Auswertung Polizeikongress

AutorIn des Beitrags 11.03.2010 11:11 Themen: Netactivism Repression
Wir schreiben das dritte Jahr der wahrnehmbaren Proteste gegen den in Berlin tagenden Europäischen Polizeikongress.
Während anfangs die Thematik der fortschreitenden Europäisierung der staatlichen Sicherheitsarchitekturen in der radikalen Linken und der Bürgerrechtsbewegung noch weitgehend Neuland war, ist mit der Zeit und mit vielen anderen Ereignissen ein Bewusstsein gewachsen, das zwar von breitem Widerstand noch entfernt ist, jedoch eine spürbare Dynamik entwickelt hat.

Dieses Jahr gab es im Umfeld des 13. Europäischen Polizeikongress neben der Demonstration eine fundierte Öffentlichkeitsarbeit, eine begleitende militante Kampagne und als Resultat ein reifes Presseecho. Dieser Text will das Passierte zusammenzufassen und auswerten.
Die Info-Kampagne

Den inhaltlichen Auftakt machte dieses Jahr eine dreiteilige Info-Reihe unter dem Motto „Full Spectrum Resistance“. Der Name ist der Gegenentwurf zum repressiven Konzept der staatlichen „Full Spectrum Dominance“, welches im umfangreichen und bereits in drei Sprachen verfügbaren Aufruf zum Protest näher erläutert wird (deutsch: http://euro-police.noblogs.org/post/2009/12/24/full-spectrum-resistance; englisch: http://euro-police.noblogs.org/post/2010/01/22/full-spectrum-resistance; französisch:
http://grenoble.indymedia.org/2010-02-11-Le-13eme-congres-europeen-de-la)

Die vom Komitee für Grundrechte & Demokratie unterstützte erste Veranstaltung mit Heiner Busch von der Zeitschrift Cilip fand im Kato in Kreuzberg statt. Etwa 80 Teilnehmenden vermittelte der erfahrene Referent aktuelle Fakten zum Thema „Grenzenlose Polizei“ (http://de.indymedia.org/2010/01/270897.shtml). Die Diskussion nach dem Vortrag, an der sich zahlreiche Personen unterschiedlichster Spektren beteiligten, machte bereits deutlich, dass in vielen Zusammenhängen Informations- und Aktionsbedarf besteht.
Auch die zweite Veranstaltung zum Thema „Ein bisschen tödliche Waffen“ im K9 in Friedrichshain war gut besucht, hatte jedoch aufgrund organisatorischer Mängel eher den Charakter eines Informationsaustauschs. Eine soziologische Betrachtung des Einsatzes der sogenannten Non Lethal Weapons gegen soziale Bewegungen wäre sicherlich interessant gewesen, blieb jedoch aus. Bei der dritten Infoveranstaltung unter dem Motto „Europäische Homeland Security - Ein neuer präventiver Sicherheitsstaat“ referierten Fabian Georgi von der Frontex-Kampagne und reflect! sowie Matthias Monroy von Gipfelsoli über die geplanten Entwicklungen der europäischen Innenpolitik. Auch hier wurde in der anschließenden Diskussion deutlich, dass zwar bei vielen Akteuren das Problembewusstsein vorhanden ist, ein umfassendes Lösungskonzept für den Widerstand jedoch noch zu entwickeln bleibt.

Die militante Kampagne

Dass eine Info-Kampagne zwar der Anfang, aber letztendlich auch nur ein Teil des Widerstandes sein kann, offenbarten die direkten Aktionen gegen mehrere Verantwortliche des Polizeikongresses. Nachdem in der Nacht zum 29. Januar zwei Autos der Firma Siemens angezündet wurden und in der Nacht zum 1. Februar die Geschäftsstelle der IT-Firma R.O.L.A. mit Farbe und Steinen beschädigt wurde, berichtete die Presse. Teilweise wurden Bekennerschreiben zitiert und verlinkt (http://www.taz.de/1/politik/schwerpunkt-ueberwachung/artikel/1/knackpunkt-eu-sicherheitspolitik). Dort ist die Rede vom Polizeikongress als Ort, an dem sich „Aufstandsbekämpfer und Todesschwadrone treffen um ihr blutiges Handwerk zu perfektionieren“. Der Kongress sei „wichtiges standbein in der zusammenarbeit der wirtschaft mit den sicherheitsbehörden in der technische aufrüstung der eu-staaten“.  Auch die Gruppen, die nach dem Polizeikongress auf die Stiftung Wissenschaft und Politik sowie auf den Konzern für Sicherheitstechnik Dräger Brand- bzw. Zwillenanschläge verübten, bezogen sich Inhaltlich auf die zivilmilitärische Zusammenarbeit (http://www.tagesspiegel.de/berlin/Polizei-Justiz-Wilmersdorf-Stiftung-Wissenschaft-und-Politik;art126,3019004; http://directactionde.blogspot.com/2010/02/brandanschlag-auf-politik-stiftung.html) und den Zusammenhang der Kriegs- und Sicherheitsindustrie mit dem kapitalistischen System (http://directactionde.blogspot.com/2010/02/fensterfront-bei-drager-mit-steinen.html).

