Berliner Wohnungsträger als Gentrifizierer

Herta Pappel 09.03.2010 23:07 Themen: Freiräume
Die städtische Berliner Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ fordert in Alt-Treptow zum ersten April 2010 Mieterhöhungen zwischen 9-20%. Alle Forderungen berufen sich auf den Mietspiegel. Wie ein städtischer Wohnungsträger die einkommensschwache Bevölkerung an den Stadtrand verdrängt…
Berlin-Neukölln, 8. März 2010 – Vor dem Verwaltungsgebäude von „Stadt und Land“ in der Werbellinstraße haben sich stellvertretend für mehr als 200 MieterInnen ca. 20 MieterInnen versammelt, um zusammen mit der Initiative „Karla Pappel gegen Mieterhöhung und Verdrängung“, dem „Mietenstopp-Bündnis“ und im Beisein von Presse ihren Protest gegen die angekündigten Mieterhöhungen auszudrücken.

Bernhard Schütze, Prokurist bei „Stadt und Land“, tritt um elf Uhr vor die Tür, will zunächst nur die Protestnote entgegennehmen und keine Stellung zu den Mieterhöhungen beziehen. Auf Nachfragen erklärt er, dass die Mieterhöhungen mit dem Mietspiegel juristisch einwandfrei begründet seien und dass es daher keinen Grund gebe, diese zurückzunehmen. Sie kämen den MieterInnen sogar noch entgegen, da sie den Mietspiegel nur um 92% ausreizten.

Die MieterInnen sind mit dieser Begründung nicht einverstanden, da Löhne und Renten seit Jahren sinken und die Kosten immer weiter steigen würden. Außerdem habe „Stadt und Land“ an den Häusern keine Modernisierungs- oder Instandhaltungsmaßnahmen vorgenommen, welche diese Erhöhungen rechtfertigen könnten.
Die Wohnungsbaugesellschaft habe einen sozialen Auftrag, nämlich bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsgruppen zur Verfügung zu stellen, insbesondere auch für die einkommensschwachen.
Bei einem Gewinn von 7,8 Millionen Euro im Jahr 2009 könne man nun auch nicht von einem notleidenden Unternehmen sprechen. Der Frage, warum „Stadt und Land“ trotzdem die Mieten erhöhe, weicht Herr Schütze aus. Es sei politisch erwünscht, dass das Unternehmen wirtschaftlich handle. Auf Nachfragen widerspricht er jedoch, dass der Druck vom Berliner Senat komme: Er allein habe die Mieterhöhungen zu verantworten.

Er führt an, dass einige Stadtteile eine höhere Miete zahlen müssten, quasi aus Solidarität, damit die Miete in anderen Stadtteilen günstiger ausfallen könne, wie z. B. im Rollbergviertel. Dort hat man Mieterhöhungen zurückgenommen, weil die Bevölkerung diese nicht hätte bestreiten können.
Da es sich beim Rollbergviertel aber eher um einen weniger attraktiven Stadtteil handelt, ist die Rücknahme weniger auf Nächstenliebe als vielmehr auf die Angst vor Leerstand zurückzuführen.
Herr Schütze versichert, man habe sich bei den entsprechenden Stellen informiert, der Kungerkiez weise einen sozialen Index von +2 auf, wohingegen man beim Rollbergviertel einen Wert von -4 annehme. Alt-Treptow könne es also verkraften, mehr zu zahlen.

Diese Art der Durchschnittswertbildung hilft den BürgerInnen, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens gezwungen sind wegzuziehen, leider nichts. Es hilft ihnen auch nicht, wenn es am Stadtrand, am besten in Flughafennähe, günstigen Wohnraum gibt, wenn sie seit Jahrzehnten in Alt-Treptow leben und ihr soziales Umfeld dafür verlassen müssten.

Die Nachfrage nach Wohnraum im Kungerkiez steigt. Es gibt eine Mittelschicht, die bereit ist, weit höhere Mieten zu zahlen als ortsüblich. Dass die einkommensschwache, alteingesessene Bevölkerung dadurch verdrängt wird und eine soziale Entmischung stattfindet, wird von der Politik billigend in Kauf genommen oder sogar noch gefördert. Im Nachhinein beschwert man sich dann über soziale Brennpunkte und darüber, dass Bildungssystem und Integration gescheitert seien.

Herr Schütze nimmt die Protestnote abschließend entgegen und erklärt, man werde sich mit der Geschäftsführung beraten. Eine Rücknahme der Mieterhöhungen hält er jedoch für unwahrscheinlich und verweist auf Härtefallreglungen, welche die einzelnen MieterInnen erwirken könnten.

