerwehren oder anderen Formen einer Vergesellschaftlichung von Repression setzen wir unseren Widerstand entgegen. Vertreibung oder Ausgrenzung sind für uns keine Grundlage eines solidarischen Zusammenlebens. Eine Durchdringung des Alltags durch staatliche Gewalt und die darin enthaltenen bürgerlichen Zwänge und Normen als Überlebensprinzip bieten keine Chance für Antworten oder positive Utopien.

Es ist schon seltsam: Seit Jahren prognostizieren Gewerkschaften, linke Politiker und Medien, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis es nach den Unzumutbarkeiten von HartzIV, Bankenkrisen oder aufgrund steigender Arbeitslosenzahlen knallen müsse. Nun knallt es und alle fühlen sich eifrig bemüht, dies als unpolitisches Jugendphänomen abzutun. Wir fragen uns, woher Polizeisprecher, Gentrifizierungsgewinner oder Medien überhaupt wissen wollen, was jene bewegt, die ihrer Unzufriedenheit am 1. Mai einen Ausdruck verliehen haben. Den Protest auf der Straße sehen sie als Ereignis, mit dem sie nichts zu tun haben wollen. Deren Protagonist_innen als Akteure, die sie pauschal als Jugendliche für nicht zurechnungsfähig erklären.

Wer wissen will, was uns Chaoten antreibt, hat viele Möglichkeiten. Eine naheliegende ist, er oder sie kann in die Rote Flora gehen. Denn wir distanzieren uns nicht von dem Krawall auf der Strasse, sondern erklären uns solidarisch und sind ein Teil der Unzufriedenheit, die am 1. Mai die Strassen unsicher gemacht und damit zum Politikfeld erklärt hat. Alle anderen sprechen für sich selber, sind unterwegs oder dort anzutreffen, wo die Welt in Unruhe und Bewegung geraten ist. In den Wohnblocks am Rand der Stadt oder zwischen dem Funkeln der Scherben vor der Haustür.

Gegen Gentrifizierung und kapitalistische Zustände!
Für die soziale Hängematte mit vollem Lohnausgleich!

AG Repression und Solidarität aus der Roten Flora

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Nehmt unbedingt Kontakt mit dem Hamburger Ermittlungsausschuss auf, falls ihr von Verfahren bedroht seid, Rechtshilfe benötigt und/oder als „Zeugen“ gesucht werdet: Bewahrt Ruhe und geratet nicht in Panik, falls ihr Probleme habt oder beschuldigt werdet. Juristisch wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird! Vor allem aber: Keine Aussagen bei Bullen und Staatsanwaltschaft! Verweigert konsequent die Aussage und sagt gar nichts. Sucht euch Rechtsbeistand und besprecht alles, was ihr tut, vorher in eurem sozialen Umfeld. Damit fahrt ihr immer am besten.

Ermittlungsausschuss
c/o Schwarzmarkt,
Kleiner Schäferkamp 46, 20357 Hamburg
Email:  info@ea-hh.org | Internet  http://ea-hh.org
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Ergänzungen

Der Aufstand des Anständigen

Günther K. (58) 08.05.2010 - 13:46
Offene Hetze aus dem Schulterblatt:

Noch vor jedem anderen Bericht wurde dem nach außen hin anständigsten Bewohner des Schanzenviertels in der MOPO und auch dem Abendblatt Raum für einen "Artikel" geschaffen.
Andreas H. (48) droht im Abendblatt sogar:

"Und eines, lieber sinnloser Straßenkämpfer, wisse: Lange lassen wir Anwohner uns das nicht mehr bieten. Dieses Mal haben wir Dich beobachtet – nächstes Mal greifen wir evtl. persönlich ein und vertreiben Dich aus dem Viertel – auch ohne Polizeieinsatz. Wort gegen Wort. Mensch gegen Schwein quasi. "

Während Andreas H. in puncto Meinungsbildung bisher kleinere Brötchen backen musste und sich auf Bewertungsportalen über die Rote Flora ausließ
(ZITAT: "Was haben die Rote Flora und ein Blinddarm gemeinsam? Beide sind relativ überflüssig [geworden]"), durfte er nun einmal seine journalistischen Fähigkeiten auch der breiten Masse präsentieren!