Intervention in den Polizeikongress

Eine zunächst unscheinbare Meldung auf Indymedia (http://de.indymedia.org/2010/01/272145.shtml) sorgte beim Veranstalter des Polizeikongresses, der Verlagsgruppe „Behörden Spiegel“, für starke Irritationen. Die Ankündigung, der Polizeikongress würde technisch überwacht, veranlasste die Organisatoren zu Gegenmaßnahmen. Ein Mitglied des Chaos Computer Club, welcher als IT-Experte selbst als Teilnehmer registriert war, musste kurz nach Eröffnung das Gebäude des BCC wieder verlassen. Der auf den Kongress folgende Newsletter des „Behörden Spiegel“ (http://euro-police.noblogs.org/post/2010/02/08/lauschangriff-abgewehrt) gab dann zudem preis, dass offenbar „Spionage-Experten“ die „Vertraulichkeit der Konferenz vollständig zu sichern“ wussten. Ob die Ankündigung  der Gruppe „Autonome Hacker (AHa!)“ ein Fake war, die  Abhörtechnik geortet werden konnte oder mit Mitschnitten gerechnet werden darf, bleibt bis heute unklar. Eine andere Gruppe („Autonome Hacksen und Hacksler“) hat jedenfalls ein Audio online gestellt (http://de.indymedia.org/2010/03/274823.shtml).

Die Demonstration

Wichtiger Teil der Öffentlichkeitsarbeit gegen den Polizeikongress bleibt die seit drei Jahren regelmäßig stattfindende angemeldete Demonstration. Zwar ist die Zahl der Teilnehmenden dieses Jahr nicht nur aus Sicht der Orga-Gruppe hinter den Erwartungen zurückgeblieben (http://de.indymedia.org/2010/02/272457.shtml); dennoch bietet sie weiterhin einen wichtigen öffentlichen Anlaufpunkt für Interessierte, erregt Aufsehen auf der Straße und in der Presse, schafft ein Gefühl für den Erfolg der Arbeitsweise und bietet außerdem ein Forum für verschiedene Gruppen, die in der Thematik einen Interspektralen Schnittpunkt sehen. So kam beispielsweise die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ zu Wort, die in besonderer Weise mit der rassistischen EU-Politik und deren Polizeien kämpft.  Dabei wurde unter anderem aber auch wieder deutlich, wie beschränkt die Linke Szene teilweise funktioniert. Es sollte nicht sein, dass eine an sich antirassistisch und repressionskritisch angelegte Demonstration fast ausschließlich aus weißen Deutschen besteht. Daher muss in der zukünftigen Arbeit wesentlich mehr Wert auf Vernetzung oder Zusammenschluss mit szeneferneren Gruppen und Menschen gelegt werden, die mit der harten Realität der EU-Außen- und Innengrenzen unmittelbar konfrontiert sind.