Text Protestnote:

Die MieterInnen
von Stadt und Land
in Alt-Treptow

an den Geschäftsführer der
städtischen Wohnungsbaugesellschaft
Stadt und Land
Herr Niestroj

unterstützt von „Karla Pappel,
Initiative gegen Mieterhöhung und Verdrängung“
und Mietenstopp-Bündnis

Protest

- Stadt und Land hat einen sozialen Auftrag!!
- Als kommunaler Wohnungsträger hat „Stadt und Land“ eine besondere Verantwortung.
- Durch die geplanten Mieterhöhungen werden Menschen, die zum Teil schon Jahrzehnte hier wohnen, aus ihrem sozialen Umfeld verdrängt.
- Wir wollen, dass alle Menschen, unabhängig von ihrem Einkommen, in ihren Wohnungen bleiben können.
- Wir akzeptieren nicht, dass der Mietspiegel Grundlage von Mieterhöhungen ist!
- Wir akzeptieren die Mieterhöhungen nicht und fordern die sofortige Rücknahme der Mieterhöhungen!

Und das schreibt die Presse:

„Verdrängung als Konzept“ von Christian Linde, junge Welt vom 9. März 2010
„Kungerkiez wird teurer“ von Peter Nowack, taz vom 8. März 2010

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Ergänzungen

Siehe auch:

Leser 10.03.2010 - 10:28
Die Krieger von Kreuzberg
 http://www.zeit.de/2010/09/DOS-Carloft?page=1

Verdrängung in Neukölln

neuköllner 10.03.2010 - 13:50
Putztruppe im Arme-Leute-Kiez
SOZIALE STADT Das Projekt "Task Force Okerstraße" polarisiert: Die Befürworter hoffen, dass Sozialarbeiter, Polizei und Ämter zusammen die massiven sozialen Probleme im Neuköllner Schillerkiez in den Griff bekommen. Die Gegner sehen darin einen gezielten Versuch, die Bevölkerung zu vertreiben, um das Viertel aufzuwerten
VON JAN MOHNHAUPT

Die Lage im Schillerkiez ist brisant: Verwahrloste Kinder und Jugendliche treiben sich nachts auf den Straßen herum, am Herrfurthplatz lungern Trinkergruppen und urinieren in die Grünanlagen. In manchen Häusern wohnen bis zu einem Dutzend SaisonarbeiterInnen aus Osteuropa in Zweizimmerwohnungen, die der Hausverwalter aus Profitgründen pro Schlafplatz vermietet. Solche Horrorgeschichten erzählen AnwohnerInnen. Auch die Statistik des sozialen Brennpunkts wirkt ernüchternd: Mehr als die Hälfte der 20.000 EinwohnerInnen lebt unter der Armutsgrenze, 98 Prozent der SchülerInnen haben nicht genug Geld, um die Schulbücher zu bezahlen.

"Es ist kein normales Viertel", fasst Kerstin Schmiedeknecht zusammen. Seit elf Jahren leitet die Architektin das Quartiersmanagement (QM) Schillerpromenade, das im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das Gebiet aufwerten soll. In dieser Zeit wurden zwar Spielplätze, Kinder- und Jugendklubs gebaut. Trotzdem, so Schmiedeknecht, hätten sich die Nachbarn in den vergangenen Jahren immer wieder über die Zustände im Kiez beklagt. Es genüge eben nicht, nur Angebote zu machen und die Missstände mit Einzelmaßnahmen zu bekämpfen, sagt die QM-Chefin - und übt damit indirekt auch Kritik an der eigenen Arbeit.

Weil das Quartiersmanagement allein mit Problemen wie Kinder- und Jugendarmut, Alkoholismus und unmöglichen Wohnverhältnissen nicht fertig werden kann, gibt es seit November 2009 das Projekt Task Force Okerstraße (TFO) - ein Zusammenschluss von Quartiersmanagement, Bezirksamt, Polizei, Schulen sowie weiteren Behörden und Initiativen. Die einzelnen Organisationen wollen mit verschiedenen Interventions- und Präventionsmaßnahmen vorgehen: In Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendamt betreuen SozialarbeiterInnen die Kinder und Jugendlichen und bieten Freizeitbeschäftigungen an. Bald schon sollen Polizei und Ordnungsamt durch regelmäßige Rundgänge die Trinkergruppen kontrollieren. Und die Bauaufsichtsbehörde will sich um den Hausverwalter der verwahrlosten Gebäude und die Verbesserung der Wohnbedingungen kümmern. Ziel ist es, das Stadtviertel östlich des stillgelegten Flughafens Tempelhof durch die Kooperation von Verwaltung und Sozialarbeit wieder sicherer und sauberer zu machen.

