Frankfurt am Main: Prozess gegen Waldbesetzerin spitzt sich zu

Eichhörnchen 13.04.2010 15:58 Themen: Repression Ökologie
Trotz einer weiterhin sehr dürftigen Beweislage spitzte sich der Prozess gegen Kletteraktivistin Cécile Lecomte am zweiten Verhandlungstag ende März in Frankfurt zu. Der nicht vorbestraften Angeklagten, die wegen verschiedenen Kletteraktionen u.a. gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens seit Mitte März vor dem Amtsgericht steht, drohte die Staatsanwaltschaft am zweiten Verhandlungstag mit einem Haftbefehl. Zeitgleich erhielt die Aktivistin einen Beschluss vom Oberlandesgericht Frankfurt, was ihr die Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Freiheitsentziehung nach diversen Kletteraktionen in der Frankfurter Innenstadt bescheinigt. Der Strafprozess wird am 15. April um 13 Uhr im Schwurgerichtssaal 146 A fortgesetzt. Empörte ZuschauerInnen reichten nach dem letzten Prozesstag am 31. März Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Richter Henrici und Staatsanwalt Links.
Vor Gericht muss sich die Aktivistin wegen ihrer Beteiligung an Demonstrationen gegen den Flughafenausbau im ehemaligen Kelsterbacher Wald (Harvesterbesetzung und Baumbesetzung) sowie wegen einem luftigen Spaziergang auf dem Dach des Frankfurter Hauptbahnhofs verantworten.
Im laufe des ersten Prozesstages (Indy berichtete:  http://de.indymedia.org/2010/03/276705.shtml ) konnte weder die Nötigung des Harvesterfahrers bewiesen werden, noch der angebliche Widerstand gegen Vollstreckungsbeamter. Der Vorwurf der Nötigung fiel mangels eines erkennbaren Nötigungsopfers aus – der Harvesterfahrer war laut Zeugenaussage in der Mittagspause, als die neun DemonstrantInnen die Maschine erklommen. Auch der angebliche Widerstand bei der Räumung aus dem Harvester konnte nicht belegt werden, viel mehr wurde die Missachtung von Höhenrettungssicherheitsvorschriften durch die Polizei zu Tage gefördert.

Grundlage für weitere Anklagepunkte sind Strafanträge wegen Hausfriedensbruch.
Die Verteidigung bezweifelt im Fall Kelsterbach, dass der Flughafenbetreiber Fraport, der Strafantrag gestellt hatte, in dem Wald, der der Stadt Kelsterbach gehörte, das Hausrecht ausüben darf - trotz einer Besitzeinweisung durch das Regierungspräsidium Darmstadt. Fraport hatte lediglich die Sachherrschaft. Strafantrag durfte die Fraport somit nicht stellen, sondern die Stadt Kelsterbach.

Bereits am ersten Prozesstag, hatte die Verteidigung, erhebliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Strafantrages der DB Station&Service AG geäußert.
Zum einen ist nicht klar wer überhaupt das Hausrecht am Frankfurter Bahnhof ausübt, da die DB Station&Service AG anscheinend nur Mieter ist und eine vertragliche Regelung diesbezüglich nicht vorgelegt werden konnte.
Zweitens ist auch die interne Kompetenzregelung recht unklar. Weil dies so ist hat die Staatsanwaltschaft, nach dem Lesen der Beweisanträge der Verteidigung, die Polizei im Vorfeld des zweiten Prozesstages beauftragt telefonisch bei der DB Station&Service AG eine nachträglich veränderte schriftliche Vollmachtsregelung zu erwirken – damit alles seine Richtigkeit hat. Ein Vorgehen, was Richter Henrici billigte, obwohl dies nach der Strafprozessordnung nicht zulässig ist, wie die Verteidigung betonte. Dieser Versuch der nachträglichen Richtigstellung scheiterte jedoch, weil die nachträgliche Vollmachtsregelung für das Stellen des Strafantrages ebenfalls fehlerhaft war.
Der geladener Zeuge benannte auf Befragung vom Verteidiger, einen verantwortlichen Schichtleiter als Strafantragssteller. Diesen will er unter anderem an der Unterschrift unter dem Strafantrag ausmachen. Später gibt er noch an, dass es auch eine interne Nach/Vorbesprechung gab, die ihn bei seinem Erinnerungsvermögen geholfen hat.
Allerdings, laut Polizeiprotokoll, was sich in den Akten befindet, war es wohl ein ganz anderer der den Strafbefehl unterschrieben haben will. Dieser Widerspruch konnte nicht aufgeklärt werden.

Formal juristisch sind somit alle Strafanträge ungültig.

„Allein juristisch müsste es einen Freispruch geben – politisch wollen sie aber eine Verurteilung“, fasste ein Prozessbeobachter zusammen.
Dies zeigte sich ebenfalls im weiteren Verlaufen der Verhandlung. Nach der Zeugenvernehmung sagte die Angeklagte, dass sie ihren letzten Zug erreichen müsste, andernfalls würde sie einen vor Monaten geplanten Facharzt-Termin versäumen – angesichts ihrer chronischen Krankheit und Behinderung sei ihr der Termin sehr wichtig, betonte sie dabei. Dafür beantragte sie die Schließung der Hauptverhandlung um 16Uhr00, es war sowieso klar, dass ein dritter Verhandlungstag nötig sein werde. Richter Henrici weigerte sich, dem Antrag statt zu geben und verkündete stattdessen eine 40minutige Pause bis 16Uhr20 an. Der Staatsanwalt, Martin Links, drohte weiter während der Unterbrechung mit einem Hauptverhandlungshaftbefehl, falls die Angeklagte einfach gehen sollte.