Vernetzung des Widerstandes

Alles in allem können die Aktionen rund um den Polizeikongress als Teil einer positiven Tendenz betrachtet werden. Inhaltlich wurden in der Berliner Linken Akzente gesetzt und eine allgemeine Sensibilisierung für die aufstrebenden europäischen Sicherheitsarchitekturen herbeigeführt. Praktisch zeigten diverse Anschläge, dass diese Architekturen auf kritischen Infrastrukturen (http://de.wikipedia.org/wiki/Kritische_Infrastruktur) aufbauen, die nicht zu kontrollieren sind. Mögen die bisherigen Eingriffe die Schwelle der Symbolik zwar nicht überschreiten, ist dennoch das generelle Bewusstsein vorhanden, dass auch operative oder gar strategische Vorgehensweisen durchaus im Rahmen der Möglichkeiten liegen.
Dem vorangehen muss jedoch eine breitere Vernetzung. Dass der Kampf gegen den europäischen Staat alle sozialen Bewegungen betrifft sollte klar sein. Sowohl bürgerliche Gruppen sind durch die europa- und weltweite Kooperation und Aufrüstung der Sicherheitsbehörden gefährdet, wie auch revolutionäre Gruppen im EU-In- und Ausland. Durch die Verschmelzung von Militär, Wirtschaft und Politik sehen wir uns einem mächtigen Apparat gegenüber, der die „Full Spectrum Dominance“ beinahe beherrscht. Ein kleiner Schritt zur Vernetzung war die erste Vollversammlung als Abschlussveranstaltung der „Full Spectrum Resistance“-Inforeihe. Ergebnis war neben einem Protokoll die Verständigung auf eine zweite Versammlung, die am 16. Februar stattfand und eine längerfristige Perspektive auf die Verknüpfung internationaler Antirepressions-Kämpfe eröffnete. Der offene Zusammenhang „Out Of Control Berlin“ lädt infolgedessen am 16. März dazu ein, in einer dritten Versammlung ein Programm zur Bekämpfung der europäischen Gipfel der Repression bzw. zur Unterstützung der arbeitenden Gruppen zu gestalten (http://euro-police.noblogs.org/post/2010/02/23/never-trust-a-cop). Erste Wahl sind dabei in Deutschland die NATO-Kriegskonferenz in München (http://www.autistici.org/g8/deu/siko/), der Kieler Trialog (http://kein-trialog.so36.net) und natürlich der nächste Europäische Polizeikongress (http://euro-police.noblogs.org). Außerdem steht im Sommer das No-Border-Camp in Brüssel an.

Wir rufen auf zur internationalen Solidarität und zum Klassenkampf! Schließt euch an!

http://outofcontrol.noblogs.org
http://gipfelsoli.org
http://euro-police.noblogs.org

Die Vorbereitungsgruppe
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Ergänzungen

Der Polizeikongress ist ein schönes Beispiel

Carola 11.03.2010 - 14:44
Ein Beispiel dafür, wie eine Kampagne nicht aufgezogen werden sollte.
Ein paar Leute sitzen am Küchentisch, im Radio läuft ein Bericht und beiläufig wird erwähnt, dass im Februar ein Sicherheitskongress in Berlin stattfinden wird. Charlotte meint, dass mensch da doch was tun müsse, wenn 100erte Bullen zusammenkommen und die anderen pflichten ihr bei*. Und da man sich in einer Szene-WG befand und die um den Tisch versammelten allesamt seit Jahren bei den Autonomen rumspringen wurde auch rasch geplant, dass man da ja eine Demo, vielleicht noch ein paar themenbezogene Veranstaltungen machen könnte. Gesagt getan, die nächste Kampagne war geboren und wurde professionell aufgezogen.
Dann die Ernüchterung, am Tag selber waren es nur eine symbolische Anzahl an Leuten auch vorher hatten sie immer gehört, "ja, da muss man mal was machen", aber übergesprungen war der Funke nicht.
Das Lernen aus Fehlern und Reflektieren der eigenen Herangehensweise sind Eigenschaften durch deren Nichtvorhandensein sich Autonome einen Distinktionsgewinn von der Gesellschaft erhoffen. Folgerichtig war dies wohl die dritte Demo, diesmal mit 250 Leuten, was für Regensburg ganz ordentlich gewesen wäre. Und in 10 Jahren wird es immer noch einen Kongress geben und immer noch 250 Gegendemonstranten.