Was konkret getan wird, sieht man in der Okerstraße. In einem Ladenbüro arbeitet seit November das mehrsprachige Sozialarbeiterteam von Integra e. V. Die fünf MitarbeiterInnen kümmern sich um Kinder, Jugendliche und deren Familien. Ein Großteil davon sind kinderreiche Romafamilien aus den EU-Osterweiterungsländern Rumänien, Bulgarien und Exjugoslawien. In Deutschland dürfen sie nur mit einer Sondergenehmigung uneingeschränkt arbeiten. "Viele von ihnen sind aber sprachlich nicht in der Lage, ihre Amtsgänge zu erledigen", berichtet Geschäftsführer Kazim Yildirim. Sie gingen daher praktische Wege, indem sie bettelten oder schwarzarbeiteten. Die Kinder seien sich häufig selbst überlassen. Viele von ihnen schwänzten die Schule.

Um dem entgegenzuwirken, arbeiten die SozialarbeiterInnen mit den Schulen zusammen, besuchen die Familien und geben den Kindern Nachhilfe bei den Hausaufgaben. Außerdem bieten sie Sportkurse und Suchtprävention an. "Automatenspiel und Fußballwetten sind ein großes Problem unter den Jugendlichen", sagt Yildirim. Zusätzlich zu diesen Präventionsmaßnahmen kontrollieren die Jugendschutzgruppe des Bezirks und die Polizei regelmäßig die zahlreichen Spielbuden im Kiez auf illegales Glücksspiel.

Die SozialarbeiterInnen würden den Kindern und Jugendlichen gern auch eine Zukunftsperspektive geben. "Wenn sie keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekommen, werden die Freizeitangebote allein nicht weiterhelfen", weiß auch Yildirim. Es sollte daher mehr Angebote zur Berufsqualifizierung vom Jobcenter geben, meint der Sozialarbeiter.

Andere Mitarbeiter in der TFO, die anonym bleiben wollen, werden noch deutlicher: Die sozialen Probleme würden zwar erkannt, aber die Ursachen nicht bekämpft. Besonders für junge Erwachsene aus den EU-Osterweiterungsländern sei es schwierig, da sich weder Jugendamt noch Jobcenter für sie zuständig fühlten. Für das Jugendamt seien sie zu alt, für das Jobcenter fehle die Arbeitserlaubnis.

Das Vorbild für das Neuköllner Projekt TFO stammt aus Rotterdam und nennt sich Transfer Information Point: Dort sammeln Polizei, Schulen, Jugend- und Gesundheitsämter alle Auffälligkeiten der BewohnerInnen, von versäumten Arztbesuchen bis hin zu Straftaten, in einer Datenbank und machen Hausbesuche. Wenn die betroffenen Personen uneinsichtig sind, kann ein Bußgeld erteilt, die Sozialhilfe gestrichen oder, als letzte Konsequenz, sogar eine Umsiedlung in andere Stadtgebiete vorgenommen werden. In Rotterdam rühmt man sich, auf diese Weise zahlreiche Problembezirke wieder nach vorn gebracht zu haben.

In Neukölln werde es ein solches Vorgehen aber nicht geben, versichert der Migrationsbeauftragte des Bezirks und TFO-Sprecher, Arnold Mengelkoch. Aus Datenschutzgründen würden Personendaten nur anonymisiert gesammelt. "Wir dürfen uns aber bei der Abwehr konkreter Gefahren direkt miteinander austauschen." Hausrazzien werde es jedoch nicht geben. "Wir machen es nicht wie in Rotterdam und gehen eine Wohnung nach der anderen ab. Wir haben unsere Sozialarbeiter vor Ort."

Trotzdem sorgen solche Vorbilder für Misstrauen. "Es geht nicht um Sozialarbeit, sondern um den Datenaustausch zwischen Behörden", entgegnet Guido Erhardt* von der Initiative Tempelhof für alle. Vermehrte Kontrollen durch Polizei und Ordnungsamt dienten nur der Verdrängung von sozial Schwachen wie den Trinkern. "Wen stören die denn?", regt sich Erhardt auf. "Fragt die Task Force auch, warum sie trinken?" Anstatt Randgruppen zu helfen, würde nur gegen diese gehetzt und an Symptomen herumgedoktert: "Die Task Force will nicht die Armut bekämpfen, sondern die Armen unsichtbar machen."