„Die durch den Staatsanwalt angedrohte Inhaftnahme von Cécile ist für mich der eigentlich größte Skandal,“ berichtete ein empörter Prozesszuschauer. Inzwischen haben mehrere ProzessbeobachterInnen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Staatsanwalt Links und Richter Henrici eingereicht.
Inzwischen werden viele Stimmen - sowohl aus der Politik als aus der zivilen Gesellschaft -, die die Einstellung der Verfahren gegen die WaldbesetzrInnen fordern, laut.
Der Kreistag Groß Gerau appellierte am 25. März an den Flughafenbetreiber Fraport, seine Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch im Kelsterbacher Wald zurückzunehmen (siehe  http://www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/nachrichten/kreis_gross_gerau/?em_cnt=2464700&).
In einem am 13. April veröffentlichten offenen Brief sprachen sich ebenfalls zahlreichen Umwelt- und Verkehrsverbände für die Einstellung der Verfahren aus. Siehe  http://www.robinwood.de/Newsdetails.13+M59107418f99.0.html

Die Verhandlung wird am 15. April fortgeführt – weiterhin im Hochsicherheitssaal mit Trennscheibe zwischen Publikum und Gericht. Am Donnerstag kommt möglicherweise auch der Urteilsspruch durch Amtsrichter Henrici. Dies wird jedoch voraussichtlich nicht das letzte Wort gewesen sein. Es ist damit zu rechnen, das der Fall wegen der aufgeworfenen grundsätzlichen Rechtsfragen in Sache Hausfriedensbruch bis zum Oberlandesgericht führt. Ausgerechnet am zweiten Verhandlungstag erhielt die Angeklagte einen Beschluss vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main, was sowohl für das Amts- als auch für das Landgericht Frankfurt einen heftigen Rückschlag bedeutet. Das OLG stufte die Ingewahrsamnahme der Aktivistin in Zusammenhang mit Kletteraktionen an Fassaden – darunter am Hauptbahnhof - als rechtswidrig ein. In seinem Beschluss setzt sich das Gericht lange mit dem juristischen Begriff Hausfriedensbruch und seine Auslegung auseinander.

Weitere Informationen:

Homepage der WaldbesetzerInnen
 http://waldbesetzung.blogsport.de/
Bericht eines Prozesszuschauers
 http://waldbesetzung.blogsport.de/2010/04/01/prozess-gegen-ausbaugegnerin-fortgesetzt/

Homepage der Aktivistin
 http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/de.html

Beschluss vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main
 http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/repression/Fassadenklettern-OLG-Beschluss-2010.pdf

Beispiele von Dienstaufsichtsbeschwerden
 http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/repression/DAB-Henrici-Links-Waldbesetzungsprozess-Frankfurt2010.pdf

Presse zum zweiten Verhandlungstag:
FNP:  http://www.fnp.de/sdp/region/lokales/eichhoernchen-vor-gericht_rmn01.c.7498744.de.html
FR:  http://fr-online.de/frankfurt_und_hessen/dossiers/der_flughafen_waechst_weiter/?em_cnt=2490923&
Pressemitteilung von Robin Wood:  http://www.robinwood.de/Newsdetails.13+M53f4997e036.0.html
Offener Brief:  http://www.robinwood.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Verkehr/OffenerBriefgegenKriminalisierung.pdf
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Ergänzungen

Justiz ist ein Machtmittel - daher stoppen!

k.o.b.r.a.__antirepressionsplattform____ 13.04.2010 - 22:44
Warum auch immer Gerichte und RobenträgerInnen in diesem Land so einen guten Ruf haben, warum friedenstaubenblinde Demoredner die "Stärke des Rechts" herbeisehnen - es ist und bleibt so: Gerichte sind ein Ort besonderer Machtfülle für einzelne Menschen, die dieses durch Kleidung, Sitzordnung und -möbel sowie die dubiosen Begriffe der Sitzungspolizei und der Ordnungsstrafe für Ungebühr auch ständig demonstrieren. Solange sich Gerichtssäle nicht zu Tanzbars, Jugendzentren, alternative Wohnprojekte oder Pommesbuden umwandeln lassen, sollten wenigstens die Prozesse zu Bühnen politischer Widerspenstigkeit werden. Wie in diesem Beispiel gut gezeigt.
Lasst Euch nicht einschüchtern - weder von den RobenträgerInnen noch von gutgemeinten Ratschlägen aus eigenem Umfeld, dass Stillhalten besser ist. Polizei und Justiz haben Gegenwehr verdient!

Für eine Welt ohne Strafe ( http://www.welt-ohne-strafe.de.vu)!
Gerichtssäle zu Aktionsflächen machen ( http://www.prozesstipps.de.vu)!

Trainings dafür gibt es immer mal wieder ... das nächste am 24.4. in Bamburg (Anmeldung an  SDS-Bamberg@gmx.de)

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