Das Problem ist, dass es auch nicht um mehr geht, als um diese symbolische Manifestation. Es geht gar nicht mehr darum irgendwas konkret zu ändern oder zu verhindern, so was abstraktes wie Revolution erwähn ich schon gar nicht mehr, sondern nur noch um ein symbolisches "Wir sind dagegen", um ein "Wir-mögen-euch-nicht". Autonome mögen keine Bullen, oh echt, wer hätte das gedacht. Wie wird der Staat auf diese neue Erkenntnis reagieren? Es ist der gleiche politischer Ansatz, der uns die letzten zehn Jahre dazu gebracht hat Hauptstadt zu Hauptstadt zu ziehen um dort die Innenstadt auseinanderzunehmen, nur weil irgendwelche Politiker belanglose Fotoshootings veranstalten. Die Kamapgne gegen den Polizeikongress ist die direkte Fortsetzung des sinn- und zweckfreien Gipfelhoppings in kleinerem Rahmen. Anstatt mit einer Kamapgne zu versuchen etwas zu verändern und in Richtung der befreiten Gesellschaft zu drücken, belässt man es dabei ein Mal "Buuuuhhh" zu sagen. Dass dies niemanden mehr hinter dem Ofen(der Gasetagenheizung) hervorholt finde ich nicht sehr überraschend.

Es gäbe in Berlin unzählige Möglichkeiten mobilisierende Kampagnen gegen Überwachung zu starten, die uns auch wieder dahin bringen eine gesellschaftliche Kraft zu werden. Wir könnten beispielsweise verhindern, dass die BVG weiter in 36 alles mit Kameras überwacht. Wir nehmen dann halt mal am Kotti die Kameras ab, Go-Ins in die BVG-Zentrale, Markieren der BVG-Verantwortlichen, Demos gegen alltägliche Überwachung, also unser ganzes Repertoire. Stattdessen testen sie am Kotti biometrische Techniken um Drogenverkauf automatisch erkennen zu können und niemanden interessiert das.

*ich habe keinen blassen Schimmer an welchem Küchentisch, auf welchem Klo oder welchem Plenum diese Kamapgne ausbaldowert wurde.

Kritik auf die Schnelle

dersokmalwieder 12.03.2010 - 16:07
Eine höhere Beteiligung wäre erreichbar gewesen, aber nicht so wie es gelaufen ist. Ich selber war im letzten Jahr maßgeblich involviert und trotzdem wir nur 2 Wochen zur Aktionsvorbereitung hatten (in diesem Jahr mahnte ich das erste Orga-Treffen bereits im September! an), war die Demo deutlich besser besucht. Militante Aktinen gab es auch im letzten Jahr. Es hat sich gezeigt, dass mit "gut gemeinten" Veranstaltungen, die begleitend durchaus Sinn machen, wenig Menschen mobilisierbar sind. Plakate habe ich keine gesehen, aber immerhin einen Flyer. Im vergangen Jahr war auch hiervon deutlich mehr wahrnehmbar.
Ich habe in diesem Jahr nicht mitgespielt aus folgendem Grund: Meine vorgeschlagene Distanzierung von Anti-Deutschen wurde nicht angenommen. Und als noch ätzender empfand ich die Diskussion, die entbrannte, nachdem "wir" deutlich machten, dass die Demo wieder kein Logo erhalten soll und von "Autonomen" organisiert wird. Dann drehten wir uns zwei Stunden lang im Kreis und am Ende ging es darum Gruppen mit Logo zumindest bei den Veranstaltungen einzubinden. Es wird einfach zu viel diskutiert und zu wenig gemacht, das ist kontraproduktiv. Und deswegen habe ich mich aus der Orga rausgehalten.
Im übrigen gab es auch im "ersten Jahr des wahrnehmbaren Protests" ein begleitendes "Kultur"-Programm. Ich hatte eine ganze Themenwoche organisiert und im Morgenrot liefen begleitend Dokus zum Thema.

und für diejenigen die es interessiert:
mein Verfahren wegen Widerstand gegen Vollsteckungsbeamte und fahrlässiger Körperverletzung (vom letzten Jahr auf der Kundgebung gegen den Kongress) ist nun, nach langem hin und her abgeschlossen: 50 Tagessätze a 12 Euro. Leider wurde bei dem Verfahren auch meine Lock-On-Aktion von der vorletzten Coca-Cola-Weihnachtstruck-Parade angehängt. Die Parade konnte gestoppt werden, aber im Fall eines Freispruchs hätten sie mir wegen eben jener Aktion eine Nötigung an meinen Hals gehängt.
Das es keinerlei Solidarität diesbezüglich gab, wundert mich nicht... ich bin ein radikaler Überzeugungstäter und Ecke dadurch an. =P

ps: ich habe noch 16 Euro, die gesammelt wurden bevor ich ausstieg, um eine "klitzekleine" Miniaktion zu finanzieren. Ich werde das Geld einfach sinngemäß verwenden... Ideen gibt es genug.

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