Wer mehr wissen möchte oder Interesse an "exklusiven Fernreisen" hat, die Herr Hilmer anbietet, kann sich hier informieren:

 http://www.andreas-hilmer.com/kontakt/index.htm

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Im Ganzen sind die Offenen Briefe hier nachzulesen :
 http://www.abendblatt.de/hamburg/article1480392/Denn-Dein-Ziel-ist-das-Chaos-die-Gewalt-Die-Zerstoerung.html

 http://archiv.mopo.de/archiv/2010/20100503/hamburg/panorama/feuer_und_flamme_fuer_so_viel_dummheit.html

Abendblatt-Artikel lesen können

Günther K. (58) 08.05.2010 - 18:24
Da das Abendblatt sein Angebot kostenpflichtig gestaltet hat, hier nochmal der Link, worunter der Artikel aufgerufen werden kann (geht nach wie vor über Google News kostenlos):

 http://www.google.de/search?q=Denn+Dein+Ziel+ist+das+Chaos%2C+die+Gewalt.+Die+Zerst%C3%B6rung.&ie=utf-8&oe=utf-8&aq=t&rls=org.mozilla:de:official&client=firefox-a


P.S.: "Matt", nicht jammern! Und schon garnicht den Faschismusbegriff missbrauchen, nur weil Hilmi (aka DU?) jetzt kalte Füße bekommt!

Der Mann steht zu seinen Worten - und das ist auch gut so! Immerhin kommt er ja demnächst dann sogar persönlich auf die Straße runter und greift ein. Da ist es doch gut zu wissen, auf welcher Höhe des Schulterblatt man sich dann vor seiner Bürger"armee" fürchten sollte!

fremde federn

fff 10.05.2010 - 12:24
Also ich find den Text gut, jedoch muss man Einwenden, dass die Leute nicht wegen der bürgerliche Forderung Recht auf Stadt oder so auf der Straße waren. Sondern auf der antikapitalistischen und revolutionären 1.Mai Demo. Nachdem die Abschlusskundgebung von Bullen angegriffen wurde, kam es zu den Riots.
Von der revolutionären 1.Mai Demo hatte sich jedoch das Flora ZK (Plenum) distanziert und dies wurde sogar in der Springer Presse zitiert. Jetzt aber das Fass aufzumachen, dass die Leute in die Flora kommen sollen, ist ja irrsinn. Was sollen die Leute denn da? Zu Elektropartys feiern?

Die Leute von der revolutionären 1.Mai Demo haben krass viel für die Demo mobilisiert und vor allem gerade nicht nur in den "Szenevirteln", sondern auch in Mümmelmannsberg und Co.

Aber trotzdem ist die Stellungnahme gut und wirkt der Isolierung der Leute vom 1.Mai entgegen!

Was auch zu kritisieren ist, dass von Autonomen und AnarchistInnen gesprochen wird, obwohl dieser 1.Mai so rot war wie nie zuvor!

Spatung überwinden - Kapitalismus zerschlagen!

ghj

z 10.05.2010 - 17:24
was war denn an dem 1. mai rot? der typ mit der vereint euch unter dem maoismus fahne??

die demo bestannt größtenteils aus besoffenen punkers und sehr jungen leuten.
kommies waren dass sicher nicht. (nix gegen junge leuten auf der demo aber in dem alter hat man halt leider meistens noch nicht dass kapital gelesen)

und die randale in der schanze waren dann definitiv autonome und jugendliche aus dem viertel.

ich kann mir auch nicht vorstellen dass wegen paar mehr postern in hamm mehr leute gekommen sind.

Beurteilung der Riots

A.S. Demobündnis 25.05.2010 - 03:48
In der Stellungnahme des Vorbereitungskreises der Revolutionären 1. Mai Demonstration gehen wir auch auf die Aueinandersetzungen am Abend ein unter  http://www.sofo-eimsbuettel.de/1mai/1mai2010end.php

Eine politische Auswertung von Rote Szene Hamburg:
«Unpolitische Gewalt»?! ist unter  http://roteszenehamburg.blogsport.de/2010/05/17/aus-aktuellem-anlass/ nachzulesen.

ghj - "die demo bestannt größtenteils aus besoffenen punkers und sehr jungen leuten"

Unsinn. Unter  http://www.sofo-eimsbuettel.de/ ist ein Video verlinkt, das die Zusammensetzung der ca. 1.800 Demoteilnehmerinnen ganz gut wiedergibt, ebenso die Photos auf  http://www.revo1mai.de.tt

ghj - "ich kann mir auch nicht vorstellen dass wegen paar mehr postern in hamm mehr leute gekommen sind"

Deswegen allein nicht. Dass es 1.800 geworden sind, spricht aber doch wohl dafür, dass mehr Leute denn je das Bedürfnis hatten, radikal gegen Kapitalismus zu demonstrieren. (Und hoffentlich werden wir nächstes Jahr noch mehr!) Dank der sehr guten Mobilisierung war ja dann auch bekannt, wo die Demo losgeht.

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guter text — x-berger

JO — ggg

@ggg — fff

kann mansch nicht ... — stillhorn llegastheniker

@quartiersnachrichten — schlecht Gekleideter

@schlecht gekleideter — alter hippie

marke? — ...

nein — local

@local — auchlocal

@auchlocal — local

Schade nur... — Ersma Reeden

...war ja klar — Matt

interessant — ddd