Der Schillerkiez ist aus Erhardts Sicht ohnehin ein Rückzugsgebiet für Menschen, die in anderen Teilen Neuköllns keine Wohnung mehr finden. "Seit ein, zwei Jahren ziehen vermehrt Studierende hierher, weil sie die Mieten in Gebieten wie dem Reuterkiez nicht mehr bezahlen können." Auf Dauer, so vermutet er, würden sie auch hier vertrieben.

Auf ihrer Internetseite wirft die Initiative der TFO vor, die "Aufwertung des Kiezes durch Säuberung" zu verfolgen, damit der "Schmuddelbezirk" für Besserverdienende attraktiv wird. Die Initiativmitglieder haben bereits mehrere Stadtteilversammlungen organisiert, um über die TFO zu informieren. Und sie planen Gegenmaßnahmen, etwa indem sie selbst Daten sammeln. Mit einem Fragebogen wollen sie herausfinden, wie die Besitz- und Mietverhältnisse im Kiez sind und ob bereits Modernisierungen geplant sind.

Seit 1992 ist der Schillerkiez ein sogenanntes Sanierungsuntersuchungsgebiet. Was die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dort im Zuge der Neugestaltung des ehemaligen Flughafengeländes plant, stellt sie auf ihrer Internetseite unter dem Titel "Fünf Bausteine für das Tempelhofer Feld" vor. Das "Stadtquartier Neukölln" soll eine "Adresse für städtisches Wohnen am Park" werden - ein gemischtes Quartier mit Familienwohnungen und hervorragender verkehrlicher Anbindung. "Es sind dort höherwertige Bau- und Wohngruppen geplant - Townhouses für die Mittelschicht", erklärt Joachim Oellerich von der Berliner MieterGemeinschaft und Chefredakteur der Zeitschrift MieterEcho. Für die ansässigen sozialschwachen Bevölkerungsgruppen bliebe kein Platz mehr. "Instrumente wie die Task Force begünstigen solche Prozesse und dienen als vorbereitende soziale Aufräumarbeiten."

QM-Chefin Schmiedeknecht kann mit solchen Vorwürfen nichts anfangen: "Wer ist denn in Neukölln vertrieben worden? Wir tun etwas für die Menschen, die dort wohnen, damit wieder normale Nachbarschaft möglich ist."

Linksautonome Hausprojekte als Gentrifizierer

Kommunist 10.03.2010 - 18:49
Durch die Ansiedelung von Autonomen und Alternativen nach der Wende in Friedrichshain wurde aus dem ehemals spießig-sozialistischen Viertel schnell ein angesagter Szenekiez. Die Alternativ-Szene Anfang der 90er in Fhain und Teilen von Pberg führte zu vermehrtem Zuzug von StudentInnen und anderen jungen Kreativen, die den Stadtteil entscheident aufwerteten. Nachdem die ersten schicken Kneipen, Bars und Restaurants eröffnet haben, war es nur eine Frage der Zeit bis auch zahlungskräftige Bevölkerungsschichten in den Kiez zogen: Die ersten Gallerien eröffneten und die Simon-Dach-Straße wurde zum Symbol der "Gentrifizierung".


Merkt ihr was?! Peronalisierungen (wie im Artikel) sind leider unangebracht, wenn es um das Thema Stadtentwicklung/Gentrifizierung geht. Ansonsten wäre ja alles so einfach...


Die kapitalistische Verwertungslogik entlarven!
Es geht ums Ganze!

Bericht im Berliner Abendblatt

Lucia Rathgen 14.03.2010 - 21:59
Im Berliner Abendblatt, einem kostenlosen (Anzeigen-)Wochenblatt, das dem Berliner Verlag zugehört, war in der Treptower Ausgabe vom 13.3.10 auf der Titelseite ein ausführlicher Bericht über die Protestkundgebung. Die Ausgabe ist als PDF herunterladbar:

"Protest gegen unbegreifliche Mieterhöhung"
 http://abendblatt-berlin.de/fileadmin/pdf_archiv/KW_10/Treptow_vom_13.03.2010.pdf

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Vermieter bereichern sich alle — Hausmeister und Spion

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@Gordon — blockwart, heißen die bei uns

@ Hausmeister (2) — Gordon Gekko

@ Hausmeister — & Blockwart

@Gordon Gekko — hausungemeinschaft

@ kommunist — (a)nti-system